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5.2 Strukturelle Bildgebungsbefunde bei ADHS
ОглавлениеFrühere Studien haben relativ konsistent gezeigt, dass ADHS-Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollen eine etwa 4–5 %ige Reduktion des zerebralen Gesamtvolumens aufweisen (z. B. Castellanos 2002). Ferner zeigte sich eine signifikant reduzierte kortikale Dicke des gesamten Gehirns bei Kindern mit ADHS (Shaw et al. 2006, 2007; Makris et al. 2007). Zusätzlich zu dieser globalen Volumenreduktion wurden regional subtilere, aber relativ weitläufige Veränderungen der grauen Substanz beschrieben. Zu den drei zentralen Knotenpunkten (central hubs) der ADHS-Pathophysiologie zählen Veränderungen in Netzwerken, die insbesondere mit Hemmungs- und Steuerungsprozessen in Verbindung gebracht werden: (i) Ein Knotenpunkt umfasst den Präfrontalkortex, einschließlich des dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC), der mit komplexen exekutiven Funktionen, wie Aufmerksamkeitsverteilung, Planung und Entscheidungsfindung assoziiert ist, sowie den anterioren zingulären Kortex (ACC; Engl. anterior cingulate cortex), der entscheidend für die Verhaltensanpassung durch Feedback ist. (ii) Ein weiterer Knotenpunkt stellt das Striatum dar, das verschiedene mentale Fähigkeiten, wie kognitive Flexibilität, die motorische Planung und Lernprozesse unterstützt. (iii) Der dritte Knotenpunkt ist das Kleinhirn, das besonders für das motorische Feintuning sowie die zeitliche Informationsverarbeitung verantwortlich ist ( Kap. 5.3). Übereinstimmend haben mehrere volumetrische Studien eine Reduktion des Frontallappens (einschließlich orbitofrontalem und superiorem Frontalkortex (OFC, SFC) und DLPFC), des vorderen und hinteren zingulären Kortex, des präzentralen Gyrus, der Basalganglien (einschließlich Striatum), des Corpus Callosum sowie des Kleinhirns berichtet (Seidman et al. 2005; Valera et al. 2007).
Eine Längsschnittstudie des National Institute of Mental Health (NIMH), an der 232 ADHS-Patienten und 232 Kontrollen teilnahmen, konnte darüber hinaus zeigen, dass ADHS mit einer verzögerten Hirnentwicklung assoziiert war und das Maximum der kortikalen Dicke und Oberfläche bei ADHS erst 2–5 Jahre später erreicht wurde als bei gesunden Kontrollen. Die am deutlichsten ausgeprägten Verzögerungen fanden sich in frontalen, superior-temporalen und parietalen Regionen (Shaw et al. 2007). Die einzige kortikale Region, die bei ADHS-Patienten eine frühere Reifung aufwies, fand sich im primären motorischen Kortex. Man kann spekulieren, dass insbesondere die Kombination aus frühzeitiger Reifung des primären motorischen Kortex einerseits und verzögerter Reifung von höheren motorischen Kontrollregionen andererseits die schlechte Regulation der motorischen Aktivität bei ADHS begünstigt.
Im Gegensatz zu den Befunden der veränderten Reifung der kortikalen Dicke wurden bislang keine Gruppenunterschiede in den Entwicklungsverläufen der kortikalen Gyrifikation beobachtet (Shaw et al. 2012). Diese Befundlage führt häufig zur Fehlannahme, dass sich eine Verzögerung der Hirnreifung innerhalb weniger Jahre automatisch normalisiert und sich die Gehirnentwicklung von ADHS-Patienten irgendwann nicht mehr von der Hirnanatomie von gesunden Probanden unterscheidet. Die aktuelle Datenlage widerspricht allerdings dieser Annahme: Längsschnittliche Untersuchungen von ADHS-Patienten haben gezeigt, dass eine Normalisierung der kortikalen Dicke, besonders des rechten Parietalkortex, nur bei solchen Personen auftrat, deren Symptomatik bis ins Erwachsenenalter deutlich abnahm. Im Gegensatz dazu zeigten solche Patienten diese Konvergenz nicht, die im Erwachsenenalter weiterhin ADHS-typische Residualsymptome aufwiesen (Shaw et al. 2007). In Übereinstimmung mit diesem Befund zeigten auch mehrere Studien mit erwachsenen ADHS-Patienten eine signifikant dünnere Kortexdicke im DLPFC, OFC, ACC, posterioren zingulären Kortex (PCC) und temporo-occipito-parietalen Übergangsbereich (Makris et al. 2007; Proal et al. 2011). Die Rate der kortikalen Ausdünnung in diesen Regionen war umgekehrt proportional zur Schwere der Hyperaktivitäts- und Impulsivitätssymptomatik (Shaw et al. 2011).
Strukturelle Veränderungen der Basalganglien, einschließlich Globus Pallidus und Striatum mit Putamen und Nucleus Caudatus, wurden bei ADHS-Patienten sowohl mit Hilfe der voxelbasierten Methoden (Frodl und Skokauskas, 2012) als auch durch manuelle Deformationsfeld-Methoden in Region-of-Interest (ROI)-Studien beschrieben (Qiu et al. 2009). Veränderungen im Striatum betreffen allerdings nicht nur das Volumen, sondern auch die Oberflächenkonturen in Regionen, die für Lernprozesse und Belohnungsverarbeitung entscheidend sind (Shaw et al. 2014). Die größte aktuelle Studie zu subkortikalen Veränderungen bei ADHS schloss Bildgebungsdaten von weltweit insgesamt 1713 ADHS-Patienten (davon 489 weibliche Patientinnen) und 1529 Kontrollprobanden (davon 595 weibliche Kontrollen) im Alter zwischen 4 und 63 Jahren ein. In dieser Mega-Analyse des ENIGMA-Konsortiums zeigte sich bei ADHS eine signifikante Reduktion der bilateralen Amygdalae, des dorsalen und ventralen Striatums und des Hippocampus. Eine explorative Modellierung über die Lebensspanne bestätigte interessanterweise nicht nur eine verzögerte striatale Hirnreifung (mit den größten Effekten für die Gruppe der Patienten < 15 Jahren), sondern zeigte auch ein verzögertes Einsetzen der striatalen Volumenabnahme bei ADHS-Patienten nach dem vierten Lebensjahrzehnt (Hoogman et al. 2017).
Abb. 5.1: Verzögerte Hirnreifung bei Kindern mit ADHS (NIMH Längsschnittstudie; Shaw et al. 2007).
Abb. 5.2: Subkortikale Volumenminderungen bei ADHS (Hoogman et al. 2017).
Längsschnittstudien zur Entwicklung des Kleinhirns bei ADHS belegen ein verändertes Wachstum sowohl der grauen Substanz (Mackie et al. 2007) als auch der weißen Substanz (Shaw et al. 2018). Während ADHS-Patienten beispielsweise in der Kindheit (< 12 Jahre) eine verlangsamte Reifung der weißen Substanz im Kleinhirn aufweisen, wird dies anscheinend durch ein rascheres Wachstum im Jugendalter (> 12 Jahre) kompensiert. Diese Befunde unterstützen die These, dass bei ADHS eine Störung in der Entwicklung der kortiko-zerebellären Interaktion vorliegt.
Interessanterweise fand sich in mehreren Meta-Analysen bisher nur der Precuneus als einzige Region, die bei ADHS mit einem erhöhten Volumen der grauen Substanz einhergeht (Ellison-Wright et al. 2008; Nakao et al. 2011, Frodl und Skokauskas, 2012). Der Precuneus zählt wie der mediale präfrontale Kortex, Teile des ACC sowie der superiore Parietalkortex und der Hippocampus zum Default-Mode Netzwerk (DMN). Die Aktivität in diesem Netzwerk ist untereinander korreliert und aktiv im Ruhezustand, wohingegen das Netzwerk beim Lösen von Aufgaben deaktiviert wird. Patienten mit ADHS scheinen insbesondere mit der Deaktivierung des DMN-Netzwerkes während kognitiver Aufgaben Probleme zu haben ( Kap. 5.3). Das vergrößerte Volumen im Precuneus könnte daher eine plastische Folge der verstärkten DMN-Aktivierung (d. h. der verminderten Deaktivierung) sein.
Seit Veröffentlichung der ersten DTI-Studie zu ADHS (Ashtari et al. 2005) haben immer mehr Forscher diese Untersuchungsmethode eingesetzt, sodass mittlerweile über 50 einschlägige DTI-Studien vorliegen (Konrad und Eickhoff 2010). Diese Studien basieren im Wesentlichen auf zwei analytischen Ansätzen: ROI-basierte oder voxelweise Methoden. In ROI-basierten Ansätze werden die mittleren DTI-Metriken innerhalb eines a-priori bestimmten Traktes oder einer bestimmten Region quantifiziert. Im Gegensatz dazu messen voxelweise Analysen DTI-Metriken in jedem Voxel im gesamten Gehirn, unabhängig vom Gehirngewebe in dem sich das Voxel befindet. Sowohl ROI-basierte als auch voxelbasierte Untersuchungen berichteten eine niedrigere fraktionale Anisotropie (FA) bei Kindern mit ADHS, das heißt eine geringere richtungsabhängige Diffusion und somit eine geringere Integrität der Faserbündel in kortiko-striato-thalamischen Netzwerken und im Corpus Callosum (insbesondere in den hinteren Abschnitten, die bekanntermaßen mit sensorisch-motorischen kortikalen Arealen verbunden sind) (de Zeeuw et al. 2012; Pavuluri et al. 2009; Xia et al. 2012). In voxelbasierten Studien fanden sich darüber hinaus auch zuvor eher wenig berichtete Auffälligkeiten in den zerebellären Verbindungen (sowohl in den zerebellären Pedunculi als auch in den Hemisphären) (Ashtari et al. 2005, Nagel et al. 2011), die zusammen mit den oben beschriebenen volumetrischen Veränderungen die Relevanz von kortiko-zerebellären Netzwerken für die Pathophysiologie von ADHS unterstreichen ( Kap. 5.3).