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Ursprünge der Existenzanalyse und Logotherapie

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Der Wiener Psychiater und Neurologe Viktor E. Frankl (1905–1997) ist der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse. Sie gilt als die dritte Wiener Schule der Psychotherapie.

Frankl hat die Logotherapie ursprünglich als Ergänzung zu gängigen Theorien wie der Psychoanalyse nach Freud (erste Wiener Schule) oder der Individualpsychologie nach Adler (zweite Wiener Schule) gesehen. Den Begriff »Logotherapie« erwähnte er erstmals 1926, den der Existenzanalyse 1933, beide wurden 1938 zum ersten Mal publiziert. »Logo-« bezieht sich auf das griechische logos, was »Sinn« bedeutet. Bei der Logotherapie geht es um eine Sinnberatung.

Frankl hat seine Theorie aus der Philosophie abgeleitet; die Wurzeln der Existenzanalyse liegen in der Existenzphilosophie und der Phänomenologie. Dabei stützte er sich unter anderem auf Martin Heidegger und Edmund Husserl.

Frankl hatte mit vielen unglücklichen, sich selbst entfremdeten, verzweifelten und neurotisch kranken Menschen zu tun. Dabei gewann er die Erkenntnis, dass diesen Menschen oft die Möglichkeit zu einem sinnvollen und erfüllten Leben fehlte. Die Ausrichtung des Lebens nach einem erfüllenden Sinn erhöht die Chance zu psychischer Gesundheit wesentlich. Oder umgekehrt: Gefühle der Sinnlosigkeit können krank machen.

Als praktizierender Arzt stellte Frankl fest, dass Patienten mit einer schweren oder gar tödlichen Diagnose oft sich selbst überlassen sind. Sie haben vom Arzt erfahren, dass ihr Leben binnen mehr oder weniger kurzer Zeit enden wird. Der Mensch muss erst lernen, mit einer solchen Situation umzugehen. Im Besonderen stellt sich dann die Sinnfrage. Frankl hatte das Bedürfnis, Menschen bei der Suche nach dem »Wozu« im Leiden Beistand zu leisten (Frankl, 2007 und Längle, 2013a).

Als Häftling im Konzentrationslager Auschwitz konnte Frankl beobachten, wie Menschen mit einer Perspektive über die Gefangenschaft hinaus eher überlebten als solche, die resignierten und nicht mehr daran glaubten, das KZ jemals noch verlassen zu können. Damit wurde für ihn der Satz von Nietzsche, der diesem Kapitel als Motto vorangestellt ist, lebendig: »Wer ein Wozu hat, erträgt fast jedes Wie.« Die schlimmsten und widrigsten Umstände können besser ertragen werden, wenn man Aussicht auf etwas Größeres, Übergeordnetes hat. Bei Frankl war es der Wille, seine Familienangehörigen wiederzusehen und ein vor dem Krieg geschriebenes, aber noch nicht veröffentlichtes Buch zur Logotherapie noch einmal zu schreiben (als Frankl ins KZ abgeholt wurde, hatte er das Manuskript in seinen Mantel eingenäht, aber der wurde ihm natürlich weggenommen, und so war das Manuskript verloren).

Frankl kritisierte die damaligen Psychotherapien wegen ihres Psychologismus: Sie reduzierten den Menschen auf innerpsychische Mechanismen. Daraus resultierte die Auffassung, dass Triebe bzw. deren Befriedigung zu einem guten Leben beitrügen. Dem liegt ein Menschenbild zugrunde, in dem der Mensch vor allem ein Getriebener ist, der sein Schicksal nicht selbst bestimmen kann. Frankl setzte sich für eine ganzheitliche Sicht ein, die auch das Geistige umfasst: Im Bereich des Geistigen kann sich der Mensch frei entscheiden, und darin liegt auch seine Fähigkeit, dem Leben einen Sinn zu geben. Die Wichtigkeit der Triebdynamik für die Entwicklung des Menschen und der Menschheit stellte Frankl dabei nicht infrage (Längle, 2013a). Allerdings kommt der Mensch nach seiner Auffassung nicht allein durch die Befriedigung seiner Triebe zu einem erfüllten und sinnvollen Leben; er hat darüber hinaus eine Aufgabe, die über die eigene Existenz hinausreicht: »… dass der Mensch letzten Endes nur in dem Maße sich verwirklichen kann, in dem er einen Sinn erfüllt – draußen in der Welt, aber nicht in sich selbst.« Frankl betont also den »Willen zum Sinn« beim Menschen (2005a, S. 17). Der Mensch will in seinem Leben etwas Sinnvolles tun, das ist ihm angeboren. Mit der geistigen Dimension, die über das Triebhafte hinausgeht, und mit seinem freien Willen kann der Mensch sein Schicksal mitbestimmen, es sind nicht nur die Triebe, die ihn steuern. Die Logotherapie war für Frankl eine Komplettierung der Tiefenpsychologie und somit eine Art »Höhenpsychologie« (Längle, 2011).

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Existenzanalyse systematisch weiterentwickelt. Motor dieser Entwicklung ist Alfried Längle, der während längerer Zeit einer der engsten Mitarbeiter Frankls war. Während bei Frankl die Rationalität im Vordergrund stand, haben bei Längle die Emotionen und die biografische Arbeit an Bedeutung gewonnen. So ist seine Emotions- und Wertetheorie ein zentraler Bestandteil seiner Motivationstheorie. Die Existenzanalyse ist heute eine eigenständige Therapietheorie, und die Logotherapie ist ein spezieller Bereich innerhalb der Existenzanalyse. Mittlerweile hat die Existenzanalyse Einflüsse bis in die Pädagogik und Erwachsenenbildung hinein, sie wirkt aber auch in die Supervision, Gruppendynamik, Teamentwicklung, Organisationsentwicklung und ins Coaching. Es gibt in verschiedenen Ländern anerkannte Ausbildungen in Existenzanalyse.

Frankl selbst mochte die Weiterentwicklung der Existenzanalyse nicht mittragen. So hat er zu Beginn der Neunzigerjahre den Ehrenvorsitz der internationalen Gesellschaft für Existenzanalyse und Logotherapie niedergelegt. Vor allem mit der Relativierung der auf die Zukunft ausgerichteten Sinnlehre war er nicht einverstanden. Das ganz große Verdienst Frankls ist die Integration des Geistigen, der Fähigkeit zum freien Willen und der Sinnfrage in die Psychotherapie.

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