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Affekttheorie und das Subjektivismus-Problem in der Aufführungsanalyse

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Matthias Warstat

Wenn nach den in der Theaterwissenschaft heute vorherrschenden methodischen Zugängen gefragt wird, fällt es überraschend schwer, den Stellenwert der Aufführungsanalyse einzuschätzen. In der universitären Lehre spielt sie eine wichtige Rolle und wird an den meisten Instituten zum Gegenstand von Einführungskursen und Methodenübungen. In der theaterwissenschaftlichen Forschungsliteratur führt sie dagegen eher ein Schattendasein, denn selten werden Theateraufführungen der Gegenwart in Monographien und Aufsätzen so detailliert beschrieben und untersucht, dass das aufführungsanalytische Vorgehen tatsächlich im Einzelnen transparent wird. Typischerweise finden sich in der Literatur kurze, illustrative Vignetten mit Aufführungsbeispielen, die nicht genauer erkennen lassen, wie und auf welcher Grundlage sie methodisch erarbeitet wurden. Eine Diskussion darüber, wie man adäquat über Aufführungen schreibt, findet auf wissenschaftlichen Tagungen nur selten statt – wohl aber in der akademischen Lehre. Dort wird an gemeinsam besuchten Aufführungen das Protokollieren von Beobachtungen und Erinnerungen geübt. Das Sprechen und Schreiben über Aufführungen ist insofern charakteristischer Bestandteil des theaterwissenschaftlichen Studiums. Woran könnte es liegen, dass viele Theaterwissenschaftler*innen dieses aufführungsbezogene Schreiben in ihrer späteren Forschungspraxis so nicht beibehalten? Unterschiedliche Gründe wären denkbar: Sicher hat die umstandslose Verfügbarkeit von Fotos, Trailern und Videoclips zu vielen laufenden Inszenierungen das ihre dazu beigetragen, dass in Referaten und Vorträgen allzu oft visuelle Dokumente eine detailliertere Beschreibung des szenischen Geschehens ersetzen.

Daneben könnte sich aber eine grundsätzlichere Skepsis auswirken. Von jeher gibt es Zweifel am Methodencharakter der Aufführungsanalyse. Gerade im interdisziplinären Kontakt, auf fachübergreifenden Konferenzen oder in Forschungsverbünden wird man mit der skeptischen Einschätzung konfrontiert, die Aufführungsanalyse – in ihrer letztlich doch freien und ungeregelten Form – sei im Grunde keine ‚richtige‘ Methode. Diese Auffassung hat einiges für sich, ist für das Fach aber mit Gefahren verbunden, denn wenn in disziplinübergreifenden Debatten der Methodencharakter der Aufführungsanalyse in Abrede gestellt wird, kann es schnell prinzipiell um die Legitimität der Theaterwissenschaft als Wissenschaft gehen. Gerade Diskussionen mit Sozialwissenschaftler*innen sind oft schwer zu führen, weil sich deren Methodenverständnis kaum auf die Praxis der Aufführungsanalyse beziehen lässt. So gehen Aufführungsanalysen, zumal wenn ein Erinnerungsprotokoll am Anfang steht, nicht immer von expliziten Hypothesen aus. Die Erkenntnisse, die aufführungsanalytisch gewonnen werden, sind im strengen Sinne nicht nachprüfbar. Und wo nur noch quantifizierbare Ergebnisse zählen, läuft die Praxis der Theaterwissenschaft auch jenseits der Aufführungsanalyse Gefahr, als ein subjektivistisches Gerede über Aufführungen disqualifiziert zu werden.

Um eben diesen Subjektivismus-Vorwurf gegen die Aufführungsanalyse soll es in meinem Beitrag gehen. Denn der Vorwurf verfolgt die Theaterwissenschaft besonders hartnäckig, er wird auch fachintern immer wieder laut und prägt die Lehre von Anfang an. Bereits im allerersten Semester – und dann in immer neuen Wendungen – fragen Studierende: „Wie subjektiv darf meine Analyse sein?“ Die Antwort lautet in der Regel: Natürlich darf sie subjektiv sein, muss es sogar – aber dann ertappen sich Lehrende doch dabei, vom siebenundzwanzigsten Erinnerungsprotokoll, in dem ausführlich dargelegt wird, wie sehr man sich in der Aufführung gelangweilt oder wovor man sich geekelt hat, ein wenig entnervt zu sein. Dass die subjektivistische Schilderung von eigener Langeweile, persönlichen Abneigungen und idiosynkratischen Befindlichkeiten am Ende nicht viel über die zu analysierende Aufführung aussagt, wird den Seminargruppen schnell deutlich, doch umso dringlicher stellt sich dann die Frage nach dem sozusagen angemessenen, akzeptablen Maß an Subjektivität.

Die identitätspolitischen Debatten der letzten Jahre haben das Problem verschärft. Denn während man es vor nicht langer Zeit noch vorwiegend eindrucksvoll fand, wenn jemand sein individuelles Spüren und Fühlen in einer Aufführung differenziert zu beschreiben vermochte, können solche Beschreibungen heute nicht nur auf eine methodologische, sondern auch auf eine politische Kritik stoßen: Ist es überhaupt zulässig, von eigenen Gefühlen und Empfindungen auf die Erfahrungsdimension ganzer Aufführungen zu schließen? Neigen die Analysierenden von Aufführungen nicht zu unbefangen dazu, ihre eigene Sicht der Dinge zu verallgemeinern, ohne zu berücksichtigen, dass dasselbe szenische Geschehen von anderen Zuschauer*innen vielleicht ganz anders wahrgenommen wurde? Die politische Dimension dieser Fragen wird deutlich, wenn man hinzufügt, dass diese anderen Zuschauer*innen womöglich anderen sozialen und kulturellen Milieus angehören, mit anderen Ausschlüssen und Diskriminierungen konfrontiert sind, einen anderen Erfahrungshintergrund in die Aufführung mitbringen. Die Blackfacing-Debatte nach 2012 hat unterstrichen, dass es nicht irrelevant ist, wer aus welcher Perspektive und von welcher sozialen Position aus über eine Aufführung spricht oder schreibt.1 Eine mögliche Schlussfolgerung aus der Debatte konnte es sein, sensibler darauf zu achten, die eigene Sicht auf eine Aufführung (auch im wissenschaftlichen Schreiben) nicht unhinterfragt zu universalisieren. Dies gilt umso mehr, wenn von Affekten, Gefühlen oder Emotionen die Rede ist.

Im Folgenden soll das Subjektivitätsproblem der Aufführungsanalyse gerade in Bezug auf ein affektorientiertes Schreiben erörtert werden. Der erste Teil versucht einen kurzen Rückblick auf Traditionslinien der Aufführungsanalyse. Die aktuelle Virulenz des Subjektivitätsproblems wird im zweiten Teil genauer erläutert. Im dritten Teil soll eine Differenz zwischen Affekt und Emotion betont werden, um auf dieser Grundlage im letzten Teil eine affektorientierte Analyserichtung vorzuführen, die darauf abzielt, den Subjekt-Objekt-Gegensatz im Beschreiben des szenischen Geschehens wenn nicht zu überwinden, so doch abzuschwächen und weniger stark in die Deskriptionen einfließen zu lassen. Es kann nicht darum gehen, die unhintergehbare Subjektivität des Analysierens zu kaschieren. Gleichwohl sind Möglichkeiten erkennbar, gerade die affektive Dimension der Aufführung zu thematisieren, ohne das gesamte Geschehen auf ein angebliches ‚Ich‘ des Analysierenden zu zentrieren.

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