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II. Die Erzählung über Caesar

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Die Kaiserchronik eröffnet die Reihe ihrer ‚Viten‘ (respektive Gesten)1 mit Gaius Julius Caesar.2 Wenn man den entsprechenden Abschnitt mit Vers 209 beginnen lässt3 und so die Aussagen über die einzigartige Größe und Macht Roms, den Rekurs auf die ‚Salvatio Romae-Sage‘ sowie die knappe Erzählung vom Ertönen der goldenen schelle über dem Abbild der ‚deutschen Lande‘ und ihrer Bewohner einbezieht,4 umfasst er knapp 400 Verse. Caesar kommt an dem Punkt ins Spiel, an dem die Römer mit Verwunderung realisieren müssen, dass daz Dûtisc volch wider si ûf gestanden was (V. 246); die Aufgabe, daz er in das lant twunge / und in daz wider gewunne (V. 233f.), überträgt man dem als helt jungen (V. 252) eingeführten Caesar. Die Kaiserchronik profiliert die Figur im Folgenden als Feldherrn, den sie zunächst im Kampf gegen die ‚Deutschen‘ mit den gentes der Schwaben, der Baiern, der Sachsen und der Franken zeigt und danach, als Reaktion auf die verwehrte Anerkennung der Siege Caesars durch die Römer, in einem Kampf, in dem er, Seite an Seite mit den ‚Deutschen‘, gegen Rom vorgeht und in dessen Folge er schließlich in eine Position einrückt, in der er für die Dauer von fünf Jahren diu rîche […] mit michelem gewalte habete (V. 597), bis er von den Römern ungetrûwelîche erschlagen wird (V. 601).

Die Kaiserchronik präsentiert Julius Caesar demnach als Begründer der kaiserlichen Amtsgewalt im Römischen Reich und setzt ihn so an die Spitze der Reihe von Kaiser-‚Viten‘.5 In den Grundlinien wie auch in etlichen Formulierungen mit dem Caesar-Passus des Annoliedes6 übereinstimmend,7 bietet die Caesargeschichte der Kaiserchronik eine Reihe zusätzlicher Details, lässt anderes weg oder setzt mitunter abweichende Akzente, sodass trotz vieler Parallelen in der Darstellung beider Texte nach einer konzeptuellen Eigenständigkeit der Kaiserchronik gefragt werden soll.8 In dem späteren Text bekundet sich eine Sonderstellung des Abschnitts nicht nur in seiner exponierten Positionierung am Auftakt einer umfangreichen ‚Viten‘-Reihe, sondern auch in seiner Form, bei der die bereits von Friedrich Ohly herausgearbeitete, für viele Kaisergeschichten des Textes typische Rahmung durch eine Kombination aus „sich formelhaft wiederholenden Eingänge[n] und Schlüsse[n]“9 nur partiell und zudem in untypischer Weise realisiert ist. Eine Eingangsformel, für die eine Nennung des Namens und eine knappe Charakterisierung des jeweiligen Kaisers üblich ist, gibt es hier nicht. Der Akzent liegt am Anfang vielmehr auf der êre (V. 212) der Römer,10 einem Ansehen, das sich darauf stützt, dass weder ûf der erde noch ûf dem mere / nemahte sich ir niemen erweren (V. 213f.). Rom repräsentiert eine unbezwingbare Militärmacht, der andere Länder sich unterwerfen; sie werden den Römern […] gehôrsam / unde ze Rôme undertân (V. 215f.). Der mythopoetischen Überhöhung dieser im Rahmen der Vorgeschichte des römischen Weltreichs wichtigen Führungsrolle dient die Integration der ‚Salvatio Romae-Sage‘, der zufolge goldene Glocken über den Abbildern der unterworfenen Länder selbsttätig eine Auflehnung gegen die römische Herrschaft anzeigen. Betont wird zudem das entschiedene Handeln der Römer im Falle einer Bedrohung, das sich auf ein klar geregeltes Procedere stützen kann: Mit Hilfe eines Losentscheids wird ein Herr von Adel bestimmt, der die ehrenvolle Aufgabe erhält, das abtrünnige Land zurückzugewinnen. Markiert durch die Formel Aines tages iz gescach (V. 235), handelt der Text sodann von einem konkreten Alarm während einer Sitzung des römischen Senats; die Inschrift unter dem Abbild der läutenden Glocke tut kund, dass es daz Dûtisc volch (V. 246) ist, das sich erhoben hat. Erst hier erfolgt die Überleitung zur Figur Caesars, die freilich fürs erste noch namenlos bleibt,11 heißt es doch lediglich, dass man ainen hêrren (V. 248) bestimmt, der sich der Sache annehmen soll. Caesars Krieg gegen die ‚Deutschen‘ erfährt in der Kaiserchronik also eine Begründung im Rekurs auf die ‚Salvatio Romae-Sage‘, und sein Handeln im Auftrag und als Repräsentant Roms wird so eigens hergeleitet und motiviert.

Die Schlussformel der Kaisergeschichten wiederum bietet in der Regel Angaben zur Regierungszeit und zur Todesart des betreffenden Herrschers.12 Es ist schon früh gesehen worden, dass der Tod in der Kaiserchronik eine „paradigmatische[] Bedeutsamkeit als Bestandteil[] einer typischen Herrscherrolle“ besitzt und insofern dazu angetan ist, den positiven und vorbildlichen Herrscher vom Tyrannen als Negativexempel zu unterscheiden.13 Der Schluss der Caesar-‚Vita‘ weist beide Bestandteile (Angabe der Regierungszeit wie der Todesart) auf und kann insoweit als ‚regelkonform‘ bezeichnet werden. Die mit fünf Jahren bezifferte und als solche sehr kurze Regierungszeit lässt der Text mit Caesars triumphaler Rückkehr nach Rom nach seinem siegreichen Feldzug gegen Cato, Pompeius und den gesamten römischen Senat beginnen, bei der die Einführung des Majestätsplurals seine unvergleichliche, da bis dato auf viele verteilte, Macht zum Ausdruck bringt. Die Mitteilung über das gewaltsame Ende des Alleinherrschers, der von den Römern erschlagen wird, greift die historischen Vorgänge an den Iden des März im Jahre 44 v. Chr. auf, kann jedoch nicht als eine Qualifizierung Caesars als Tyrann gelesen werden: Zum einen wird die Handlungsweise der Römer mit Hilfe des Adverbs ungetrûwelîche (V. 601) klar verurteilt, zum anderen klingt die Geschichte Caesars nicht mit den Umständen seines Todes aus, sondern mit dem Hinweis auf die ehrenvolle Bestattung seiner Gebeine auf einer irmensûl (V. 602), einem Obelisken.14 Die spezielle Ausgestaltung von Anfang und Ende der Geschichte Caesars resultiert demnach aus einem Erzählen, das die kaiserliche Gründungsfigur des römischen Imperiums auf ihrem Weg in diese Position zeigt und dabei die Ambivalenz des historischen Caesar15 zugunsten einer eindeutig positiven Wertung des ersten Kaisers zurückdrängt.

In einer zweiphasigen Handlung stellt die Kaiserchronik Caesar als Feldherrn vor. Beginn und Ende der ersten Phase, also des Zuges in die Dûtiscen lande[] (V. 253),16 markieren dabei zusammenhängende Charakterisierungen des Erzählers im Umfang von jeweils zehn (vgl. V. 247–256) respektive fünfzehn (vgl. V. 437–451) Versen. Die erste Stelle streicht vor dem Militäreinsatz und im Horizont einer verbürgten und in Preisliedern fasslichen Vortrefflichkeit die Jugend, den Wagemut und die Entschlossenheit17 eines Kriegerhelden heraus, dem die Römer zu Recht den Oberbefehl über ihre Truppen anvertrauen. Der Kontext der zweiten Stelle ist dagegen die Einnahme von Trier, bei der Caesar im Umgang mit den besiegten Gegnern Milde zeigt, die Stadt nicht zerstört, das Ansehen der adligen Bevölkerung nicht antastet, die Führungselite überdies mit bedeutenden Lehen versieht, die kühnsten Kämpfer mit Gold belohnt und auch die Ärmsten mit Gaben bedenkt – das lehrte ihn, so heißt es, sîn diemuot (V. 449). Das Wort lässt aufhorchen, attestiert der Verfasser damit doch dem antiken Feldherrn eine christliche Tugend, „die unter den in der Kaiserchronik erwähnten Heidenherrschern nur Caesar allein besitzt.“18 Der Passus mündet in eine Eloge auf eine Persönlichkeit, die bei herausragendem militärischen Einsatz und einem ebensolchen strategischen Geschick auch die Größe besitzt, die Besiegten zu schonen: Cêsar was milt unde guot, / vil michel was sîn sin (V. 450f.). Die zweite Phase konzentriert sich auf Caesars Aktionen nach seiner Zurückweisung in Rom, wo man die hohen Verluste anprangert, mit denen der Sieg erkauft wurde, und sein Vorgehen als Ausdruck von Machtstreben und Eigenmächtigkeit verurteilt (vgl. V. 455–460). Die Emotion des Zorns (vgl. V. 461) wird von Caesar unmittelbar in ein Handeln umgesetzt, das auf eine Rückkehr zu den […] hêrren / di in Dûtiscem rîche wâren (V. 463f.) und eine erfolgreiche Rekrutierung von erstklassig gerüsteten Truppen ûzer Gallîa unt ûzer Germanje (V. 471)19 einen Feldzug gegen Rom und den römischen Senat mit Cato und Pompeius als herausragenden Vertretern folgen lässt. Im eigenhändigen Einsatz seines Schwertes als Anführer einer kleinen schlagkräftigen Schar von ‚deutschen‘ Kämpfern manifestiert sich ein in Texten des 12. Jahrhunderts mehrfach thematisierter Kampfzorn,20 der im Verbund mit entschiedener Gegenwehr in einer überaus verlustreichen Schlacht eine nie dagewesene Zahl von Toten bedingt. Caesar bleibt dabei in der Sicht des Erzählers der junge man (V. 515), der schließlich diu rîche elliu under sih gewan (V. 516) und so triumphierend und mit großer Macht nach Rom zurückkehrt.

Der Übertragung der Heeresführung an Caesar im Kampf gegen die aufständischen ‚Deutschen‘ unterlegt der Text nicht nur mit dem Hinweis auf die besonderen Qualitäten des jungen Römers eine eigene Rationalität. Hinzu kommt der Umstand, dass der Julier mit den Dûtiscen landen (V. 263) vertraut ist und den Mut und die Kampfkraft (ellen, V. 264) der dortigen Krieger kennt – want er in ir haimilîche was (V. 265), also: in ihrer Heimat gewesen war. Er betritt das Terrain der ‚Deutschen‘ also bereits zum wiederholten Male,21 und so ist es seine Erfahrung, die ihn die Zahl der ihm vom Senat bereitgestellten Kämpfer aus eigener Kraft auf 60.000 verdoppeln lässt, wohlwissend, dass auch diese Zahl ihm nicht zwangsläufig zum Vorteil gereicht (vgl. V. 257–266). Die solchermaßen begründete Nähe des Römers zu seinen transalpinen Gegnern erfährt mit Blick auf die vil edelen Franken (V. 345) eine Steigerung durch den Verweis auf eine gemeinsame Abstammung der Römer und der Franken von den Trojanern mit Aeneas und Franko als ihren jeweiligen Gründungsheroen. In dieser auch bereits im Annolied eingenommenen Perspektive erscheinen die Franken als die alten mâgen Caesars (V. 344),22 wobei die gemeinsame Abstammung von biderben vorderen (V. 346) eine prinzipielle Gleichwertigkeit impliziert, die eine Unterwerfung der Franken zu einer riskanten, weil potenziell instabilen militärisch-politischen Unternehmung macht, die größter Wachsamkeit auf Seiten des Römers bedarf (vgl. V. 377f.).

Bei der Schilderung der Konfrontation Caesars mit seinen – aus der Perspektive Roms – transalpinen Opponenten wechselt der Text von einer „universalen Makro-“ zu einer „gentilen Mikrogeschichte“ (so Mathias Herweg mit Bezug auf das Annolied).23 War am Anfang der ‚Vita‘ noch vom Dûtisc volch die Rede, rücken nun die gentilen Verbände der Schwaben, der Baiern, der Sachsen und der Franken in den Blick. Zwar vermag Caesar alle vier Verbände zu bezwingen, doch sind die Konfrontationen durchaus unterschiedlich gestaltet. Beim Zusammenstoß mit den Schwaben wird die Härte betont, mit der Caesar vorgeht (michel ungenâde, V. 272), eine Härte, die in der entschiedenen Verteidigungsbereitschaft und Wehrkraft der Schwaben und insbesondere ihres Anführers Prenne ihr Pendant findet, wodurch viel Blut fließt. Zum Erfolg verhilft letztlich ein teidinge (V. 284), zu dem Caesar die Schwaben mit minnen (V. 283) bittet. Caesar strebt also eine vertragliche Lösung an, und es ist sein Verhandlungsgeschick, das ihm schließlich die Übergabe des Landes einbringt und es ihm erlaubt, seine Zelte auf dem für die gens vorgeblich namengebenden Berg Suevo respektive Swêrô (V. 288) aufzuschlagen. Die hervorragenden bairischen Kämpfer, zu denen Caesar auf Anraten der Schwaben gelangt (vgl. V. 297–299),24 leisten einen solchen Widerstand, dass der Römer sie nur mit größter Mühe überwinden kann; den Sieg muss er mit pluote sêre geltan (V. 324). Ganz vage bleibt die Kaiserchronik im Falle der Sachsen; hier heißt es zwar: Ihr […] grimmigez muot / tet im dô laides genuoc (V. 325f.), doch bleibt der Verlauf der Begegnung ebenso ausgespart wie die Umstände, die schlussendlich zur Unterwerfung der Sachsen führen. Ähnlich verhält es sich zunächst im Falle der Franken, von denen es heißt, dass ihre Landnahme niden bî dem Rîne erfolgte (V. 374). Hier wird lediglich konstatiert, dass sie Cêsari undertân wurden, dieser sich jedoch weiterhin vorsah (V. 377f.). Ein anderer Aspekt kommt erst zum Tragen, wenn der Text auf die Eroberung der stolzen Stadt Trier eingeht, die er […] an einem ende / in Franken lande, / in Bellicâ Gallîâ (V. 397–399) lokalisiert. Die Kühnheit ihrer Bewohner verhindert zunächst einen Sieg. Diesen kann Caesar nur auf dem Wege einer überlegten Taktik erreichen, mit der er sich nach einer mehr als vierjährigen Belagerung die Zwietracht der mächtigen Herren unter den Trierern zunutze macht. Die Kaiserchronik beleuchtet in diesen Passagen somit nicht nur das militärische Ingenium und die Durchschlagskraft des römischen Feldherrn, sondern zudem seine Fähigkeit zu umsichtiger Verhandlung und die rücksichtslose Klarsichtigkeit, mit der er die Schwäche der Gegner in den eigenen Vorteil umzumünzen versteht. Eine weitere dem Frankenabschnitt inserierte Passage (vgl. V. 379–394) bereichert das Caesar-Portrait um eine zusätzliche Facette, indem sie den Römer als Städtegründer zeigt, der am Rhein eine ganze Reihe von Herrschaftssitzen errichten lässt.

Unterstützt wird das über den Tatenbericht generierte positive Caesarbild der Kaiserchronik auf symbolischer Ebene durch eine eigenwillige Umdeutung des Danieltraums (vgl. V. 526–590). Die komplexe Materie ist gut aufgearbeitet,25 sodass ich hier nur einige zentrale Punkte anspreche, welche die Funktion der Passage erhellen. Zu den Spezifika der in der Kaiserchronik anzutreffenden Version zählen die Einordnung der Passage in den Erzählzusammenhang, die Reihenfolge, in der über die vier wilden Tiere gehandelt wird, welche der Tradition gemäß die zur Gliederung der Geschichte herangezogenen Weltreiche vorstellen, sodann die Ausdeutung der einzelnen Tiere. Die Kaiserchronik inseriert den Danieltraum in die Caesar-‚Vita‘. Genauer gesagt: Sie bietet ihn im Anschluss an den Bericht über das Ende des römischen Bürgerkriegs und die erfolgreiche Etablierung von Caesars Alleinherrschaft und verfährt so signifikant anders als das Annolied, in dem die Danielvision auf den Bericht über das babylonische Reich folgt und dem Bericht über Caesar vorausgeht, der so unmittelbar und folgerichtig an die ‚bildliche‘ Repräsentanz des römischen Weltreichs anschließt.26 Damit weist die Version der Kaiserchronik so eklatante Unterschiede zur biblisch-hieronymianischen Tradition auf, dass an einer Umdeutung in programmatischer Absicht nicht zu zweifeln ist.27 Hatten hier Löwin, Bär, Leopard (Panther) und Eber die vier Weltreiche der Babylonier, der Meder und Perser, der Griechen sowie der Römer bezeichnet, begegnet in der Kaiserchronik die Abfolge Leopard (Panther), Bär, Eber und Löwin; die Weltreiche erscheinen in drei von vier Fällen durch mächtige Könige personifiziert. An die Spitze rückt unter dem Zeichen des Leopards mit Adlerflügeln der Grieche Alexander der Große. Der Bär mit drei Zahnreihen versinnbildlicht drei Königreiche, die sich bekriegten; eine weitergehende Konkretisierung erfolgt hier nicht.28 Der furchterregende Eber mit zehn Hörnern bezeichnet den tiurlîchen Juljum (V. 572), der alle seine Feinde niederwarf und unter seine Herrschaft brachte; das wilde swîn (V. 577) bringt so zum Ausdruck, daz daz rîche ze Rôme sol iemer frî sîn (V. 578). Die Löwin schließlich, mit menschlichem Verstand, menschlichen Augen und menschlichem Mund, ein nie dagewesenes Mischwesen, ausgestattet mit einem himmelwärts wachsenden Horn, steht für den Antichrist, der noh in die werlt kunftich ist, / den got mit sîner gewelte / hin ze der helle sol senden (V. 586–588). Entscheidend ist die Umordnung der römischen Weltherrschaft von der letzten an die vorletzte Position und damit eine Entkoppelung vom Kommen des Antichrist,29 welche eine ‚Entlastung‘ des römischen Reiches bewirkt.30 Dieser entspricht die eindeutig positive Wertung seines Begründers, des Feldherrn Julius Caesar, der in all seiner die Freiheit der Römer sichernden Kraft und Macht im Bild des Ebers31 beschworen wird. Die Neuinterpretation von Dan 7 (mit punktueller Bezugnahme auf Dan 2) akzentuiert demnach die auf Caesars Alleinherrschaft ruhende Etablierung römischer Weltherrschaft; zugleich öffnet sich „[ü]ber das heroisch-epische Bürgerkriegsszenario hinweg […] der Blick auf die heilsgeschichtliche Rolle des rîche im göttlichen Weltplan.“32

Das in der Kaiserchronik entworfene Bild der ‚Deutschen‘ wird maßgeblich durch die enge Verbindung Caesars mit ihnen bestimmt. Ihr Verhältnis zueinander wandelt sich von einem zwischen Gegnern hin zu einem zwischen Verbündeten und ‚Freunden‘, wobei die Möglichkeit zu dieser Entwicklung durch die oben bereits angesprochene Konstruktion einer Vertrautheit, ja ‚Verwandtschaft‘ zwischen dem Römer und den ‚Deutschen‘ von Anfang an gegeben scheint. Allerdings wird diese Möglichkeit narrativ erst enthüllt, nachdem das Dûtisc volch (V. 246) zunächst in die Reihe derjenigen eingegliedert worden ist, die in der Vergangenheit den Römern […] gehôrsam / unde ze Rôme undertân (V. 215f.) wurden, sich dann jedoch wieder gegen sie erhoben. Die ‚Deutschen‘ müssen somit ein zweites Mal bekriegt und unterworfen werden. Nachdem Caesar das gelungen ist und er sie überdies zur Unterstützung im Kampf gegen Rom gewinnen und mit ihrer Hilfe die Alleinherrschaft33 erringen kann, sind sie zu seinen holden (V. 593) geworden, die für ihren überragenden Kriegseinsatz großzügig entlohnt werden. Dieser Umstand sichert, so der Erzähler, Dûtiske[n] man (V. 595) auf alle Zeit eine privilegierte Position in Rom: Sie waren von da an ze Rôme ie liep unt lobesam (V. 596). Die in der ersten Kaisergeschichte der Chronik vorgeführte ‚Karriere‘ der ‚Deutschen‘ an der Seite Caesars postuliert somit gleich zu Beginn des Textes ihre enge „Bindung an das römische Reich“34 und weist ihnen so von Anfang an und vor jedem Rekurs auf die Vorstellung einer Herrschaftsübertragung ihre bedeutende Position in der Geschichte zu.

Die von cisalpinem Gebiet aus eingenommene, Einheit suggerierende respektive präsentierende Perspektive auf die ‚Deutschen‘, die zu Beginn und zum Ende der Erzählung über Caesar eingenommen wird, erfährt eine ethnographische Differenzierung in dem Moment, in dem von der auf transalpinem Boden stattfindenden militärischen Auseinandersetzung des Römers mit den dortigen Bewohnern erzählt wird.35 Dabei wird das Anliegen erkennbar, für die verschiedenen Ethnien auf der Grundlage der Attribuierung eines alle verbindenden, herausragenden kämpferischen Könnens und Einsatzes Unterschiede geltend zu machen. Die Mittel dazu sind die folgenden: erstens ein Rekurs auf die verschiedenen Herkunfts- und Landnahmefabeln der Schwaben, der Baiern, der Sachsen und der Franken, zweitens die ‚Individualisierung‘ der gentes durch eine namentliche Nennung und eine Charakterisierung der verschiedenen Anführer oder Großen,36 drittens die Thematisierung spezifischer Vorzüge oder auch Schwächen der einzelnen gentes. Zum ersten Punkt: Bei den Baiern, den Sachsen und den Franken wird das für die origines gentium häufig verwendete Element der (Ein-)Wanderung37 genutzt und mit der Nennung eines Spitzenahns (des wunderlîchen Alexanders man, / der ze Babilonje sîn ende genam, im Falle der Sachsen, V. 328f., und des Trojaners Franko im Falle der Franken, vgl. V. 373–376) oder mit einer Anbindung an die biblische Geschichte (so bei der Herkunft aus Armenien, dâ Nôê ûz der arke gie, im Falle der Baiern, V. 319) verbunden. Im Falle der Schwaben ist hingegen von einer Herkunft von jenseits des Meeres, anders als im entsprechenden Passus des Annoliedes (vgl. V. 281–294), nicht die Rede, sodass bei ihnen die im Rahmen der origines gentium relativ selten genutzte Vorstellung einer autochthonen Herkunft zumindest nahegelegt wird. Als primäres identifizierendes Moment erscheint bei ihnen die Namensgebung nach einer topographischen Auffälligkeit ihres Siedlungsgebiets, dem Berg Suevo respektive Swêrô (V. 289f.).38 Zu Punkt 2: Eine identifizierende Funktion erfüllen des Weiteren die (im Annolied nicht vorhandenen) Namen der jeweiligen Anführer oder Großen: Prenne bei den Schwaben, Boimunt und Ingram bei den Baiern, Lâbîân, Dulzmâr und Signâtôr bei den Franken. Zum dritten Punkt: Die Zuschreibung besonderer Eigenschaften dient der Abgrenzung einer gens von anderen gentes und sichert so Identität. Bei den Schwaben handelt es sich dabei um den Drang, sich immer wieder als guote reken (V. 294) hervorzutun, und um eine ausgeprägte Redegewandtheit, die sie für den Rat besonders geeignet erscheinen lässt (vgl. V. 291f.). Als hervorstechende Qualität der Baiern wird ihre Tapferkeit genannt, die sich auf die besondere Güte ihrer Schwerter stützen kann. Im Falle der an der Elbe siedelnden Sachsen artikuliert sich die Identifikation der gens mit den von ihr genutzten Waffen in einer Namensgebung, die sich etymologisch von ihren sahs genannten Messern herleitet. Gegen die ansässigen und zu überwindenden Thüringer wurden diese Messer, so der Erzähler in Übereinstimmung mit der Version des Annoliedes, im Anschluss an eine Unterredung zum Einsatz gebracht, die eine Bereitschaft zum Friedensschluss lediglich vorgetäuscht hatte; aus dieser Handlungsweise resultiert der den Sachsen entgegengebrachte Vorwurf der untriwe (V. 339), der sie als wenig verlässlich und als wortbrüchig kennzeichnet. Die Franken schließlich stechen durch ihren besonderen Adel hervor (vgl. V. 345), der sich aus ihrer Anbindung an das antike Troja ergibt. In den gegenüber dem Annolied neuen Erzählungen über Mainz und Trier kommen indes auch problematische bzw. negative Züge zur Sprache. So erklärt der Erzähler, dass eine von Caesar errichtete Brücke bei Mainz39 später im Rhein versank und daher in der Gegenwart nicht mehr vorhanden sei, mit dem Hinweis auf eine der Sündhaftigkeit der Mainzer entspringende Weigerung, ihrem jeweiligen Herrn treu ergeben zu sein (vgl. V. 387–394). Bei den Trierern benennt er eine mangelnde Bereitschaft zur Eintracht und eine Neigung zur politischen Intrige, die sie angreifbar und überwindbar macht (vgl. V. 405–434).

Wenn am Ende dieser gut einhundertachtzig Verse langen Erzählung über Caesar und die Schwaben, die Baiern, die Sachsen und die Franken die Perspektive erneut wechselt und bei der Formierung eines Heeres für Caesars Zug gegen Rom wieder von alle[n] Dûtiske[n] hêrren die Rede ist (V. 453), die sich ihm willig unterstellen und seine Autorität anerkennen, wird, wie gesagt, der Sprachgebrauch vom Anfang des Textes wieder aufgegriffen; bei ihm bleibt es dann für den Rest der Caesargeschichte. Von nun an agieren nicht mehr, wie bei den transalpinen Kämpfen gegen Caesar, einzelne gentes; im cisalpinen Kampf mit Caesar tritt gentile Identität zugunsten einer auf die einigende Leistung Caesars zurückgeführten kollektiven ‚deutschen‘ Identität Tûtiscer rîterscephte (V. 480) zurück, die schließlich sogar eine Verwendung des substantivierten Volksnamens Dûtisce[] (V. 497) zur Bezeichnung einer pluralen Einheit erlaubt40 – Mathias Herweg hat Ähnliches, wenn auch in zugespitzter Form, bereits mit Blick auf das Annolied formuliert,41 und Uta Goerlitz hat diese Bewegung des Textes für die Kaiserchronik wie folgt zusammengefasst: „[…] der vorübergehende Antagonismus zwischen Caesar und den Römern [ist] endgültig aufgehoben, und die ‚Deutschen‘ sind von einer randständigen opponierenden Provinzbevölkerung zu einem zur Herrschaftssicherung unverzichtbaren Bestandteil des universalen und heilsgeschichtlich legitimierten römischen Machtanspruchs geworden.“42

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