Читать книгу Verschenktes Schicksal: Arztroman Sammelband 3 Romane - Glenn Stirling - Страница 18
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ОглавлениеBettinas Mutter saß im Wintergarten und war wie immer ungeduldig. Endlich hörte sie das Mädchen.
»Ihr Anwalt ist da, Frau Losse.«
»Soll reinkommen!«
Der Mann war in Ehren ergraut und kannte die Frau sehr lange. Ihre Launen machten ihm nichts mehr aus. Er wollte nur noch in Frieden leben und bot ihr auch mal Paroli, wenn es sein musste. Ihn konnte man nicht kaufen, und das war auch ein Grund dafür, dass er immer noch ihr Anwalt war.
»Nun, haben Sie etwas herausgefunden?«, fragte sie.
»Ja, sonst wäre ich ja nicht hier.«
»Und? Reden Sie schon!«
»Warum lassen Sie Ihre Tochter nicht zufrieden? Sie wird bald dreißig.«
»Sie ist nicht fähig, richtig zu leben, deshalb muss ich mich um sie kümmern.« Er sagte nichts. »Einen genauen Bericht will ich haben.«
»Ihre Tochter ist auf dem Land bei einem Arzt, der andere Wege zu gehen pflegt. Wie ich jetzt gehört habe, soll er auch so etwas wie ein Sanatorium aufgemacht haben. Von vielen seiner Kollegen wird er belächelt, in ihm sieht man keine Gefahr.«
»Typisch Bettina!«, schimpfte die Frau. »Jetzt sehen Sie doch selbst, dass sie nicht in der Lage ist, zu wissen, was für sie gut ist.« Der Anwalt schwieg. »Wo befindet sich der Laden?«
Er nannte die kleine Stadt.
»Und was schlagen Sie vor?«, fragte Frau Losse den Anwalt.
»Ich schlage gar nichts vor.«
Sie starrte ihn an.
»Sie soll also dort bleiben?«
»Warum nicht?«
»Zum Gespött der Leute? Ich denke nicht daran! Sie haben mir doch eben selbst gesagt, dass dieser Arzt keinen guten Ruf hat. Und wie ich die Männer kenne, ist er nur auf ihr Geld aus. Glaubt wohl, ein goldenes Vögelchen an der Schnur zu haben. Er wird sich wohl mit ihr sanieren wollen, wie? Um dann ganz groß dazustehen!« Der Anwalt hörte sich alles schweigend an. »Dieser feine Herr wird sich wundern! Nicht mit mir! Ich lasse das nicht zu!«
»Ihre Tochter ist volljährig«, erinnerte der Anwalt sie.
»Das weiß ich auch!«
Sie überlegte.
»Ich werde das unterbinden. Jawohl, auf der Stelle muss ich das unterbinden!«
»Und was gedenken Sie zu tun? Sich krankstellen? Ich glaube, Fräulein Bettina wird diesmal nicht zu Ihnen kommen.«
»So dumm bin ich nicht, dass ich zweimal das Gleiche tue. Nein, ich werde krank sein, ja mein Lieber, ich werde krank sein und in dieses Sanatorium gehen. Und wenn ich erst einmal an Ort und Stelle bin, dann sehe ich weiter. Sie werden sehen, in zehn Tagen bin ich zurück. Mit meiner Tochter!«
Der Anwalt dachte: Ich möchte, dass Bettina es nicht tut. Einer muss dieser Frau doch mal zeigen, dass sie nicht ewig lebt, dass sie kein Recht hat, andere Menschen zu zerstören.
Ihr Arzt, ein gefügiger Mensch, stellte ihr dann tatsächlich gleich ein Schreiben aus, das besagte, wie sehr sie der Schonung bedurfte und dass mit ihrem Herzen gar nichts mehr in Ordnung sei. Daraufhin musste er sich mit seinem Kollegen telefonisch in Verbindung setzen. Als er von Frau Losse hörte, wohin sie sich wenden wollte, blickte er sie erstaunt an.
»Dr. Bernstein? Dorthin wollen Sie gehen?«
»Ganz recht! Ich will es jetzt mal mit den Mitteln der Natur versuchen.«
»Ich habe mir sagen lassen müssen, dass er merkwürdige Wege geht.«
»Nun, das schadet nichts. Sie wissen doch, ich tue nur, was ich will.«
Das wusste er in der Tat.
»Ich habe Sie gewarnt.«
»Selbstverständlich nennen Sie nicht meinen wirklichen Namen, verstanden?«
Der Arzt kannte ihren sprichwörtlichen Geiz und fügte sich. Ihm blieb ja nichts anderes übrig.
Wenig später sprach er mit diesem unbequemen Kollegen. Er wunderte sich über die ausgesprochen fröhliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Sollte es ihm nicht schlecht gehen? Die Klinik war doch nicht einmal voll belegt.
Kurz schilderte er den Fall seiner Patientin.
Dr. Bernstein sagte: »Nun, schicken Sie mir die Frau! Hier werde ich dann sehen, ob sie bleiben kann.«
»Wie bitte?«
»Das ist schwer zu erklären. Also, wann kann ich mit ihr rechnen?«
»Morgen.«
Nachdem Dr. Bernstein den Hörer aufgelegt hatte, wandte er sich an Frau Dr. Losse.
»Dies ist das erste Mal, dass ein Kollege mir eine Patientin ankündigt«, berichtete er stolz.
»Also nehmen sie doch allmählich Vernunft an?«
»Oh, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer! Aber ich lasse mich gern überraschen.«
»Kann sie denn zahlen?«, wollte Agnes Schöller gleich wissen.
Bernstein sagte gutgelaunt: »Da der Kollege sich nicht nach dem Preis erkundigt hat, kann sie es wohl. Also wird sie den erhöhten Preis zahlen.«
Bettina lachte.
»So einfach ist das?«
»Wer mit dem Pfennig rechnen muss, fragt vorher.«
Sie sah die Liste durch.
»Was steht für morgen an?«
Bernstein erklärte ihr, dass er sehr froh wäre, wenn sie die Hausbesuche übernehmen würde. Kein besonderer Fall darunter. Zwei Patienten lagen im Sterben, durften aber im Familienbund bleiben. Das war auch etwas, das er hier eingerichtet hatte. Doch er hatte mit den Angehörigen sehr ausführlich darüber reden müssen.
»Und Nina?«
»Habe ich mir für heute Abend vorgenommen.«
»Gut!«
Dr. Bernstein widmete sich wieder seinen Patienten. Später, als alle fort waren, ging er in die Küche. Seine Mutter stand am Herd und kochte Marmelade. Er tauchte den Finger hinein und hätte sich beinahe verbrannt.
»Hast du was auf dem Herzen?«
»Ja, ich brauche wieder einmal deinen Rat.«
Mutter Bernstein lächelte aber doch amüsiert, als sie erfuhr, worüber er eine Auskunft haben wollte. Erst beschwerte er sich über Agnes, die in Rätseln spräche, und überhaupt ... Aber Mutteraugen sehen sehr viel, und sie wusste von Brittas heimlicher Liebe. Sollte sie es ihm sagen? Wollte ein Mann nicht immer selbst erobern? Wenn sie ihn mit der Nase darauf stieß, würde das gutgehen?
»Warum möchtest du denn mit Britta ausgehen? Willst du ihr nur ein wenig Abwechslung bieten, oder vielleicht, weil du ihr Chef bist und das Gefühl hast, du müsstest dich ein wenig um sie kümmern? Weißt du, wenn es das ist, dann lass die Finger davon. Das können wir Frauen überhaupt nicht vertragen. Dann können wir sehr böse reagieren. Wir möchten um unserer selbst willen eingeladen werden, und nicht aus Pflichtgefühl.«
Achim ließ sich auf einem Küchenstuhl nieder. Er überlegte. Ja, dachte er, warum will ich mit Britta ausgehen? Nur weil ich eine Partnerin haben will? Weil ich nicht allein sein will? Oder warum? Er horchte in sich hinein und dachte an Britta.
Sofort stand das liebe Gesicht vor seinen Augen, und ihm wurde richtig warm ums Herz. Britta!
Der junge Doktor war verwirrt.
»Ich weiß es nicht«, sagte er leise. »Ich weiß es wirklich nicht.«
Um die Lippen der Mutter lag ein weises Lächeln.
»Weißt du, das ist schon nicht schlecht. Dann führe sie heute aus, und wenn du dann noch nicht weißt, was du willst, dann lass in Zukunft die Finger von Britta, ja? Sie steht nämlich unter meinem Schutz.«
Achim lachte amüsiert auf.
»Also, das ist ja ...! Agnes sagt, sie würde aufpassen. Du auch. Und wie ich Lydia und Johanna kenne, werden sie das Gleiche behaupten.«
»Ganz recht, das werden sie. Britta ist nämlich ein wundervolles Mädchen mit einem lieben Herzen.«
»Ich weiß. Und ich bin der Elefant im Porzellanladen«, gab er resigniert zurück.
»Das habe ich gar nicht gesagt.«
»Aber Agnes!«
»Warum stehe ich eigentlich unter niemandes Schutz?«, fragte er nach einer kurzen Pause.
»Du? Aber du bist doch ein Mann!«, rief seine Mutter lachend.
»Ich sehe, hier finde ich auch keinen Busen, an dem ich mich ausweinen kann.«
Nachdem Achim hinausgegangen war, betrat Agnes Schöller die Küche. Die beiden schauten sich lächelnd an.
»Ob er es wohl langsam merkt?«
Die Mutter meinte: »Ich wäre mit Britta sehr zufrieden.«
»Und ich erst!«, sagte die ehemalige Krankenschwester. »Dann wären wir für alle Zeiten abgesichert und müssten keine Angst mehr haben, dass er sich wieder eine eiskalte Veronika an Land zieht.«
»Mein Junge hat eben ein weiches Herz und sieht in den anderen Menschen nur das Gute.«
»Bei Britta sei es ihm erlaubt.«
Die beiden Frauen zwinkerten sich verschwörerisch zu, und sofort griff Frau Schöller diesen Faden auf.
»Ob wir ein wenig nachhelfen sollten?«
»Warten wir den Abend ab! Vielleicht wissen wir dann mehr.«
Wie zwei Verschwörerinnen steckten sie dann die Köpfe zusammen, doch sie probierten nur Mutter Bernsteins Marmelade - Brombeermarmelade natürlich.