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»Große Strategie« für einen begrenzten Krieg

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Kleine und große Kriege haben sich also gemeinsam entwickelt, doch Letztere sind es, die die aktuellen strategischen Doktrinen und politischen Diskurse im Westen strukturieren. Der Erste Weltkrieg, der die Matrix für die Konflikte des 20. Jahrhunderts bildete, ist aus dieser Perspektive der größte der Kriege. Er läutete das Ende der Doktrinen des begrenzten Krieges ein, die aus dem westfälischen System hervorgegangen waren, welches zu diesem Zeitpunkt bereits durch die Kriege der Revolutions- und Kaiserzeit sowie später durch den Krimkrieg (1853–1856) und den Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) brüchig geworden war. Er nahm in Europa seinen Ausgang, weitete sich aber über die Kolonialreiche und durch Kriegseintritt der Vereinigten Staaten 1917 zunehmend auf den Rest der Welt aus. Er markiert gemeinhin den Eintritt ins 20. Jahrhundert und den Beginn des Zeitalters der »totalen« Kriege.

Dieser Begriff des »totalen Krieges«, der zum ersten Mal 1918 von Léon Daudet verwendet und 1935 von General Ludendorff wieder aufgegriffen wurde, ist durchaus umstritten, erfasst aber eine bestimmte Wirklichkeit auf politischer, strategischer und normativer Ebene: Zunächst einmal drückt er den Willen zur Vernichtung des Feindes aus, was die Beseitigung der moralischen, rechtlichen und politischen Beschränkungen der Waffengewalt unterstellt; des Weiteren impliziert er die »totale Mobilisierung« der Gesellschaft, die Einheit von »Front« und »Heimatfront« und damit die Militarisierung der Gesellschaft; schließlich setzt er eine beispiellose Feuerkraft voraus, die durch den technischen Fortschritt ermöglicht wurde.

In diesem Zusammenhang kam der britische Denker Basil Liddell Hart (1895–1970) zu der Einschätzung, dass sich das strategische Denken nach Clausewitz im Dogma des Zusammenstoßes von Armeen und der Entscheidungsschlacht verirrte. Mit seiner Theorie des »indirekten Ansatzes«, die das Wissen des Strategen für die Ära der Massenschlachten rehabilitierte, sah er es als möglich an, Krieg zu führen, ohne sinnlos Zehntausende Menschenleben auf dem Schlachtfeld zu opfern: Statt den Zusammenstoß zu provozieren, müssten im Vorfeld die nichtmilitärischen Mittel zum Einsatz gebracht werden, also Blockaden oder Machtdemonstrationen, um den Gegner zu schwächen oder ihn sogar davon abzubringen, sich auf die Schlacht einzulassen.

Mit der Rehabilitierung der Idee des begrenzten Krieges verteidigte Liddell Hart auch die Idee der »großen Strategie«, da er zu der Einschätzung gelangte, dass der Krieg nicht allein auf dem Schlachtfeld gewonnen wird, sondern in der strategischen Planung und psychologischen Kriegführung, in die sich das Manöver einfügt. Während er Clausewitz, den er als »Mahdi der Massen« bezeichnet, schematisch abqualifiziert, äußert er sich lobend über den Chinesen Sunzi, zu dessen Kunst des Krieges er das Vorwort für die englische Ausgabe beigesteuert hat. Für Liddell Hart hätten die Strategen des Ersten Weltkrieges den Grundsätzen des chinesischen Denkers folgen sollen, für den »die Kriegführung […] dem Prinzip der Täuschung [gehorcht]«8, statt Clausewitz’ Lehren zu folgen, die sich um die Konzentration der Kräfte und die Suche nach dem Schwerpunkt des Gegners in der Schlacht drehen. Fragwürdige Interpretationen dieser Prinzipien haben ihren schädlichen Teil zur Entstehung des totalen Krieges beigetragen. Nach Liddell Harts Vorstellung ist der Krieg nicht ausschließlich dem Imperativ von Effizienz und Sieg unterworfen; er muss auch legitim sein. Für ihn geht es darum, den Kampf wieder ökonomisch zu gestalten, den Gegner zur Aufgabe zu drängen und zur Unterzeichnung eines dauerhaften Friedensabkommens zu bewegen. Der wahrhafte militärische Sieg hat nur Bedeutung, wenn der Frieden mit dem Gegner möglich ist.

Dennoch sollte der Gegensatz zwischen einer von Sunzi ererbten »orientalischen« Strategietradition, die die List und die nichtmilitärischen Formen der Auseinandersetzung in den Vordergrund stellt, und einer »Clausewitz’schen« Militärkultur, die rohe Gewalt und Angriffsdoktrinen aufwertete, nuancierter gesehen werden. Ihre Entgegensetzung gibt nur einer Form von »militärischem Orientalismus« Nahrung. Sicher verlegte Clausewitz die List auf die taktische Ebene, während Sunzi sie zu einer wesentlichen strategischen Waffe machte, doch dieser Unterschied beruht mehr auf theoretischen und politischen Entscheidungen als auf kulturellen Elementen. Sunzis China war auch nicht in höherem Maße eine Zivilisation der List, als Clausewitz’ Europa eine Zivilisation der Gewalt war, denn in Wahrheit bilden List und Gewalt zwei wesentliche Elemente einer strategischen Grammatik, die allen Kulturen gemein ist. Diese Mittel können je nach Kampfform und strategischer Konfiguration in Gegensatz zueinander stehen oder kombiniert werden.

Liddell Hart überbetont den Gegensatz zwischen Sunzi und Clausewitz ein wenig, doch er steht Ersterem näher, insofern er ebenfalls nach den Mitteln fragt, mit denen der Krieg gewonnen werden kann, indem man »sich die Truppen des Gegners ohne Kampf unterwirft«9. Seine Problemstellung ist zugleich strategisch und normativ: Wie können Kriege gewonnen werden, ohne das »Schlachten« des Ersten Weltkrieges zu wiederholen? Der britische Denker gelangt zu einer Antwort, die von Clausewitz’ Antwort gar nicht weit entfernt liegt, nämlich in der Ablehnung einer rein militärischen Betrachtungsweise des Krieges zugunsten einer »großen Strategie«, die die politischen, ökonomischen und psychologischen Parameter mit einbezieht. Das Prinzip der »Dislokation« wird der Zerstörung vorgezogen, welche den Ansporn für die Angriffsstrategien im Krieg von 1914–1918 gab. Der Sieg wird nicht durch Zermürbung mittels Bombardements und wiederholten Angriffen erlangt, sondern indem der Gegner mit Panzertruppen überrannt wird.

Neben John F. C. Fuller (1878–1966) war Liddell Hart einer der großen Verteidiger der Mechanisierung des Krieges. In diesem Punkt folgte ihm übrigens Charles de Gaulle, der diese Optionen unterstützte, bevor Frankreich den Blitzkrieg und die Niederlage von 1940 erlitt. Für diese Autoren war der Panzerkrieg ein Mittel, um einen schnellen Sieg ohne lang anhaltende Kampfhandlungen und ohne hohe Kosten an Material und Menschenleben zu erringen. Die Wirkung auf den Gegner beruht folglich auf einem Spiel mit den Wahrnehmungen, wie auch Sunzi und Machiavelli betonen: Das Ziel ist es, den Gegner davon zu überzeugen, dass er in der Falle sitzt, um ihn psychologisch auf die Niederlage einzustimmen und dazu zu bringen, die Waffen zu strecken.

Die Militärgeschichte, wie Liddell Hart sie darstellt, löst noch heute Vorbehalte und Kontroversen aus. Doch sein Einfluss ist größer und nachhaltiger, als die strategischen Doktrinen vermuten lassen. Mit Clausewitz in der Überzeugung einig, dass das militärische Mittel in seinen politischen und sozialen Kontext gestellt werden muss, war er einer der ersten Denker des 20. Jahrhunderts, die die Ausweitung des Krieges und der Strategie auf größere Bereiche ernst nahmen – eine Verschiebung, die sich dann im Kalten Krieg bestätigt hat.

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