Читать книгу Verschenktes Schicksal: Arztroman Sammelband 3 Romane - Glenn Stirling - Страница 12

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Nina Norden stand im Waschraum und wusch sich die Hände. Ihr war gar nicht mehr bewußt, wie viele Male am Tag sie diese Prozedur erledigte. Sie konnte gar nicht mehr anders. Wenn sie die Hände gewaschen hatte, fühlte sie sich einen Augenblick lang wohl. Doch dieser Zustand dauerte nicht lange an. Ihr Gesicht wirkte starr und düster. Sie konnte auch nicht mehr lachen. Es war ihr, als schnüre ein dicker Reif ihre Brust ein. Oft rang sie nach Atem und wusste doch, dass ihr Herz gesund war. Daran konnte es also nicht liegen.

Als sie jetzt die Hände trocknete, sah sie es zum ersten Mal und erschrak. An ihren Händen befanden sich kleine Rötungen, eigentlich nicht der Rede wert. Sie wirkten wie kleine Pusteln, auch Hitzepickelchen würde man dazu sagen. Mechanisch begann sie wieder mit dem Waschen. Aber die Rötungen blieben. Nervös ging sie ins Büro zurück und versuchte sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Aber immer wieder starrte sie auf ihre langen schlanken Finger. Die Rötung nahm zu. Noch nicht direkt sichtbar für andere Augen, aber für ihre.

Als die Arbeitszeit endlich vorüber war und sie hinunterging, wartete dort wie immer Sven auf sie.

»Hallo!«

Sie versteifte sich, als er sie in die Arme nehmen wollte.

»Was ist denn?«, fragte er.

»Gar nichts«, antwortete sie hastig.

Sven war Student und liebte Nina. Sie war ein hübsches Mädchen, blond, schlank und sehr intelligent.

»Hör mal, wir sind zu einer Party eingeladen. Du kommst doch mit?«

Nina liebte Sven auch. Aber seit einiger Zeit fühlte sie eine Wand zwischen ihnen. Und sie konnte nicht anders, sie musste ihn kühl behandeln. Wenn er sich dann verletzt zurückzog, weinte sie.

»Heute?«, fragte sie.

»Aber ja, ich habe doch mit dir schon darüber gesprochen. Hast du es vergessen?«

Sie sah ihn an. Er konnte weich und zärtlich sein, einfühlsam. Aber manchmal schaffte nicht einmal Sven es, sie aufzuheitern.

»Was ist denn los?«, fragte er wieder.

»Ich kann heute nicht. Ich würde ja gern mitkommen, aber ich habe Rückenschmerzen«, entschuldigte sie sich.

Er war enttäuscht.

»Du bist unpässlich?«

»Ja«, sagte sie hastig.

Er schaute sie ruhig an.

»Nina«, meinte er ernst, »ich weiß nicht, was mit dir ist. Aber ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, wie oft du in letzter Zeit unpässlich bist?«

Sie erbleichte.

»Ich ... ich weiß nicht, was du meinst«, flüsterte sie.

»Nein?«

»Wirklich nicht, Sven. Ich kann doch nichts dafür, ehrlich nicht.« Sie wurde ungeheuer nervös.

»Du bist immer unpässlich, wenn ich mit dir ausgehen will. Jedes Mal!«

»Aber ...«

»Hör zu, Nina, das ist nicht in Ordnung. Ein junger Mann weiß heute Bescheid, verstehst du. Du kannst nicht vier Wochen im Monat unpässlich sein.«

Sie schlug die Augen nieder.

»Ich kann doch nichts dafür!« Sie war den Tränen nahe.

Sven tat es schon wieder leid, dass er so grob gewesen war. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und schaute ihr in die Augen.

»Gibt es da einen anderen?«, forschte er.

»Nein!«, rief sie erschrocken.

Unwillkürlich musste er lächeln.

»Nun, das wollte ich nur wissen. Komm!«

Sie gingen in den kleinen Stadtpark. Er setzte sich mit ihr auf eine Bank.

»Lass uns mal ganz vernünftig reden, Nina.«

»Tun wir das denn nicht die ganze Zeit?«

Er küsste sie zärtlich und verlangend.

»Ich liebe dich sehr, Nina. Nicht wahr, das weißt du doch, Liebes?«

»Ja ...?«

»Du weißt es immer noch nicht?«

Sie fühlte sich klaftertief fallen und klammerte sich deshalb an den jungen Mann.

»Halt mich fest!«, bat sie. »Sven, halt mich doch fest!« Ihre Stimme bettelte.

»Was ist denn?«

Jetzt kamen doch die Tränen, die sie so lange zurückgehalten hatte.

»Ich weiß es doch nicht«, flüsterte sie qualvoll. »Ich weiß es wirklich nicht.«

»Hör mal, warst du schon mal beim Arzt?«

Ihre Augen wurden riesengroß.

»Beim Arzt?«

»Ja, ich habe dir doch eben gesagt, es ist nicht gut, was du hast. Wirklich nicht. Vielleicht ist es nur eine kleine Störung, Liebes. Du musst unbedingt zum Arzt.«

Ihr Kopf war völlig wirr. Wie sollte sie ihm das nur erklären? Sie war ja gar nicht unpässlich. Sie sagte das doch nur, als Schutzbehauptung, um ...

Sie sprang auf.

»Es tut mir so leid«, stieß sie hervor.

»Wirst du es tun? Ich meine, es doch nur gut für dich, Nina. Wenn du Angst hast, komme ich mit. Ich weiß, viele Frauen haben Angst vor dem Arzt.«

Ihre Lippen zitterten. Er war so lieb, so nett, so zärtlich, und sie war hässlich zu ihm. Sie liebte ihn ja wirklich, sie liebte ihn über alle Maßen. Nina wusste tief im Herzen: Wenn sie sich nicht bald änderte, würde sie Sven verlieren. Aber sie konnte nun einmal nicht über ihren eigenen Schatten springen. Sie konnte sich nicht bloßstellen, konnte nicht über ihre Probleme reden. Sie glaubte, er würde es nicht begreifen. Dadurch blockierte sie sich selbst.

Er brachte sie nach Hause.

»Also, dann bis morgen. Morgen will ich eine Antwort haben.«

Dem jungen Mann war gar nicht klar, was er mit dieser Bedingung anrichtete. Er wusste nicht, wie sehr er sein Mädchen damit unter Druck setzte, der sich aber anders entlud. Und er konnte nicht wissen, weshalb Nina so seltsam war. Vorher war sie doch so rührend und lieb, so leidenschaftlich gewesen.

»Ja«, antwortete sie beklommen.

Während sie in die elterliche Wohnung hinaufstieg, dachte sie: Was soll ich nur tun? Ich kann mich doch nicht von ihm zu einem Arzt begleiten lassen. Ich habe doch nichts! Der Arzt wird es sofort wissen und mich fragen. Wenn ich ihm dann sage, es ist alles in Ordnung, dann ...

Sie verkroch sich in ihr Zimmer. Lesen, Musik hören, das betäubte ihr Gemüt.

Die Mutter kam herein.

»Nun?«, fragte sie.

»Es ist nichts, ich habe nur Kopfschmerzen.«

»Dann kühle deine Stirn.«

Nina erhob sich, kühlte im Bad aber nicht die Stirn, sondern wusch sich wieder die Hände. Das hatte sie bestimmt schon zehnmal getan, seit sie zu Hause war. Ihr wurde das schon gar nicht mehr bewusst.

Kurz vor dem Schlafengehen sah sie dann wieder die hässlich roten Flecken auf ihren Händen. Sie war bestürzt und sprachlos. Das konnte doch unmöglich sein, das durfte es einfach nicht geben! Sie hielt sich doch so sauber! Nur wenn man unsauber ist, bekommt man Krankheiten. Hatte das nicht die Mutter von klein auf immer wieder gepredigt?

Doch bald beruhigte sie sich und sagte sich: Vielleicht kann ich die Seife nicht vertragen.

Als Nina am nächsten Morgen aufwachte, waren die Pusteln an beiden Händen stark entzündet. Sie sahen schrecklich aus. Die Mutter war außer sich.

»Ich verstehe das nicht«, stammelte sie immer wieder. »Ich begreife das nicht.«

»Wie oft habe ich dir gesagt: Halte dich sauber! Du bist ein Mädchen. Man hält sich sauber an Leib und Seele. Man ist anständig!«

»Das tue ich doch, Mutter!«

»Du musst sofort zum Hautarzt.«

»Ja, so kann ich nicht ins Büro.«

»Ich werde dort anrufen.«

Und so begann für das junge Mädchen ein Leidensweg, der sich nicht zum Guten wenden konnte. Mit beiden Händen wurde es ständig schlimmer, trotz der Medikamente und Salben und Tinkturen. In der Öffentlichkeit trug Nina jetzt Handschuhe, und im Büro verkroch sie sich. Das Maschinenschreiben tat ihren Händen weh, aber sie hielt tapfer durch.

Sven war liebevoll und wollte ihr helfen, doch als er begriff, dass es nicht besser wurde, sondern sich nur verschlimmerte, wurde er nachlässiger in seiner Beziehung zu seinem Mädchen. Ein paar Küsse, ein paar Spaziergänge, ein gequältes Gesicht, das hält man auf die Dauer nicht aus. Er holte sie auch nicht mehr so oft vom Büro ab. Und sie verkroch sich mehr und mehr und durchlitt schreckliche Zeiten. Sie konnte noch von Glück reden, dass Sven sie nicht ganz aufgab.

Eines Tages sagte er zu ihr: »Du, ich habe da von einem Arzt gehört, der wirklich gut sein soll. Er hat sogar so etwas wie ein Sanatorium. Es ist gar nicht teuer. Er versucht mit Kräutern zu heilen. Willst du es nicht mit ihm versuchen?«

»Mir kann niemand helfen«, schluchzte sie.

»Wenn du so sprichst, wirst du nie gesund werden, Nina.«

»Ich bin hässlich. Geh doch, wenn du mich nicht mehr ertragen kannst!«

»Du Närrin, dich muss man doch zwingen, dir helfen zu lassen.«

Allmählich merkte Sven natürlich, dass mit Nina etwas nicht in Ordnung war. Doch er schob ihr seltsames Verhalten auf die kranken Hände. Er verstand ja so gut, dass sie sich jetzt nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen wollte. Dazu kam auch der Ärger im Büro. Viele Arbeitskollegen stießen diese Hände ab und mieden Nina, weil sie glaubten, dies wäre eine ansteckende Krankheit.

»Du musst wirklich dorthin, Nina, sonst weiß ich mir auch keinen Rat mehr.«

Sie war gebrochen. Und Sven dachte: Wenn es so weitergeht, dann stirbt meine Liebe zu ihr. Es ist ungeheuer schwer für mich. Warum begreift sie eigentlich nicht, dass ich ihr helfen will?

Noch war Nina nicht bereit, sich helfen zu lassen.

Sven unterhielt sich mit einem Freund darüber, der Nina ebenfalls kannte.

»Du musst sie schocken«, riet er.

Sven blickte ihn groß an.

»Wie denn das?«

»Nun, du willst doch nur ihr Bestes, nicht wahr?«

»Aber sicher!«

»Die Medikamente helfen ihr nicht. Im Gegenteil, ich habe das Gefühl, dass dadurch ihr Ausschlag nur noch schlimmer geworden ist.«

»Das Gefühl habe ich auch. Und wer weiß, was sie noch alles in sich hat.«

»Wir müssen sie vor die Wahl stellen. Sie muss einfach begreifen lernen, dass es so nicht weitergeht.«

»Ich rede mir den Mund schon fransig, aber sie hört mir, glaube ich, gar nicht zu.«

»Dann sag ihr, dass du sie verlässt.«

Sven legte seinen Kopf schief.

»Aber - meinst du nicht, dass sie dann völlig zerbricht?«

»Vielleicht nicht.«

»Es ist verdammt schwer. Versetze dich mal in ihre Lage!«

»Das tue ich doch. Sie wird es schon packen.«

Sven war mutlos geworden.

»Und wenn nicht?«

Der Freund blickte ihn ruhig an.

»Du meinst, wenn sie das ihr ganzes Leben lang mit sich herumschleppen muss?«

»Ja, genau das meine ich. Sie kann doch nicht ewig Handschuhe tragen.«

»Es ist nicht einfach für dich, Sven. Aber wir dürfen nicht die Hoffnung aufgeben.«

Er grübelte.

»Woher hast du diese Adresse eigentlich?«

»Ach, von einer älteren Frau aus unserem Haus. Ihre Freundin ist Krankenschwester bei dem Arzt. Sie hat auch der Frau schon so manchen Tipp gegeben. Sie hat Nina mal gesehen, mit den Handschuhen, und hat mich gefragt. Nun ja, mehr weiß ich auch nicht.«

»Wir müssen sie hinbringen.«

»Ich weiß nicht ... Wir setzen so viel Hoffnung in diesen Arzt. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wo sie schon überall damit war. Und niemand hat ihr geholfen. Nina hat treu und brav alles eingenommen, eingestrichen und ihre Hände gebadet. Nichts hat geholfen.«

»Wir können uns erst weiter den Kopf zerbrechen, wenn sie bei ihm gewesen ist.«

Sven fuhr sich mit den Händen durchs Haar.

»Ja, ich glaube, du hast recht.«

Verschenktes Schicksal: Arztroman Sammelband 3 Romane

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