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1.5.2 Fachliche Verortung sozialraumorientierter Sozialer Arbeit

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SRO wird in diesem Handbuch als ein Handlungskonzept verstanden, das auf anderen Handlungskonzepten Sozialer Arbeit wie Lebensweltorientierung (Thiersch 1992) oder Ressourcenorientierung (Herriger 2014) aufbaut, an diese anschlussfähig ist, mit dem jedoch kein Dominanzanspruch für die Soziale Arbeit erhoben werden kann und soll. Allerdings besitzt es Innovationspotenzial in Bezug auf die Gestaltung sozialer Veränderungen und die Zuständigkeit Sozialer Arbeit im Zusammenspiel mit disziplinär anders verorteten Akteuren, weil es auf lokaler Ebene quasi als Modell entwickelt und praktiziert werden kann (Bingel 2011: 244).

Das Handlungskonzept SRO findet selbstverständlich Anwendung im spezifischen Handlungsfeld sozialer Arbeit in und mit Gemeinwesen, im Rahmen von Stadt- und Quartierentwicklung, sei es direkt vor Ort in der Quartierarbeit oder dem Quartiermanagement, in Projekten oder dauerhaften Stadtteilzentren und als Handlungskonzept in anderen Handlungsfeldern Sozialer Arbeit, wie z. B. der Schulsozialarbeit, der offenen Jugendarbeit oder den Allgemeinen sozialen Diensten, aber auch zunehmend in der Altenhilfe, Behindertenhilfe, Straffälligenhilfe usw. ( Tab. 1.3).

SRO als Handlungskonzept Sozialer Arbeit impliziert Notwendigkeiten der interdisziplinären Kooperation, der Verbindung verschiedener Handlungsfelder und Handlungsebenen sowie der Integration weiterer Handlungskonzepte und unterschiedlicher Methoden Sozialer Arbeit. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist insbesondere nach dem oben vorgestellten Konzeptbegriff unumgänglich, weil gesellschaftliche Transformationsprozesse, die sich auf lokaler Ebene niederschlagen, nur im gemeinsamen Strategiediskurs unterschiedlichster Institutionen, Organisationen und Disziplinen zu bewältigen sind. Ein entsprechendes Management kann dafür sorgen, so Monika Alisch (1998), dass das gemeinsame Ziel nicht aus dem Auge verloren wird (»Managementorientierung«4).

Wie bereits erwähnt, zielt das Handlungskonzept SRO überwiegend nicht auf Veränderung einzelner Menschen oder deren Lebensgewohnheiten durch erzieherische oder therapeutische Interventionen. Ziel ist der Erhalt bzw. die Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen, deren Betroffenheit von bestimmten Lebenssituationen, wie z. B. Erwerbslosigkeit, häusliche Gewalt, physische oder psychische Belastungen und Einschränkungen, durchaus unterschiedlich sein können. SRO ist ausgerichtet an vorhandenen Fähigkeiten und Bedürfnissen, geäußerten Interessen und dem Willen der Menschen an deren Verwirklichung (Bedürfnis-/Interessen-/Willensorientierung). Diese werden dazu ermutigt und dabei unterstützt, Ihre (Menschen- und Bürger*innen-)Rechte einzufordern und sich an der Entwicklung ihrer Lebensbedingungen zu beteiligen (Teilhabe/Partizipation). Dazu werden sozialräumliche Ressourcen wie Straßen, Plätze, Parks, Gebäude, ökonomische, soziale und kulturelle Kapitalien, aber auch Ideen und Fähigkeiten der Bevölkerung sowie öffentliche und private Dienstleistungen gesucht, analysiert, aufgebaut, erweitert, vernetzt und allgemein nutzbar gemacht (Ressourcenorientierung). Die Themen sind dabei nicht vorbestimmt, sondern können so vielfältig sein wie das Leben der Menschen und deren jeweilige Deutungsmuster (Lebensweltorientierung). Grundlage des dabei zum Tragen kommenden Handlungskonzeptes der Lebensweltorientierung ist das Interesse an Situationen und Themen der Menschen und deren ›eigensinniger‹ Deutung und Bewertung. Daraus leitet sich die Anforderung an Soziale Arbeit ab, die Lebenswelt(en) von Menschen, für welche die Fachkräfte Sozialer Arbeit zuständig werden oder sind, zu erkunden, zu verstehen und akzeptieren zu lernen. Diese Zuständigkeit kann sich aus territorialen, funktionalen oder kategorialen Handlungsfeld bezogenen Beauftragungen5 ergeben.

Um die Vielfalt öffentlicher oder privater Dienste und Organisationen vor Ort überschaubar und nutzbar zu machen, braucht es entsprechende Kooperation, Koordination und Vernetzung (Vernetzung). Weil gerade benachteiligte Menschen – aufgrund geringen Einkommens, geringer Mobilität oder fehlender Arbeitsbezüge – stärker auf den sozialen (Nah-)Raum orientiert und teilweise auch angewiesen sind, halten Hinte u. a. (2007: 177ff.) den sozialen Raum für eine bedeutende Steuerungsdimension Sozialer Arbeit als Ergänzung zu bereichs- und zielgruppenorientierten Arbeitsansätzen. Soziale Arbeit könne dadurch die Menschen unterstützen, ihr sozial- und räumlich strukturiertes Lebensumfeld zu gestalten und ihnen durch Aufbau und Nutzung von Ressourcen im lokalen Nahraum wirksam helfen.

Die folgende Abbildung 1.1 bietet einen schematischen Überblick über einige Handlungskonzepte Sozialer Arbeit sowie deren wesentliche Anliegen und Aussagen ( Abb. 1.1). In diesem Kapitel werden einzelne Handlungskonzepte jeweils themenbezogen erwähnt bzw. auf diese verwiesen. Eine weitergehende Rezeption und Diskussion dieser Handlungskonzepte kann hier nicht geleistet werden, weshalb auf die einschlägige Literatur verwiesen sei.

Mit seiner sozialräumlichen Orientierung steht das Handlungskonzept SRO in der Tradition der GWA, baut auf deren Erfahrungen auf und entwickelt diese weiter. Nach dem diesem Handbuch zugrunde liegenden Verständnis und obigen Darlegungen, wird

Sozialraumorientierung (SRO) als Handlungskonzept Sozialer Arbeit beschrieben, wohin gegen Gemeinwesenarbeit (GWA) als Handlungsfeld Sozialer Arbeit in und mit Gemeinwesen verstanden (vgl. Becker 2016) wird.

SRO und GWA sind demnach weder gleichzusetzen noch gegenseitig zu ersetzen (vgl. Fehren 2017). Im o. g. Sinne sozialräumlich orientierte Soziale Arbeit hat seit ihren Anfängen versucht eine ganzheitliche Perspektive einzunehmen, die sowohl auf Entwicklung und Erhalt hoher Lebensqualität als auch auf die Veränderung benachteiligender Verhältnisse sowie die Unterstützung und Hilfe für benachteiligte Menschen in ihrem sozialen und räumlichen Umfeld ausgerichtet ist. Dabei werden Verbindungen zwischen gesellschaftlichen Krisenerscheinungen, deren Ursachen, den jeweiligen sozialpolitischen Bewältigungsversuchen und der Lage der betroffenen Bevölkerung gezogen und für die Entwicklung und Gestaltung von Interventionen der Sozialen Arbeit berücksichtigt. Die Betonung der sozialräumlichen Orientierung als programmatischem Aspekt des Handlungskonzeptes SRO beruht weder auf der Erkenntnis, dass gesamtgesellschaftliche Probleme auf lokaler Ebene oder im »sozialen Nahraum« gelöst werden könnten, noch auf einer konzeptionellen Entscheidung zugunsten der Bearbeitung von Symptomen gesellschaftlicher Problemlagen oder auf der Präferenz pädagogischer Ziele der Verhaltensänderung von Menschen, die für ihre prekäre Lebenslage selbst verantwortlich gemacht werden. Ausgangspunkt sind die unveräußerlichen (Menschen-)Rechte auf ein menschenwürdiges Leben unter Bedingungen sozialer Gerechtigkeit. Diese lassen sich auf lokaler Ebene und im unmittelbaren Lebensumfeld der Menschen am greifbarsten operationalisieren. In sozialräumlicher Perspektive werden die Verbindungen zwischen Gesellschaft und Lebenswelt als von gesellschaftlichen Entwicklungen abhängige Lebenslagen und von individuellen Prägungen beeinflusste Lebensräume wahrnehmbar, beobachtbar und gestaltbar.


Abb. 1.1: Handlungskonzepte Sozialer Arbeit, Quelle: Becker 2014: 30

Die sozialstrukturellen Auswirkungen z. B. des Wohnungs- und Arbeitsmarktes oder die Bedeutung einer bedarfsgerechten sozialen, verkehrlichen und ökonomischen Infrastruktur sowie die unterschiedlichen Bewältigungsstrategien der jeweils von Chancen und Risiken ungleich betroffenen Bevölkerung lassen sich in sozialräumlichen Kontexten nachvollziehbar identifizieren.

Handbuch Sozialraumorientierung

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