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Krank und hilflos

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Kurz nach Júlios unrühmlichen Abgang betritt João hustend den Salon. Es ist die erste Begegnung der beiden Lehrer seit Celinas Rückkehr vom Lehrerseminar. João schließt die Freundin liebevoll in die Arme und gratuliert ihr herzlich zum zweiten Staatsexamen. „Der Freund sieht mitgenommen aus, eigentlich richtig krank“, denkt Celina, die João prüfend betrachtet. Nach einem neuerlichen Hustenanfall berichtet er mit matter Stimme: eine böse Bronchitis peinige ihn seit Wochen, er bekäme sie in dem feuchten Klima und dem ständigen Regen einfach nicht unter Kontrolle. Als ihn das Kultusministerium ohne Vorankündigung in eine Zwergschule weit im Landesinneren entsendet, ist er einen Augenblick versucht, krankheitshalber abzusagen. Er fühlt sich der Strapaze dieser Dienstreise kaum gewachsen. Ein paar Stunden ist er zwischen Pflichtbewusstsein und Unwohlsein hin- und hergerissen. Auch jetzt wird sein Bericht wieder von einem bösen Reizhusten unterbrochen. Als er endlich weitersprechen kann, erfährt Celina, dass sich der Freund letztendlich doch für die Reise entscheidet, weil auch er der Auffassung ist, dass dringend aufzuklären sei, weshalb seit geraumer Zeit keine Lehrkraft länger als drei, höchstens vier Monate in dieser Schule Dienst tut und dann eine Versetzung anstrebt. Die Gründe der Lehrkräfte erscheinen im Ministerium fadenscheinig: meist wird „Krankheit und Unverträglichkeit des feuchten Klimas“ angegeben. Doch eine hohe Luftfeuchtigkeit ist im Norden Parás nichts Außergewöhnliches, ausgenommen an den Orten in der Amazonasmündung wo die starken Winde, die vom Atlantik kommen, Kühlung bringen. Hustend und fiebrig begibt sich João auf die Reise. Schon nach wenigen Stunden merkt er, dass er eine Fehlentscheidung getroffen hat. Doch nun ist es zu spät um zurückzukehren. Er hofft, dass er seine Mission in ein/zwei Tagen erledigen wird, und dann will er sich gründlich auskurieren. Dem Schulleiter bleibt natürlich nicht verborgen, dass dieser Revisor gefährlich erkrankt ist. „Anstatt einer Hilfe sendet mir das Kultusministerium eine Belastung“, denkt er wütend, „und das jetzt, wo der Karneval auf Hochtouren zu laufen beginnt.“ Er dringt darauf, dass sich der Revisor sofort zur Untersuchung ins örtliche Hospital begibt. Damit ist er die Verantwortung für den Besucher erst mal los. Es ist ein denkbar ungünstiger Tag. Donnerstag vor Karneval. Der junge Arzt hat quasi schon Feierabend. Mit vorwurfsvoller Miene setzt er sein Stethoskop kurz auf verschiedene Stellen von Joãos Trikot auf. Der Arzt denkt nicht daran, den fiebernden Patienten mal tief ein- und auszuatmen zu lassen. Er will auf jeden Fall den letzten Bus zur Stadt erreichen, sonst schnappt ihm ein anderer das süße Mädchen weg, das er gerade erst kennen gelernt hat. Noch nicht mal fünfzehn ist die Kleine. Er ist sicher ihr erster Liebhaber! Diesen Genuss lässt er sich nun wirklich von diesem Fremden nicht vermiesen. Indem er „ungefährliche Allergie“ brummt, zieht er seinen Rezeptblock heran und verordnet rasch eine Injektion, welche die Nachtschwester verabreichen wird. Bevor der Patient noch eine Frage stellen kann, ist der Arzt bereits aus der Tür gestürmt. João zieht los, um eine Apotheke zu suchen. Es regnet, die Straße ist aufgeweicht. Mühsam kämpft sich der Lehrer durch das Unwetter. Immer wieder muss er stehen bleiben und abwarten, bis ein neuer quälender Hustenanfall abklingt. Es wird spät, bis er mit dem Medikament ins Hospital zurückkommt. Die Krankenschwester verpasst ihm die Antiallergieinjektion. „Heute, an Karneval, ist nicht viel los im Krankenhaus. Die Besoffenen kommen erst in einigen Stunden zur Ausnüchterung“, erfährt João von der redseligen Nachtschwester, die sich freut, einen geduldigen Zuhörer gefunden zu haben. João muss nach der Injektion noch zwanzig Minuten ruhen, und dabei erfährt er dann so allerhand vom Krankenhausbetrieb: sie müsse die Krankenstation über Nacht alleine betreuen. Schlimm sei es gewesen, als im letzten Jahr ein Unfallopfer verstarb, weil eben kein Arzt im Hause war. Außerdem habe sie noch keine große Erfahrung. Es sei ihre erste Dienststelle nach der einjährigen Ausbildung. João zieht nach seiner Ausruhzeit beschämt ab. Er fühlte sich fast etwas schuldig, dass er die Schwester mit seiner „harmlosen Allergie“, wie es der Arzt bezeichnete, in Anspruch nimmt. Bei dem Gedanken, wie schnell die Krankenschwester ausgebildet wurde, ist dem Lehrer auch nicht ganz wohl. Die nächsten sechs Tage bleibt der Kranke alleine im Schulgebäude. Schulleiter und Schüler befinden sich im Karnevalsrausch. Obwohl Unterricht angesagt ist, erscheint niemand in der Schule. Nach einem erneuten Hustenanfall fährt João mit matter Stimmer fort: „Du könntest sterben. Das kümmert keine Seele, wenn irgendwo eine Trommel geschlagen wird. Schau, Celina, mir wurde in diesen Tage grausam bewusst, wie es ist, wenn man in diesem reichen Lande arm geboren wird!“ Dom Augusto nickt zustimmend, es muss sich in der Tat viel ändern. João setzt seinen Bericht hustend fort: „Nach dem Karneval kommt zu meinem Glück bald der Hausmeister zurück. Er packt mich in den Motorkahn und fährt mich neuerlich ins Hospital. „Zum Frühdienst erwartet man einen Arzt. Der kommt zwar mit zweistündiger Verspätung, aber er kommt wenigstens. Dieses mal ist es ein älterer, erfahrener Arzt, der mich gründlich untersucht und eine schwere Bronchitis diagnostiziert. Nach der siebentägigen Penicillinbehandlung im Hospital fühle ich mich soweit hergestellt, dass ich die Rückreise antreten kann. Erreicht habe ich in der Schule natürlich nichts. Wie soll ich auch in einer verlassenen Schule Missstände aufklären?“, schließt João mit einem resignierten Lächeln.

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