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Das Mädchen mit dem Schlangenkörper

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Alua blickt finster in die braunen Wogen der aufkommenden Flut. Sie liebt die kleine Bucht im Gezeitenbereich des Amazonasdeltas, doch heute hat sie keinen Blick für die stolzen Reiher, die nahe des Ufers nach jungen Fischen schnappen. Sie hat auch keinen Blick für den kleinen Kolibri, der senkrecht vor ihr in der Luft steht und nach Insekten schnappt. Aluas Gedanken drehen sich im Kreise. Sie muss ihr Leben neu gestalten, doch wie soll ihr das ohne Geld gelingen? Hätte sie Reue gezeigt, so hätte Dona Celina sie sicher wieder auf dem Gut aufgenommen, auch gegen den Willen ihres Großvaters. Sie hat dies in den Augen der Lehrerin genau gesehen. Ihr Blick hat direkt darum gebettelt, dass sie ihre Taten gesteht. Aber sie, Alua, hat in diesem Augenblick nur Verachtung für ihre Gönnerin empfunden. Wie kann man sich so demütigen? Ihrer cobra und ihr würde das niemals passieren. Trotz ihres vermeintlichen Triumphs ist da ein Stachel in Aluas Seele zurückgeblieben. Das bequeme Leben, ihr schönes Zimmer, die vielen Bücher, die sie nun wirklich liebt, alles vorbei. Sie hockt wieder am Amazonas. Das arme Krabbenfischermädchen ist zurückgekehrt. „Celina, das wirst du mir büßen“, schreit sie zornig gegen den Wind, der ihr langes Haar zerzaust. Alua scheint jegliches Gefühl für die Realität verloren zu haben. „Ihre Seele ist vergiftet“, flüstern ihre Eltern, wenn das Mädchen in den Vollmondnächten aus ihrer Hängematte klettert und leise aus dem Hause schleicht. Als Alua eines Tages ihr ärmliches Bündel packt, um die Hütte des Krabbenfischers wieder zu verlassen, fragen die Eltern nicht, wo ihre Tochter Arbeit gefunden habe. Sie atmen auf, als der Störenfried von dannen zieht, und im geheimen hoffen sie, dass Alua nicht allzu bald wieder vorbeischaut. Alua hat heute Nachmittag ihrer Freundin Rita vor der Nachtbar Lokomotive aufgelauert und ihr Leid geklagt. Rita verspricht, man würde gemeinsam nach einer Lösung suchen. Jetzt sei sie aber in Eile. Sie drückt Alua ihren Wohnungsschlüssel in die Hand und nennt die Adresse. „Hol zu Hause deine Sachen und warte in meiner Wohnung auf mich“, und schon ist Rita durch den Seiteneingang in der Bar verschwunden. Es wird spät, bis Alua in der schäbigen Gegend ankommt, in der Rita haust. Naserümpfend betritt Alua den übel riechenden Hausflur. Sie muss die schmutzige Stiege bis in den dritten Stock hinaufklettern. Wenn sie sich nicht beeilt, verlöscht das Licht, bevor sie den nächsten Lichtschalter erreicht. Knarrend dreht sich der Schlüssel im Schloss. Aus dem kleinen Apartamento schlägt Alua stickige Luft entgegen. Sie tastet nach dem Lichtschalter. Eine grelle Beleuchtung flammt auf. Bevor sich Alua neugierig im Zimmer der Freundin umschaut, reißt sie das Fenster auf. Dann wendet sie sich kopfschüttelnd dem heillosen Durcheinander zu. Die Kleider sind über das ganze Zimmerchen verstreut. Alua legt ihr Kleiderbündel ab, bevor sie kopfschüttelnd beginnt, die Kleidungsstücke der Freundin einzusammeln. „Rita ist wirklich nicht ordentlicher geworden, aber Geschmack hat sie“, denkt Alua, als sie neugierig die Blusen und Röcke der Freundin begutachtet. Sie streift sich eine Bluse mit einem gewagten Ausschnitt über. Nach einigem Suchen findet sie den passenden Hauch von Minirock. Sie schlüpft in ihre roten, hochhackigen Pumps, die sie vom ersten Geld, das sie auf der fazenda geklaut hat, kaufte. Ob ihr Celina damals abnahm, dass sie ein Abschiedsgeschenk ihres Vaters seien? Egal! Alua tänzelt auf den hohen Spiegel zu, der gegenüber Ritas Bett angebracht ist. Solch einen Spiegel hat sie noch nie gesehen. Er reicht vom Boden bis fast zur Decke. Das Mädchen findet, dass es toll aussieht, und so probiert es alle Kleidungsstücke durch, bevor es diese ordentlich im Kleiderschrank verwahrt. Unordnung mag Alua nicht leiden, und so sieht das Apartamento bald schon viel freundlicher aus. „Vielleicht kann ich ja Ritas Haushalt führen“, denkt Alua und beginnt die Kommode aus- und dann die Wäschestücke fein säuberlich zusammengefaltet wieder einzuräumen. Im Handumdrehen ist es Mitternacht. Jetzt duscht Alua ausgiebig. Sie staunt über die feine Seife und die Duftwasser. „Welch eine Wohltat! Wo doch zu Hause so oft das Wasser fehlt“, denkt das Mädchen, als es sich behaglich auf Ritas weichem Bett ausstreckt. Alua begutachtet nochmals das Zimmer. Rita wird bestimmt zufrieden sein. Zum wiederholten mal ruht Aluas Blick auf der roten Mappe, die auf dem kleinen Beistelltisch liegt. Das Mädchen scheut sich, die Mappe zu öffnen. In Ritas Intimsphäre einzudringen wagt es nicht. Seufzend dreht es den Lichtschalter aus. Die Leuchtreklame von gegenüber wirft in kurzen Abständen Lichtbündel ins Zimmer. Für einige Sekunden reflektiert dann das Licht in dem roten Lackeinband der Mappe. Es dauert nicht lange, bis es die Versuchung übermannt. Alua tappt wieder zum Lichtschalter. Als die Beleuchtung aufflammt, greift sie hastig zu der roten Mappe, obwohl sie keine Eile hat. Sie weiß, es werden noch Stunden vergehen, bevor ihre Freundin Feierabend hat. Vorsichtig öffnet sie den Deckel. Alua fühlt sich wie eine Diebin, und sie hat das dunkle Gefühl, dass hinter dem Einband ein Geheimnis verborgen ist. Sie hat Rita nicht gefragt, welche Tätigkeit sie in der Bar ausübt? „Wahrscheinlich verkauft sie Getränke oder Zigaretten“. Das Blut scheint in Aluas Adern zu erstarren. Da hüpft eine leicht bekleidete Rita über eine Bühne. Während Mädchen in züchtigen Kittelchen applaudieren, wirft Rita nach und nach alle Kleidungsstücke ab. Jede Bewegung von Rita ist auf den folgenden Bildern abgelichtet. Da gibt es auch ein Bild in die johlende Zuschauermenge. Alua wird dunkelrot vor Erregung. Wen sieht sie da Handküsse werfen? Kein Zweifel, es ist Júlio, Celinas Verlobter! Das Foto trägt ein Datum. Alua zittert vor Erregung, sie wird dieses Datum nie vergessen. Es ist der Todestag des Kleinen am Schlangenfluss. Aluas Blick kehrt zu dem Bild zurück. „Das hat Celina nicht verdient.“ Sorgfältig steckt sie das Foto zwischen ihre persönlichen Dokumente. „Sollte dieser Schuft Celina tatsächlich heiraten wollen, dann wird sie ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Das ist sie ihrer ehemaligen Lehrerin doch schuldig, oder etwa nicht?“ Alua legt die Mappe zurück. Wie schon so oft, quält sie der Tod des Jungen. Sie fragt sich immer wieder, ob sie dafür verantwortlich ist, dass cobrazinha das Kind verschlungen hat. Doch auch heute findet sie auf diese Frage keine Antwort. Stunden vergehen, bevor sie in wirre Träume fällt. Erschreckt fährt Alua hoch. Rita steht leicht schwankend vor ihr und lacht aus vollem Halse. „Was ist denn hier passiert? Wie soll ich denn da jemals etwas wieder finden? Meine kleine, ordentliche Freundin,“ und damit verschwindet sie unter der Dusche. Das Rauschen des Wassers versetzt Alua endlich in einen erquickenden Schlummer. Es ist schon gegen zehn Uhr früh, als sie erwacht. Auf dem Tischchen findet sie einen Zettel: „Bitte, nicht stören“ steht darauf und „kaufe etwas leckeres zum Frühstück ein“. Alua huscht leise ins Bad, dann nimmt sie die zehn Reais, die bei dem Zettel liegen und geht los. Sie kauft Brötchen, Wurst und Käse. Wieder zurück in der Wohnung, deckt sie leise den Frühstückstisch. Als der Kaffeeduft durch das Zimmer zieht, ist Rita plötzlich hellwach. Bald sitzen die Freundinnen vertraut wie einst am Kaffeetisch. Rita erzählt freimütig von ihrer Tätigkeit als Stripteasetänzerin, und dass es gar nicht so schlimm sei, wenn man sich erst ein paar mal ausgezogen habe. Manchmal mache es direkt Spaß, wenn man die begehrlichen Blicke der Männer auf seiner Haut fühle. „Die großen Herren werden dann ganz klein und fressen dir aus der Hand“, schließt sie vulgär. Als Rita nach der roten Mappe greift, bleibt Alua fast das Herz stehen. Freimütig breitet Rita die Bilder vor der Freundin aus. „Nanu, wo ist das Bild von Júlio?“, murmelt Rita. Alua verschluckt sich vor Aufregung an ihrem Kaffee, während Rita nochmals sorgfältig alle Bilder durchblättert und dann die Mappe achselzuckend beiseite legt. Nun kann Alua das Bild nicht mehr heimlich zurücklegen. Ein Frösteln überläuft das Mädchen. Es fühlt, ein Schatten ist auf ihre Freundschaft gefallen. Rita wendet sich der Freundin zu. Sie hat jetzt den Adlerblick Dona Claras: „Du kannst hier bleiben, bis wir etwas passendes für dich gefunden haben. Meine letzte Zimmergefährtin hat mich um einen Real beklaut. Ich habe sie nachts im strömenden Regen davongejagt. Merke Dir das gut!“ Während sich Rita beim Friseur eine neue Dauerwelle legen und ihr Haar feuerrot färben lässt, schrubbt Alua das Apartamento blitzblank. An diesem Nachmittag hätte sie auch gerne ihre Seele reingescheuert. Als sich die Woche dem Ende zuneigt, gibt es in der kleinen Wohnung beim besten Willen nichts mehr zu verbessern. Alua fühlt sich wie ein Vogel in einem Käfig. Ihre Freundin verlässt früh am Abend das Haus und kommt immer erst im Morgengrauen zurück. Ihr erster Gang ist dann unter die Dusche. Sie duscht, bis der Nachbar an die Zimmerwand klopft. Rita sagt dann lachend, sie brauche die Dusche, um den Sumpf der vergangenen Nacht abzuwaschen. Anschließend schläft sie bis tief in den Tag. Alua kann weder fernsehen, noch herumlaufen, denn Rita hat einen leichten Schlaf und wird fürchterlich wütend, wenn sie geweckt wird. Aus verständlichen Gründen herrscht in dem engen Apartamento nach kurzer Zeit eine angespannte Atmosphäre. Bevor sie sich entladen kann, reißt Rita eines Morgens ihre noch schlaftrunkene Freundin aus den Träumen, um ihre eine Neuigkeit zu verkünden: „Gestern Abend ist die Schlangentänzerin rausgeflogen“, erzählt sie aufgeregt. „Ein Gast hat sich über die Tänzerin beschwert. Nun ist die bei den Besuchern so beliebte Tanznummer für den heutigen Abend unbesetzt, weil das Ersatzmädchen mit einer Erkältung im Bett liegt. Alua, das ist eine einmalige Chance für dich,“ schreit Rita aufgeregt, bevor sie fortfährt: „Um elf Uhr sollst du vortanzen!“ Rita wirft lässig einige Fotos auf den Tisch. Alua prüft aufmerksam, wie sich das Mädchen entkleidet. Die Augen der Tänzerin wirken stumpf. Da ist kein Feuer, keine Erotik in den Bewegungen des Mädchens. Die Show gleicht einer abgedroschenen Beziehung. Trotzdem ist Alua nervös, als sie kurz vor der vereinbarten Zeit mit ihrer Freundin die Bar betritt. Das Etablissement öffnet erst am Abend. Jetzt sind die hochliegenden Fenster weit geöffnet, damit der kalte Rauch der vergangenen Nacht abziehen kann. Im Tageslicht wirken die verschlissenen dunkelroten Polstermöbel recht schäbig. Die Putzkolonne hält in ihrer Reinigung inne, um die Neue zu begutachten, die gerade die Bühne betritt. Alua steckt noch immer ein Kloß im Hals. In dieser nüchternen Umgebung soll sie sich ausziehen? Das wird sie nie und nimmer schaffen. Schon ertönt leise Musik und Alua steht noch immer verwirrt auf der Bühne. „Nur keine Hemmungen, Alua, hier gehörst du doch hin!“ Das Mädchen erkennt diese verhasste Stimme sofort. Als es herumwirbelt, blickt es in Júlios, vom Alkohol aufgedunsenes Gesicht. Angewidert schließt Alua die Augen und gleitet in die Arme ihrer cobrazinha. Die Schlange und das Mädchen werden zu einem Geschöpf unter den werbenden Klängen des Pianospielers. Heute muss Alua nicht mit cobrazinha um die Vorherrschaft streiten. Im Gegenteil, die Schlange beschützt sie. Als die Musik ausklingt, braucht das Mädchen einen Augenblick, bis es in die Wirklichkeit zurückfindet. Sie schaut in Júlios begehrliche Augen. Er tastet ihren Körper mit gierigen Blicken ab. Schweißperlen tropfen von seiner Stirn. Alua rafft ihre Kleidungsstücke zusammen und flieht hinter den schmierigen Vorhang. Die Putzkolonne johlt Beifall. Rita treibt ihre Freundin mit finsterem Blick zur Eile an. „Der Direktor erwartet uns!“ Die Tür zum Zimmer des Direktors steht offen. Hinter dem gewaltigen Schreibtisch sitzt Júlio und trommelt nervös mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte. Er blickt die beiden Stripperinnen mit einem hämischen Grinsen an. Kurze Zeit später hat er Alua für eine unverschämt geringe Gage unter Vertrag. Rita weiß, was dies bedeutet. Auch ihrer Freundin wird die Prostitution nicht erspart bleiben, wenn sie wirtschaftlich überleben will. Wie unter Hypnose unterzeichnet Alua den Vertrag. Noch ist ihr nicht bewusst, dass sie mit dieser Unterschrift ihren Körper verkauft hat. Die Mädchen sind in Eile. Vor der Arbeitsaufnahme am Abend steht noch der Gang zum Arzt. Die Übertragung von Geschlechtskrankheiten und Aids muss so gering wie möglich gehalten werden. Erst jetzt, wo die beiden Mädchen in ihre Wohnung zurückkehren, wird Alua bewusst, dass ihre Freundin ungewohnt einsilbig ist. Rita rennt mit finsterem Gesicht durch das Zimmer. Nun baut sie sich bedrohlich vor Alua auf. Mit hochrotem Kopf und zitternder Stimme brüllt sie Alua an, dass sie sich Júlio nicht wegnehmen lasse, und dass sie überhaupt schon bedauere, Alua im Club vorgestellt zu haben. Alua ist verwirrt. Wie soll sie ihrer Freundin klarmachen, dass Júlio in ihren Augen ein widerlicher Fettsack ist. Tröstend nimmt sie ihre Freundin in den Arm und flüstert: „Ach, du bist doch ein Dummchen.“ Diese wenigen Worte versetzen die Mädchen in ihre Kindheit zurück. Rita erinnert sich, wie ihre Mutter sie mit den gleichen, tröstenden Worten in den Arm schließt, als der Kaufmann sie wegen ihres Vaters beleidigt. Weinend und lachend liegen sich die Freundinnen in den Armen. Die Welt scheint wieder in Ordnung zu sein. Der Abend naht. Aluas erster öffentlicher Auftritt rückt näher. Das Mädchen fühlt keine Nervosität, geschweige denn Angst. Sie wandelt wie in Trance einher. Heute ist Vollmond und sie weiß, sie wird nicht alleine auf der Bühne stehen. Für die Zuschauer unsichtbar, wird ihre Schlange sie liebkosen. Die Mädchen müssen frühzeitig in der Bar erscheinen. Gleich, um welche Zeit ihr Auftritt stattfindet. Der Aufenthaltsraum ist eng und schäbig. Das Personal soll sich darin bewusst nicht wohlfühlen, denn dann wird es auch seine Tätigkeit als Animierdamen nicht vernachlässigen. Sie sollen die Gäste anheizen, zum Trinken verführen und rechtzeitig, bevor sie besoffen sind, ins Separee locken. Die Neue wird von einigen Mädchen wohlwollend, von anderen aber als lästige Konkurrentin angesehen. Alua ist in Gedanken weit entfernt. Die Begrüßungen durch die Kolleginnen erreichen sie nicht wirklich. Abschätzend gleitet ihr Blick durch den Barraum. Der gefällt ihr heute Abend in der gedämpften Beleuchtung schon viel besser. Die ersten Gäste haben sich in den roten Sesselchen um kleine Tische gruppiert. Wenn Paare ankommen, versuchen die Türsteher, sie auf die Empore zu schicken. Im unteren Barraum möchte man nach Möglichkeit nur Männer platzieren. Das macht den Mädchen die Arbeit leichter. Für die Animierdamen ist es unangenehm, wenn Damen mit am Tisch sitzen und sie nicht erkennen können, wer zu wem gehört. Oberstes Gebot des Clubs ist es, Ärger zu vermeiden. Klar, Schlägereien sind tödlich für den Ruf des Etablissement, und nach ein paar Bierchen erhitzt sich so manch ein Gemüt schnell. Alua steigt die Stiege zur Empore hinauf. Hier oben ist es wirklich schick. In dem schummerigen Licht wirkt die Samtbestuhlung wie dunkelroter Wein. Die Empore zieht sich an drei Seiten der Bar entlang. Nur der Bühnenbereich ist ausgespart. Um die Empore führt ein erhöhter Laufsteg, der durch eine Messingstange gesichert ist. In Alua reift ein Plan. Ihre Augen bekommen das gefährliche Glitzern. Die Show beginnt. Alua nimmt den ihr zugewiesenen Platz seitlich der Bühne ein. Bis zu ihrem eigenen Auftritt soll sie sich mit dem Ablauf des Programms vertraut machen. Gerade hüpfen zwei Mädchen in knappen Bikinis über die Bühne. Die eine kann den Takt nicht halten und gerät immer wieder ins Straucheln. Das Publikum biegt sich vor Lachen. Bevor die Wogen überschwappen, kommt die Ablösung angehüpft. Die Mädchen versuchen nun Tanzpartner auf die Bühne zu locken. Nach einigen Anläufen finden die beiden auch Kavaliere. Bald stellt sich heraus, dass einer der Tanzpartner bereits zu tief ins Glas geschaut hat. Die Tänzerin bemüht sich redlich, aber vergebens, den Burschen über das glatte Parkett zu schleppen. Es ist für das zierliche Mädchen wahrlich Schwerstarbeit. Der Barraum füllt sich schnell und schon wird Ritas Auftritt angesagt. Unter Trommelwirbel kommen vier als Polizistinnen verkleidete Mädchen im Steppschritt auf die Bühne. Rita tanzt zackig voran. Unter dem Gejohle der Zuschauer lässt sie ihre Hüllen fallen. Als das letzte Kleidungsstück zu Boden gleitet, läuft sie auch schon mit wehenden Haaren hinter den Vorhang. Alua findet Ritas neue grellrote Haarfarbe recht ordinär. Im Barraum schwärmen indessen die Mädels aus, um einen Freier aufzureißen. Die Geschäftsleitung legt Wert darauf, dass die Mädchen nicht zudringlich wirken. Trotzdem spürt Alua die erbitterten Kämpfe, die sich unter den Damen abspielen. Sie weiß noch nicht, dass die Mädels prozentual am Verzehr ihrer Freier beteiligt und bitter auf dieses Zubrot angewiesen sind. Für Alua ist die Welt noch in Ordnung. Sie ist fest davon überzeugt, dass sie mit ihrer cobrazinha die Herzen der Gäste erobern wird. Es ist soweit. Gerade wird Aluas Tanznummer angesagt. Erst als die Zuschauer schon unruhig zu werden beginnen, gleitet sie mit schlangenhaften Bewegungen hinter dem schmierigen Vorhang hervor. Es wird still unter dem Publikum. Gebannt starren die Gäste zur Bühne. Nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen fühlen sich von dieser geschmeidigen Tänzerin angezogen. Das ist wirklich nicht das alltägliche Gehopse und Kleider abwerfen. Von dieser neuen Tänzerin gehen Signale aus, die jeden Zuschauer glauben machen, sie gelten nur ihm. Nahe der Bühne sitzt wieder der Weißhaarige. Seine wallende Haarmähne hat ihm den Namen „Zuckerrohrbaron“ eingebracht. Da er sehr spendabel ist und keine allzu großen sexuellen Ansprüche stellt, wetteifern die Liebesdienerinnen um seine Gunst. Heute hat Rita das Glück, an seinem Tisch sitzen zu dürfen. „Das scheint ein geruhsamer Abend mit gutem Profit zu werden“, lachend krault Rita den krausen Bart des Alten. Alle Mädchen wissen, dass er diese Geste liebt. Um so überraschter ist Rita, als er sie unsanft zu Seite schiebt. Der Zuckerrohrbaron hat nur noch Augen für Alua. Jetzt erhebt er sich und tappst leicht schwankend zur Bühne. Rita nimmt dies nicht hin. Schon ist sie an seiner Seite, hakt sich krampfhaft lächelnd bei ihm unter und versucht ihn zum Tisch zurückzuzerren. Doch der Alte hat nur noch Blick für die Tänzerin, die nun unbekleidet vor ihm hin- und herzuschweben scheint. Dem Zuckerrohrbaron bricht der Schweiß aus. So viel Schönheit und Anmut verschlägt ihm den Atem. Rita, die immer noch an seinem Arm hängt, schüttelt er wie eine lästige Fliege ab. Die Gäste am Nachbartisch werden auf das ungleiche Paar aufmerksam. Rita fühlt, dass das abfällige Tuscheln ihren erfolglosen Bemühungen gilt. Es will ihr nicht gelingen, den Zuckerrohrbaron zu ihrem Tisch zurückzuführen. „Warum verschwindet Alua nicht hinter dem Vorhang? Diese Show total ist nicht eingeplant“, denkt Rita verzweifelt. Doch statt hinter die Bühne, tanzt das nackte Mädchen Richtung Empore und schreitet mit stolz erhobenem Haupt die Treppe empor. Oben angelangt, führt sie ihren Schlangentanz auf dem Laufsteg fort. Die Zuschauer verfolgen wie hypnotisiert jede Bewegung der Tänzerin. Was macht Alua jetzt? Leichtfüßig turnt sie auf das Messinggeländer, umarmt eine der Messingsäulen und sucht sich mit den Beinen halt. Da hängt sie nun nach hinten kopfüber zum Barraum hin. Nach einer Schrecksekunde ertönt stürmischer Beifall. Kein Zweifel, Alua ist die ungekrönte Königin dieser Nacht. Nach ihrem Auftritt lässt der Zuckerrohrbaron Alua an seinen Tisch bitten. Ihre jugendliche Natürlichkeit und Anmut verzaubern den alten Mann. Das Mädchen ist noch zu neu im Geschäft, um den geierhaften Blick der älteren Animierdamen zu haben. Alua weiß auch noch nicht, was Hunger heißt. Sie weiß zudem noch nicht, dass man zugreifen muss, wenn einem ein Mann anlächelt. Die Konkurrenz ist allgegenwärtig. Auch sie wird die schmerzliche Erfahrung machen, dass sich der Freier mit einer Geste voller Verachtung abwendet, wenn man auf einen werbenden Blick nicht sofort mit einem koketten Augenaufschlag sein Einverständnis signalisiert. Das nächste arme Ding steht schon bereit, um alle Wünsche zu erfüllen. Alua wird auch bald begreifen, dass kleine Geschenke besser sind als keine Geschenke. Doch in dieser Nacht ist ihr dies alles noch nicht bewusst. Die erste Ernüchterung erfährt sie dann aber schon auf dem Nachhauseweg. Rita erklärt ihr kühl, es sei wohl besser, sie suche sich ihre eigene Bleibe. „Spätestens am Monatsende ist Schluss“, schließt Rita mit schneidender Stimme.

Alua

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