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1. Europa?

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Jesus war ein Levantiner, Origenes ein Ägypter, und Augustinus kam aus Africa – was hat das antike Christentum also mit Europa zu schaffen? Ohne Zweifel ist ja die Rede von den »schöne[n], glänzende[n] Zeiten, wo Europa ein christliches Land war«,1 allzu einseitig. Immer gehörten andere Religionen zu Europa: Selbst während des Mittelalters, nach wie vor für viele der Inbegriff christlicher Zeiten, lebten und wirkten stets Juden, Muslime, selbst Agnostiker auf dem Kontinent Europa und praktizierten Menschen, die als Heiden tituliert wurden, hier ihre Kulte. Das hat die jüngere Forschung mit Nachdruck betont.2 Im öffentlichen Geschichtsbewusstsein und in vielen politischen Verlautbarungen gehören Christenheit und Europa gleichwohl eng zusammen; gerade größere, jüngere historische Meisterzählungen haben die Bedeutung des Christentums für die europäische Identität herausgestellt.3 Dieser Sammelband ist mit den beiden plakativen Begriffen »Christentum und Europa« überschrieben und suggeriert damit eine solche Verbindung, aber bestimmt nicht in der Absicht, es so affirmativ zu belassen.

Europa als geisteswissenschaftliche Kategorie darf jedenfalls, darüber wird man leicht Konsens erreichen, nicht auf seine geographischen Ausmaße reduziert werden. Denn was intuitiv als europäisch empfunden wird, hat sich nicht allein auf dem Kontinent Europa abgespielt. Die Antike, deren Erbe sich Europäer in vielfältiger Weise aneigneten, war eine mittelmeerische Kultur im weitesten Sinne, deren Ausstrahlung weit über Europa hinausging; eine Europa-Idee besaß sie nicht. Daher verwende ich den Begriff des Euromediterraneums, was zudem den Vorteil hat, dass diese Kategorie anders als ›Europa‹ kaum mit irgendwelchen inhaltlichen Vorstellungen belastet ist. Wenn man aber Europa in einem nichtgeographischen Sinne verwendet, so meint das eine bestimmte geistige und politische Tradition, die in besonderer Weise mit dem Kontinent Europa verbunden ist, dabei aber in weiten Teilen der Welt prägend wurde, so dass man in Bezug auf Amerika und Australien von Europäischem sprechen kann. Man verwendet dann zur Verdeutlichung gerne eine weitere anfechtbare geographische Kategorie, nämlich »Westen«.4

Was Europa im normativen Sinne gewöhnlich meint, ist der Traditionsstrang des euromediterranen Erbes, der sich auf Lateineuropa zurückbezieht, das sich als das Europa schlechthin empfindet und überrascht ist, wenn dies in anderen Teilen Europas, etwa im Osten, als arrogant gilt. Dieser Traditionsstrang ist mit Werten der Menschenrechte, der Freiheit, Toleranz und Rechtssicherheit verbunden, um nur einige Punkte hervorzuheben. Wenn ich heute von dem antiken Erbe spreche, beziehe ich mich fast ausschließlich auf Lateineuropa und die Länder, die in dessen Tradition stehen. Dies bedeutet unweigerlich eine Engführung: Was ich beiseite lasse, sind die in der griechischen Tradition stehende Orthodoxie und die sogenannten orientalischen Christentümer, die einerseits den Blick in Richtung Islam öffnen würden und die andererseits immer wieder in einem engen Austausch mit Europa standen – das ist zu bedauern, doch ist das Thema, so wie es bleibt, immer noch weit genug.5

Lassen Sie mich mit einer schon angedeuteten vordergründigen Beobachtung beginnen: Der Bezug auf das Christentum und damit auf eine Religion des antiken Mediterraneums ist für das Selbstverständnis vieler Europäer nach wie vor wesentlich. Der Zeitrhythmus des antiken Christentums, die Woche mit dem Sonntag, ist bis heute fühlbar, desgleichen viele Feiertage; Kirchenbauten prägen nach wie vor das Bild europäischer Städte. Kein Zweifel kann ferner daran bestehen, dass zentrale Konzepte der westlichen Moderne wie das der Menschenrechte in irgendeiner Weise, die indes nicht leicht zu präzisieren ist, mit christlichen Einflüssen verbunden sind. Die Werte, die das deutsche Grundgesetz vertritt, lassen sich als christlich auffassen und sind mit der Präambel ausdrücklich in eine christliche, mindestens monotheistische, Tradition gestellt.6

Christentum und Europa

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