Читать книгу Handbuch ADHS - Группа авторов - Страница 59
7.2 Noradrenalin4
ОглавлениеAngesichts der engen Verbindungen zwischen noradrenergem und dopaminergem System greift eine ausschließliche Betrachtung dopaminerger Veränderungen bei ADHS zu kurz. Von daher ist die parallele Betrachtung ebenso wichtig wie die Aspekte der Verzahnung beider Neurotransmittersysteme. Für eine detaillierte Beschreibung der Biochemie, der zentralnervösen Bahnen, der Neurolokalisation und deren Entwicklung sei auf die Buchkapitel von Oades (2005, 2006, 2007) verwiesen.
Kasten 7.1: Merkmale des kortikalen Neurons
• Niedrige Dopamintransporterdichte
• Geringe extrazelluläre Dopaminkonzentration
• Mittlere Noradrenalintransporterdichte
• Dopamintransporter transportiert relativ ineffektiv Dopamin oder Noradrenalin
• Noradrenalintransporter kann Dopamin transportieren
• Weniger dopaminerge Vesikel
• Regulation der motorischen Funktionen
→ geringere motorische Kontrolle verglichen mit nicht von ADHS Betroffenen
Insbesondere im präfrontale Kortex (PFC) – einer Region, die besonders auf Veränderungen des neurochemischen Gleichgewichts reagiert – besteht ein enges Zusammenspiel aus dopaminerger und noradrenerger Neurotransmission. So lässt sich aus elektrophysiologischen Studien an Tieren ableiten, dass im präfrontalen Kortex (PFC) Noradrenalin durch Bindung an postsynaptische alpha2A Rezeptoren die »Signaltransduktion« verstärkt und Dopamin durch eine moderate Aktivierung von D1-Rezeptoren das »Rauschen« vermindert. Beide Effekte tragen somit zu einem besseren Signal-Rausch-Verhältnis bei, was einen bedeutsamen Sachverhalt u. a. für eine gute selektive/fokussierte Aufmerksamkeit darstellt. Eine Stimulation der alpha2A Rezeptoren verbessert das funktionale Zusammenspiel der Netzwerke im präfrontalen Kortex, während eine Blockade der alpha2A Rezeptoren im präfrontalen Kortex von Affen Symptome einer ADHS hervorruft, nämlich Probleme mit Arbeitsgedächtnis, vermehrter Impulsivität und Hyperaktivität (Brennan und Arnsten 2008). Ferner wirkt der D4-Rezeptor im PFC nicht selektiv für Dopamin. Er besitzt sogar eine höhere Affinität für NE und seine Stimulation kann die Sekretion von GABA (Gammaaminobuttersäure) hemmen. Darüber hinaus findet sich im PFC (inklusive prälimbischer und anterior cingulärer Regionen) eine relativ hohe Konzentration an NET (Norepinephrintransportern), die durchaus als alternativer Transporter für DA (Dopamin) arbeiten können (Prince 2008), während im Striatum die Neurone eine hohe Dichte an DAT, aber eine sehr geringe an NET aufweisen. Die funktionellen Merkmale des kortikalen Neurons sind in Kasten 7.1 kurz skizziert. Parallel dazu werden in Kasten. 7.2 die etwas anderen funktionellen Merkmale des striatalen Neurons aufgeführt.
Kasten 7.2: Merkmale des striatalen Neurons
• Niedrige Noradrenalinstransporterdichte
• Hohe Dopamintransporterdichte
• Geringe extrazelluläre Dopaminkonzentration
• Dopamintransporter transportiert Dopamin effektiv
• Dopamintransporter transportiert Noradrenalin nicht effektiv
• Weniger dopaminerge Vesikel
• An kognitiven Funktionen beteiligt
NE ist durch seine hohe Verfügbarkeit im retikulären Arousalsystem sowie im PFC an der Modulation von Wachheit, Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, Verhaltenshemmung und Planung beteiligt. Ähnlich wie bei DA können NE-Spiegel bei niedriger bis mittlerer Höhe die Leistungen des PFC steigern, während diese bei hohen Werten (z. B. unter Stress) eher nachlassen, weil dann der Abgleich zwischen emotional aktiviertem limbischem System und kognitiv kontrollierendem PFC immer schwieriger wird, d. h. um die optimale neuronal-oszillatorische Synchronisation zu erzielen, bedarf es einer Regulation der beiden Neurotransmittersysteme in einem mittleren Bereich.
Die genetischen Zusammenhänge zwischen ADHS und Genen des NE-Systems sind noch weitgehend unklar, auch wenn einige Studien
Abb. 7.1: Modell der MPH-Wirkung auf das dopaminerge System.
Der linke Teil zeigt die dopaminergen Neurotransmission an der Synapse vor Behandlung mit MPH. Es finden sich relativ erniedrigte Dopaminkonzentrationen und eine erhöhte Dopamintransporterdichte. Die D2 Autorezeptoren bleiben blockiert. Die Dichte des Noradrenalintransporters im Striatum könnten erniedrigt sein (in kortikalen Regionen allerdings erhöht sein, da sie am Transport von Dopamin beteiligt ist).
Der rechte Teil zeigt die dopaminerge Neurotransmission an der Synapse nach Behandlung mit MPH. Hier zeigen sich eine Blockade der Dopamintransporter und eine erhöhte extrazelluläre Dopaminkonzentration. Zusätzlich bewirkt MPH eine Disinhibition der D2 Autorezeptoren im präsynaptischen dopaminergen Neuron sowie eine Aktivierung der D1 Rezeptoren am postsynaptischen Neuron, was zu einer verstärkten Aktivität des Dopaminsystems führt und mit einer Verbesserung von Unaufmerksamkeit, kognitiven Funktionen und motorischer Hyperaktivität einhergeht (nach Wilens 2008).
Assoziationen mit Polymorphismen verschiedener NE-Rezeptoren bzw. den NE-Transportern aufzeigen (z. B. Brookes et al. 2007; Bobb et al. 2005; Kim et al. 2006; Oades 2006) und Yang et al. (2004) bei chinesischen Kindern eine Assoziation zwischen dem NET und der MPH-Wirkung fanden.
Funktionelle Bildgebungsuntersuchungen zu NE liegen bisher nicht vor, weil die notwendigen Trägersubstanzen noch nicht zur Verfügung stehen. Hingegen gibt es Ergebnisse einer Reihe von elektrophysiologischen Studien mit noradrenergen Medikamenten, die den positiven Einfluss von NE hinsichtlich einer besseren neuronalen Synchronisation und Arousalsituation aufzeigen (Oades 2005, 2006).
Die Medikamente ( Kap. 31–32), die am effektivsten die Symptomatik von ADHS reduzieren, greifen in das dopaminerge ebenso wie in das noradrenege System ein. So blockiert MPH (Methylphenidat) zwar hauptsächlich die Wiederaufnahme von DA aus dem synaptischen Spalt, es blockiert aber auch ein wenig die NE-Wiederaufnahme und den alpha2-Adrenoceptor. Ein Modell der MPH-Wirkung auf das dopaminerge System stellt Abb. 7.1 dar. Amphetamine bewirken darüber hinaus noch eine vermehrte Freisetzung von DA und NE aus dem präsynaptischen Neuron. Insgesamt führen also Stimulanzien vor allem zu einem Anstieg der Konzentration von DA und NE im PFC und weniger – aber auch – im Striatum. Die enge Verbindung beider Neurotransmittersysteme erklärt auch, dass Atomoxetin (ATX, ein selektiver NE-Wiederaufnahmehemmer) nicht zur Steigerung von DA im Striatum, aber von DA und NE im PFC führt, da der NET dort für die Wiederaufnahme sowohl von DA als auch von NE zuständig ist (Prince et al. 2008). Darüber hinaus muss man daran denken, dass noradrenerge Effekte durch MPH auch im Arousalsystem des Locus coeruleus zustande kommen und von dort eine therapeutische Wirkung auf Vigilanz und Aufmerksamkeit entfalten können, zumal durch direkte neuronale Projektionen eine Modulation präfrontaler Regionen möglich ist (Wilens 2008). Um die o. g. positiven Aspekte des NE-Systems während einer Stimulation des alpha2A-Rezeptors gezielt in der Behandlung der ADHS zu nutzen, setzt man in den USA die alpha2A-Rezeptoragonisten Guanfacine und Clonidine ein und erzielt z. B. Verbesserungen beim Arbeitsgedächtnis und visuomotorischem assoziiertem Lernen (Wilens et al. 2008; Kap. 31).
Auch in Tiermodellen zeigt sich der Einfluss des NE-Systems auf die ADHS-Symptomatik, selbst wenn die Datenlage bescheiden ist. So fand man bei einem neurotoxischen NE-Läsionsmodell an der Maus parallel zur NE-Reduktion auch eine Verminderung der Hyperaktivität. Ferner wurden die o. g. Einflüsse des präfrontalen NE-Systems bei Affen ergänzt durch eine Serie von Studien, in denen die Fluktuation neuronaler Entladungen im Locus coeruleus des Affen mit der Aufmerksamkeitsleistung im CPT (continous performance test) korrelierte (Rajkowski et al. 2004). Die Autoren wiesen nach, dass phasische neuronale Entladungen mit guter Leistung, erhöhte tonische NE-Aktivität (möglicherweise als kompensatorisch zu sehen) hingegen mit schlechter Leistung verbunden waren. Letztere konnte durch die Gabe des alpha-adrenergen Agonisten Clonidin erfolgreich gebessert werden. Möglicherweise wird dabei die erhöhte tonische NE-Aktivität herunter reguliert und der Übergang zu einer balancierten tonisch/phasischen Aktivität erleichtert, die dann der Hyperarousalsituation entgegenwirken kann und in der Folge die Informationsverarbeitung und -weiterleitung verbessert. Messungen der Metabolite HVA (Homovannillinsäure für Dopamin) und MHPG (3-methoxy-4-hydroxyphenylglucol für NE) im Urin und Plasma ergab, dass das Verhältnis von HVA/MHPG dabei eine gewisse Rolle spielte. Dies unterstreicht die Bedeutung eines möglichen Ungleichgewichts beider Neurotransmittersysteme für die Symptomatik von ADHS und erklärt zumindest teilweise die therapeutische Wirksamkeit sowohl von DAT-Blockern wie MPH bzw. NET-Blockern wie ATX (Oades 2005, 2006).
Wenn man bei ADHS die Konzentration von Metaboliten des NE (z. B. MHPG) im Liqour, Blut oder Urin untersucht, so finden sich üblicherweise niedrigere Werte als bei gesunden Kontrollen, während NE selbst erhöht sein kann. Insgesamt spricht dies für eine erniedrigte Stoffwechselaktivität des NE-Systems. Allerdings normalisiert sich diese Situation bei vielen Kindern mit ADHS im Verlauf von vier bis fünf Jahren von der präzur postpubertären Phase, d. h. ADHS Symptome nehmen ab und MHPG-Werte nehmen zu bis hin zu altersnormalen Befunden (Oades 2006), was als ein Hinweis auf eine gewisse zentralnervöse Reifungsverzögerung bei ADHS interpretiert werden kann.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass die NE-Aktivität zweifellos die Aufmerksamkeitssymptomatik moduliert, sowohl direkt über die Verbesserung des Signal-Rausch-Verhältnisses bei der Informationsverarbeitung als auch indirekt über die Kontrolle der mesokortikolimibischen DA Freisetzung. NE kann aber auch anderes relevantes Verhalten beeinflussen, je nachdem von welchen kognitiven Mechanismen dieses abhängt (z. B. Stresssituationen, die Hyperaktivität provozieren). Dabei spielen der NET im PFC, noradrenerge Rezeptoren in kortikalen und subkortikalen Arealen verbunden mit phasischen neuronalen Entladungen im LC eine wesentliche Rolle. Dieser Sachverhalt sollte bei Therapieplanungen und Medikamentenentwicklungen bedacht werden. Wenn es zutrifft, dass der NET bei der Wahrnehmung/Bewertung von Verstärkerprozessen beteiligt ist (möglicherweise in enger Verbindung mit der dopaminergen Funktion des Belohnungssystems), so könnten sich daraus vielleicht noch neue Perspektiven für die Behandlung ergeben (Oades 2005, 2006).