Читать книгу Alua - Gesine Kunst - Страница 13
Der Rausch weicht der Ernüchterung
ОглавлениеAlua und der Zuckerrohrbaron leben nun schon fast ein Jahr zusammen. Das Mädchen hat nicht nur schnell gelernt, sich dem Alten unterzuordnen, sondern sie wickelt ihn auch um den Finger, wie keine andere Geliebte je zuvor. Der Alte ist jetzt viel ausgeglichener und überwacht das Mädchen nicht mehr auf Schritt und Tritt. Für Alua ist wichtig, dass sie in den Vollmondnächten in den Garten schleichen und sich mit ihrer cobrazinha vereinen kann. Dies gelingt ihr nun immer öfter. Der Zuckerrohrbaron merkt natürlich, dass Alua nachts in den Park huscht. Aber wo will sie denn ohne Geld hin? Außerdem umschließen die hohen Mauern das Grundstück wie eine Festung. Dom Júlio kann es nicht verwinden, dass er die attraktive Tänzerin und den spendablen Gast verloren hat. Selbst die hohe Ablösesumme für das Mädchen ist kein Trost. Als nun noch das Gerücht umgeht, der Zuckerrohrbaron denke daran, die Tänzerin zu ehelichen, sieht Júlio endgültig alle Felle davonschwimmen. Wie schon so oft, kommt Júlio auch dieses mal der Zufall zur Hilfe. Unerwartet kommt der Zuckerrohrbaron mit Alua und einem Neffen als Gast in die Nachtbar. Mit geübtem Blick erkennt Júlio, dass der Neffe Alua umgarnt, und dass es die Tänzerin offensichtlich genießt, von einem jungen, gutaussehenden Mann begehrt zu werden. In Júlio reift ein böser Plan mit weitreichenden Folgen für Alua: seit dem Besuch in der Bar sind einige Wochen vergangen. Der Zuckerrohrbaron ist wieder auf einer mehrtägigen Geschäftsreise, als der Neffe Alua aufsucht, um sie zu seiner Abschiedsparty einzuladen. Alua lehnt entschieden ab. Alleine gehe sie nicht aus, sagt sie mit einem Nachdruck, der keinen Widerspruch duldet. Der Neffe beruhigt das Mädchen. Mit dem Onkel habe er noch vor dessen Abreise gesprochen, und dieser habe offensichtlich vergessen, Alua darüber zu informieren, dass er auf der kleinen fazenda zu den Partygästen stoßen werde. Noch immer zögert Alua. Es ist ihr streng verboten, alleine das Grundstück zu verlassen. Der Neffe bietet all seine Überredungskünste auf, um ihre Bedenken zu zerstreuen. Das Mädchen hofft in den nächsten Tagen vergeblich, dass der Alte sie anruft. Die Zeit verstreicht, ohne dass der Zuckerrohrbaron sich meldet. Alua grübelt, „was nun, wenn der Zuckerrohrbaron zu der Feier kommt und sie nicht antrifft?“ Vielleicht ist er sogar erbost, wenn sie nicht zu dem Abschiedsfest kommt? Das Mädchen mag sich nicht entscheiden. Der Tag, an dem die Party stattfindet, ist angebrochen. Die Stunden verstreichen, ohne dass sich der Alte meldet, und auch der Neffe lässt nichts von sich hören. Gerade als Alua glaubt, eine Entscheidung sei ihr somit abgenommen, hört sie lautes Hupen vor dem Haus. Der Neffe ist mit einem Trupp singender, junger Leute vorgefahren. Darunter sind sogar einige alte Bekannte von der Tänzerin. In der allgemeinen Begrüßung findet das Mädchen keine Zeit, mit dem Neffen zu reden. Irgendwer schiebt sie in das Führerhaus des Kleintransporters, der Neffe hat sich mit den anderen auf die Ladefläche geschwungen, und los geht die Fahrt. Es ist schon eine abenteuerliche Straße, die da zum Bootshafen führt. Was dort am Hafen geschieht, wird Alua im Nachhinein wie ein böser Traum erscheinen. Der Neffe treibt sie mit den Worten, sie müssten das Boot holen, zur Eile an. Er drängt das Mädchen über enge Pfade in den dichten Wald am Uferrand. Er weiß, die Tochter des Krabbenfischers fürchtet sich weder vor Schlangen noch vor der Finsternis. Die Dunkelheit bricht schnell herein. Der Weg schlängelt sich durch dorniges Gestrüpp und ist von Baumwurzeln durchwachsen. Sie müssen ihre ganz Aufmerksamkeit darauf richten, nicht auszugleiten. Als sie an dem dunklen Flussarm anlangen, macht Alua große Augen. Weit und breit ist kein Boot zu sehen. Ihr Begleiter ahmt den Ruf eines Vogels nach. Erst leise, dann immer lauter. Ansonsten liegt eine gespenstische Stille über der Bucht. Gerade als Alua unruhig zu werden beginnt, ertönt ein schwacher Ruf über das Wasser. Die Tochter des Krabbenfischers weiß, dies ist kein Vogel, sondern die Antwort auf den Lockruf ihres Begleiters. Innerlich atmet das Mädchen auf. So ist sie doch in keine Falle getappt. Bevor sie sich über den Fortgang der Reise informieren kann, taucht ein schmales Canoa auf. Alua, an diese Art des Reisens gewöhnt, hat keine Probleme beim Einsteigen. Wenig später treiben der Bootsmann und der Neffe das schwankende Gefährt mit festen Paddelschlägen zum kleinen Hafen zurück. Alua sorgt sich. Wie will man die lustige Gesellschaft übersetzen, ohne dass einige dabei in den Fluss plumpsen? Im Hafen angekommen, ist es nun seltsam still. Wo ist die muntere Partygesellschaft abgeblieben? Zu Fragen bleibt dem Mädchen keine Zeit. Sie muss den Kahn sichern, während ihre Begleiter in der Dunkelheit verschwinden. Es dauert eine ganze Weile, bis diese eine schwere Kühltruhe heranschleppen und in dem Boot verstaut haben. Der Kahn kommt dabei bedrohlich ins Schwanken. Schon treiben ihre Begleiter das Canoa mit kräftigen Paddelschlägen voran. Es geht jetzt stromaufwärts, was den Paddlern wesentlich mehr Anstrengung abverlangt. Die Frage Aluas, wie die Freunde zum Fest kommen, überhört der Neffe geflissentlich. „Sie werden wohl einen Landweg kennen“, denkt das Mädchen beklommen. Trotz der Ungewissheit, wo die anderen abgeblieben sind, genießt das Fischermädchen die Fahrt durch die sternenübersäte Vollmondnacht. „Was kann es schöneres geben?“ Der Neffe ist des Paddelns überdrüssig. Dies bedeutet für den Bootsführer, dass er sich nun für zwei quälen muss, während der Neffe sich dem Mädchen zuwendet. Wie zufällig legt er seine Hand auf Aluas Knie. Das Mädchen rückt zur Seite. Dadurch kommt der Kahn erheblich ins Schwanken und trägt ihr einen Tadel des Neffen ein. Alua fühlt sich wie in einer Mausefalle. Wieder tätschelt der Neffe ihre Knie. Nun schiebt Alua seine Hand energischer weg. „Ach, wann geht diese Fahrt zu Ende?“, denkt sie verzweifelt. Irgendwann werden sie ja wohl auf die Gäste und den Zuckerrohrbaron treffen. Dem Mädchen fröstelt. Wie wird er es aufnehmen, dass sie alleine mit dem Neffen im Boot reist? Gerade jetzt möchte sie keinen Unfrieden. Hat ihr doch der Zuckerrohrbaron die Heirat in Aussicht gestellt. Alua ist so in Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkt, wie sie an einem hoch gelegenen Steg anlanden. Hätte der Neffe sie nicht aufgefangen, wäre sie durch den Ruck des Bootes ins Wasser gefallen. Es ist Ebbe. Der Fluss ist fast ausgetrocknet und so müssen sie eine schwankende Leiter hinaufklettern, um auf den Holzsteg zu gelangen. Alua balanciert sicher über den Steg an Land. Es stört sie nicht, dass es keinen Handlauf gibt. Leichtfüßig eilt sie zum Ufer. Dort angekommen, blickt sie sich suchend um. Grillen zirpen, Sterne funkeln, der Mond blinzelt hinter hohen Baumwipfeln hervor, aber weit und breit ist keine Partygesellschaft zu hören oder zu sehen. Der Bootsführer hievt gerade die schwere Kühltruhe hoch und marschiert mit festen Schritten einen kleinen Hügel hinauf. Alua fühlt sich überrumpelt. Wütend dreht sie sich zu dem Neffen hin. Jetzt will sie wissen, wo die Gäste abgeblieben sind. Lachend, als ob es die selbstverständlichste Sache der Welt sei, erklärt ihr der Neffe, dass alle Gäste plötzlich verhindert seien. „Dann möchte ich auf der Stelle zurück“, verlangt das Mädchen ungestüm. „Dazu ist es zu spät. Wir haben bereits Ebbe“, antwortet der Neffe und schreitet auf die Lichter zu, die soeben aufblitzen. Als sie das kleine Haus erreichen, stellt der Bootsmann eine rundliche Frau mit freundlichem Gesicht als seine Gattin vor. Alua beruhigt sich etwas. Sie sind also nicht alleine. Der Neffe schiebt das Mädchen ins Haus. Dort gibt es ein kleines Zimmerchen mit zwei einfachen Liegen. „Hier können wir übernachten oder draußen in Hängematten.“ Klar, dass Alua die Hängematte vorzieht. Während der Bootsführer sie aufknüpft, fordert der Neffe seine Begleiterin auf, am kühlen Brunnen eine erfrischende Dusche zu nehmen. Alua trottet mit hängendem Kopf hinter dem Neffen zum Brunnen hin. Sie fühlt sich wie betäubt. Der Neffe drückt ihr ein Stück Seife in die Hand und fängt an zu pumpen. Schnell schüttet sich das Mädchen den Eimer Wasser über. Der Neffe schnuppert an ihrer Haut und stellt enttäuscht fest, dass sie nicht nach der guten Lux–Seife rieche. Alua rennt wortlos zum Haus. Sie will nur noch weg. In dem Zimmerchen angekommen, wechselt sie eilig den nassen Badeanzug gegen trockene Kleidung. Da kommt auch schon der Neffe nach. Er führt sie zu einem Sitzplatz unter alten Bäumen. Der Mond lugt groß und leuchtend zwischen den tiefhängenden Zweigen hindurch. Mit dem richtigen Partner könnte es eine traumhafte Nacht werden. Alua überhört, dass ihr Begleiter sie auffordert, bei ihm auf der kleinen Bank platz zu nehmen. Das Mädchen zieht einen groben Holzklotz in sicherer Entfernung vor. Der Neffe hat zwischenzeitlich eine Flasche Rheinwein entkorkt und drei Gläser gefüllt. Das Mädchen ist froh, dass der Bootsmann mit ihnen auf der Lichtung hockt. Leider ist diese Freude von kurzer Dauer, denn all zu schnell zieht sich dieser ins Haus zurück. Dem Neffen mundet der Wein vorzüglich. Immer wieder nimmt er einen festen Schluck, während Alua nur leicht an ihrem Glas nippt, wenn er ihr zuprostet. Der Neffe rückt einen Holzklotz zu dem Mädchen heran. Wieder und wieder muss Alua seine Hand von ihrem Knie schieben. Müdigkeit vortäuschend, zieht sie sich in ihre Hängematte zurück. Sie hört den Neffen herantappen. Ihr Herz klopft bis zum Hals. Jetzt lässt sich der Neffe in seine Hängematte fallen. Alua atmet auf in der Hoffnung, dass nun Ruhe einkehre. Leider hat sie sich getäuscht. Gerade zieht der Neffe ihre Hängematte zu sich heran. Seine Hand tastet nach ihr. Sie stößt die Hand zurück. Einen Moment lang geschieht nichts. Dann springt der Neffe mit einem kühnen Satz in ihre Hängematte. Das Mädchen versucht sich aufzubäumen. Nach einem kurzen, erbitterten Ringen gibt der Neffe ernüchtert auf. Er schleicht in seine Hängematte zurück. Eine gespenstische Stille breitet sich aus. Als Alua sein gleichmäßiges Atmen hört, versucht sie vergeblich zur Ruhe zu kommen. Es gelingt ihr auch nicht, als ihre cobrazinha aus dem Mond hervorlugt. Die Schlange sieht heute traurig aus. Alua fühlt Unheil auf sich zukommen. Als sie nach kurzen, wirren Träumen erwacht, ist der Neffe bereits abgereist. Der Bootsmann erzählt dem zitternden Mädchen, er hätte heute frühzeitig einen mehrjährigen Auslandsaufenthalt angetreten. Der Bootsmann bringt Alua zum Hafen zurück. Mitleidig drückt er dem armen Ding ein paar Reais in die Hand, damit sie mit dem Stadtbus nach Hause zurückfahren kann. Alua fürchtet den Zorn des Zuckerrohrbarons. Zögernd drückt sie auf die Klingel. Die alte Haushälterin öffnet dem Mädchen. In der Halle sitzen der Zuckerrohrbaron und Dom Júlio. Zwischen den beiden liegt Aluas Kleiderbündel. Das Mädchen glaubt zur Salzsäule zu erstarren, als Júlio mit seiner schmierigen Stimme zu seinem Gegenüber sagt: „Freund, ich habe die Wette gewonnen. Die kleine Schlampe hat die erste sich bietende Gelegenheit genutzt, um sich zu amüsieren. Trotzdem kaufe ich sie zurück. Gebraucht wie sie ist, zahle ich aber nur den halben Preis.“ Die Herren besiegeln per Handschlag ihr Geschäft. Ein merklich kleineres Bündel Geldscheine als beim ersten Vertrag wechselt den Besitzer.