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Alua kehrt ins Bordell zurück
ОглавлениеAluas Rückkehr ins Bordell gleicht einem Spießrutenlauf. Natürlich hat es sich herumgesprochen, dass die Tänzerin zurückkehrt. Gleich nachdem Rita abgereist ist, wird gemunkelt, dass nun Alua das Bett Dom Júlios teilen müsse. Im Gegensatz zu Rita hasst Alua den Chef. Auch diese Tatsache ist im Bordell bekannt. Die Kolleginnen gönnen Alua die Schmach. Die hochnäsige Tänzerin hat keine Freunde mehr, seit der Pianist seine Stelle aufgegeben hat. Die ersten Tage behält Júlio die Tänzerin in seinem Haus. Rasch macht er das Mädchen gefügig. Es sind Szenen der Vergewaltigung, die sich in Júlios abgedunkeltem Schlafgemach abspielen. Nachdem er die Tänzerin zum erstenmal brutal zusammenschlägt, leistet sie nur noch geringen Widerstand. Doch auch diese Tatsache bringt Júlio zur Raserei und er prügelt neuerlich auf das Mädchen ein. Er lehrt sie, sich zu widersetzen, im gewünschten Augenblick dann aber gefügig zu sein. Einmal schleicht Alua heimlich aus dem Haus. Sie will den Pianisten um Verzeihung bitten. Sie würde ihn jetzt auf der Stelle heiraten und auch für immer in der kleinen Wohnung hocken bleiben. Sie eilt die knarrende Stiege empor und läutet an der Wohnungstüre Sturm. Schlurfende Schritte kommen näher und die Tür öffnet sich einen Spalt. „Nanu, kleines Fräulein, was soll die Eile?“, brummt der Alte gutmütig und öffnet die Türe nun vollkommen. Schüchtern fragt Alua nach dem Verbleib des Pianisten. Sie muss zu ihrem Schrecken erfahren, dass der Herr Doktor vor sechs Monaten geheiratet habe und nach São Paulo fortgezogen sei. „Ja, das ist ein tüchtiger Junge, dem man seinen erfolgreichen Studienabschluss und die Stelle im Ministerium nur gönnen kann. Gott Lob, dass ihn diese kleine Schlampe, die sich in seiner Wohnung eingenistet hatte, rechtzeitig wieder verlassen hat.“ Der Alte blickt kopfschüttelnd dem Mädchen nach, das wie von Furien gehetzt davonstürzt. Zurück in Dom Júlios Haus schafft Alua es eben noch, sich durch das enge Kellerfenster zu zwängen und in ihre Kammer zu schleichen, bevor Júlio nach ihr schickt. Alua tritt heute wieder ihren Dienst im Bordell an. Júlio verschluckt sich fast vor Lachen an seinem Whisky, als das Mädchen nach seiner Tanznummer fragt. „Tanzen?“, spöttelt Júlio, „du bist von heute an Animierdame und nur noch an deinem Umsatz beteiligt.“ Aluá weiß, was das bedeutet. Stotternd und mit hochrotem Kopf gesteht sie Júlio, dass sie keine passenden Kleider habe. Die Dienerin kramt aus der Requisitenkammer ein abgetragenes etwas, das Júlio sich für den doppelten Neupreis quittieren lässt. Alua zwängt sich in das enge, tief dekoltierte Kleid. Dann tritt sie vor den Spiegel und versucht die blauen Flecken an Hals und Armen wegzuschminken. Sie weicht vor ihrem eigenen Spiegelbild angeekelt zurück. Das Gesicht einer Prostituierten starrt ihr entgegen. Zornig schlüpft sie in ihre hochhackigen, roten Pumps und begibt sich in den Barraum. Die Mädchen kennt sie nur noch zum Teil. Viele wurden ausgetauscht. Doch die Kolleginnen von früher meiden sie nicht nur, nein, sie beginnen sofort mit den Neuen zu tuscheln, und wohin Alua auch schaut, blickt sie in feindselige und schadenfrohe Gesichter. In der Bar ist heute Hochbetrieb. Ein Schiff mit Matrosen aus Übersee ist eingetroffen. Die Burschen wollen sich nach den Tagen auf hoher See amüsieren. Alua kann am nächsten Morgen nicht sagen, wie viele Freier sie nahmen. Sie weiß nur, dass sie nicht in die Bar zurückkehren wird. Am Nachmittag packt sie ihr Kleiderbündel und schleicht wie eine Diebin aus Júlios Haus. Sie will nur noch zu ihrer Fischerhütte zurück. Den Notgroschen, den ihr der Zuckerrohrbaron einst gab, hat sie für alle Fälle aufbewahrt, und so kann sie mit dem Bus zu ihrer Bucht hinausfahren. Je weiter sie sich von der Stadt entfernt, je leichter wird ihr ums Herz. Endlich kommt sie an der Endhaltestelle an. Von ihrem Zuhause trennen sie nur noch wenige hundert Meter. Sie rennt die Uferböschung hinab und nimmt die Abkürzung durch den Schlick. Egal wie sie aussieht, nur weg aus dem Sumpf des Nachtlebens. Jetzt steht sie vor dem klappernden Holztor. Sie tastet nach dem Schlüssel. Er liegt nicht an dem gewohnten Platz. Sie klatscht in die Hände, wieder und immer wieder, bis sie ihr zu brennen beginnen. Dann ruft sie verzweifelt nach den Eltern, die Namen der Geschwister. Keine Antwort. Sie geht ums Haus, schlüpft durch den Stacheldraht und springt behände die Holzstiege hoch. Mit klopfendem Herzen schlägt sie an die morsche Eingangstür. Die Türe ist unverschlossen, quietschend gibt sie nach. Aus dem dunklen Wohnraum schlägt dem Mädchen ein muffiger Geruch entgegen. Zögernd tritt Alua ein. Gähnende Leere starrt ihr entgegen. Nicht ein einziger Topf ist zurückgeblieben. Die Eltern, die Geschwister, alle sind fort. „Das kann nicht sein!“, schreit Alua verzweifelt in den stickigen Raum. Sie hetzt den schmalen Weg hinunter zur Nachbarin. Diese sieht das Mädchen böse an. Sie konnte das kecke Ding nie ausstehen. Schreckensbleich muss Alua erfahren, dass die Eltern bereits vor fast einem Jahr fortgezogen sind, nachdem sie das Grundstück für einen guten Preis an Dom Júlio abgetreten haben.