Читать книгу Verschenktes Schicksal: Arztroman Sammelband 3 Romane - Glenn Stirling - Страница 22
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ОглавлениеFrau Losse hatte damit gerechnet, ihre Tochter gleich im ersten Augenblick einschüchtern zu können. Aber nun kam sie nicht mehr, und sie konnte sie nicht mehr unter Druck setzen. Dafür kam der junge Arzt, der ihr in der Tat das Leben recht schwer machte.
»Sie haben sich hier einweisen lassen und wünschen, gesund zu werden. Ich habe Ihre Akte studiert, also ist es jetzt meine Pflicht, es auch zu versuchen.«
Und dann legte er los. Sein Kollege aus der Stadt hatte sich die Bosheit nicht verkneifen können, dem jungen Kollegen mitzuteilen, dass die Patientin gesund wie ein Ross sei - auch ihr Herz.
Als Erstes erhielt sie Wasseranwendungen verordnet. Dann wurde sie dazu angehalten, morgens Tau zu treten, und auch turnen musste sie. Dann wurde ihr Körnerkost verordnet. Da sie immer noch nicht gewillt war, unten zu essen, stellte man ihr die Körner und was dazugehörte in ihr Zimmer. Eine volle Tagesration. Und das wurde ihr auch gebracht, während sie unten in der Sauna saß.
Die alte Dame kam aus dem Schwitzen nicht mehr heraus. Als sie einmal aufbegehrte, sagte Dr. Bernstein unmissverständlich: »Es gibt nur zwei Sorten von kranken Menschen. Die einen sind wirklich krank und versuchen alles, um gesund zu werden, die zweite Sorte sind Hypochonder und wollen gar nicht gesund werden. Es liegt also bei Ihnen, zu welcher Gruppe sie gehören möchten. Aber ich sehe schon, Sie sind eine intelligente Frau, und solche haben gar keine Zeit, sich um Krankheiten zu kümmern; sie empfinden sie als Last. Nicht wahr, Sie sind froh, wenn Sie bald wieder aktiv und dynamisch sein können. Sie sind klug genug, um zu wissen, dass das Unterbewusstsein eingebildete Krankheiten sehr schnell aufnimmt und man sich den Lebensfaden damit selbst abschneidet. Ja, diese armen Menschen sterben oft zwanzig Jahre früher, als sie eigentlich müssten. Aber Ihnen brauche ich das ja nicht zu sagen. Sie sind eine so kluge Frau!«
So einen direkten Hinweis hatte man ihr noch nie präsentiert. Und was noch viel schlimmer war: Sie hatte zwischendurch gar nicht zu Wort kommen können. Als sie endlich begriff, was er ihr sagte, schloss sich ihr Mundwerk ohnehin, denn sie wollte nicht als solche gelten.
Doch kaum hatte der junge Arzt das Zimmer verlassen, erfasste der Ärger sie. So hatte man sie noch nie behandelt. Ei, das wirst du mir noch büßen, Doktorchen, dachte sie grimmig.
Und schon hing sie am Telefon und verlangte von ihrem Anwalt, er möge sich unverzüglich zu ihr in Bewegung setzen. Doch dieser Mann war froh, sie so weit entfernt zu wissen, außerdem musste er in der Tat einige Gerichtstermine wahrnehmen. Deshalb versprach er ihr in höflichem Ton, in fünf Tagen zu erscheinen. Das erboste die Frau noch mehr.
Aber was sollte sie in der Zwischenzeit tun? Sie musste das Programm durchlaufen, das der Arzt angeordnet hatte - wenn sie die anderen auch grinsen sah. Klein beigeben? Eine Losse gab sich nie geschlagen! Und sie sagte sich: In ein paar Tagen seid ihr alle hier von der Bildfläche verschwunden. Alle! Dann werde ich lachen!
Als sie Frau Dr. Losse verlangte, sagte Dr. Bernstein ruhig: »Sie sind eine Privatpatientin, und ich bin der Chef hier, also haben Sie das Recht, nur von mir behandelt zu werden.«
»Sie können bei mir ruhig eine Ausnahme machen, Herr Doktor.«
»Es tut mir leid, aber meine Kollegin muss wichtigere Dinge erledigen.«
Das Blut schoss ihr in die Wangen.
»Wichtigere Dinge?«
»Ja, wir haben einige sehr ernste Fälle, verstehen Sie. Von der richtigen Behandlung kann unter Umständen ein Menschenleben abhängen.«
»Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?«, fragte die Frau.
»Natürlich«, meinte er ruhig. »Sie sind Frau Losse, Dr. Losses Mutter.«
»Ich bin sehr reich und habe viel Macht!«
Doch nicht einmal das machte Eindruck auf ihn.
»So?«, meinte er gelassen. »Dann wundert es mich, dass Sie zu mir gekommen sind. Wissen Sie nicht, dass ich ein schwarzes Schaf unter den Ärzten bin?«
Bei diesem jungen Arzt zog sie immer den Kürzeren; also war es nicht gut, wenn sie das Gespräch vertiefte.
»Ich muss hinunter«, schnitt sie deshalb diese Diskussion ab. »Man wartet mit den Güssen auf mich.«
»Sie sehen schon viel jünger und entspannter aus, gnädige Frau.«
Welche Frau ist nicht für Komplimente zu haben? Sie starrte ihn erstaunt an.
»Schauen Sie sich doch mal im Spiegel an!«
Tatsächlich! Sie sah wirklich viel besser aus. Die Haut war straff geworden, die Augen glänzten, und auch ihre Haltung wirkte jugendlich.
»Wenn Sie so fleißig mithelfen, werden wir es bald geschafft haben.«
Bevor sie antworten konnte, war er gegangen.
»Auf solche billigen Tricks falle ich nicht herein«, sprudelte sie wütend hervor. »Der wird sich noch wundern!«