Читать книгу 50 Jahre Bundesliga – Wie ich sie erlebte - Gerhard Delling - Страница 16

Ein Weltmeister und ein Visionär

Оглавление

Dabei sind diese Charaktere nicht immer nur einfach. Insbesondere die Mitspieler von Wolfgang Overath werden das bestätigen können. Der hatte schon immer seinen ganz eigenen Kopf und konnte auf dem Fußballfeld während des Spiels schon mal sehr unangenehm werden, und zwar gegen die eigenen Mitspieler. Vor allem, wenn es nicht lief bzw. der Ball nicht wie magnetisch zu ihm kam und bei fast jedem Angriff auch am genialen Fuß des Spielmachers landete. Overath war über viele Jahre der Taktgeber des Kölner Spiels. Weil er so außergewöhnlich Fußball spielen konnte – aber auch weil er es so wollte. Und er war eine der treibenden Kräfte bei der ersten Deutschen Meisterschaft in der Bundesliga 1964. Allerdings zu dem Zeitpunkt noch alles andere als der Hauptdarsteller, denn die Mannschaft von damals war gespickt mit herausragenden Namen und Spielerpersönlichkeiten. Zum Beispiel Heinz Hornig, der mir schon deshalb im Gedächtnis geblieben ist, weil er ein Linksfuß war – wie ich auch (fußballerisch leider die einzige Gemeinsamkeit). Oder Wolfgang Weber, ein kompromisslos harter Verteidiger ohne Allüren, der im Europapokal gegen Liverpool sogar mal mit gebrochenem Wadenbein gespielt haben soll (ich kann es immer noch nicht glauben). Nachhaltig hat er sich in meine Erinnerung eingebrannt, weil er als Verteidiger 1966 im WM-Finale im Londoner Wembley-Stadion mit seinem »Spagattor« zum 2:2 doch noch die herbeigefieberte Verlängerung möglich gemacht hatte.

Und dann war da vor allem Hans Schäfer, den ich erst Jahre später richtig in Aktion sehen sollte, nämlich immer dann, wenn die Bilder der Weltmeisterschaft von 1954 gezeigt wurden. Er gehörte dieser legendären Mannschaft an, die mit dem Titelgewinn im Berner Wankdorfstadion nicht nur dem deutschen Fußball, sondern der gesamten Nation neues Ansehen und auch Selbstvertrauen verschafft hatte. In seinem Leben außerhalb des Fußballs half der junge Schäfer regelmäßig im Frisörgeschäft des Vaters aus, ehe er dann Praktikant in der Parfümerieabteilung im Kölner Kaufhof wurde. So ambivalent und geerdet gestaltete sich damals das Leben eines Fußballers mit Profiambitionen. Später war Schäfer Inhaber einer Großtankstelle und bis Ende der sechziger Jahre auch noch Co-Trainer beim FC. Manchmal war er nebenbei das alles, manchmal nebenbei ein Weltstar auf dem Fußballfeld. Und über viele Jahre der »Spiritus Rector« einer Kölner Mannschaft, die 1962 die Deutsche Meisterschaft im Finale vor über 82.000 Zuschauern mit 4:0 gegen den 1. FC Nürnberg gewann und zwei Jahre später dann den ersten Bundesligatitel.

Nach seiner fußballerischen Karriere widmete sich Schäfer hauptsächlich seiner Arbeit als alleiniger Repräsentant einer Agentur für Promotionund Werbeservice. Das kam nicht von ungefähr und hatte einen besonderen fußballerischen Hintergrund: Diese Firma war nämlich von dem Mann gegründet worden, der nicht nur Hans Schäfer schon früh förderte, sondern der den 1. FC Köln »gemacht« hatte – Franz Kremer. Der stand ja – wie bereits weiter vorn beschrieben – entscheidend Pate bei der Durchsetzung der Bundesliga, aber vor allem hatte er schon früh die Vision von einem bedeutenden Kölner Fußballverein. Ziemlich bald nach dem Krieg, im Jahr 1948, sorgte der Sohn des Lokomotivführers Franz Kremer sen. dafür, dass aus dem Kölner Ball-Spiel-Club und der Spielvereinigung Sülz ein neuer Verein wurde – der 1. FC Köln. Eine Fusion mit einer klaren Idee, die auch etwas mit »Lokomotive« zu tun hatte. Der Werbefachmann Kremer münzte das in den Slogan: »Wollen Sie mit mir Deutscher Meister werden?« Motto: Man muss groß denken, wenn man etwas erreichen will.

Nur, dass Kremer seine Visionen erstaunlich schnell realisierte. In den Folgejahren wurde der FC zum Vorzeigeverein in Deutschland mit einer professionellen Organisation und beispielhafter Infrastruktur bei den Vereinsanlagen. Schon 1949 stieg der fast noch taufrische 1. FC Köln in die Oberliga West auf (damals die höchste Spielklasse) – als Spielertrainer fungierte ab 1949/50 der kölsche Jong Hennes Weisweiler (bis 1952), von 1955 bis 1958 arbeitete er dann nur noch als Trainer. Fünfmal wurde der FC bis zur Gründung der Bundesliga Westdeutscher Meister (1954, 1960, 1961, 1962, 1963), nahm insgesamt achtmal an der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft teil und erreichte in den Jahren 1960, 1962 und 1963 das Finale um die Deutsche Meisterschaft mit dem erwähnten Titelgewinn 1962. Zu Kremers Ideen gehörte es, seinen Spielern zeitweise statt der traditionellen rot-weißen eine strahlend weiße Spielkluft zu verpassen, nach dem Vorbild der »Königlichen« von Real Madrid. Wegen dieser Trikots und natürlich auch ihrer Spielkunst nannte man die Kölner schon bald das »Real vom Rhein« oder das »Weiße Ballett«.


Kölner Legende: Franz Kremer mit dem Geißbock Hennes.

Mit den Meistertiteln von 1962 und 1964 hatte Kremer sein Ziel eigentlich erreicht und seine vollmundige Ankündigung eingelöst. Trotzdem herrschte er unumstritten alleine und bisweilen auch ziemlich autoritär weiter beim FC. Auch daher rührt sein Spitzname »der Boss«. Und so wurde der Verein 1967 von seinem plötzlichen Tod total überrascht und konnte seither nur noch sporadisch eine führende Stellung im deutschen Fußball, wie er sie in der Ära Kremer innehatte, erreichen. Heute erinnern der Name des vereinseigenen Stadions, in dem die Amateure spielen, und die Straße zum Geißbockheim, die zu seinem 100. Geburtstag in Franz-Kremer-Allee umbenannt wurde, an den großen Vordenker und Macher.

Franz Kremer habe ich das erste Mal so richtig wahrgenommen, als die Nachricht von seinem Tod durch die Medien ging. Sein Werk dagegen war mir nur zu gut auch schon damals ein Begriff. Als gebürtiger Norddeutscher interessierte ich mich anfangs natürlich in erster Linie für die Klubs in meiner Nähe. Aber da meine Mutter gebürtige Essenerin ist und wir regelmäßig in »Die Einkaufsstadt Essen« fuhren, um ihre Eltern und Geschwister zu besuchen, waren mir sehr bald auch die dominierenden Westvereine ein Begriff und ans Herz gewachsen. Besonders Rot-Weiss Essen, weil es trotz der vielen Enttäuschungen bis heute der Verein ist, der meinem Onkel als fußballerische »Heimat« dient. Aber spätestens mit der ersten Bundesliga-Meisterschaft galt das auch für den 1. FC Köln (später dann vor allem noch den Meidericher SV, Schalke 04 und – dazu kommen wir noch – Borussia Mönchengladbach)!


Die legendäre »weiße« Meistermannschaft der Geißböcke im Müngersdorfer Stadion, Mai 1964 (v.l.): Schäfer, Ewert, Sturm, Wilden, Benthaus, Müller, Thielen, Pott, Overath, Hornig, Regh, Hemmersbach, Schumacher, Weber.

EINE MANNSCHAFT, DIE GESCHICHTE SCHRIEB

1. FC Köln, Meister der ersten Bundesligasaison 1963/64

Fritz Ewert (Torhüter, 26 Spiele): Hennes Weisweiler holte ihn 1957 von TURU Düsseldorf nach Köln, später Nationalspieler, mit dem FC zweimal Deutscher Meister (1962, 1964). Der gelernte Kaufmann betrieb nach seiner Karriere erst eine Tankstelle in Köln und arbeitete dann für ein Möbelhaus. Er verstarb 1990 nach langer, schwerer Krankheit.

Anton »Toni« Schumacher (Torhüter, 4 Spiele): Gebürtig aus Bonn, in der Meistersaison nur die Nr. 2 zwischen den Pfosten, später aber doch noch Stammkeeper des FC. Der gelernte Lagerist arbeitete bis zu seiner Verrentung als Cheffahrer für die Köln-Bonner Sparkasse.

Matthias Hemmersbach (Abwehr, 17 Spiele): Heimatverein BC Efferen, 12 Jahre beim FC (1961 – 1973), zweimal Deutscher Meister (1962, 1964), DFB-Pokalsieger 1968. Hemmersbach war gelernter Maler, der nach seiner Spielerkarriere in den alten Beruf zurückkehrte.

Fritz Pott (Abwehr, 27 Spiele, 1 Tor): Heimatverein RW Zollstock, von 1958 bis 1970 beim FC unter Vertrag, drei Länderspiele, zweimal Meister, einmal Pokalsieger. Der gelernte Industriekaufmann besitzt heute eine Gebäudereinigungsfirma in der Region Köln.

Anton »Toni« Regh (Abwehr, 29 Spiele): Kam 1961 von Schwarz-Weiß Stotzheim zum 1. FC Köln, blieb dort sieben Jahre Stammspieler, gewann ebenfalls drei große Titel (zweimal Meister, einmal Pokalsieger). Regh betrieb nach seiner Karriere erst eine Tankstelle, später eine Gastwirtschaft in Euskirchen.

Wolfgang Weber (Abwehr, 17 Spiele, 3 Tore): Geboren in Pommern, aufgewachsen in Köln-Porz, Durchbruch beim 1. FC Köln in der ersten Bundesligasaison, Deutscher Meister 1964, DFB-Pokalsieger 1968, 1977. Spielte bis Januar 1977 und erlebte das Double 1978 nicht als Spieler, sondern als Trainerassistent. Mit der Nationalmannschaft war der Abwehrspieler mit Vorwärtsdrang 1966 Vize-Weltmeister und 1970 WM-Dritter geworden. Harter Junge, der im Europapokal gegen Liverpool auch mal mit gebrochenem Wadenbein weiterspielte. Der in Köln aufgewachsene Weber war gelernter Industriekaufmann und erwarb an der Sporthochschule Köln das Fußballlehrer-Diplom. Zeitweise Cheftrainer von Werder Bremen, danach Repräsentant von Adidas. Vereinslegende.

Leo Wilden (Abwehr, 29 Spiele, 1 Tor): Der Mittelläufer spielte von 1958 bis 1966 in Köln (zuvor VfL Köln 1899) und wurde mit dem FC zweimal Deutscher Meister, mit der Nationalmannschaft 1962 bei der WM in Chile. Nach seiner aktiven Laufbahn betrieb der gelernte Schreiner in Köln mehrere Lotto-Toto-Tabak-Läden, steht dem Verein immer noch sehr nahe.

Helmut Benthaus (Mittelfeld, 27 Spiele, 1 Tor): Gebürtig aus Herne, für Westfalia aktiv, später bei 1860 München, von 1962 bis 1965 beim 1. FC Köln, Deutscher Meister (1964), Nationalspieler, als Spielertrainer 1965 zum FC Basel, ab 1972 dort Trainer (insgesamt siebenmal Schweizer Meister). Als Trainer des VfB Stuttgart 1984 Deutscher Meister, damit der Erste, dem dieses Kunststück als Spieler und Trainer gelang! Nach der EM 1984 wollte ihn der DFB als Bundestrainer (als Nachfolger von Jupp Derwall), der VfB gab ihn allerdings nicht frei (und somit war der Weg für Teamchef Franz Beckenbauer frei). Studierte Sport und Philologie.

Wolfgang Overath (Mittelfeld, 30 Spiele, 9 Tore): Genialer Spielgestalter, vom Bundesligaauftakt 1963 bis zum Ende seiner Karriere im Jahr 1977 als Lizenzspieler im Verein aktiv, Deutscher Meister 1964, DFB-Pokalsieger 1968 und 1977, mit der Nationalmannschaft Weltmeister 1974. Der junge Overath absolvierte in Köln eine Kaufmannslehre, arbeitete bis in die achtziger Jahre als Versicherungsvertreter und war dann im Immobilienbereich sowie als Repräsentant von Adidas tätig. Stark engagiert im sozialen Bereich. Absolute FC-Ikone, 2004 bis 2011 Präsident des Vereins.

Karl-Heinz Ripkens (Mittelfeld, 1 Spiel): Spielte von 1957 (ab 1959 als Lizenzspieler) bis 1964 im Verein, zweimal Deutscher Meister, kam in der Bundesliga aber nur einmal zum Einsatz, wechselte nach Saisonende zu Standard Lüttich. Der gelernte Maschinenschlosser besaß später eine Firma für Malerarbeiten.

Hans Sturm (Mittelfeld/Angriff, 30 Spiele, 13 Tore): Eigengewächs, seit der B-Jugend beim FC, 1962 und 1964 Deutscher Meister, sein Sohn Ralf spielte auch für den FC. Sturm war gelernter Klempner und führte noch 30 Jahre lang eine Tankstelle in Köln. Er starb 2007 in seiner Heimatstadt Köln an den Folgen eines Hirntumors. Im Nachruf des »Kölner Stadt-Anzeigers« wurde er von seinen langjährigen Mitspielern Leo Wilden, Hans Schäfer und Wolfgang Overath gewürdigt: »Hansi war immer ein Mensch, der viel zu bescheiden war. Er hat nie was verlangt, er war immer anständig und gutmütig. Er war der großartigste Spieler, den wir je hatten. Hansi Sturm war ein Großer. Als Fußballer, aber vor allem als Mensch.«

Heinz Hornig (Angriff, 24 Spiele, 7 Tore): Dribbelstarker Linksaußen, der aus Gelsenkirchen stammt. Von 1962 bis 1970 beim FC, Deutscher Meister 1964, DFB-Pokalsieger 1968, WM-Teilnehmer 1966. Der gelernte Elektriker führte einige Zeit eine Tankstelle in der Nähe des Müngersdorfer Stadions, später eine Firma für Geschenkartikel. Daneben war er als Trainer tätig und Inhaber einer Fußballschule auf Mallorca. Heute Mitglied im Scouting-Team des 1. FC Köln.

Christian Müller (Angriff, 22 Spiele, 15 Tore): Von 1959 bis 1966 Stammspieler beim FC, zunächst in der Oberliga, ab 1963 in der Bundesliga, zweimal Deutscher Meister mit dem FC, wechselte 1966 zum Karlsruher SC. Gelernter Bankkaufmann, der bis zum Ruhestand eine Versicherungsagentur betrieb.

Hans Schäfer (Angriff, 22 Spiele, 12 Tore): Eine der ganz großen Persönlichkeiten in der Geschichte des 1. FC Köln. Von 1948 bis 1965 bestritt »de Knoll« aus Zollstock 421 Ligaspiele (262 Tore) für den FC. War schon dabei, als der Verein 1949 in die Oberliga West aufstieg, feierte mit dem FC zweimal die Meisterschaft und wurde mit der Nationalmannschaft Weltmeister 1954. Gehört neben Horst Eckel und Ottmar Walter zu den drei noch lebenden 1954er-Weltmeistern. Der gelernte Frisör arbeitete während seiner aktiven Zeit in der Parfümerieabteilung eines großen Kaufhauses. Später Tankstellenpächter und leitender Vertreter der Geschenkartikelfirma, die dem »Boss« Franz Kremer gehörte.

Karl-Heinz Thielen (Angriff, 25 Spiele, 16 Tore): Rechtsaußen der Meistermannschaft, 14 Jahre beim FC als Spieler, davon ein Jahrzehnt in der Bundesliga. 1962 und 1964 Deutscher Meister, 1968 DFB-Pokalsieger. Der studierte Betriebswirt war nach seiner aktiven Laufbahn bis 1986 Manager, Schatzmeister, Geschäftsführer, Vizepräsident beim FC. Größte Leistung: Hatte maßgeblichen Anteil an der »Rückholaktion« Hennes Weisweiler (1976). 1992 – 1993 noch einmal als Manager beim FC, heute Spielervermittler. Zwischendurch viele Jahre Bezirksleiter bei West-Lotto.

50 Jahre Bundesliga – Wie ich sie erlebte

Подняться наверх