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Späte Aufmerksamkeit und Zustandsregulation

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Spätere Formen von Aufmerksamkeit, welche nur von beachteten aufgabenrelevanten Reizen aktiviert werden, lassen sich anhand von P300-Komponenten messen. Latenz und Amplitude der P300 gelten als Maße für die Dauer und den Aufwand von Aufmerksamkeits- und Entscheidungsprozessen und wurden bei Kindern mit ADHS in zahlreichen Studien untersucht.

Die verminderten P300 Amplituden nach Warn- oder Zielreizen bilden den am besten replizierten ERP-Befund bei Kindern mit ADHS (Barry et al. 2003b; van Leeuwen et al. 1998). Eine derartige Verminderung ist besonders deutlich bei Kindern mit reinem ADHS ohne Komorbidität mit anderen Störungen (Banaschewski et al. 2003). Gut ausgewiesen ist auch, dass sich die Amplituden der Zielreiz- und der NoGo-P300 unter MPH teilweise normalisieren (Barry et al. 2003b; Broyd et al. 2005; Pliszka et al. 2007; Seifert et al. 2003).

Die P300 Veränderungen bei ADHS sind spezifisch für bestimmte Versuchsbedingungen. Die Verminderung der P300 ist etwa nach überraschenden Warnreizen deutlicher als nach vorgewarnten Zielreizen, was auf ein Defizit bei der Mobilisierung und Orientierung von Aufmerksamkeit hinweist. Die posterioren Quellenlösungen für die Warnreiz-P300 unterstützen diese Deutung (Banaschewski et al. 2004; Banaschewski et al. 2003; Herrmann und Fallgatter 2004; van Leeuwen et al. 1998).

Die Verminderung der P300 kann zumindest teilweise durch beeinträchtigte Zustandsregulation aufgrund fehlender Ressourcen bei entsprechendem Bedarf erklärt werden. So führt etwa eine Verlangsamung des Aufgabentempos bei normalen Kontrollgruppen zur Bereitstellung von mehr Ressourcen und einer stärkeren P300, während dieser Mechanismus weder bei Kindern noch bei Erwachsenen mit ADHS nachzuweisen ist (Wiersema et al. 2006a; Wiersema et al. 2006b). Da die Stärke der P300 die verfügbaren Ressourcen anzeigt, stützt dieser Befund der verkleinerten P300-Komponenten bei ADHS die These energetischer Defizite bei der Zielreizverarbeitung. Dies steht auch im Einklang mit entsprechenden psychologischen Ergebnissen (Sergeant 2005). Die multivariate Klassierung in ADHS und Kontrollprobanden anhand von ERP-Merkmalen (Smith et al. 2003) war mit 77 % korrekt Klassierten etwas weniger erfolgreich als eine entsprechende Klassierung anhand des Ruhe-EEGs (Magee et al. 2005), aber ein direkter Vergleich ist aufgrund der unterschiedlichen statistischen Methoden nicht möglich. Zwar lassen sich Gruppenunterschiede einzelner, gut validierter EEG- oder ERP-Merkmale einfacher interpretieren, aber zusätzliche Information kann Gruppenunterschiede oft besser charakterisieren.

Moderne Verfahren zur Mustererkennung benutzen zahlreiche Merkmale, um daraus eine optimale Unterscheidung zu «lernen» (Müller et al. 2011; Poil et al. 2014; Pulini et al. 2018). So erlauben sie eine Klassifizierung durch Kombination verschiedener Merkmale wie EEG-Frequenzbänder, ERP-Komponenten, Sensoren, Hirnregionen und Zustände oder Aufgaben. Der mögliche Gewinn solcher Ansätze wird etwa in Studien von Mueller et al. (2011) und Poil et al. (2014) ersichtlich, wo Mustererkennung mit sogenannten »Machine Learning« Algorithmen benutzt wurde und durch Kombination von EEG oder ERP Massen höhere Klassifizierungsgenauigkeiten erzielt wurden. Allerdings wurden teilweise Genauigkeiten von über 90 % mit unterschiedlichen und nicht validierten ERP Massen beschrieben (Mueller et al 2011, Biederman et al. 2017), was angesichts der anerkannten Heterogenität von ADHS wenig plausibel ist.

Die mangelnde Validierung und Übertragbarkeit betrifft aber auch solch vielversprechende Befunde mit moderner Musterklassierung, welche in besonderem Masse unabhängige Validierung mit größeren Stichproben erfordern (Pulini et al. 2018), sowie eine plausible Zuordnung zu neuronalen Systemen und Mechanismen. Da verschiedene Studien kaum je die gleichen Tests und ERP-Masse verwenden, sind auch valide Aussagen zur Klassifizierungsgenauigkeit mittels ERP Massen besonders schwierig (Gamma und Kara 2016). Eine erste Meta-Analyse zur Trennschärfe der verschiedener ERPs bestätigte nun, dass spätere kognitive ERP Komponenten besser klassieren als frühere, wenn auch die höchste Effektstärke der späten P300 Amplitude mit 0,57 im mittleren Bereich blieb und sich damit nicht zur Individualdiagnostik eignet (Kaiser et al. 2020).

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