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Person
ОглавлениеUmgangssprachlich werden »Mensch« und »Person« synonym gebraucht. In der Existenzanalyse ist die Person etwas Eigenes. Die Person ist das Innerste des Menschen. Person ist das, was uns Menschen absolut einmalig macht, was uns als Menschen überhaupt ausmacht. Jeder Mensch ist biologisch einmalig. Es gibt keine zwei gleichen Fingerabdrücke, im Gesicht und in der Körperform unterscheidet sich jeder Mensch von allen anderen Menschen. Im Bereich des Geistigen ist es die Person, die uns von allen anderen Menschen unterscheidet. Person wird auch von Ich unterschieden, die Person ist nicht zu verwechseln mit dem Ich. Die Person erkennt das Wesentliche der Situation, das Ich hat die Aufgabe, einen Willen hervorzubringen und machbare Entscheidungen zu treffen (Längle, 2014). Es ist das Ich, das zur Handlung kommt. Die Aufgabe der Person liegt im Sein, sie ist das Wesen des Menschen. Sie ist seine Tiefe und Würde. »Person ist in Seinsschwingung. Diese spiegelt sich im subjektiven Erleben, im Gefühl der inneren Stimmigkeit« (Längle, 2014, S. 17).
Das Wesen von »Person« lässt sich kaum fassen, es gibt keine eigentliche Definition. Die Person lässt sich nur beschreiben.
1. Freiheit
Nach Frankl ist die Person das Freie im Menschen. Das Geistige ist immer frei, und das Freie des Menschen ist im Geistigen. Die Person kann nicht festgeschrieben werden, sie ist lebendig und kann immer auch anders sein. Die Person kann überraschen und ist nicht berechenbar. Sie ist autonom, das heißt, sie gibt sich die Gesetze selbst. Was wir über die Person erfassen können, ist immer schon vergangen. Denn wie die Person zukünftig sein wird, ist offen, da sie ja immer frei ist.
Die Person ist eine Kraft in mir, die mit dem umgeht, was ist: sowohl mit dem, was um mich herum ist (Menschen, Situationen, Themen, Inhalte usw.), als auch mit dem, was in mir drin ist. Sie ist das Vermögen, mit etwas umzugehen, mit der Welt und mit mir selbst. Person ist das Ansprechbare, Verstehende und Antwortende im Menschen.
Das Ansprechbare: Die Person ist ansprechbar für das, was von innen und außen kommt.
Das Verstehende: Die Person engagiert sich für ein Verstehen dessen, was in mir und um mich herum vorgeht. Sie kann Beweggründe und Zusammenhänge von anderen Menschen und von sich selbst verstehen.
Das Antwortende: Die Person antwortet auch. Sie sagt mir, was dran ist. Die Person, und damit der Mensch, ist auf Austausch, Begegnung und Kommunikation ausgerichtet. Ob ich das dann auch mache, was mir die Person sagt, ist wieder eine andere Frage.
2. Ichhaftigkeit der Person
Die Person ist das in mir, das »Ich« sagt. Sie ist das, was in mir spricht. Sie sagt mir, wie was ist. Darum ist das Innehalten so wichtig, damit ich vernehmen kann, was sie mir sagt. Das Ich nimmt das von der Person Ausgedrückte in Empfang. Die Person erkennt das, was für mich authentisch ist.
3. Die Originalität der Person
Die Originalität der Person ist im Ursprung dialogisch und sprechend. Die Person ist das in mir Sprechende. Sie ist frei. Die Stellungnahme kommt aus der Person. Ich kann nicht kontrollieren, was sie sagt. Aber ich kann entscheiden, ob ich das, was sie mir sagt, ernst nehme oder nicht.
Die Person führt nicht aus, sie lässt mir frei, was ich mit dem mache, was sie mir gesagt hat. Die Person zwingt mich zu nichts. Es ist nicht immer möglich, dass das Ich das umsetzen kann, was von der Person her als stimmig und richtig empfunden wird. Es gibt verschiedene Einflussfaktoren, die das Handeln beeinflussen: Ängste, Zwänge, fehlender Mut, Regeln usw. Die Person verkörpert so quasi das Ideal, während das Ich dann real reagiert. Das, was ich konkret tue, ist eine Entscheidung des Ichs und muss nichts mehr mit dem zu tun haben, was mir die Person eingegeben und zugetragen hat. Es wäre im Sinn einer erfüllenden Existenz, wenn wir das leben würden, was von der Person her kommt (Längle, 2007c, S. 68; Längle, 2014).
Folgerungen für die Praxis
►In Bildungssituationen sind die Lernenden mit einer Fülle von Eindrücken konfrontiert, sowohl kognitiv als auch affektiv. Sie sind in ein dichtes Regelwerk von Vorschriften, Bildungsverordnungen, allgemeinen Geschäftsbedingungen, Hausordnungen und Lernverträgen eingebettet. Sie sind konfrontiert mit Prüfungen und Prüfungsbestimmungen, Kompetenznachweisen, bei denen man exakt Bedingungen erfüllen muss. Sie sind Teil einer Gruppe mit einer Gruppendynamik, mit mehr oder weniger bewussten Normen, Werten, Rollen, die ein ganz bestimmtes Verhalten und Nicht-Verhalten einfordern. Da kann es nicht verwundern, wenn sich das Ich bzw. der Lernende vor allem nach Regeln richtet. Die Frage ist, wie weit in diesem dichten Regelwerk das Originale des Menschen noch zum Tragen kommt. Was sagt die Person der Lernenden in dieser Situation? Es kann sein, dass Lernende in diesem Regelwerk den Kontakt zu ihrer Person verlieren, weil sie sich zu sehr danach richten und zu wenig auf sich selbst achten. Für das Lernen ist es hilfreich, wenn die Lehrperson ganz bewusst das, was den Lernenden als originales Individuum ausmacht, zu erfassen versucht.
►Als Lehrperson pflege ich ganz bewusst die Haltung, das zutiefst Menschliche bei den Lernenden erkennen zu wollen. Ich habe die Offenheit und Bereitschaft, wenn sich die Person zeigt, mich darauf einzulassen.
►In einer Weiterbildung werden die Menschen für eine ganz bestimmte Rolle ausgebildet und fit gemacht. Aus Menschen werden Marketingfachleute, Buchhalterinnen, Poliere, Radiologen, Pilotinnen, Kindergärtner – was auch immer. Es ist wichtig, die Lernenden nicht nur als Rollenträger zu sehen, sondern als Personen im existenziellen Sinn. Es gilt also, im Dialog mit ihnen herauszufinden und zu ergründen, was sie in der jeweiligen Lernsituation beschäftigt.
►Es geht darum, eine Verknüpfung des Lerninhalts mit dem eigenen Wesen der Lernenden zu ermöglichen. Das Lernen muss in Abstimmung mit sich selbst erlebt werden können. Dazu können Lehrpersonen Zeit geben, damit die Lernenden für sich persönliche Entwicklungsziele formulieren können.
►Wenn die Lernenden persönliche Entwicklungsziele formulieren, kann nachgefragt werden, welchen persönlichen Nutzen sie davon haben. Oder auch wie sie sich fühlen werden, wenn sie ihre Ziele erreicht haben. Damit kann noch besser eine Verknüpfung mit einer ganz persönlichen Ebene hergestellt werden. Und es dämpft die Gefahr, dass sie sich dabei allzu sehr nach Bedürfnissen anderer richten, zum Beispiel denen des Arbeitgebers.
►Lehrpersonen können regelmäßig Transferaufgaben stellen, mit denen das Gelernte in die eigene Praxissituation übertragen werden kann.
►Da die Person immer frei ist, wie sie entscheiden will, braucht es aufseiten der Lehrpersonen eine große Ergebnistoleranz. Lehrpersonen sind offen und bereit, das von den Lernenden zu akzeptieren, was von ihnen eben kommt. Wir vermeiden, die Lernenden in eine Erwartungsschublade zu pressen und in einer Pseudooffenheit mit ihnen zu interagieren. Menschen mit ihren Ichs mögen zwar aufgrund von Konditionierungen, Bequemlichkeit, Gewohnheiten, vereinbarten und angenommenen Werten und Normen berechenbar sein – die Person in ihnen ist es nicht.
►Das ist auch ein Plädoyer für die sich ständig wandelnde Vorbereitung der Lehrperson. Wenn Lehrpersonen selbst Jahr für Jahr das gleiche Unterrichtsprogramm abspulen, ist die Gefahr groß, auch mental auf der immer gleichen Schiene zu bleiben. Wie kann sich da noch ihr eigener innerster Kern, die Person, überraschend und neu entfalten?
►Im Kapitel »Methoden und Instrumente« wird die Methode der Personalen Existenzanalyse (PEA) vorgestellt. Mit dieser Methode kann das von der Person Kommende geborgen werden.