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Waterloo, die Entscheidungsschlacht

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Wenn jedoch die Schlacht für sich nicht entscheidend ist, wie konnte Clausewitz dann auf den Gedanken kommen, dass sie den Ausgang des Krieges bestimmen kann? Für ihn hängt die Antwort damit zusammen, was nach dem Schlachtgeschehen passiert. Die Strategie, erklärt er mehrmals, besteht darin, die Schlacht in den Dienst der Kriegsziele zu stellen. Die Verfolgung des besiegten Gegners beispielsweise zerstört die Einheit und Disziplin seiner Armee, was letztlich bedeutet, ihn »auszulöschen«. Aus dieser Sicht wurde der Ausgang des Feldzugs, der in Waterloo gipfelte, weniger durch die Kämpfe am 18. Juni 1815 besiegelt als dadurch, was in den darauffolgenden Tagen geschah. Beide Armeen waren bei der Auseinandersetzung aufgerieben worden, die Franzosen hatten fast 50 Prozent Verluste erlitten und die Koalition kaum weniger. Am folgenden Morgen erkannte ein Offizier der britischen berittenen Artillerie, der am Vortag auf der rechten Flanke Wellingtons nahe Hougoumont positioniert gewesen war, dass seinen Truppen Pferde, Geschirre und Munition fehlten: Er konnte sie nicht unmittelbar abmarschieren lassen. Und das wurde von ihm auch nicht verlangt. Am 18. Juni hatten sich Wellington und Blücher gegen 10 Uhr abends im Gasthaus »La Belle Alliance« getroffen und entschieden, dass die Preußen, die im Tagesverlauf den Kämpfen weniger ausgesetzt gewesen waren, den besiegten Gegner verfolgen sollten. Am 21. Juni erreichte Napoleon Paris. Er versuchte sogleich, neue Truppen auszuheben, da er hoffte, sich von der gerade erlittenen Niederlage durch den nächsten Sieg erholen zu können. Doch der Senat und das Repräsentantenhaus verweigerten ihm die Unterstützung. Durch die Niederlage bei Waterloo hatte Napoleon sein politisches Kapital in Frankreich verspielt. Auf diese Weise diente die Schlacht bei Waterloo den Kriegszielen: Der Kaiser dankte ab.

Im Laufe des folgenden Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Waterloo zum Symbol der Entscheidungsschlacht schlechthin. Beispielsweise veröffentlichte der britische Anwalt Edward Creasy 1851 ein Buch mit dem Titel The Fifteen Decisive Battles of the World. Wie zu erwarten, ist die fünfzehnte und letzte dieser Schlachten die von Waterloo. Der Verfasser rechtfertigt den Gegenstand seiner Studie nicht durch die Strategie, wie Clausewitz es getan hatte, sondern über die nationale Identität: »Bestimmte Schlachten […] haben ihren Teil dazu beigetragen, dass wir zu dem wurden, was wir sind.«6 Ob es sich um eine entscheidende Schlacht handele, darüber könne man nur mit Abstand urteilen: »Die Wirkung dieser Zusammenstöße beschränkt sich nicht auf eine Geschichtsperiode allein, sondern kann einen Anstoß geben, der das Los der ganzen Menschheit beeinflusst.«7 Die erste Schlacht, mit der sich Creasy beschäftigt, ist Marathon, der Triumph der Griechen über »die bis dahin unbesiegten Herren von Asien«,8 wie er sie nennt. Als Nächstes diskutiert er Hastings, Saratoga und Valmy, eine Folge von Schlachten, die den Schluss nahelegt, dass der Sieg auf den Triumph des Guten hinausläuft, also letzten Endes auf den der verfassungsmäßigen Regierung über Tyrannei und Despotie. Das ist ein gutes Beispiel für das, was die Briten die whig-Interpretation der Geschichte nennen, also die Idee, dass die Geschichte eine Abfolge von Fortschritten sei und dass mit den Schlachten, so blutig sie auch sein mögen, im Resultat immer eine bessere Welt entsteht. Creasys Darstellung hatte einen immensen Erfolg. 1914 erreichte sein Buch fast die 50. Auflage. Daraus entwickelte sich die übergreifende Idee, dass unabhängig vom allgemeinen Kontext die Schlachten über den Ausgang der Konflikte entschieden.

Dieses Denken prägte auch die Soldaten. Jean Colin, ein französischer General und Spezialist für den Napoleonischen Krieg, konnte, bevor er 1917 im aktiven Dienst den Tod fand, noch 1913 sein Buch mit dem Titel Les Grandes Batailles de l’histoire vollenden (das allerdings erst 1915 auf Französisch und Englisch erschien). In diesem Werk endet die Analyse Waterloos in dem Moment, in dem Napoleon das Schlachtfeld verlässt; die Frage nach den Folgen der Schlacht kommt ebenso wenig auf wie die, in welcher Weise sie den Kriegszielen diente. Die Schlacht wiegt mehr als der Kontext, die Taktik mehr als die Strategie. Sogar nach einem Jahrhundert relativen Friedens in Europa nahmen die Militärexperten Waterloo nicht mehr in derselben Weise wahr wie Creasy, das heißt als Ende einer Epoche und den Beginn einer anderen. Waterloo wurde nicht mehr als Abschluss eines mehr als zwei Jahrzehnte dauernden Krieges angesehen, sondern als Ende eines kurzen Feldzugs. In den Militärakademien lehrte man die Napoleonischen Kriege als eine Abfolge isolierter Ereignisse – beispielsweise die Feldzüge, die in der Schlacht bei Marengo oder in der bei Jena und Auerstedt gipfelten – und nicht als Komponenten eines größeren Ganzen, nämlich die französischen Revolutionskriege und die Napoleonischen Kriege. Wenn man eine Kontinuität suchen sollte, dann ergab sie sich nicht aus dem langen Krieg, der sich zwischen 1792 und 1815 entspann, sondern im Willen, sich als effizient auf dem Schlachtfeld zu erweisen und kurze und entscheidende Schlachten zu schlagen, von denen man sich auf Grundlage einer selektiven Betrachtung der Vergangenheit für die Zukunft inspirieren lassen könne.

Das 18. Jahrhundert schuf übrigens einen Präzedenzfall. Während der Napoleonischen Kriege hatte insbesondere Antoine-Henri Jomini versucht, die französischen Revolutionskriege in die Folge der vorangegangenen Kriege, beginnend mit denen Friedrichs des Großen, einzuordnen. Der preußische König hatte erklärt, dass er im Fall, dass er eine Schlacht verlieren sollte, den Preis dafür in Form der Abtretung einer Provinz bezahlen würde. Mit anderen Worten, er besaß die Mittel, die Folgen einer Niederlage zu tragen. Die Monarchen, die sich auf den Krieg einließen, akzeptierten das Risiko, das sie damit eingingen, und stellten die Resultate nicht infrage. Sie agierten im Rahmen eines internationalen Systems, das sie beherrschten; daher lag es in ihrem Interesse, ihre Legitimität gegenseitig anzuerkennen. Die Hohenzollern sahen sich in der Pflicht, innerhalb des Systems der Großmächte zu handeln, statt es zu destabilisieren. Natürlich handelte es sich bei dieser Perspektive um eine idealisierte Version der Ereignisse. Nachdem Friedrich 1740–1742 die österreichische Provinz Schlesien eingenommen hatte, musste er, weil Maria Theresia den Verlust eines Teils ihres Territoriums nicht akzeptierte, trotzdem noch zwei weitere Kriege führen, um seine Zugewinne zu legitimieren. Im zweiten, der nicht enden wollte und als Siebenjähriger Krieg bezeichnet wird, lieferte er sich zahllose Schlachten, von denen sich bestimmte als »entscheidend« erwiesen (vor allem Rossbach und Leuthen), ohne doch zum Ende der Auseinandersetzung zu führen, während andere lediglich Pyrrhussiege waren (insbesondere die Schlacht bei Zorndorf). Außerdem war der Krieg selbst in seinen Möglichkeiten begrenzt. Die Armeen waren durch ihre logistischen Kapazitäten und durch die Jahreszeiten eingeschränkt, und die entscheidenden Schlachten konnten so schwere Verluste verursachen, dass man geneigt war, bis zum darauffolgenden Jahr zu warten, bevor man daran dachte, Profit aus den Resultaten zu schlagen.

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