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1.4 Sozialraumorientierung – interdisziplinäres Handlungskonzept
ОглавлениеDas hier zu beschreibende »Handlungskonzept Sozialraumorientierung« beinhaltet die analytische Auseinandersetzung mit Raum in seiner gesellschaftlichen Bedingtheit aus historischer und sozialkultureller Perspektive (Dünne/Günzel 2006). Um sozialräumliche Prozesse erkennen und verstehen zu können, sind theoretische Grundlagen aus unterschiedlichen »menschenwissenschaftlichen« Disziplinen (Elias 1970) zu berücksichtigen und nach möglichen Erklärbeiträgen zu überprüfen. Von der Sozialgeografie, deren Gegenstand der sozial angeeignete und gestaltete Raum ist (z. B. Werlen 2008, Lichtenberger 1998), werden Erkenntnisse über soziale Gestaltungsprozesse räumlich-materieller Lebensbedingungen ergänzt. Hintergründe und Wechselwirkungen zwischen menschlichen Lebensweisen und deren räumlichen Formen, wie z. B. sesshafte oder nomadische Siedlungsweisen oder die Entwicklung von Städten und Dörfern, waren bereits Gegenstand der frühen Raum- und Stadtsoziologie, von deren Arbeiten Erkenntnisse über Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung in ihren sozialräumlichen Dimensionen gewonnen werden können (u. a. Tönnies 1887, Sombart 1931, Simmel 1908). Fragen der ökonomischen Organisation, also der Wirtschaftsweise von Gesellschaften sind ebenfalls Gegenstand soziologischer und sozialpolitischer Theorien, die Erklärungen zu sozialräumlichen Aspekten der Erbringung und Verteilung gesellschaftlicher Güter liefern (u. a. Engels 1845; Marx/Engels 1872; Sombart 1902; Weber 1922). Der sozialökologische Ansatz der Chicagoer Schule (Park/Burgess/McKenzie 1925) und deren deutsche Variante, der »Kölner Schule« (Friedrichs 1977), bietet Erklärungen zur sozialen und räumlichen Organisation der Gesellschaft aus einer (sozial-)ökologischen Betrachtung der kollektiven Interaktionen von Individuen mit ihrer Umwelt. Sie erklären Selektionsprozesse mit den Prinzipien einer marktorientierten und ohne staatliche Eingriffe sich überlassenen (Stadt-)Entwicklung in vorwiegend wirtschaftsliberal organisierten Gesellschaften.
Voraussetzungen und Konsequenzen menschlichen Zusammenlebens auf engem Raum sind wiederum Gegenstand sozialpsychologischer Betrachtungen aus sehr unterschiedlichen Perspektiven (Simmel 1903; Elias 1937,1965; Sennet 1974; Beck 1986; Etzioni 1996; u. a.) und bieten für ein sozialräumliches Handlungskonzept wichtige theoretische Grundlagen zum analytischen Verständnis sozialer Prozesse gesellschaftlicher Inklusion und Exklusion.
Stadtsoziologische Erkenntnisse zur Dynamik globaler (Stadt-)Entwicklungen (Sassen 1991, Berking 2002), zum Vergleich globaler und europäischer Stadtmodelle (Häußermann 2001; Kaelble 2001), zu wesentlichen Merkmalen urbaner Lebensformen (Wirth 1938; Herlyn 1974; Prigge 1987), zum Spannungsverhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit (Bahrdt 1961) sowie zu den Kontroversen über Wirkungen von Homogenität und Heterogenität in Wohngebieten (Gans 1974; Heitmeyer/Dollase/Backes 1998; Häußermann/Oswald 1997; u. a.) sind wesentliche Grundlagen zum Verständnis früherer und aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und den diesbezüglichen sozialpolitischen Diskursen. Die räumlich-materiellen Rahmenbedingungen und deren Gestaltung sind, wie oben bereits erwähnt, Gegenstand von Stadtgeografie (Christaller 1933; Hofmeister 1999; u. a.), Architektur (Benevolo 2007; Hoffmann-Axthelm 1993; u. a.) und Stadtplanung (Streich 2011; u. a.) und geben Auskunft über Einflussfaktoren, Ideen, Möglichkeiten und Grenzen der räumlich-baulichen Gestaltung menschlicher Siedlungen wie Städten und Gemeinden.