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Jean-Vincent Holeindre Den Krieg denken

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Ein symmetrischer und konventioneller Konflikt zwischen Staaten ist das traditionelle Modell des Krieges. Durch Einbeziehung der Bevölkerung, Guerillas und massive Verbesserung der Militärtechnologie bis hin zur Atombombe befindet es sich seit dem 19. Jahrhundert in der Krise.

Von Krieg sprechen hat immer eine politische Dimension. Als die Präsidenten Bush und Hollande die Terroranschläge, die 2001 bzw. 2015 ihre Länder trafen, als »Krieg« bezeichneten, unterstrichen sie damit vor allem die Schwere und den besonderen Charakter der auf nationalem Boden ausgeführten Angriffe. Zugleich gaben sie damit aber auch eine entschlossene politische Antwort vor, die dem Schock, den die Taten ausgelöst hatten, entsprechen sollte. Und was wäre in den Augen der eigenen Bürger*innen und der restlichen Welt entschlossener als die militärische Antwort? Wenngleich al-Qaida und der Islamische Staat in den Anfängen dieser neuen Art von Krieg als »Feinde« bezeichnet wurden, erscheinen sie im politischen Diskurs doch als »kriminelle«, zu »barbarischen« Taten fähige Organisationen. Die Gleichsetzung des Dschihadismus mit Kriminalität soll ihm jegliche Legitimität nehmen, während das Register des »Krieges« erlaubt, gerade zu einem Zeitpunkt, da die Sicherheit der Bürger*innen infrage gestellt ist, die Integrität und Souveränität des Staates zu bekräftigen.

In anderen Fällen hingegen fungiert der Krieg für die Politik als negatives Gegenbild. So kann sich die Staatsgewalt dagegen verweigern, Konflikte, die die Geschichtsschreibung später als »Kriege« anerkennt, als solche zu benennen. Das war der Fall im Koreakrieg (1950–1953), im Algerienkrieg (1954–1962) und auch im zweiten Tschetschenienkrieg (1999–2009), die von den amerikanischen bzw. französischen oder russischen Behörden als »Polizeioperationen«, »Ereignisse« oder »Terrorbekämpfungsoperationen« bezeichnet wurden. Im Fall des Koreakrieges wollte Präsident Truman kenntlich machen, dass es sich um eine von den Vereinten Nationen veranlasste Operation und nicht um einen von den Vereinigten Staaten verfügten Krieg handelte. In Algerien ging es Frankreich darum, die Ausmaße eines Konflikts herunterzuspielen, der die Souveränität des Staates auf einem von ihm kolonisierten Territorium infrage stellte. Russland wiederum betrachtete die Tschetschen*innen als »Terroristen«, die die russische Ordnung destabilisieren wollten, und nicht als »legitime« Feinde an der Spitze eines potenziell souveränen Staates. Von Krieg zu sprechen hätte bedeutet, die Abspaltung Tschetscheniens anzuerkennen und die Unabhängigkeitsforderung ernst zu nehmen; das wäre zugleich darauf hinausgelaufen, den Feind als vollwertigen politischen Akteur anzusehen. Daher wurde das Register Kriminalität dem Register Krieg vorgezogen.

Diese Debatten darüber, ob von Krieg zu sprechen ist, verweisen allgemeiner darauf, dass das politische und militärische Denken insbesondere in den Ländern des Westens um ein Modell des zwischenstaatlichen Krieges herum strukturiert ist, der wiederum mit der Idee der Souveränität verbunden ist. Nach dem Ausspruch des amerikanischen Soziologen Charles Tilly ist es der Staat, der Krieg führt, und der Krieg, der zum Staat führt: Diese Idee prägt Theorie und Geschichtsschreibung in einem Maße, dass es auf einer analytischen Ebene schwierig geworden ist, den Krieg anders zu denken als in der Form eines Konflikts zwischen Nationalstaaten mit »regulären« Armeen. Ist das Völkerrecht nicht ein Recht der Staaten, das nichtstaatlichen Akteuren die Legitimität aberkennt? Die Jurist*innen haben sich seit 1945 übrigens von dem Begriff »Krieg« abgewandt und stattdessen den Ausdruck »bewaffneter Konflikt« bevorzugt – ein Zeichen dafür, dass eine Diskrepanz zwischen Tatsachen und Normen besteht, genauso wie es auch eine Kluft gibt zwischen dem zwischenstaatlichen, »westfälischen« Rahmen der modernen internationalen Beziehungen und den diffusen Formen bewaffneter Auseinandersetzungen, zu denen es während der Dekolonisation und dann im Kontext der Globalisierung kam. Keinem Beobachter würde es in den Sinn kommen, von einem Verschwinden des Krieges nach 1945 zu sprechen, doch über den Begriff selbst hat es nie so wenig Übereinstimmung gegeben: Aus der Rechtslehre verschwunden und zwischen Akteur*innen, Zeug*innen und Beobachter*innen umstritten, wird er noch in strategischer Weise, und oft auch willkürlich, von der Politik verwendet.

Sich dem Krieg auf einer analytischen Ebene zu nähern ist somit höchst problematisch geworden, weil das Modell zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen der Sache nach und juristisch infrage steht, ohne dass das internationale System auf politischer und rechtlicher Ebene angepasst worden wäre. Seit 1945 sind die zwischenstaatlichen Formen des Krieges zurückgegangen und haben der Logik der nuklearen Abschreckung und den »neuen Konflikten« Platz gemacht, die etwas hilflos als »irregulär«, »asymmetrisch« oder auch »nichtkonventionell« bezeichnet werden. Die Verwendung dieser Attribute ex negativo zeigt an, dass durchaus ein Modell des regulären, symmetrischen und konventionellen Krieges existiert, das mit dem politischen und normativen Rahmen der nationalen und staatlichen Souveränität korrespondiert. In diesem Rahmen konnte der Begriff des Krieges in der Moderne eine exakte Bedeutung erhalten und auf politischer und rechtlicher Ebene formalisiert werden. Doch heute befindet er sich in der Krise: Das Kriegsphänomen überschreitet die Institution des Staates, auf die man es festschreiben wollte. Genau das hat bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts der preußische Offizier und Theoretiker Carl von Clausewitz (1780–1831) in seinem Werk Vom Kriege offengelegt.

Eine Geschichte des Krieges

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