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5 Neuroanatomie Kerstin Konrad und Gregor Kohls 5.1 Einleitung
ОглавлениеZwei große Entwicklungen prägen die moderne klinische Neurowissenschaft. Zum einen werden immer präzisere Erkenntnisse über die molekularbiologischen Vorgänge im menschlichen Gehirn gewonnen. Zum anderen ermöglichen leistungsfähigere Bildgebungsverfahren ein besseres Verständnis von Hirnfunktionen und den zugrundeliegenden Hirnstrukturen. Für die Untersuchung von Patienten im Kindes- und Jugendalter ist unter den Bildgebungsverfahren besonders die Magnetresonanztomografie (MRT) geeignet, da sie auf nicht-invasive Art hochauflösende Aufnahmen des Gehirns ermöglicht, die weder den Einsatz radioaktiver Substanzen noch ionisierender Strahlung erfordert und somit auch für wiederholte Längsschnittmessungen prinzipiell geeignet ist. Die MRT-Methode wurde 1973 entwickelt und gehört heute in jedem größeren Krankenhaus zur klinischen Routine. Seit den 1990er Jahren werden mittels MRT auch funktionelle Untersuchungen am Gehirn beim Menschen durchgeführt; man spricht vom funktionellen MRT (fMRT).
Die Entwicklung von Protokollen, die darauf abzielen, Kinder optimal auf die MRT-Umgebung vorzubereiten, wie beispielsweise mit Hilfe von »Scanner-Attrappen« (ohne Magnetfeld) oder Präsentationen von MRT-Videos (Durston et al. 2009), haben in den letzten Jahren die Anwendung der Bildgebungsmethode ohne die Notwendigkeit von einer Sedierung auch für junge Patientengruppen in der Forschung und Klinik erleichtert. Dennoch sind nach wie vor Bewegungsartefakte der Hauptlimitierungsfaktor für die Auswertung von MRT-Aufnahmen bei Kindern, besonders bei jungen ADHS-Patienten.
Durch eine gezielte Vorbereitung von Kindern im Vorfeld einer MRT-Untersuchung mit Hilfe von Biofeedback-Verfahren, wobei zu starke Bewegungen dem Probanden sofort zurückgemeldet werden, können Bildartefakte aufgrund von Kopfbewegungen deutlich reduziert und die Bildqualität wesentlich verbessert werden (Epstein et al. 2007). Ferner können Bewegungskorrekturen während der Messung in Echtzeit oder nachträglich bei der Analyse der Daten erfolgen (Clasen et al. 2016; Yan et al. 2013). In vorangegangenen Studien lagen die geschätzten Datenausfälle durch Bewegungsartefakte bei unmedizierten ADHS-Kindern bei bis zu 30 % im Vergleich zu 10–20 % bei gesunden Gleichaltrigen (Yerys et al. 2009). Dadurch wurden bislang möglicherweise ADHS-Patienten mit schweren hyperaktiv-impulsiven Symptomen oder bestimmten komorbiden Störungen (z. B. Tic-Erkrankungen) von MRT-Untersuchungen ausgeschlossen, was die Generalisierbarkeit von Bildgebungsbefunden auf die gesamte ADHS-Population einschränkt.
Dennoch konnten in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte bei der Charakterisierung von strukturellen und funktionellen Hirnanomalien bei ADHS erzielt werden. Im Folgenden werden wir nach einer kurzen Übersicht über ausgewählte MR-Bildgebungsmethoden die wichtigsten aktuellen Befunde zur strukturellen und funktionellen Organisation des Gehirns bei Patienten mit ADHS zusammenfassen.
Kasten 5.1: Übersicht ausgewählter Bildgebungs- und Auswertungsmethoden
Strukturelles MRT
Unterschiede in Größe und Aufbau des Gehirns von Gesunden und ADHS-Patienten werden auf der Basis von strukturellen MRT-Aufnahmen gemessen, in der Regel basierend auf MRT-Bildern mit einer T1-Gewichtung. Derartige Aufnahmen erlauben eine besonders gute Differenzierung zwischen grauer und weißer Substanz und Cerebrospinalflüssigkeit (CSF). Dafür stehen heute, beispielsweise, manuelle, semiautomatische oder automatische Auswertungsmethoden zur Verfügung. Um die strukturellen Befunde besser verstehen zu können, werden hier einige ausgewählte Methoden erläutert:
• Morphometrische Maße:
– Die regionenbasierte Morphometrie untersucht die Form und Abmessungen anatomisch definierter Struktureinheiten, wie bestimmte Hirnareale.
– Die voxelbasierte Morphometrie untersucht die lokale Gewebeverteilung, insbesondere von grauer und weißer Substanz (Voxel steht für einen dreidimensionalen MRT-Bildpunkt und stammt aus dem Englischen vox für volume und el für element).
– Die Deformationsfeld-Morphometrie beruht auf der Analyse von MRT-Deformationsfeldern, die durch mathematische Anpassung eines MRT-Datensatzes an ein Referenzgehirn erzeugt werden.
• Nicht-morphometrische Maße:
– Die kortikale Dicke misst die Dicke des kortikalen Bandes, das sich aus bis zu sechs verschiedenen Schichten der grauen Substanz zusammensetzt und die äußere Schicht des Gehirns darstellt. Dieses kortikale Band wird nach außen durch die Grenze zwischen grauer Substanz und CSF und nach innen durch die Grenze zwischen weißer und grauer Substanz begrenzt.
– Die Tiefe der Faltungsmuster der Hirnfurchen kann mit Hilfe einer Oberfläche bestimmt werden, die das gesamt Gehirn umhüllt. Ähnlich wie bei der kortikalen Dicke-Messung können hier verschiedene Abstandsdefinitionen genutzt werden.
– Der Gyrifizierungsindex drückt die Komplexität der Faltung der Hirnwindungen aus und errechnet sich aus dem Verhältnis der inneren und äußeren Kurve der Großhirnrindenoberfläche (Zilles et al. 1988). Da angenommen wird, dass sich der individuelle Gyrifizierungsindex nicht mit dem Alter ändert, eignet sich dieser Parameter vor allem zur Untersuchung möglicher Störungen der frühen Hirnentwicklung.
Diffusionsgewichtetes MRT
Als diffusionsgewichtetes MRT bezeichnet man eine Reihe von bildgebenden Verfahren, die die Diffusionsbewegung von Wassermolekülen im Gehirn messen und räumlich aufgelöst darstellen. Die Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI vom Engl. diffusion tensor imaging) ist eine häufig eingesetzte Variante, die die Richtungsabhängigkeit der Diffusion berücksichtigt und somit Rückschlüsse auf Veränderungen der weißen Substanz und des Verlaufs der großen Nervenbahnen (fiber tracts) erlaubt.
Funktionelles MRT
Im fMRT werden lokale Änderungen der zerebralen Sauerstoffanreicherung im Blut, der sogenannte »Blood-Oxygen-Level-Dependent« (BOLD) Effekt gemessen. Dabei macht man sich die biologische Tatsache zunutze, dass neuronale Aktivität in einer bestimmten Hirnregion dort zu einem erhöhten Blutfluss führt. Allgemein unterscheidet man zwischen Aufgaben-basierter (task-based) funktioneller Bildgebung und funktioneller Bildgebung vom Gehirn im sogenannten Ruhezustand (resting state; R-fMRT), d. h. die Messung erfolgt in Abwesenheit externer Reize bzw. ohne explizite Aufgabe und kann daher auch bei jüngeren Kindern und Patienten mit kognitiven Einschränkungen angewendet werden. Erfasst werden beim R-fMRT die regionalen Interaktionen zwischen einzelnen Hirnarealen, die auf einer Korrelation niederfrequenter (< 0,1 Hz) BOLD-Schwankungen beruhen. Anhand dieser zeitlichen Fluktuationen können verschiedene Netzwerke identifiziert werden, von denen das Default Mode-Netzwerk (DMN) von besonderer Bedeutung ist. Es umfasst eine Reihe assoziativer Kortexareale (medialer prefrontaler Kortex, anteriores Cingulum, Precuneus, superiorer parietaler Kortex, Hippocampus), zwischen denen sich erst im Verlauf der Kindheit eine stärkere funktionelle Kopplung ausbildet und die wiederum bei einer Reihe psychiatrischer und neurologischer Erkrankungen verändert erscheint. Im Unterschied dazu kommt beim Aufgaben-basierten fMRT den an die Untersuchung im Scanner gekoppelten Aufgaben eine große Bedeutung zu. Diese müssen geeignet konstruiert sein, um eine sinnvolle Interpretation der funktionellen Daten zu ermöglichen. Auf diese Weise kann man indirekt die Hirnaktivierung während der Durchführung von kognitiven Aufgaben sichtbar machen und potentielle Aktivierungsunterschiede zwischen Patienten und Kontrollprobanden aufdecken.