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Rollenaufteilung zwischen »großem« und »kleinem Krieg«
ОглавлениеDer »große Krieg«, bei dem reguläre Truppen aufeinanderprallen, steht im Zentrum von Clausewitz’ Abhandlung. Doch der preußische Stratege hat auch »Vorlesungen über den kleinen Krieg« gehalten, der Gegenstand eines anderen Abschnitts seines Werkes hätte werden müssen, wenn er nicht vorzeitig am 16. November 1831 in Breslau der Cholera erlegen wäre.
Der von »Partisanen« geführte »kleine Krieg« oder auch »Parteigängerkrieg«, ab dem 18. Jahrhundert theoretisch diskutiert, bildete anfangs eine komplementäre Taktik zum »großen Krieg«: Er bezeichnet militärische Operationen leichter Kavallerie- oder Infanterietrupps, die von der regulären Armee abgetrennt und in kleinen Einheiten organisiert werden, um Aufklärungseinsätze, Überraschungsangriffe, Hinterhalte unterstützend oder in Vorbereitung »großer« Schlachten durchzuführen, in denen reguläre Truppen gegeneinander antreten. Nach dem Vorbild der Peltasten der griechischen Antike, die in wechselvollem oder unwegsamem Gelände operierten, wo die Hopliten nur geringe Wirksamkeit entfalteten, agieren die »Partisanen« parallel zu den Soldaten der regulären Armee.
Begünstigt durch die Dynamiken, die sich im 19. Jahrhundert in Aufständen entwickelten, entkoppelte sich der kleine vom großen Krieg und wurde zu einer ganz eigenständigen, das Volk involvierenden Form der Auseinandersetzung. Dass wir von »Guerilla«, »Aufstand« oder »irregulärem Krieg« sprechen, liegt daran, dass sich diese Konfliktform im Schatten der »konventionellen« Auseinandersetzungen etabliert hat. Da sie auf psychologischem Vorgehen, Störung und Zermürbung basiert, findet sie meist Anwendung auf der »schwachen« Seite und kompensiert das Fehlen oder die Unterlegenheit der konventionellen Streitkräfte in diesem Bereich. Die zugleich militärische und politische Asymmetrie zwischen einer »starken« und einer »schwachen« Seite ist aus dieser Perspektive eine entscheidende Gegebenheit der zeitgenössischen Konflikte. Der Schwache versucht, seinen Gegner zu destabilisieren, da er ihn militärisch nicht besiegen kann, während der Starke bestrebt ist, sich an die Art von Krieg anzupassen, die ihm der Schwache aufzwingt, sei es, dass dieser einen »Aufstand« im Inneren betreibt oder ein äußerer »Feind« ist oder beides zugleich. Das führt zur Entwicklung von Methoden der »Aufstandsbekämpfung«, zum Beispiel bei dem Kalabrien-Feldzug der napoleonischen Truppen von 1806–1807, die ein regelrechtes Laboratorium für die zeitgenössischen Formen des Krieges darstellten.
Die kleinen Kriege florierten im 19. Jahrhundert im Fahrwasser der Napoleonischen Kriege, aber auch der Kolonialeroberungen: Die Auseinandersetzung zwischen den Briten und den Maoris zwischen 1845 und 1872 (auf Englisch New Zealand Land Wars oder Maori Wars) veranschaulicht das gut. Wenn die Briten diesen Konflikt auch für sich entschieden, so fügten ihnen die Maoris doch mehrere bittere Niederlagen zu, die mit deren Kenntnis des Terrains und dem Einsatz des kleinen Krieges zusammenhingen.
Ein gutes Zeugnis dieser kolonialen Formen des Krieges liefert der britische Offizier Charles E. Callwell in Small Wars. Their Principles and Practice, das in erster Auflage 1896 erschien. Der Autor erarbeitete anhand von Beispielen aus den britischen, französischen und russischen Kolonialkriegen ein Anti-Guerilla-Kompendium, das konkreten Nutzen für den »imperialen Soldaten« haben sollte, der sich Angriffen durch lokale Truppen ausgesetzt sah, die ihre materielle und technologische Unterlegenheit mit genauer Kenntnis des Terrains und mit List kompensierten. Für Callwell umfasst der Begriff »kleiner Krieg« daher »alle Kampagnen, bei denen sich nicht von beiden Seiten reguläre Truppen gegenüberstehen«6.
Die Komplementarität zwischen großem und kleinem Krieg bleibt so erhalten, doch tatsächlich kommt es zu einer Rollenteilung: Der noble, reguläre und normierte große Krieg blieb allein den innerwestlichen Auseinandersetzungen vorbehalten, während der kleine Krieg oft das Los der Kolonialeroberungen war, die in Gegenden außerhalb des Westens gegen »wilde«, »unzivilisierte« Feinde stattfanden. Die Techniken zur Aufstandsbekämpfung entzogen sich also dem Modell und damit den Normen des zwischenstaatlichen Krieges. Dadurch eigneten sich die Kolonialmächte durch Anpassung an den strategischen Kontext im Moment der Eroberung und erneut bei der Dekolonisation, als sie im Laufe des 20. Jahrhunderts ihre Kolonialreiche aufgeben mussten, das »rustikale« Wissen ihrer Feinde an. Die Strategie des kleinen Krieges der Kolonialisierten bestand darin, einerseits aufständische Aktionen durchzuführen und andererseits die Weltöffentlichkeit zur Zeugin anzurufen, wobei sie von der diplomatischen Arena profitierten, die die junge UNO zur Verteidigung ihres Anliegens der Unabhängigkeit und »nationalen Befreiung« bot.
Im 20. Jahrhundert kam es zu zahlreichen kleinen Kriegen im Kontext revolutionärer und antikolonialer Kämpfe, die mit Figuren wie Lenin, Trotzki, Mao und später Giáp und Ernesto »Che« Guevara verbunden sind. Ihre aufmerksame Lektüre Clausewitz’ hängt mit einer Faszination für die Beziehungen zwischen Krieg, Gesellschaft und Politik zusammen, die der preußische Denker herstellt. Der bewaffnete Kampf bildet im revolutionären Denken ein wesentliches Element in der Übernahme und dann auch Ausübung der Macht. In dieser Perspektive fügen sich die Methoden des kleinen Krieges zur revolutionären Aktion, die inmitten der Bevölkerung stattfindet und auf die Moral sowie die Psychologie der Akteur*innen einwirkt. Mao ist zweifellos der Autor, und auch Akteur, der mit seiner Auffassung, der Partisan solle sich im Volk bewegen wie »ein Fisch im Wasser«, diesen Gedanken in seinen Schriften am weitesten getrieben hat. Kleinem Krieg und revolutionärer Aktion ist die Idee gemeinsam, dass es in den Ursprüngen jeder Aufstandsbewegung ein asymmetrisches Machtverhältnis zwischen Herrschenden und Beherrschten gibt. Legitime Revolutionär*innen bedienen sich bestimmter militärischer Techniken, um einem Staat zu trotzen, der per Definition über Zwangsmittel verfügt, die den Aufständischen fehlen. Im Allgemeinen lassen sich die Revolutionär*innen von einem strategischen Denken leiten, das mit der politischen Aktion verschmilzt: Unter der Voraussetzung, dass es keine klare Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden gibt, bildet die materielle und psychologische Macht ein Mittel, um eine permanente Spannung und Mobilisierung hervorzubringen, die dem Aufbau und der Konsolidierung des revolutionären Projekts förderlich sind. Zur Zeit des Kalten Krieges entwickelten die Sowjets daher die Doktrin der »Kräftekorrelation«, die die Logik des Krieges auf die Gesamtheit der politischen, ökonomischen und sozialen Prozesse ausdehnt, wie ihre Konzeption der Industriespionage bezeugt. Die militärische Auseinandersetzung bildet nur einen Aspekt eines größeren »Krieges«, während dem Politischen die Funktion zukommt, das strategische Feld in seiner Gesamtheit abzudecken.
Heute werden die Mittel des kleinen Krieges von terroristischen Gruppen wie al-Qaida oder dem Islamischen Staat eingesetzt und aktualisiert, um die konventionelle Schlacht zu vermeiden und um die Demokratien moralisch zu destabilisieren. Die Kraftprobe findet sowohl in Raqqa als auch in den Zentren der Weltstädte statt, dabei bildet das Selbstmordattentat die radikalste Version dieser Art von Gewaltakten. Um diese Bedrohungen zu bekämpfen, entdecken die Staaten, insbesondere die Westmächte, das Wissen über Aufstandsbekämpfung wieder, das zur Zeit der Kolonialeroberungen und später während der Dekolonisationskriege erarbeitet wurde. So ließen sich die Vereinigten Staaten unter General Petraeus von den Arbeiten des französischen Offiziers David Galula inspirieren, der im Algerienkrieg gekämpft hatte.7