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Festas Junitas oder Schatten über Celina
ОглавлениеIm Juni beginnen die alljährlichen festas Junitas. Dieser Monat voll berauschender Musik lässt jedes brasilianische Herz höher schlagen. Celina sieht in ihrem Tanzkostüm hinreißend aus. Sie wird heute Nacht die Königin der berühmtesten Folkloregruppe der Stadt verkörpern. Alua hat Celinas prachtvolles Haar zu einer kunstvollen Frisur hochgesteckt. Dom Júlio verabschiedet seine Braut zärtlich und beteuert, wie sehr sie ihm fehlen werde. Doch er habe Verständnis dafür, dass sie mit ihrer Tanzgruppe die Runde durch die Stadt machen müsse. Gegen Mitternacht werde er sie sehnsüchtig in der kleinen Strandbar „Pôr do Sol“ erwarten. Alua eilt leichtfüßig entlang der duftenden Orleanderhecken zu der kleinen Gartenlaube im hinteren Teil des Obstgartens. Das verlassene Häuschen ist ihr Zufluchtsort, zu dem sie immer dann kommt, wenn sie ihren Eltern vorgaukelt, sie könne sie nicht zur Kirche begleiten, weil sie im Hause Dom Augustos unabkömmlich sei. Diese Ausrede gebraucht sie in letzter Zeit oft. Alua ist neidisch auf Celina und ihre Freunde, die nach der samstäglichen Abendmesse auf der Terrasse speisen und sich anschließend vergnügt im Tanze drehen. „Was soll daran schon teuflisch sein?“, fragt sich das Mädchen auch heute Abend. Sie zündet eine Kerze an und macht es sich in dem alten Schaukelstuhl, der nach einer Party verweist im Garten zurückbleibt, bequem. Nachdem sie sicher ist, dass er in Vergessenheit geriet, zieht sie ihn in einer mondlosen Nacht in ihr kleines Reich. Sie hat hier so manche Dinge zusammengetragen: zuerst schleppt sie heimlich ausrangierte Kissen und Decken zur Laube, die sie auf dem Dachboden stibitzt. Alua weiß, dass die Dienstboten die Speicherräume fürchten. Sie erzählen sich hinter vorgehaltener Hand, es spuke dort. Danach, woher das Parfum und die Gesichtskrem stammt, und auch der neue knallrote Lippenstift, möchte sie nicht gefragt werden. Alua, die ihre verwunschene Laube liebt, ist heute Abend nicht zufrieden. Sich verstecken, wenn einen eh niemand vermisst, hat wenig Reiz. Von überall wehen Musikfetzen durch die Nacht, und wo Musik ist, da gibt es auch fröhliche Menschen, die tanzen und feiern. Das Mädchen fühlt sich verlassen und vergessen wie selten. Trotzig bläst es die Wachskerze aus und zwängt sich durch den defekten Lattenzaun. „Jawohl“, sagt sie zu sich selbst, „ich werde Rita besuchen.“ Zufällig hat sie heute Vormittag ihre alte Freundin wiedergetroffen. Rita sah todschick aus in dem superknappen engen Minirock, dem bauchfreien Pulli und den hochhackigen Pumps. Alua fühlt keine Angst, als sie durch das mannshohe Gestrüpp zur Straße schleicht. Sie hat sich mit der Machete des Nachtwächters einen schmalen Pfad geschlagen, und so kann sie sich vom Wohnhaus unbemerkt davonschleichen, wann immer es ihr beliebt. Nur die Sache mit der Machete, die hätte ganz schön ins Auge gehen können. Dom Augusto hat sie damit im Garten ertappt. Sie ist gerade dabei die Machete hinter einer Hecke hervorzuholen, als plötzlich der Hausherr um die Ecke biegt. Ob er ihr glaubt, dass oft ein fremder Junge um das Haus schleicht und wohl der Dieb ist? Er hat sie so komisch angesehen. Alua fühlt, sie muss vorsichtig sein. Mit Dieben macht Dom Augusto kurzen Prozess. Erst kürzlich hat er einen Erntearbeiter von der Plantage gejagt, nur weil dieser einen Sack Kokosnüsse unterschlagen hat. „Wie siehst Du denn aus?“, fragt wenig später Rita ihre kleine Freundin, die zerschunden und zerkratzt vor ihr steht. „Nimm erst mal eine Dusche, Mutter ist schon zum Fest.“ Anschließend brechen die beiden Mädchen auf. Sie wollen das Straßenfest besuchen, von dem schon die ganze Woche die Rede ist, weil hier die quadrilha maluca ihr Zuhause hat. Alua ist nervös. Wenn sie jemanden von der fazenda treffen bekommt sie Ärger. Rita wischt die Bedenken der Freundin mit einer lässigen Handbewegung weg: „Dort wo wir feiern, gehen die feinen Leute nicht hin.“ Rita hakt ihre Freundin unter, und plaudernd eilen die beiden jungen Mädchen durch die winkligen Gassen der Altstadt. Seit ihrer gewaltsamen Trennung ist viel Zeit verstrichen, und so haben sie noch lange nicht alle Neuigkeiten ausgetauscht, als sie die enge Gasse erreichen, in der das Straßenfest stattfindet. Die Alten hocken plaudernd vor ihren Häusern, während die jungen Burschen noch mit dem Ausschmücken der Straße beschäftigt sind. Sie ziehen bunte Girlanden und Wimpelchen von einer Häuserfront zur anderen, um sie dann unter den Dachgiebeln zu befestigen. Zielstrebig steuert Rita auf eine Gruppe Leute zu, die es sich in ihrem Vorgärtchen bequem machen. Rita wird mit großem „Hallo“ begrüßt. Sie ist hier keine Unbekannte. Alua gibt es schnell auf, sich die Namen der Feiernden merken zu wollen, die ihr da vorgestellt werden. Bald sitzen die beiden Freundinnen eingekeilt in der plaudernden Runde. Alua fühlt, das ist ihr Leben. Lustig sein und tanzen. Zum Teufel mit dem Prediger und der ewig nörgelnden Mutter. Das Mädchen erschreckt über die finsteren Gedanken, die ihr durch den Kopf schießen. Urplötzlich setzt ein Tropenregen ein. Ohne Vorankündigung öffnet sich der Himmel und der Regen rauscht wie eine warme Dusche hernieder. Schreiend stürzen die Anwohner und Gäste auf die schmale Veranda. Jetzt müssen sie alle noch näher zusammenrücken, um ein trockenes Plätzchen zu finden. Der Dampf aus den feuchten Kleidern und die schweißnassen Körper verbreiten einen süßlichen Duft. Niemand hat bemerkt, dass einige Jungen im Haus verschwunden sind. Wenig später kehren sie mit Musikinstrumenten zurück. Sie verteilen an die Gäste Trommeln, Bandeiras, Triangeln, Rasseln, quasi alles, was es an Zupf- und Schlaginstrumenten gibt. Bis Alua begreift, was da geschieht, ertönen feurige Rhythmen. Der Regen hat aufgehört. Die Feiernden kehren zur Straße zurück. Da springt ein athletischer Bursche in den Kreis der Musikanten und beginnt mit einer Besessenheit zu den Liedern, die da getrommelt, gezupft und gesungen werden, zu tanzen, dass es Alua heiß und kalt über den Rücken läuft. So etwas hat sie noch nicht erlebt. Der Tänzer hat die Geschmeidigkeit ihrer cobra. Oder sollte er etwa cobrazinha sein? Verzückt schließt das Mädchen die Augen und gibt sich ganz dem Rausch der Musik hin. Die Haut des dunkelhäutigen Burschen glänzt im Schweiß, der ihm in kleinen Bächen den Körper hinunterrinnt. Doch wer denkt, das könnte ihn davon abhalten, sich weiterhin elegant in den Hüften zu wiegen, zur Erde zu gleiten und dann wieder leichtfüßig hochzuspringen, der irrt gewaltig. Alua öffnet die Augen. Der Tänzer fixiert sie mit glühendem Blick. Gerade als sich das Mädchen erheben will, um mit tänzelndem Schritt auf ihre cobrazinha zuzueilen, wird die Musik von rauen Schreien übertönt. Eine sich balgende und prügelnde Meute Jugendlicher strömt in die auseinander weichende Menschenmenge. Mit Geschrei radelt ein Dreierfahrrad hinterher. Die Raudis bringen die Radfahrer zum Sturz. Ängstlich klammert sich Alua an Ritas Arm. Die Freundin erklärt ihr lachend, die quadrilha maluca sei soeben angekommen. Inmitten des Spektakels gibt es ein kurzes Zischen, und dann erlöscht die Straßenbeleuchtung. Stromausfall. Hervorgerufen durch einen defekten Ventilator. Die Feiernden verstummen. Ein Kerzenstummel glimmt auf und eine Leiter wird herangeschleppt. Als sie nicht ausreicht, um bis zu dem Stromkasten zu gelangen, springt einer der Jungen leichtfüßig auf die Schultern seines Bruders und beginnt so im Mondschein an den elektrischen Drähten zu hantieren. Es zischt wieder und Funken stieben durch die Nacht. Plötzlich hört Alua eine Stimme, die sie unter Hunderten erkennen würde, an der Seite ihrer Freundin zärtlich flüstern: „Rita, minha namoradinha, endlich habe ich dich gefunden.“ Aluas Blut gefriert in ihren Adern. Das Licht flammt auf. Mit weit aufgerissenen Augen starrt das Mädchen in das vom Zuckerrohrschnaps gerötete Gesicht von Dom Júlio. Seine Augen funkeln vor Zorn, als er die Kleine wahrnimmt. Ihr Aufschrei geht unter im Gejohle der fröhlichen Menschen, die sich über die gelungene Reparatur freuen. Das Fest nimmt seinen Fortgang. Niemand nimmt von dem Mädchen Notiz, das wie von Furien gehetzt davonstürzt. Alua verbringt die nächsten Tage im Bett. Ein Nervenfieber schüttelt ihren schmächtigen Körper. Sie weiß es jetzt genau: der Prediger hat doch Recht. Nie mehr will sie tanzen und Feste besuchen. Oh, denkt sie verzweifelt, könnte ich nur das Erlebte ungeschehen machen. Sie fürchtet sich vor der Begegnung mit Dom Júlio, und sie schämt sich so sehr vor Dona Celina, die sie so liebevoll betreut. Nach einem kurzen Klopfen betritt soeben Celina mit einem schelmischen Lächeln Aluas Zimmer. „Besuch, mein Kind.“ Lachend schiebt die Lehrerin Rita in den Raum. Verlegen stehen sich die Freundinnen gegenüber. Sie hören es nicht, als die Köchin Chica das Zimmer betritt. Erschreckt zucken sie zusammen, als Chica mit mürrischem Blick ein Tablett mit frisch gepresstem Orangensaft auf dem Tisch unter dem Fenster abstellt. Wieder allein, beginnt Rita mit leiser Stimme: „Ich liebe ihn. Auch Du wirst es noch erfahren. Unsereins hat keine Chance.“ Hastig fügt sie hinzu: „Dom Júlio lässt Dir ausrichten: ein Wort zu Celina und er wird Dich vernichten.“ Zärtlich nimmt Rita ihre am ganzen Körper zitternde Freundin in den Arm und flüstert ihr zu, sie sei immer für sie da und allabendlich in der Nachtbar Lokomotive zu finden. Die Zeit eilt rasch dahin. Alua versucht ihr bedrückendes Erlebnis zu vergessen. Dom Júlio wechselt nie mehr auch nur ein Wort mit ihr. Das Mädchen ist still geworden. Nicht mehr trotzig still, sonder melancholisch. Es versucht, Celina jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Die Gartenlaube sucht es auch nur noch selten auf. Plötzlich fürchtet Alua sich vor der Schlange cobrazinha. Sie weiß, cobrazinha sucht sie in den Vollmondnächten. Celina ist es dank ihres Engagements gelungen, die dunklen Schulräume, die sie einst vom Präfekten übergeben bekam, in eine helle und freundliche Lehranstalt umzuwandeln. Es ist zu Beginn ihrer Lehrtätigkeit nicht leicht, die Landbevölkerung davon zu überzeugen, dass ihre Kinder nur eine berufliche Zukunft haben werden, wenn sie regelmäßig die Schule besuchen. Der Hartnäckigkeit der jungen Lehrerin ist es aber zu verdanken, dass allmählich eine Brücke von der Schule zum Elternhaus geschlagen wird, und dass sie mit ihrem Einfluss auf die Schüler auch allmählich die Eltern umzuformen beginnt. Celina atmet auf, als ihre Bemühungen erkennbar Früchte zu tragen beginnen. So halten die Schüler nun selbst ihren Klassenraum rein und machen sich Gedanken, wie sie den Pausenhof noch hübscher gestalten können. Ihre Töpfe mit den Pflänzchen pflegen sie sorgsam, und nicht nur deswegen, weil auf die schönste Pflanze am Schuljahresende ein Preis ausgesetzt ist. Zurückblickend möchte Celina die Zeit nicht noch einmal erleben, wo die Kinder verunsichert zwischen Elternhaus und Schule hin- und hergerissen sind. Der entscheidende Wandel tritt ein, als die junge Lehrerin erkennt, dass sie nicht gegen die Eltern in Konkurrenz treten darf. Sie ändert ihre Taktik dahingehend, dass sie die Eltern in das Schulleben einzubinden versucht. Den ausschlaggebenden Anstoß gibt, wie so oft, ihr Großvater. Heute, nach einigen mühevollen Jahren, hat die Schule eine kleine Schneiderwerkstatt und eine Schreinerei. Für die Grundausstattung mussten natürlich wieder, wie schon so oft, der Großvater und auch die Mutter, herhalten. Zuerst beobachten die Eltern der Schüler die Initiativen der jungen Lehrerin skeptisch. Doch als eines Tages ihre Mädchen mit einem hübschen bunten Schulkleid und die Jungen mit Hemden im passenden Stoff nach Hause kommen, weicht ihr Misstrauen einer gesunden Neugier. Die Mütter sträuben sich nicht mehr, jede Woche einige Stunden in der Schule mitzuhelfen. Celina baut ihren Schulunterricht aus. Die Mädchen haben jetzt morgens Unterricht und am Nachmittag, nach dem gemeinsamen Mittagessen, lernen sie unter der Anleitung von Celinas Mutter nähen und sticken. Währenddessen bereiten einige Mütter im wöchentlichen Wechsel mit der Köchin Chica das Essen für den nächsten Tag vor. Für die Jungen ist der Schulunterricht umgekehrt. Morgens gehen sie zum Praktikum in die Schreinerei und am Nachmittag zum Unterricht. Leiter der Schreinerei ist der junge Entwicklungshelfer João. Es ist ein Glücksfall, dass das Schulamt diesen fähigen Ausbilder für Celinas Zwergschule abstellt und auch sein Gehalt zahlt. Großvater hat da wohl seinen Einfluss beim Präfekten geltend gemacht. Doch trotz allem Schmeicheln kann Celina keine Einzelheiten aus Dom Augusto locken. Die junge Lehrerin könnte rundum zufrieden sein, wenn da nicht immer wieder ihr Vater mit seinen Eskapaden für Gesprächsstoff sorgen würde. Es ist ja schon lange kein Geheimnis mehr, dass er dem weiblichen Geschlecht zugetan ist. Doch nun hat er eine offene Affäre. Die Folgen bleiben nicht verborgen. Die Geliebte beschert Celina einen kleinen Stiefbruder und brüstet sich damit in der Öffentlichkeit. Dom Augusto schreitet mit finsterer Miene durchs Haus. Seit Celina denken kann vernachlässigt er zum ersten mal ihr kleines Landgut. Seit Tagen vergräbt er sich in seinem Büro, und auch des Nachts brennt dort noch lange Licht. Heute Morgen ruft er seine Tochter und Enkelin zu sich. Er verkündet mit fester Stimme seinen Entschluss: den Schwiegersohn wird er auszahlen und den Bastard in seinem Hause erziehen lassen, wenn seine Tochter in die längst überfällige Scheidung einwilligt und Celinas Vater nebst der Geliebten auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Zu Celina gewandt fügt er hinzu: „Dein Júlio sollte am besten gleich mitgehen.“ Celinas Mutter benötigt die drei Tage Bedenkzeit nicht. Schon am nächsten Tag signalisiert sie ihr Einverständnis. Heute ist der Advokat gekommen. Die Sitzung in Großvaters Büro dauert lange. Als Celina die Schule verlässt, erwartet sie ihr Vater mit den Worten: „Wir werden uns nicht wiedersehen, Tochter. Versprich mir, auf Deinen Bruder Chico aufzupassen.“ Bevor Celina antworten kann, tritt die Geliebte hinzu und legt der überraschten Lehrerin den Säugling in den Arm. Ohne ein weiteres Wort steigen die beiden in das wartende Taxi. Celina geht mit gesenktem Kopf Richtung Herrenhaus. Ein Weinkrampf schüttelt sie. Plötzlich ist João an ihrer Seite. Er legt den Arm um ihre Schulter und streicht beruhigend über ihren Rücken, bevor er ihr das Kind abnimmt. Als die drei den kühlen Hausflur betreten, steht Chica wartend in der Tür, um den Kleinen in Empfang zu nehmen. Júlio hat bereits an der gedeckten Tafel platz genommen. Mit einem spöttischen Seitenblick auf João bemerkt er zu seiner Braut, sie seien wie eine glückliche Familie über den Hof gekommen. Celina schießt das Blut in den Kopf. João wirft Júlio einen finsteren Blick zu. Da räuspert sich Dom Augusto. Niemand hat seine Anwesenheit bemerkt. Er schaut allen Anwesenden fest in die Augen, bevor er mit vor Zorn bebender Stimme hervorstößt: „Wer künftig wagt, den Frieden in meinem Hause zu stören, wird bei der nächsten Mahlzeit nicht mehr die Füße unter meinen Tisch strecken.“ Nach dem Mittagstisch winkt er seine Enkelin in sein Büro. Celina ahnt, Großvater wird mit ihr über Júlio sprechen. Sie fühlt ja selbst die Entfremdung, die seit geraumer Zeit zwischen ihnen besteht. Alle ihre Bemühungen, Júlio für ihre kleine Welt zu interessieren, gehen ins Leere. Auf Dom Augustos Frage, wie Júlio seine Tage verbringe, ist Celina nicht vorbereitet, und errötend muss sie gestehen, dass sie nicht weiß, mit was sich ihr Verlobter beschäftigt. „Celina, noch eine Abfindung wäre unser Ruin. Bedenke dies gut, bevor Du Dich bindest.“ Verwirrt kehrt Celina zum Schulgebäude zurück und läuft geradewegs João in die Arme. „Celina, nach dem Unterricht muss ich Dir etwas zeigen,“ ruft er der Lehrerin zu, bevor er in seiner Schreinerwerkstatt verschwindet. Celina fühlt sich von diesem voller Ideen steckenden Entwicklungshelfer angezogen. Gleichzeitig fragt sie sich, ob sie ihren Verlobten vernachlässigt? João, immer zu einem Scherz aufgelegt, öffnet mit einer tiefen Verbeugung die Tür zur Werkstatt. Celina bleibt wie angewurzelt im Türrahmen stehen. Sie reibt sich die Augen. Aber nein, sie träumt nicht. Da ist doch eine komplette Wohnungseinrichtung aufgebaut: Schränke, Tische, Stühle, Betten. Die Möbel haben kunstvoll gedrechselte Tisch- und Stuhlbeine. João öffnet einen Schrank. Darin stapelt sich die Wäsche, die von den Mädchen und ihren Müttern in den letzten Wochen gefertigt wurde. Die Handtücher sind mit leuchtenden Borden und Stickereien versehen. Im nächsten Fach befinden sich die gestickten Tischdecken mit den dazugehörigen Servietten. Einfach prächtig. Lachend zieht João einen Brief aus seiner Tasche und schwenkt ihn vor den Augen der verblüfften Lehrerin. Was beide kaum zu hoffen gewagt haben, wird Wirklichkeit. Der Präfekt und ein Abgeordneter des Kultusministeriums kommen in zwei Tagen zu Besuch. Celina ist außer sich vor Freude. Sie weiß aber auch, wer maßgeblich zum Gelingen des Schulprojektes beigetragen hat. Gerührt dankt sie ihrem kollegialen Freund. Sie erlebt ihn zum ersten mal verlegen, als sie ihn spontan umarmt. „Celina, gemeinsam sind wir stark, vergiss das nie“, ist seine Antwort. Der Besuch des Präfekten und des Vertreters aus dem Kultusministerium wird zum vollen Erfolg. Die Gäste sind von den handwerklichen Arbeiten begeistert und von den hübschen Stickereien so angetan, dass ein Großteil der Wäschestücke ihre Besitzer wechselt. Mitbringsel für die Gattinnen. Natürlich ohne Bezahlung. Für das leibliche Wohl sorgen Chica und ihre dienstbaren Geister. Mittlerweile gehen ihr nicht nur die Schülerinnen sondern auch die Mütter freiwillig zur Hand. Die Besucher verabschieden sich mit dem Versprechen, Celina und João im Ministerium als Organisatoren für Zwergschulen vorzuschlagen. Als sich die Hausbewohner zum gemeinsamen Abendessen zusammenfinden gratuliert Júlio seiner Verlobten gestelzt für die gelungene Präsentation in der Schule. Das aufglimmende Leuchten in Celinas Augen verlöscht, als er trocken fortfährt, er würde in seine Stadtwohnung zurückkehren. Auf Celinas fragenden Blick murmelt er etwas von unaufschiebbaren Geschäften. Am nächsten Morgen verlässt Júlio Dom Augustos Haus, ohne nochmals bei seiner Verlobten vorbeizuschauen. Sein Aufbruch gleicht einer Flucht. Kurz vor Beginn der dreimonatigen Sommerferien erhalten Celina und João dicke Briefe aus dem Schulministerium. Der Minister ist voll des Lobes und verspricht, im Herbst persönlich Celinas kleines Schulprojekt zu besuchen. Dann entschuldigt er sich langatmig und umständlich, dass er den Lehrern einen Teil der wohlverdienten Ferien rauben müsse. Er appelliert an ihr Pflichtbewusstsein, bevor er mit seiner Bitte, die in Wirklichkeit eine Anweisung ist, herausrückt. Die Lehrer sollen in der Ferienzeit Zwergschulen aufsuchen, um an Ort und Stelle Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten und einen Reformplan zu entwickeln. Es folgt eine lange Liste mit Ortsnamen, die Celina größtenteils unbekannt sind. „Amiga, wir gehen auf Reisen“, jubelt João begeistert und schwenkt vergnügt seinen Brief durch die Luft. Seine Freude ist aber nur von kurzer Dauer. Als er seinen Reiseplan in Händen hält, stellt er betrübt fest, dass er in den Nordosten und Celina ins Amazonasgebiet entsandt wird. Beide Lehrer erröten leicht. Haben Sie sich schon so aneinander gewöhnt, dass die bevorstehende Trennung für kurze Zeit sie schmerzen kann? „Das darf nicht sein.“ Abrupt wendet sich Celina ab und eilt mit langen Schritten zum Herrenhaus.