Читать книгу Verschenktes Schicksal: Arztroman Sammelband 3 Romane - Glenn Stirling - Страница 19
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ОглавлениеDr. Bernstein suchte Britta. Er fand sie im Garten bei seinem Vater. Willy war auch dort. Willy liebte Dr. Bernstein innig. Er war geistig etwas zurückgeblieben, aber den Arzt kümmerte das nicht. Willy arbeitete im Garten mit und bekam dafür einen Lohn. Er war ein guter Junge. Jetzt sah Achim Willy nur kurz an; er wandte sich gleich an Britta.
»Wie ist es? Haben Sie es sich überlegt?«
»Wollen Sie denn immer noch mit mir ausgehen?«
»Jetzt erst recht. Es ist alles ruhig. Wenn wir uns gleich auf die Strümpfe machen, kann uns nichts aufhalten. Das ist der Vorteil, wenn man zu zweit ist.«
»Ich bin gleich soweit.«
»Machen Sie sich hübsch, ja?«
Britta eilte nach oben. Sie hatte sich vor einiger Zeit ein Kleid gekauft und noch nicht getragen. Ihr Herz hatte sie gedrängt, es zu kaufen; es stand ihr vorzüglich.
Dr. Bernstein wartete schon an seinem Wagen, als sie schließlich herunter kam. Sonst ließ sich niemand blicken, um die beiden abfahren zu sehen. Aber er ahnte ja nicht, dass man hinter den Gardinen stand und sie heimlich beobachtete.
Agnes meinte in bärbeißigem Ton, als sie Britta hinaustreten sah: »Wenn er das nicht sieht, dann sage ich ihm morgen früh, er soll sich eine Brille verschreiben lassen.«
Vater und Mutter Bernstein und Maria Ansbach lachten herzlich auf.
Mit klopfendem Herzen stieg Britta ins Auto; sie war selig. Endlich hatte sie ihn für sich allein! Einen ganzen langen Abend! Bald fuhren sie der Stadt entgegen. Zuerst gingen sie köstlich essen. Bernstein bemerkte natürlich die Schönheit des Mädchens und musste an die Zeit denken, als sie krank und hässlich gewesen war. Sie war seine erste Patientin gewesen. In seinen Augen blitzte es auf, als er sie so vor sich sah. Aber nicht nur, weil er stolz auf sich sein konnte, das erreicht zu haben, sondern einfach, weil er ihr Begleiter war.
Und ganz plötzlich wollte er wissen, warum sie nicht den Apothekersohn genommen hatte. Er hatte sich doch mit ihr verlobt.
»Ich wollte nie, aber ich mochte ihn nicht verletzen«, sagte sie mit leiser Stimme.
»Ach, das ist ja ... Und warum nicht?«
Der Wein war ihr ein wenig zu Kopf gestiegen.
»Nun, weil ich halt einen anderen mag. So einfach ist das.«
Achim spürte einen merkwürdigen Stich im Herzen und lehnte sich zurück. War er überarbeitet, dass jetzt sein Herz ein wenig verrückt spielte? Der Stich aber blieb, und er fühlte sich gleichzeitig recht traurig dabei.
»So«, sagte er leise, »da habe ich ja wirklich Glück, dass ich heute die Ehre habe, Sie ausführen zu dürfen, wie?«
»Ja«, sagte sie vorsichtig.
»Darf man den Glücklichen denn mal kennenlernen?«
Britta schaute ihn an.
»Aber den kennen Sie doch schon lange!« Sie rief es fast.
Der Stich schmerzte stärker. Bernstein ging im Geiste alle jungen Männer in seiner Nähe durch und nannte sie. Doch Britta schüttelte immer wieder den Kopf.
Dann begann die Band zu spielen.
»Wollen wir tanzen?«, fragte er.
Statt einer Antwort erhob sie sich. Wie eine Feder lag sie in seinem Arm. Er hielt sie umfangen und dachte: Wer dieses Mädchen bekommt, kann sich glücklich preisen.
Die Wunde im Herzen schmerzte unerhört. Und dann, plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Er war nicht überarbeitet - er liebte sie! Ja, er hatte sich in Britta verliebt! In das herrlichste Mädchen, das er kannte. Und kam zu spät!
Er biss sich auf die Lippen. Wenn das nicht gemein vom Schicksal war. Doch dann schalt er sich selbst. Wie lange war sie um ihn herumgegeistert, und er hatte sie nie wirklich gesehen. Andere haben es also die ganze Zeit getan, dachte er. Er hielt sie fest an sich gedrückt, und sie gab diesem Druck nach. Sie lehnte sich an ihn; ihr Herz war butterweich. Sie hätte die Arme um seinen Hals legen mögen, ihn an sich ziehen, ihm sagen ... Oh, dachte sie, wie sehr klopft mein Herz. Mir ist schon richtig schwindelig. Ich glaube, ich falle gleich. Er darf nichts merken, ich darf es nicht als Erste sagen. Nein - nein!
Achim beugte seinen Kopf ihr zu.
»Was ist?«, fragte er und schaute ihr in die Augen.
»Ein wenig schwindelig«, flüsterte sie.
»Ach, das wird der Wein sein. Sollen wir uns ein wenig setzen?«
»Ja, sonst purzle ich vielleicht noch hin.«
»Keine Sorge, kleiner Schmetterling, ich werde Sie schon aufhalten.«
Sie zitterte wie ein Blatt im Wind, als er sie zum Tisch zurückführte. Der Wein und die Liebe ließen sie von innen her erstrahlen. Sie sah bezaubernd aus. Unwillkürlich nahm Achim ihre Hände und hielt sie fest. Sie gaben ihm Halt, Trost und Zuversicht. Doch er dachte: Das alles steht mir ja gar nicht zu.
»Werden Sie es mir heute sagen?«
Ihre Augen waren klar wie ein Bergsee. So tief und so hell!
Er fiel hinein und brauchte eine Weile, um wieder an die Oberfläche zu gelangen. Und während der ganzen Zeit hielt er ihre Hände. Dabei zählte er aus Gewohnheit unwillkürlich ihren Puls. Plötzlich stockte sein Herz. Aber - das gibt es doch nicht, dachte er erschrocken. Wenn das stimmt, dann muss sie gleich einen Herzschlag bekommen. Der Puls rast ja wie wild!
Blitzschnell vergewisserte er sich noch einmal. Ja, es war so! Ihr Puls jagte, und sie saß vor ihm und lächelte ihn an.
Er fiel in einen Brunnen, tauchte empor und hörte plötzlich Agnes und seine Mutter, die das Mädchen entschlossen verteidigten und unverständliche Andeutungen machten. Gar nichts hatte er verstanden.
Was hatte Britta gesagt? Ich kenne ihn schon lange?
Ich bin es! Sie liebt mich!, erkannte er. Augenblicklich war der schmerzhafte Stich verschwunden, und sein Herz war leicht wie ein Wölkchen im Sommerwind.
Ihr Puls rast, weil ich ihre Hände halte! Ihr Puls rast, weil ich ihr in die Augen schaue! Und weil wir uns so nah sind, verbrennt sie in meiner Nähe - und ich merke es erst jetzt.
Sein Blick vertiefte sich in ihre Augen. Dann hob er ganz sanft ihre Hände, und küsste zärtlich jeden einzelnen Finger. Brittas Augen verdunkelten sich merklich. Er hob seinen Blick zu ihr empor.
»Sag, dass ich ein ausgemachter Trottel bin!« Ihre Augen weiteten sich. »Sag es, und sag auch, dass ich ein schrecklicher alter Esel bin!«
Hastig entzog sie ihm ihre Hände und lehnte sich zurück.
»Ich weiß nicht, ich ...«
Der Schalk saß ihm in Nacken.
»Du meinst mich, nicht wahr?«, flüsterte er.
Tiefes Rot überzog das feine Gesicht.
»Aber, ich habe doch nichts gesagt, gar nichts«, stammelte sie.
»Nein, hast du nicht. Aber ich weiß es trotzdem.«
»Aber wieso denn? Woher?«
»Ich habe deinen Puls gezählt«, verriet er.
Verwirrt blickte sie ihn an.
»Ich verstehe das nicht.«
Er lachte leise auf.
»Liebste Britta, zur Erklärung dieses Pulses gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder liebst du mich, oder du bist kurz vor einem Herzinfarkt, und dann muss ich dich sofort auf die Intensivstation bringen.«
»Oh ...«, stöhnte sie.
»Was soll ich also als pflichtbewusster Arzt tun?«
Jetzt war ihr erst recht schwindelig. Sie hatte sich verraten, und jetzt machte er sich womöglich lustig über sie. Sie schloss die Augen, fühlte sich hilflos und entsetzlich allein.
Eine Bewegung entstand. Nein, sie konnte ihn nie mehr ansehen. Jetzt, da er ihr Geheimnis wusste, musste sie fort von ihm. Da fühlte sie Arme, die sich um sie legten. Er bog ihren Kopf zurück und küsste sie weich und verlangend.
Sie bäumte sich auf.
»Bist du verrückt«, schimpfte sie. »Wir sind hier in einem Lokal!«
Doch seine Augen lachten sie an.
»Jetzt hast du auch du zu mir gesagt!«
»Wirklich?«, stammelte sie.
»Was ist dir denn? Britta, was ist denn los? Du bist so bleich.«
»Ich wollte es nicht zeigen, ich habe mich so sehr bemüht, die ganze Zeit.«
»Freu dich, dass ich Arzt bin, sonst hätte ich es vielleicht nie erfahren«, meinte er trocken.
Sie blickte ihn an.
»Närrchen, hast du Angst vor mir?«
Sie schien seinem Blick auszuweichen.
»Weißt du, seit vorhin, als du mir erzähltest, du würdest einen anderen lieben, habe ich wie auf einem glühenden Rost gesessen. Das war wirklich kein sehr schönes Gefühl.«
»Wieso denn?«
»Vor Eifersucht, mein Liebes. Versteh doch endlich!«
Sie strahlte ihn an.
»Gehen wir woanders hin? Hier kann man sich nicht richtig unterhalten«, meinte er.
Britta war sofort einverstanden. Sie fühlte sich wie im siebten Himmel.
Die beiden hatten sich jetzt viel zu erzählen. Und die Erkenntnis seiner Liebe schien allen Ballast von Achim Bernsteins Seele zu werfen. Er fühlte sich frei und unbeschwert. Und mit Entzücken stellte er fest, dass Britta genauso ausgelassen und übermütig war. Ja, dies war wirkliche Liebe, nicht jene Gefühle, die er für Veronika empfunden hatte. Jetzt erst begriff er den Unterschied völlig.
Er fuhr ihr mit allen zehn Fingern durch die Haare und küsste sie leidenschaftlich. Sie saßen im Wagen und hatten es gar nicht eilig, heimzukommen.
»Weißt du was, wir ärgern sie daheim ein wenig, ja?«
Britta lachte.
»Aber wieso denn?«
Er klagte ihr sein Leid.
»Sie halten mich in dieser Beziehung alle für einen ausgemachten Trottel. Nun, so lasse ich sie ein wenig schmoren.«
Als sie ihm versicherte, dass man bestimmt recht hätte damit, entstand eine wilde Rangelei im Auto. Doch dann wurde er wieder ernst.
»Wir lassen im Augenblick alles wie gehabt. Bist du einverstanden?«
Sie liebte ihn so sehr, dass sein Wunsch ihr Befehl war.
»Wenn du es willst.«
»Und du wirst dich nicht verraten?«
»Nein.«
Er legte den Arm um sie.
»Ach, Britta, ich glaube, jetzt fängt mein Leben erst richtig an. Jetzt spüre ich erst, was ich die ganze Zeit vermisst habe.«
»Kann ich dir wirklich so viel geben?«
»Da fragst du noch?«
»Aber ich bin nur ein dummes Mädchen und habe nicht einmal Geld. Ich bin all das, was sich eine Mutter für ihren Sohn nicht wünscht.«
»Du bist ein Mädchen mit goldenem Herzen. Nur das zählt. Und wenn du denkst, meine Mutter könnte unsere Verbindung nicht beglückwünschen, dann bist du auf dem Holzweg.«
Sie war so glücklich, dass sie hätte weinen können.
Erst lange nach Mitternacht fuhren sie heim und schlichen leise die Treppe hinauf.