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Lebenshaltung: Wunsch oder Antwort?

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Es gibt grundsätzlich zwei unterschiedliche Haltungen im Leben: die Antwort- oder die Wunschhaltung.

Indem wir ständig mit neuen Situationen in dieser Welt konfrontiert werden, sind wir aufgefordert, darauf zu reagieren. Existenzanalytisch ist jede Situation eine Anfrage an den Menschen, wie er darauf reagieren will. Das ist existenzielle Dynamik: Wir werden von der Welt, vom Leben immerzu befragt und sind aufgefordert, Antwort zu geben.

Das ist zunächst eine ungewöhnliche Sicht auf die Dinge. Denn in unserer Gesellschaft ist eine Anspruchs- oder Wunschhaltung weit verbreitet und wird durch eine verwöhnende Erziehung gefördert. Die sogenannten Helikopter-Eltern stehen sinnbildlich für diese Tendenz. Das sind Eltern, die ständig über den Kindern kreisen und sie vor aller Unbill des Lebens bewahren wollen. Durch Überbehütung, Verwöhnung und Überidentifikation wird den Kindern bis ins Erwachsenenalter hinein möglichst alles abgenommen (Kraus, 2013). Selbst Universitäten haben damit zu kämpfen,[4] und die Bildungsforscherin Margrit Stamm berichtet in ihrem Blog, dass auch Arbeitgeber unter den Folgen leiden (Stamm, 2012).

Menschen, die im Leben grundsätzlich eine Wunschhaltung haben, stellen Forderungen an die Umwelt. Damit verbunden ist eine passive Erwartungshaltung. Jemand soll kommen und die Wünsche erfüllen, die Probleme lösen, Antworten bereithalten und die Arbeit abnehmen. In Weiterbildungssituationen zeigt sich eine solche Haltung oft so: Ich habe ja schließlich bezahlt, und jetzt sollen die da vorne mal liefern. Solche Menschen warten darauf, dass ihre Wünsche vom Leben oder von jemand anderem erfüllt werden. Damit verhalten sie sich gegenüber dem Leben passiv und geraten in eine Abhängigkeit. »In ihrer Wunschhaltung sind sie dem Leben, der Welt ausgeliefert« (Waibel, 2011, S. 58). Damit verlieren sie einen Teil ihrer Freiheit. Die Folge von Nicht-Erfüllung der Wünsche ist Frustration. Vor allem stellt sich auch kein Gefühl der Befriedigung ein, wenn man keine echte Eigenleistung vollbracht hat. Die Gewissheit, selbst eine Leistung vollbracht zu haben, ist wiederum entscheidend für Selbstwert und Selbstbewusstsein.

Die andere Haltung ist eben die Antworthaltung. Bei Frankl ist das Mensch-Sein ein ständiges Infrage-stehen. Frankl hat hier eine Umkehrung vorgenommen: Als Mensch frage ich nicht, was ich vom Leben erwarten kann, sondern ich frage, was die Situation, das Leben von mir erwartet und welche Antwort ich darauf geben will. Was erwartet die Arbeit, die Lernsituation, die Situation in einer Beziehung von mir? Ich fordere nicht vom Leben, sondern ich gebe dem Leben etwas: meine Antwort. (»Antwort« ist hier nicht nur sprachlich, sondern vor allem im Sinne von »Tat« gemeint.) Dazu hat Frankl den Dichter Hebbel zitiert: »Das Leben ist nicht etwas – es ist die Gelegenheit zu etwas« (Frankl, 1985, S. 101). Im Gegensatz zur Wunschhaltung ist der Mensch in der Antworthaltung frei. Der Mensch ist nicht frei, eine Antwort zu geben, aber er ist frei, welche Antwort er gibt (Längle, 2013a, S. 43). Der Mensch kann sehr bewusst antworten oder auch im Vorbeigehen. Auch keine Antwort ist eine Form von Antwort, allerdings gibt der Mensch damit die Selbststeuerung auf.

Diese Umkehr der Fragestellung nannte Frankl die »existenzielle Wende«.


Menschsein heißt infrage stehen, Leben heißt Antwort geben. Alfried Längle [5]

Aus der Antworthaltung heraus leben ist in der Existenzanalyse die existenzielle Lebenshaltung. Das wesentliche Kennzeichen dieser Haltung ist eine Aktivität, die von der Abhängigkeit in mehr Unabhängigkeit führt. Daraus resultiert auch mehr Eigenständigkeit und weniger Nach-den-Vorgaben-und-Normen-von-anderen-Leben. Der Mensch in der Antworthaltung kann das Antwortgeben nicht delegieren, sondern muss die Antworten selbst geben. Diese Haltung kann anstrengend sein. Ein Leben in Freiheit bedeutet auch Arbeit. Es braucht immer wieder dialogische Auseinandersetzung mit sich selbst und mit der Umwelt.

Folgerungen für die Praxis

Folgerungen haben diese Erkenntnisse bereits beim Marketing eines Bildungsanbieters. Die »Marketinghaltung« will es dem Kunden möglichst angenehm machen, damit er sich für den Erwerb eines Produktes oder einer Dienstleistung entscheidet. Den Kunden soll möglichst viel abgenommen werden. Im Bereich der Bildung ist diese Haltung indessen fatal, wenn sie eine Wirkung in den Unterricht hinein hat. Lernen hat sehr viel mit einer Eigenleistung der Lernenden zu tun. Je mehr sie selbst erarbeiten, experimentieren und erfahren, desto besser für die Behaltensquote und die Nachhaltigkeit. In dem Moment, in dem die Weiterbildung beginnt, werden aus Kunden und Kundinnen Lernende, die etwas dafür leisten müssen, um die in der Ausschreibung versprochenen Lernziele oder Kompetenzen zu erlangen. Das Produkt »Bildung« entsteht in der Zusammenarbeit zwischen Lehrenden und Lernenden. Mit der Marketinghaltung wird die allfällig vorhandene Wunschhaltung weiter gefördert. Zum Selbstverständnis eines Bildungsanbieters sollte daher gehören, dass in den Lernräumen nicht Kunden und Kundinnen sitzen, sondern Lernende, die eine Leistung erbringen müssen, um zum Ziel zu gelangen. Jede Lernsituation ist eine Anfragesituation für die Lernenden, in der sie nicht nicht reagieren bzw. keine Antwort geben können. Sie müssen auf irgendeine Weise reagieren.

Ob in einer Lernkultur eine Wunsch- oder Antworthaltung gepflegt wird, hängt auch vom Lehr- und Lernverständnis der Lehrperson ab. Dieses Verständnis zeigt sich in den konkreten Lehrhandlungen. Wenn der Unterricht zum größten Teil von Referaten und PowerPoint-Präsentationen geprägt ist, dann könnte das Lernverständnis dahinter sein, dass die Lernenden vor allem übers Zuhören und mit Visualisierungen lernen. Das ist das »Oberkellner-Syndrom«:[6] Die Lehrperson serviert den Lernenden alles auf dem Silbertablett. Damit wird die Wunschhaltung gefördert. Ein Lernverständnis hingegen, das auf der Überzeugung fußt, Lernen geschehe vor allem aktiv und selbsttätig, zeigt sich in der Schulstube an Methoden und Sozialformen, in denen die Lernenden im Mittelpunkt stehen. Damit wird die Antworthaltung wesentlich mehr gefördert.

Die Reflexion zum Lehr- und Lernverständnis ist daher sehr wichtig. Damit sich die Lernenden auf den Unterrichtsstil der Lehrperson besser einstellen können, soll dieser offen deklariert werden. Noch besser ist es, mit den Lernenden eine biografische Reflexion zu ihren Lernerfahrungen zu machen.[7] Damit können sie ihre ganz spezifischen und in der Regel vagen Erwartungen an die Lehrperson in ihr Bewusstsein heben, womit eine Grundlage für Veränderungen geschaffen wird. Im Dialog zwischen Lehrperson und Lernenden kann dann eine Vereinbarung zur Lernkultur im Unterricht getroffen werden.

Wenn die Lehrperson ein Lernverständnis hat, in dem Eigenaktivität der Lernenden eine große Rolle spielt, sie es dann aber mit Lernenden zu tun hat, die sich eine eher passive Lernkultur gewohnt sind, lohnt sich das Gespräch über die Lernkultur erst recht. Sonst muss mit Widerstand gerechnet werden.

Die Lernenden können nicht zu einer Haltung verpflichtet werden. Am Ende braucht es einen in Freiheit getroffenen Entscheid. Die Lehrperson kann mit den Lernenden in einen Dialog treten und die eigene Haltung offenlegen. Dann gilt es, darauf zu vertrauen, dass die Lernenden auf das Gesprächsangebot einsteigen und dass bewusst eine gemeinsame Lernkultur entwickelt werden kann.

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