Читать книгу 50 Jahre Bundesliga – Wie ich sie erlebte - Gerhard Delling - Страница 21

Ein Autogramm von Uwe

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Genau das muss die Zeit gewesen sein, in der ich dem großen Superstar, der von allen irgendwie gemocht, angehimmelt und bewundert wurde, erstmals persönlich begegnete. Eine Momentaufnahme, die so viel über den Menschen Uwe Seeler aussagt und die ich mein Leben lang nicht vergessen werde. Ich war etwa fünf Jahre alt, hatte daheim im von Hamburg etwa 100 Kilometer entfernten Rendsburg/Büdelsdorf inmitten von Schleswig-Holstein auf dem Bolzplatz vor dem Haus schon oft vergeblich versucht, den Overath, Tilkowski und natürlich den Uwe Seeler zu geben, später auch den Netzer und Beckenbauer. Ich war also voller Begeisterung diesem Sport verschrieben und kannte mich schon ganz gut aus.


Eines Tages musste mein Vater mal wieder aus beruflichen Gründen nach Hamburg und nahm meine Mutter und mich, vorn auf der durchgehenden Bank im LKW sitzend, mit. Während er seinen Auftrag erledigte, stromerten Mutter und Sohnemann durch die für uns gigantisch groß wirkenden Kaufhäuser – ich voll fröhlicher Erwartung, weil an so einem außergewöhnlichen Tag auch immer etwas für mich heraussprang. In diesem Fall durfte ich mir ein kleines Spielzeug aus der beinahe erschlagenden Vielfalt des Angebots aussuchen. Schon eine Zeit lang hatte ich ein kleines amerikanisches Auto in der Hand gehalten – ein Polizeifahrzeug des New York Police Departments mit einem winzigen Rotlicht auf dem Dach. Das war eigentlich schon der besondere Clou. Trotzdem konnte ich mich einfach nicht entscheiden, denn die vielen Alternativen waren zu verlockend.

Während ich so verträumt dastand, einige Regalmeter von meiner Mutter entfernt, die nach anderen Mitbringseln fahndete, vernahm ich plötzlich eine Männerstimme neben mir, die sich auch noch an mich wandte. Ich fuhr herum und erkannte ihn sofort: Uwe Seeler, eines meiner wenigen Idole, die mir so viel Kraft für die dörflichen Straßenfußballschlachten verliehen hatte. Er muss mein wild pochendes Herz gesehen haben, so weit stand mein Mund offen! »Zeig mal her«, sagte er und nahm mir das Polizeiauto aus meiner Hand, weil ich immer noch wie erstarrt dastand und ihn anglotzte. »Der sieht aber wirklich besonders toll aus«, meinte er nach kurzer Betrachtung und gab mir das Spielzeug wieder. Ich nahm es – jetzt ganz sicher, dass ich es definitiv nicht mehr hergeben würde. Ich nuschelte, mich mit errötetem Kopf schämend für meine Sprachlosigkeit, ein hastiges »Danke« und lief, so schnell ich konnte, zu meiner Mutter und schrie sie fast an: »Da vorn steht Uwe Seeler! Da! Der da!«


Geb. 5.11.1936

Stationen als Spieler:

1946 – 1972: Hamburger SV

239 BL-Spiele (137 Tore)

237 Oberligaspiele (267 Tore)

43 Endrundenspiele um die

Deutsche Meisterschaft (40 Tore)

29 Europapokalspiele (21 Tore)

72 A-Länderspiele (43 Tore)

3 B-Länderspiele

Stationen als Funktionär:

1995 – 1998: Präsident

Hamburger SV

Erfolge als Spieler:

Vize-Weltmeister 1966

WM-Dritter 1970

WM-Teilnehmer 1958 und 1962

Deutscher Meister 1960

DFB-Pokalsieger 1963

Europapokalfinalist der Pokalsieger 1968

Auszeichnungen:

Deutschlands »Fußballer des

Jahres« 1960, 1964, 1970

Bester Oberliga-Torschütze 1956,

1959, 1960 und 1961

Bundesliga-Torschützenkönig

1963/64 (30 Tore)

Dritter bei der Wahl zu »Europas

Fußballer des Jahres« 1960

Meine Mutter brauchte ein wenig länger als ich für die Identifizierung, aber sie erkannte – obwohl nicht latent fußballinteressiert, sondern nur bei wichtigen Meisterschaften oder großen Turnieren am Fernsehgerät dabei – sehr bald, welch Prominenz da mitten im Kaufhaus stand und offensichtlich als ganz normaler Kunde ein Kindergeschenk suchte. »Das ist ja unglaublich«, sagte sie, »willst du dir nicht ein Autogramm holen, sonst denken deine Spielkameraden, du hättest dich geirrt, wenn du davon erzählst.«

Ich wollte – und wie. Aber ich traute mich nicht und war umso dankbarer, dass meine Mutter das sehr schnell realisierte und mich nun ziehend und dann wieder schiebend zu Uwe Seeler schleppte. »Dieser junge Mann würde so gern ein Autogramm von Ihnen haben, Herr Seeler«, sprach sie ihn unumwunden an, »es hat ihm nur gerade die Sprache verschlagen!«

»Das ist kein Problem, das mache ich doch gerne. Wir haben uns eben ja schon ein wenig angefreundet«, gab Uwe zurück, so als würde ihm das nicht unzählige Male am Tag passieren. »Du spielst doch bestimmt auch Fußball. Musst immer schön trainieren, dann wird das immer besser!«

Sagte es und zog wie automatisch einen Stapel Autogrammkarten mit seinem Bild als HSV-Spieler aus der Jackentasche. Nachdem er sich nach meinem Namen erkundigt hatte, schwang er mit einem dicken Stift ein »Für Gerhard« auf die Karte und setzte seinen Namen darunter. Ich bedankte mich höflich, er fuhr mir noch kurz mit der Hand durch die wuscheligen Haare, und dann verabschiedeten wir uns auch schon glückselig über diese unvergessliche, wunderbare Begegnung. Natürlich erzählte ich meinem Vater davon als Erstes und hatte das Gefühl, dass er alles über diese besondere Begegnung wissen wollte und sehr interessiert war, was dieses einmalige Erlebnis noch mehr aufwertete.

Heute weiß ich, dass ich damals keinen außergewöhnlichen Tag erwischt hatte. So ist Uwe eigentlich immer, wenn er unter Menschen ist. Er behandelt sie respektvoll, ist äußerst kommunikativ und – wie ich bisher feststellen durfte – immer freundlich und offen. Aber am wohlsten fühlt er sich auch heute noch unter seinen Sportkameraden. Ob in seiner »Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft«, die schon seit Jahrzehnten für den guten Zweck spielt, oder bei den sogenannten »Schneeforschern« – einer Gruppe von in erster Linie ehemaligen Spitzenfußballern wie Franz Beckenbauer, »Luggi« Müller oder Max Lorenz, die sich jedes Jahr mehrmals zu gemeinsamen Unternehmungen trifft –, »Uns Uwe« ist immer für einen netten Kameradschaftsabend zu haben. Von wegen »Elf Freunde müsst ihr sein« – bei Uwe sind es viel mehr. Das Überraschende daran: Es sind sehr viele echte Freunde!

50 Jahre Bundesliga – Wie ich sie erlebte

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