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Aushandlung und Produktivität

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Mobile Theaterschaffende begegnen auf ihren Reisen anderen, ihnen meist fremden Kulturen. Sie müssen sich mit den Gegebenheiten vertraut machen, die die Theaterszene des jeweiligen Landes ausmachen und den Herausforderungen stellen, die sich hieraus ergeben. Sie sind mit fremden Sprachen, unterschiedlichen Spielkulturen und Publika konfrontiert. Der biographische Ansatz erlaubt es, diese interkulturellen Begegnungen und die damit zusammenhängenden bzw. daraus resultierenden Prozesse näher zu beleuchten. Die Untersuchung einzelner Fallbeispiele verdeutlicht, dass hierdurch 1. eine Vielfalt an Produktivität entsteht, sei es in Form der Gründung neuer Institutionen, der Zirkulation von Theaterstücken oder der Entstehung hybrider Phänomene. Sie zeigt aber auch, dass 2. keineswegs nur transnationale ‚Geschichten des Erfolges‘ produziert werden. Vielmehr offenbaren sich an den entstehenden Kontaktzonen zahlreiche Aushandlungsprozesse und Spannungsverhältnisse. So konstatiert auch Cresswell: „It is about the contested worlds of meaning and power. It is about mobilities rubbing up against each other and causing friction.“1 In diesem Zusammenhang fällt auf, dass auch wenn die transnationale Geschichtsschreibung an solchen Phänomenen interessiert ist, die den nationalen Rahmen übersteigen, gar sprengen, so spielt die ‚Nation‘ in der Untersuchung dennoch immer wieder eine bedeutsame Rolle. So betont auch Patel: „Transnationale Geschichte umfasst demnach all das, was jenseits (und manchmal auch diesseits) des Nationalen liegt, sich aber auch durch dieses definiert – sei es, dass es sich daraus speist oder davon abgrenzt“.2 Und auch Sebastian Conrad unterstreicht: „Für viele Fragen wird der nationale Rahmen von Politik und Gesellschaft […] maßgeblich bleiben.“3

Als beispielsweise die hier bereits thematisierte Helena Modrzejewska in die USA einreiste, so formulierte sie den Wunsch, auf Englisch zu spielen.4 Ihre Bühnensprache sollte der des Gastgeberlandes angepasst werden, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt über keinerlei Englischkenntnisse verfügte. Zu diesem Zweck engagierte sie eine Lehrerin – Jo Tucholsky –, mit der sie an ihrem Bühnenenglisch arbeitete. Allen Bemühungen zum Trotz blieb der polnische Akzent jedoch bestehen. Modrzejewska ahmte als Nicht-Muttersprachlerin – ganz im Sinne von Bhabhas ‚Mimikry‘ – zwar die englische Bühnensprache nach, ihre Sprache war jedoch nicht dieselbe; eine Annäherung fand zwar statt, doch ein unerreichbarer Rest, eine Dissonanz blieb bestehen und zeigte Differenz an, eine Differenz, die in den herrschenden Diskurs eindrang und als Störfaktor innerhalb des kulturellen Referenzrahmens empfunden wurde, was das Homogene in Frage stellte, ihm widersprach und Aushandlungsprozesse in Gang setzte. Dies wird deutlich daran, dass in nahezu jeder Rezension Kritik an Modrzejewskas Aussprache geübt wird. Diese Kritik wurde umso schärfer, als die Schauspielerin begann, Rollen von Shakespeare auf Englisch zu spielen. So schrieb ein Rezensent der New York Times anlässlich ihrer Vorstellung als Viola: „[…] it was frequently impossible to understand her, and some of the loveliest verse put into the sweet mouth of Viola became, as she spoke it, unintelligible.“5

Das Hauptargument der Rezensenten war, dass die Schönheit der Shakespeare’schen Verse zerstört und damit die Bedeutung der Worte in ein falsches Licht gestellt werden würde. Der renommierte New Yorker Kritiker William Winter ging bei seiner Kritik sogar so weit, dass er nicht nur den Akzent der Schauspielerin beanstandete, sondern auch die Ansicht vertrat, dass die Rollen des englischen Dramatikers überhaupt lediglich den Akteuren vorbehalten seien, die seiner ‚Rasse‘ abstammten:

It is a fact, which all the protests made by foreign actors and their over-zealous advocates cannot obscure, that the greatest actors are those who, illustrating a true ideal of Shakespeare’s great characters, do so with perfect interpretative art; and the actors in whom that union of ideal and execution has been manifested at the best have been and are actors of Shakespeare’s race.6

Modrzejewska ließ sich durch diese Kritik jedoch nicht entmutigen. Auch wenn sie die Argumente der Rezensenten bezüglich ihrer fehlerhafte Aussprache nachvollziehen konnte, vor allem in Hinblick darauf, dass hierdurch die Poetik und die Melodie der Shakespeare’schen Verse an Schönheit verlören, veranlasste sie das keineswegs aufzugeben: Ganz im Gegenteil wählte sie die Strategie, an ihrem Englisch noch weiter zu arbeiten und der Kritik zum Trotz studierte sie weitere Shakespearerollen auf Englisch ein:

If the plays are rendered in English by foreign-born actors, their lack of familiarity with the acquired language may make their pronunciation defective, and thus imperil, if not the poetry of the sentence, at least the music of the verse. The latter is my own case, and therefore, whenever my pronunciation was found fault with, I could do nothing but accept the criticism in all humility and endeavor to correct the errors of my tongue; yet I persisted without discouragement, and went on studying more and more Shakespearean parts, conscious that their essential value consisted in the psychological development of the characters, and confident that I understood them correctly and might reproduce them accordingly to the author’s intentions.7

Des Weiteren versuchte Modrzejweska, das Argument ihrer Kritiker zu entkräften, indem sie gerade die Universalität und Internationalität von Shakespeares Rollen betonte:

We foreigners […] claim that before being English he [Shakespeare] was human, and that his creations are not bound either by local or ethnological limits, but belong to humanity… Our argument is that when Shakespeare wanted to present English people he located them in England, or at least gave them English names […].8

Während sie in den USA schließlich auf Englisch den Durchbruch schaffte, auch als Shakespeare-Darstellerin, blieb ihr dieser Erfolg in Großbritannien verwehrt. Hier durfte sie zwar in englischer Sprache spielen, jedoch lediglich mit Rollen französischer oder deutscher Autoren, wo die fehlerhafte Aussprache in Augen der Kritik verziehen werden konnte. Die Versuche mit Shakespeare zu reüssieren, scheiterten hingegen an nationalen Vorstellungen.

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