Читать книгу Methoden der Theaterwissenschaft - Группа авторов - Страница 25

Verkörperung von Wissen

Оглавление

Die Frage nach dem Körperwissen betrifft viele Themen der Theaterwissenschaft. Die Stichworte ‚Erinnerung und Körper‘, ‚Living Archive‘, ‚Ausbildung und Übertragung von Körpertechniken‘ können ein ganzes Feld abstecken. Ähnlich wie Uwe Wirth argumentiert auch die Tanzhistorikerin Susanne Leigh Foster für die Generierung von neuem/anderem Wissen, wenn sie das Konzept der ‚kinesthetic empathy‘ aus dem Bereich der Tanzpraxis und Bewegungstherapie mit historiographischen Perspektiven auf Tanz verknüpft.1 In der Einleitung ihres Buches Choreographing History stellt sie sich kritisch zu einer Historographie, die gelernte Muster der ‚Entkörperung‘ in Forschung und Schreibpraxis affirmiert:

From [authorial voices] they have learned that pronouncements about the past should issue in sure and impartial tones. They have deduced that historians’ bodies should not affiliate with their subjects nor with fellow historians who likewise labor over the secrets of the past. Instead, those voices within past histories teach the practice of stillness, a kind of stillness that spreads across time and space, a stillness that masquerades as omniscience. By bestilling themselves, modestly, historians accomplish the transformation into universal subject that can speak for all.2

Historiker*innen sollten sich stattdessen ihrer körperlichen Performance im Prozess des Schreibens, Lesens und Denkens bewusstwerden. Dann wären sie in der Lage, eine kinästhetische und emphatische Beziehung zu den historischen Körpern, über die sie arbeiten, zu entwickeln. Indem sie ihre eigenen Körperkonzepte – Körperpraxen, Körperwissen, körperliche Bedeutungssysteme – mit denen, die von historischen Körpern vollzogen wurden, in Übereinstimmung bringen, können sie Erkenntnisse über vergangene Praktiken gewinnen:

Circulating around and through the partitions of any established practice and reverberating at the interstices among distinct practices, theorics of bodily practices, like images of the historical body, are deduced from acts of comparison between past and present, from rubbing one kind of historical document against others. In the frictive encounters between texts, such as those expressing aesthetic praise, medical insights, proscriptive conduct, and recreational pursuits, theorics of bodily significance begin to consolidate.3

In diesem Moment, wenn die Vergangenheit wieder verkörpert wird, entsteht laut Foster ein Dialog zwischen der Historikerin und den historischen Praxen. In der Konsequenz werden beide, die Historikerin und das historische Narrativ, einer Transformation unterzogen:

As historians’ bodies affiliate with documents about bodies of the past, both past and present bodies redefine their identities. As historians assimilate the theories of past bodily practices, those practices begin to designate their own progressions. As translations from moved event to written text occur, the practices of moving and writing partner each other. And as emerging accounts about past bodies encounter the body of constraints that shape the writing of history, new narrative forms present themselves.4

Foster fordert zu Recht von der historiographischen Forschung zu vergangenen Praxen und Performances eine körperliche Investition. Ihr Hauptargument basiert auf der imaginativen Übereinstimmung von Vergangenheit und Präsenz, historische Re-enactments bezieht sie in ihre Überlegungen nicht mit ein. Ich würde hingegen sagen, dass das körperliche Bewusstwerden und die imaginative Kreativität der Historikerin sogar stärker entwickelt wird, wenn sie sich unmittelbar in historisierende Aufführungspraxis involviert. Die kinesästhetische Emphatie („kinaesthetic empathy“) hängt dann nicht nur von Text- und Bildquellen ab, sondern kann sich auf eine ästhetische Erfahrung berufen. Der Körper der Historikerin eignet sich so mit Hilfe ihrer multisensoriellen Wahrnehmung tacit knowledge an.

Hier liegt ein grundsätzliches Verständnis des Körperwissens als ‚implizites Wissen‘ zugrunde, wie es der Philosoph Michael Polanyi in den 1950er Jahren5 als tacit knowledge formuliert hat. Tacit knowledge bezieht sich auf das ‚knowing how‘, während explicit knowledge das ‚knowing that‘ umfasst. Letzteres kann durch Lesen und Schreiben ausgebildet und vermittelt werden, ersteres jedoch nur über körperpraktische Demonstration und Erfahrung. In unserem Fall können praktische Übungen und Performance Zugang zu Theaterwissen geben, und gleichzeitig, während wir Theater spielen/performen, demonstrieren oder repräsentieren wir unser Wissen dieser Kunst.

Diana Taylor geht noch einen Schritt weiter bei der Frage der Erzeugung, Speicherung und Vermittlung von Wissen durch Körperpraktiken. In ihrem grundlegenden Buch The Archive and the Repertoire (2003), verhandelt sie das Begriffspaar Repertoire/Archiv als sich ergänzende Quellensysteme. Das Repertoire beschreibt sie als einen verkörperten Wissensspeicher, der für eine umfassende Darstellung von historischen und zeitgenössischen Aufführungspraxen und cultural performances herangezogen werden muss. Das Archiv bietet uns Texte und Objekte, die jedoch die performative Handlung‘ und körperliche Aspekte des Aufführungs-Vollzugs nicht transportieren können:

Repertoire, etymologically ‚a treasury, an inventory,‘ also allows for individual agency, referring also to ‚the finder, discoverer,‘ and meaning ‚to find out.‘ The repertoire requires presence: people participate in the production and reproduction of knowledge by ‚being there,‘ being a part of the transmission. As opposed to the supposedly stable objects in the archive, the actions that are the repertoire do not remain the same. The repertoire both keeps and transforms choreographies of meaning.6

Ein gelebtes und praktiziertes Repertoire konserviert und verändert zugleich die Aufführungspraxis durch die Vermittlung der Körperaktion. Taylor lehnt sich mit ihrer praktischen Historiographie an Konzepte der oral history an und bringt den darstellenden Körper in den Fokus. Ihr Begriff des Repertoires als ‚lebendes Archiv‘ und körperliche Vermittlung von Wissen bringt ins Bewusstsein, dass eine rein text- und objektorientierte Theaterhistoriographie nur eine eingeschränkte Sicht auf Theaterpraxen der Vergangenheit bieten kann.

Kinesthetic empathy (Foster), tacit knowledge (Polanyi) und das historiographische Repertoire (Taylor) bilden die Basis für eine praxis-orientierte Theaterhistoriographie. Im Folgenden möchte ich die ästhetische Dimension körperzentrierter Ansätze zur Verlagerung und Produktion von Wissen diskutieren.

Methoden der Theaterwissenschaft

Подняться наверх