Читать книгу Verschenktes Schicksal: Arztroman Sammelband 3 Romane - Glenn Stirling - Страница 14
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ОглавлениеBritta telefonierte.
»Einen Augenblick, ich melde mich sofort wieder«, sagte sie und legte den Hörer zur Seite.
Dr. Bernstein hob den Kopf.
»Gibt es Schwierigkeiten?«
»Hier ist eine junge Frau, die gern aufgenommen werden möchte.«
»Geben Sie her!«, sagte der Arzt und streckte die Hand nach dem Telefonhörer aus. Als er sich meldete, stotterte Nina am anderen Ende etwas zusammen. Britta hörte den jungen Arzt sagen: »Kommen Sie her! Ich werde dann entscheiden, ob Sie hierbleiben müssen oder nicht. Ich lege keinen großen Wert darauf, mein Haus belegt zu haben. Wir werden das an Ort und Stelle entscheiden.« Dann lauschte er noch ein wenig und legte dann den Hörer auf den Apparat zurück.
»Eine gewisse Nina Norden wird sich bei uns melden.«
»Soll ich eine Karte anlegen?«
»Das hat noch Zeit. Ich weiß ja nicht, ob sie auch tatsächlich kommt.«
Britta sagte ruhig: »Ja, ich weiß. Für viele sind wir nur der letzte Ausweg, gleichermaßen die Endstation. Warum kommen die Leute nicht früher?«
Bernstein lächelte sie an.
»Britta, das müssen Sie die Patienten fragen.«
Sie errötete.
In diesem Augenblick betrat Frau Dr. Losse das Sprechzimmer. Als sie die beiden sah, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Britta liebte den Arzt!
Bettina dachte: Ach, jetzt verstehe ich sie erst. Ich dachte schon, ich hätte ihr etwas getan. Sie ist traurig, weil ich hier bin.
Britta hielt sie für eine Rivalin. Bettina Losse horchte in sich hinein. Nein, das war sie ganz und gar nicht. Sie wollte hier nur ihrem Beruf nachgehen. Bernstein liebte sie nicht, und sie liebte ihn nicht. Bettina dachte: Ich bin kein Mensch, der für die Liebe geboren ist. Ich mache mir nichts aus Männern. Wenn man mich nur in Ruhe arbeiten lässt, das ist alles, was ich mir wünsche. Ob ich mal mit Britta rede, überlegte sie. Vielleicht könnten wir sogar Freundinnen werden.
Jetzt bemerkte Dr. Bernstein die Kollegin.
»Treten Sie näher!«, forderte er sie auf.
»Gibt es etwas Besonderes?«
»Wahrscheinlich bekommen wir einen neuen Fall.«
Das bedeutete: Es kam jemand, der mit einer Krankheit behaftet war, die sie hier noch nicht behandelt hatten. Das hieß dann auch, dass man Bücher wälzen musste, sich auf ein Neuland begeben musste.
»Warten wir es ab! Vielleicht kommt sie auch gar nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich weiß nicht, in ihrer Stimme war etwas, das keine Sicherheit zuließ.«
»Sie hat also keinen Mut mehr?«
»So ungefähr möchte ich mich damit ausdrücken.«
Bernstein erhob sich.
»Die Sprechstunde ist geschlossen, gehen wir also nachsehen, was es zu essen gibt. Sie bleiben doch zum Essen, Frau Losse?«
Sie lächelte leicht.
»Ich habe mich bereits angemeldet.«
»Und Lydia und Johanna?«
»Sie haben viel zu viel zu tun und merken sicher nicht, dass ich fehle.«
»Ach, was haben sie denn zu tun?«
Bettina lachte, und wieder stellte der junge Arzt insgeheim fest, wie hübsch sie war.
»Paul entnervt sie.«
»Paul? Mein erster Patient in der Villa Botanica?«
»So ist es! Und Lydia hat gemurmelt, sie würde mit Ihrem Vater ein Wörtlein reden müssen.«
»Ach? Was hat der denn verbrochen?«
»Paul soll doch Spitzwegerich suchen, nicht wahr? Und das dreimal täglich!«
»Ja, sicher, und das tut er auch fleißig.«
»Dabei entdeckt er nur immer wieder neue Brombeerbüsche und pflückt sie kahl. Die Beeren bringt er dann den beiden Damen. Frau Maria kann sich darum nicht kümmern, also müssen die beiden anderen Marmelade oder Saft daraus gewinnen. Und das ist eine Arbeit!«
»O je, dann darf ich mich wohl vorläufig nicht drüben blicken lassen, wie?«
»Schleichen Sie nur durch das kleine Tor zum Haus hin!«
»Ich hab’ doch gewusst, dass der Paul es dick hinter den Ohren hat«, rief Dr. Bernstein schmunzelnd.
»Seine Wunde aber macht ausgezeichnete Fortschritte in der Heilung.«
Dr. Bernstein blieb stehen und horchte auf.
»Wirklich? Ist das wahr?«
»Sicher! Ich wollte es nicht sofort glauben, aber ich habe das Gefühl, sie fängt an zu heilen.«
Dr. Bernstein strahlte.
»Wissen Sie eigentlich, Kollegin, wie lange er schon diese offene Stelle am Fuß hat?«
»Nein, das ist mir nicht bekannt.«
»Fünf Jahre.«
»Oh!«
»Ich glaube, dass auch diese vielen Wanderungen seiner Heilung zugute kommen. Und der Blutreinigungstee hilft von innen. Übrigens auch seine Einstellung zur Krankheit. Jetzt, da er die beiden Frauen ärgern kann, hat er keine Zeit mehr, sich auf seine Füße zu konzentrieren.«
»Etwas Ähnliches hat Paul selbst auch schon gesagt. Aber da ist noch etwas ...«
»Ja?«
»Josefa ...«
»Wer, zum Teufel, ist denn Josefa?«
»Die Mutter des Bürgermeisters. Sie malt doch.«
»Ich wusste gar nicht, dass sie Josefa heißt.«
»Paul traktiert sie, wo er nur kann.«
»O je, dann ist er so gesund, dass wir ihn heimschicken müssen.«
»Nein, nein, nicht was Sie meinen. Er möchte malen lernen, und sie soll es ihm beibringen.«
Dr. Bernstein brach in helles Gelächter aus.
»Und Frau Huber?«
»Sie ist noch so verwirrt, dass sie schweigt.«
»Das soll wirklich etwas heißen. Sie glauben ja gar nicht, was die für ein Mundwerk hatte.«
»Na, nun wissen Sie also die Neuigkeiten aus der Villa. Aber jetzt möchte ich gern essen.«
Als sie die Küche betraten, sahen sie den Korb, der dort stand. Paul beehrte also auch die Damen im Arzthaus.
»Wenn das so weitergeht, sind wir bald Selbstversorger«, meinte er schmunzelnd.
Während dieser Unterhaltung war Britta still im Hintergrund geblieben. So war es schon immer gewesen. Wenn man sie nur nicht fortschickte, mehr verlangte sie gar nicht.
Sie ließen sich alle am Tisch nieder.
»Werden wir bald mehr Patienten bekommen?«, fragte Frau Bernstein, Achims Mutter.
»Möglicherweise kommt ein junges Mädchen«, berichtete der junge Arzt.
»Weißt du vielleicht, wogegen Brombeeren gut sind, das heißt, bei welchen Leiden man sie einsetzen könnte?«
»Ich werde gleich nachsehen, und dann sage ich es dir.«
»Fein, mein Junge.«
Wenig später kam Achim zurück.
»Ist es wirklich eine Heilpflanze?«, fragte seine Mutter.
»Aber sicher! Und zwar eine sehr gute. Bei der Heiligen Hildegard von Bingen habe ich eine Menge darüber gelesen. Halsschmerzen, Grippe, Infektionen des Zahnfleisches, außerdem wirksam gegen viele Hautkrankheiten und Weißfluss.«
»Das trifft sich ja gut«, meinte Frau Dr. Losse zuversichtlich. »Wir wissen, dass uns möglicherweise bald ein Mädchen mit einer Hautkrankheit aufsuchen wird, und nun wissen wir bereits, was wir ihr verabreichen müssen.«
»So einfach ist es leider nicht, Frau Kollegin. Aber wir werden ja sehen. Erst einmal muss sie da sein.«
Dr. Bernstein zog sich nach dem Essen zurück, und auch die anderen gingen irgendeiner Arbeit nach.
Dies war Brittas liebste Stunde. Sie ging dann in den Garten hinaus und freute sich an den vielen Kräutern und Blumen. Vater Bernstein hatte wirklich ein kleines Schmuckkästchen geschaffen. Wenn man zurückdachte an die ehemalige Wildnis, musste man anerkennen, dass er eine gute Hand hatte.
Plötzlich hörte sie hinter sich ein Geräusch. Als sie sich umdrehte, sah sie Frau Dr. Losse kommen. Sie runzelte die Stirn. Verstand die Ärztin nicht, dass sie gern allein sein wollte? Auch sie musste einmal abschalten.
Bettina spürte diese Abwehr wohl, und sie wollte sie abstellen. Überall war man ihr mit viel Freundlichkeit entgegengekommen - jetzt musste sie sich mit Britta unterhalten.
»Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, dass ich Sie in Ihrer Freizeit störe?«
Britta schwieg.
»Sollen wir uns dort drüben unter die alte Weide setzen? Ich weiß, das ist Ihr Lieblingsplatz. Ich habe Sie schon oft dort gesehen.«
»So«, meinte Britta leise, die nicht wusste, was die Ärztin von ihr wollte.
Hier waren sie weit genug vom Haus entfernt, so dass man ungestört reden konnte. Bettina wandte sich dem jungen Mädchen zu.
»Für Sie bin ich ein Eindringling, nicht wahr?« Britta errötete. »Sie brauchen mir nichts zu sagen. Ich weiß es. Aber ich möchte Ihnen hier und jetzt versichern: Das bin ich wirklich nicht. Sehen Sie, ich bin einzig und allein an meiner Arbeit interessiert und sonst an gar nichts. Diese Arbeit ist für mich sehr wichtig. Und ich hoffe, dass sie mir sehr viel bringen wird. Es ist einfach viel zu wichtig, als dass ich damit aufhören würde.«
Britta blickte sie erstaunt an.
»Aufhören?«
»Ja, sehen Sie, ich möchte Sie nicht unglücklich machen. Aber wenn Sie denken ...«
Britta starrte blicklos vor sich hin. Bettina fühlte, dass es nicht einfach war, mit ihr zu reden. Aber war sie denn selbst einfach in ihrem Wesen? Hatte sie denn nicht auch ein Bündel Probleme, die sie noch nicht abgelegt hatte?
»Ich werde niemals heiraten«, sagte sie ruhig.
Britta starrte sie an. Bettina lächelte in die ungläubigen Augen.
»Sie können nicht wissen, dass man mir das Heiraten so gründlich verleidet hat, dass ich einen Horror davor habe. Ich mag keine Männer, das heißt - mit ihnen zusammenarbeiten, das ist gut, aber mehr nicht.«
Britta atmete ganz flach.
»Warum, warum sagen Sie mir das alles?«
Bettina lächelte leicht.
»Ich möchte, dass Sie mir vertrauen, Britta. Mehr nicht. Ich möchte nicht, dass Sie denken, ich mischte mich hier ein, oder ...«
Schweigen zwischen den beiden Frauen. Schließlich sagte Bettina: »Es war meine Mutter, wissen Sie!« Und ehe sie sich’s versah, erzählte sie dem jungen Mädchen alles über sich. Natürlich schämte Britta sich, als die Ärztin geendet hatte.
»Verstehen Sie mich?«, fragte das junge Mädchen. Mit flimmernden Augen blickte sie zum Doktorhaus zurück.
»Es ist so«, stammelte sie leise, »ich sehe dies schon ganz als meine Heimat an. Ich bin hier glücklich, und ...«
»Aber warum haben Sie denn Angst, dass Sie nicht immer hierbleiben können?«
»Wenn eine Frau ins Haus kommt - ich meine, er verdient doch nicht so viel, und für alles gibt es hier bereits Menschen - wenn eine Frau dazukommt, könnte sie doch leicht meine Arbeit übernehmen.«
»Ist es nur das?«
Britta knetete ihr Taschentuch. Bettina legte für einen Augenblick ihre Hände über die der Nachbarin.
»Ich verstehe schon, man kann darüber nicht reden. Ich weiß auch zu wenig.«
»Ich wünsche nur, dass er sehr glücklich wird«, brachte Britta schließlich gepresst hervor.
»Wie sehr müssen Sie ihn lieben«, stellte die Ärztin fest. Doch Britta fiel in sich zusammen. »Vielleicht wird er es auch einmal bemerken«, meinte Bettina, um dem jungen Mädchen Mut zu machen. Britta blickte sie flehend an.
»Ich bitte Sie!«
»Ich stehe auf Ihrer Seite, Britta. Sind wir uns jetzt einig?«
»Sie wollen ihm also auch nur helfen?«
»Ja, er ist ein wundervoller Mensch. Aber Sie wissen nun auch, dass ich nicht die richtige Frau für ihn bin. Ich könnte ihm einfach nicht das geben, was Sie ihm geben können. Ich bin innerlich zu sehr zerrissen.«
»Hätten wir doch nur schon früher miteinander gesprochen.«
»In Zukunft werden wir es uns beide vornehmen, nicht wahr? Aber jetzt muss ich zurück.«
Britta blickte der jungen Ärztin nach. Vor einer Stunde habe ich sie noch brennend beneidet, dachte sie, und jetzt weiß ich, dass sie auch arm dran ist. Wie sehr man sich doch in Menschen täuschen kann, wenn man nie versucht, in ihre Herzen zu schauen.
Sie erhob sich und ging langsam ebenfalls auf das Haus zu.