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Götter und Schule

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Auf dem Lehrplan stehen für dieses Schulhalbjahr „die Religionen der Welt.“ Dom Augusto schmunzelt, als ihm seine Enkelin mitteilt, sie werde die Vorgaben aus dem Schulministerium etwas abändern und in den Vordergrund das „candomblé“ stellen. Der alte Herr ist ganz Celinas Meinung: Was hilft es diesen jungen Menschen, sich mit fremden Religionen zu befassen, wenn sie nicht zuvor ihre eigenen Wurzeln erforschen. Das Fest zu Ehren Iemanjás fand also im richtigen Moment statt, und so bietet es sich an, dass sich die junge Lehrerin gemeinsam mit ihren Schülern auf den Weg begibt, um sich mit der afrikanischen Religion zu beschäftigen. Sie wird weit in der Geschichte zurückgreifen müssen, nämlich bis in die Zeit, in welcher der Bote Exu im fernen Afrika das Volk der „iorubás“ aufsucht, von Dorf zu Dorf wandert und die Geschichten und Mythen zusammenträgt, welche die Alten ihm über ihre Religion erzählen. Da viele Informationen nur auf mündlichen Überlieferungen beruhen, werden Widersprüche und gegensätzliche Darstellungen in den Erzählungen nicht auszuschließen sein. Doch dies wird dem Verständnis der religiösen Entwicklung nicht schaden. So wie 2 + 2 und auch 3 + 1 oder 1 + 3 vier ergibt, wird es die Aufgabe der jungen Lehrerin sein müssen, ihre Schüler auf den Weg zu führen, der die Entstehungsgeschichte des candomblé verständlich macht. Die Vorsteher der terreiros waren oftmals Analphabeten. Dadurch erklären sich die mangelhaften schriftlichen Aufzeichnungen. Den afrikanischen Sklaven war zudem fern ihrer Heimat die Ausübung ihrer Religion verboten. Sie konnten ihre Sitten und Gebräuche ausschließlich im Geheimen pflegen. Dies war aber nur durch Anpassung an die fremde Religion möglich. Dadurch ging wiederum ein Teil der afrikanischen Kultur verloren. Dies alles weiß die junge Lehrerin. Es wird sie aber nicht daran hindern, ihren Schülern die Entstehung, die Entwicklung, die Praktizierung und das Ziel des candomblés nahe zu bringen. Da ist Exu ein guter Einstieg: er vagabundiert durch die Zeit, ohne an einem Ort zu verweilen. Kein Wunder, dass Exu arm ist. Erst als er rein zufällig, vielleicht ist es auch eine Fügung des Schicksals, in Oxalás Haus einkehrt, ändert er sein Verhalten. Jeden Tag geht er zu Oxalá zurück und beobachtet diesen bei der Arbeit. Exu fragt nie, er stiehlt mit den Augen die Fertigkeiten seines Lehrmeisters und bald formt auch er Hände, Füße, Augen, eben alle Körperteile, die einem Menschen zu eigen sind. Exu ist nicht der einzige Gast in Oxalás Haus. Doch die anderen kommen und gehen, nur Exu bleibt. Die Zeit eilt dahin, und plötzlich sind sechzehn Jahre vergangen. Exu hat durch seine Beständigkeit Oxalás Vertrauen gewonnen, und so erklärt es sich wohl auch, dass Oxalá seinen Schüler mit einer verantwortungsvollen Aufgabe betraut. Er beauftragt Exu, keinen Besucher die Kreuzung passieren zu lassen, bevor er nicht eine Opfergabe für Oxalá niedergelegt hat. Celinas Schüler werden unruhig. Sie diskutieren leise, ob vielleicht deshalb oftmals noch am Morgen totes Federvieh und leere Rotwein- und Schnapsflaschen an Wegkreuzungen zu finden sind. Zeugen einer nächtlichen candomblé – Feier. Die Lehrerin fühlt, es ist ihr gelungen, das Interesse ihrer Schüler zu wecken, und so fährt sie fort: Exu reicht die Opfergaben auftragsgemäß an Oxalá weiter und geht ihm auch jetzt wie vordem zur Hand. Exus Zuverlässigkeit wird belohnt: Oxalá ordnet an, dass künftig jeder Passant auch Exu eine Spende geben muss. Diese Anordnung ist der Grundstein für Exus künftigen Reichtum, und so ist es absehbar, wann auch Exu sich sein eigenes Haus bauen kann. Schlau, wie Exu ist, errichtet er das Haus auf der Kreuzung, die alle Menschen passieren müssen. Dieser Schachzug macht ihn nicht nur wohlhabend, sondern auch mächtig. Übrigens, Exu ist der jüngste Sohn von Iemanjá und 0runmilá. Iemanjá, das ist ein Zauberwort, das alle Schüler in Erregung versetzt: Iemanjá, die schöne, die eitle, die kluge, aber auch die durchtriebene Göttin. Es ist immer wieder prickelnd, eine neue Legende über sie zu vernehmen. Am Anfang steht wohl die Geschichte, wie Iemanjá Olodumare hilft, die Welt zu erschaffen: Eingeschlossen von Flammen, Feuer und übelriechenden Dämpfen lebt OlodumareOlofim in der Unendlichkeit. Irgendwann ödet es ihn an, alleine und isoliert in diesem finsteren Universum zu leben. Er will dieser unerquicklichen Situation ein Ende setzen. OludumareOlofim mobilisiert seine unermesslichen Kräfte. In dem aufkommenden Sturm schießt das Wasser in unkalkulierbare Höhen. Als es dann wieder in die Tiefe zurückdonnert, spült es Felsen frei. Gleichzeitig öffnen sich auf der Erde Höhlen. Das Wasser, das sich auf der Erde sammelt, wird zu Flüssen, das großen Sammelbecken zustrebt. Dies ist die Geburtsstunde der Meere und Ozeane, die zur Heimat der Meerestiere werden. In den Meeren beginnen die prächtigen Korallen zu wachsen und an den Felsen Muschelbänke. Diese phantastische Erde, die von dem mächtigen, blauen Firmament überspannt wird, ist fortan die Heimat Iemanjás. Sie ist die in Silber und Blau gekleidete Herrscherin. Ein in allen Farben schillernder Regenbogen krönt ihre Schönheit. OludumareOlofim und Iemanjá verbannen das Feuer in die Tiefe der Erde. Dort wird es von Aganjú, dem Meister der Vulkane, gefangengehalten und bewacht. Aus der Asche, die das Feuer auf der Erdoberfläche zurücklässt, beginnen die ersten Kräuter zu sprießen. Dies ist das Werk des Gottes Orixá Ocô. Wenig später bedecken Wälder die Erde, und auf Obstbäumen reifen wohlschmeckende Tropenfrüchte heran. Doch wie überall wird es auch auf der Erde Gefahren geben. Die großen Sümpfe sind eine Brutstätte für Seuchen und Krankheiten. Iemanjá, die von der Erde fasziniert ist, achtet jedoch darauf, dass die Naturschönheiten überwiegen. Als letztes wird der Mensch geschaffen. Nach getaner Arbeit überträgt Iemanjá jedem ihrer Kinder eine Aufgabe. Iemanjá, ganz Weib, ist dem männlichen Geschlecht nicht abgeneigt. Einer ihrer Ehemänner ist Oquerê. Die Ehe ist nicht glücklich. Eines Tages eskalieren ihre Streitereien. Es kommt zum endgültigen Zerwürfnis zwischen dem Ehepaar. Iemanjá beschließt, zu ihrer Mutter aufs Meer hinauszufliehen. Vorsichtig öffnet sie die Flasche mit dem magischen Inhalt. Sie ist ein Geschenk ihrer Mutter. Aus der Flasche beginnt ein Fluss zu strömen, der Iemanjá auf das Meer hinaus tragen wird. Doch ihr Ehemann hat zwischenzeitlich ihre Flucht bemerkt. Er will den Plan der Gattin vereiteln. Unerwartet für Iemanjá versperrt plötzlich ein gewaltiges Gebirge dem Fluss seinen Lauf zum Meer. Verzweifelt ruft Iemanjá ihren Sohn Xangô zur Hilfe. Dieser ist der Herrscher über die Gewitter. Xangô ist aber nicht sofort bereit, seiner Mutter zu helfen. Erst als sie die geforderten Opfergaben übergibt, lässt er einen gewaltigen Tropenregen vom Himmel rauschen, und unter furchterregendem Blitz und Donnerschlag teilt sich der Berg. Durch das tiefe Tal, das da plötzlich entsteht, eilt der Fluss zum Meer und trägt Iemanjá in das Haus der Mutter zurück. Übel spielt Iemanjá ihrem Ehemann Ogum mit. Sie ist dessen überdrüssig und möchte mit ihrem Geliebten leben. Dies geschieht zu jener Zeit, als es noch nicht üblich ist, die Toten zu begraben. Man legt die Verstorbenen zu Füßen von Iroco, dem großen Baum. Iemanjá gebraucht eine List. Sie beschließt, sich tot zu stellen. Gedacht, getan. Ogum mumifiziert den Körper der Gattin und legt ihn der Sitte entsprechend Iroco zu Füßen. Während er noch um die Tote trauert, feiert Iemanjá mit ihrem Geliebten die geglückte Flucht. Anschließend geht sie zum Markt zurück, um wie gewohnt ihre Leckereien zu verkaufen. Zufällig ist an jenem Tag auch der gemeinsame Sohn von Iemanjá und Ogum auf dem Markt. Dort muss der Junge die tot geglaubte Mutter recht lebendig erleben. Entsetzt eilt er zum Vater. Ogum sträubt sich, das Gehörte zu glauben. Am nächsten Tag treiben ihn jedoch seine Zweifel zum Markt. Er muss sich nun selbst davon überzeugen, wie sehr er von der untreuen Gattin getäuscht worden ist. Entrüstet konsultiert der Ehemann OlofimeOlodumare. Als der Gehörnte seinen Bericht vorgetragen hat, entscheidet OlofimeOlodumare, das Übel mit den Wurzeln auszureißen. Er ordnet an, dass ab sofort alle Toten in Gruben zu legen und mit Erde zu bedecken seien. Die Untreue Iemanjás ist für die jungen Burschen Wasser auf ihre Mühlen. Da predigen die Lehrer doch immer, man dürfe die Mädchen nicht verführen, man müsse sich zurückhalten und dürfe den fleischlichen Gelüsten nicht nachgeben. Dabei sind es doch ganz offensichtlich die Frauen, die es nicht sein lassen können, den Männern Fallen zu stellen. Bevor die Unterhaltung zu sehr ausufert, wechselt die junge Lehrerin zu einem unverfänglicheren Thema über. Sie erzählt zum Ende des Unterrichts, wie Iemanjá die Sonne vor dem Erlöschen rettet: Schon lange wandert Orum, die Sonne, unermüdlich über die Erde. Seit die Welt erschaffen wurde, findet sie keinen Schlaf. Tag und Nacht brennt sie hernieder. Ihre heißen Strahlen malträtieren die Menschen, die Tiere und Pflanzen. Die Götter versammeln sich, um zu beratschlagen, wie Abhilfe zu schaffen sei. Sie wissen, sie müssen nicht nur für die Erde, sondern auch für die Sonne einen Ausweg finden. Wieder ist es Iemanjá, die eine Lösung aus dem Desaster aufzeigt: ihrer erstaunten Zuhörerschaft verkündet sie, die Sonne brauche einen Strahlenkranz, der schwach weiter leuchte, wenn sie sich in seinem Innern zur Ruhe begäbe. Die Sterne sollten dann die Sonne in den verdienten Schlaf wiegen, während der Mond des Nachts die aufgeheizte Erde abkühle.

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