Читать книгу Alua - Gesine Kunst - Страница 16
Eine weitere Attacke Dom Júlios
ОглавлениеCelina sitzt mit Großvater am Frühstückstisch. Es ist die erste ruhige Stunde, die Großvater und Enkelin seit Celinas Rückkehr aus Recife gemeinsam verbringen. Dom Augusto zündet sich umständlich seine Brasil an. Für Celina ist dies das Zeichen, dass Großvater etwas besprechen will. Er sieht zufrieden aus, denkt die Enkelin und übersieht geflissentlich, dass der alte Herr sie auf die Folter spannen will. Jetzt nimmt Dom Augusto nochmals einen tiefen Zug, bevor er mit wohlgeziemten Worten Celinas hervorragendes Prüfungsergebnis würdigt. Celina zittert vor freudiger Überraschung, als sie feststellt, dass Großvaters Augen einen feuchten Schimmer haben. Dies hat sie noch nie gesehen, und jetzt kullern tatsächlich zwei Tränen über seine Wangen. Die junge Lehrerin schnellt von ihrem Stuhl hoch und fällt Dom Augusto stürmisch um den Hals. Dieser drückt einen Augenblick seinen grauen Kopf in das lockige Haar der Enkelin. Bevor er seine Rede fortsetzt, kramt er umständlich einen Briefumschlag aus seiner Jackentasche. Unwillig schaut er hoch, als die schwere Eingangstür aufgerissen wird und die schwarze Köchin mit einer Behändigkeit in den Salon stürmt, den der betagten Chica niemand mehr zugetraut hätte. Sie schwenkt die Tageszeitung wie eine Fahne über ihrem Kopf. Dom Augusto stampft unwillig seinen Spazierstock auf den Fußboden. Gleich wird er die Köchin wegen ihres unbotmäßigen Verhaltens zurechtweisen. Doch als er in Chicas aschgraues Gesicht blickt, zieht er nur strafend die Augenbrauen hoch. Die Zeitung gleitet aus Chicas zitternden Händen und die Blätter flattern über das polierte Parkett. Es ist das Titelbild, auf das die Drei wie gebannt starren. Verstreichen Sekunden oder Minuten? Niemand weiß es später zu sagen. Celina gewinnt zuerst ihre Fassung zurück. Mit bebenden Händen hebt sie das Deckblatt auf. Eine strahlende Celina und ein besitzergreifender Júlio zieren die Titelseite der Tageszeitung. „Es ist das Verlobungsfoto“, murmelt Chica, bevor Celina mit brüchiger Stimme zu lesen beginnt: „Dom Júlio wird an der Seite seiner künftigen Gattin zum Bürgermeister kandidieren. Aus Rücksicht auf das zweite Staatsexamen seiner Braut wurde der Hochzeitstermin verschoben. Doch jetzt sind alle Hindernisse ausgeräumt, und das Brautpaar wird noch vor Beginn des Wahlkampfes den Bund fürs Leben schließen, um dann Seite an Seite in den Wahlkampf zu ziehen.“ Celina versagt die Stimme. Vor ihren Augen tanzen die Buchstaben. Verstört blickt sie hoch, und dann stößt sie einen leisen Schrei aus. In der offenen Türe steht Dom Júlio mit einem riesigen Rosenstrauß. Strahlend durchquert er den Salon und eilt mit ausgebreiteten Armen auf seine Braut zu. Celina ist hochgesprungen. Geschickt zieht sie sich vor dem heranstürmenden Júlio zurück und verlässt im Laufschritt den Raum. Júlio ist keine Regung anzumerken, als er Chica losschickt, um eine passende Vase für das Rosengebinde zu holen. Kühl wendet er sich Dom Augusto zu, verneigt sich galant vor dem alten Herrn und nimmt, wie selbstverständlich, seinen früheren Platz am Familientisch ein. Celina ist in den Salon zurückgekehrt. Aufrecht steht sie an dem breiten Esszimmertisch und schiebt Júlio eines der verfänglichen Fotos zu. Den Verlobungsring wirft sie ihm vor die Füße. Ein fast unmerkliches Zucken läuft um Júlios Mund, bevor er den Ring aufhebt und in seine Jackentasche gleiten lässt. Dann bricht er in ein polterndes Gelächter aus: „Celina, was soll diese kindliche Reaktion. Dies ist eine meiner Mitarbeiterinnen.“ Júlio wiegt in gespielter Ruhe seinen fetten Oberkörper in dem bequemen Lehnstuhl hin und her. Da verliert Celina die Beherrschung. Sie schreit ihrem Verlobten all die schändlichen Taten ins Gesicht, von der ihr Rita auf der gemeinsamen Reise berichtet hat. Júlio sieht seine Verlobte mit verzücktem Blick an. Er mag temperamentvolle Frauen, und beglückt entdeckt er einen bisher nicht gekannten Wesenszug an seiner Braut. „So kann die Ehe mit der reichen Erbin doch noch ganz lustig werden“, denkt er, während ein spöttisches Lächeln um seine Lippen spielt. Celinas scharfer Ton bringt ihn in die Gegenwart zurück. Seine Braut blickt ihm fest ins Gesicht, als sie mit den Worten schließt, sie sehe das Verlöbnis als gelöst an. Langsam hebt Júlio den Kopf. Er hat nun das gefährliche Funkeln in den Augen, das die Bardamen so sehr fürchten. Mit eisiger Stimme hebt er zu sprechen an: „Celina, du hast über deinen Studien wohl vergessen, dass einem brasilianischen Mann noch immer ein Recht auf freie Liebe zusteht! Wie sonst könntest du zu diesem süßen, rothaarigen Bruder gekommen sein?“ Bevor Celina etwas erwidern kann, fährt er mit ironischer Stimme fort: „Zu Beginn unserer Verlobungszeit warst du doch auch nicht so zimperlich! Oder hast du dich einmal gefragt, wie ich all die kostbaren Geschenke für dich finanziere?“ „Nein“, antwortet er, indem er seiner Braut eine Antwort vorwegnimmt. Dann wird seine Stimme so schneidend und kalt, dass Celina ein Schauer über den Rücken läuft: „Wenden wir uns nun dir und deinem Schützling João zu. Ziemt es sich für eine Braut, mit fremden Männern Feste zu besuchen? Beim bingo habt ihr erst kürzlich die Nacht durchgebummelt. Ohne die anderen Male, wo ihr ohne ersichtlichen Grund zusammen aufgetreten seid.“ Júlios Stimme hat einen gefährlichen Unterton. Celinas Gesicht ist von einer leichten Röte überzogen, als sie mit fester Stimme wiederholt, ihr Entschluss sei unabwendbar und sie sei zu weiteren Diskussionen nicht bereit. Weder Celina noch Júlio haben während ihrer hitzigen Debatte bemerkt, dass sich Dom Augusto an seinem Handy zu schaffen macht. Sie werden erst hellhörig, als er mit donnernder Stimme den Chefredakteur der Tageszeitung Liberal zu sprechen wünscht und dies sofort. Mit ruhiger Stimme erklärt Dom Augusto wenig später seinem langjährigen Freund, dass der Liberal wohl einer Zeitungsente aufgesessen sei. Eine Vermählung seiner Enkelin mit Dom Júlio sei weder geplant, noch werde sie stattfinden und selbstverständlich erwarte sein Haus Klarstellung in der nächsten Ausgabe. Natürlich wieder auf der Titelseite. Dom Augusto schmunzelt zufriedenen, als er sein Handy zurücklegt. Mit den Worten: „das werdet ihr mir büßen“, stürmt Júlio aus dem Zimmer. Der Fußboden knarrt unter seinem schweren Schritt.