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Vorbemerkung

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Europa in der Antike, Europa in der Reformationszeit, Europa 2017 – das ist, wie wir alle wissen, eine Äquivokation. Das Europa, von dem wir heute sprechen, die geographische Fortsetzung Asiens diesseits des Urals, ist jenen beiden vergangenen Epochen nicht als spezifischer, zusammengehöriger Raum präsent. Namentlich in der Antike wurde, wie Kollege Leppin zu Recht hervorhob, ein ganz anderer geographischer Sektor, das von ihm »Euromediterraneum« genannte europäisch-afrikanische Mittelmeergebiet mit seiner nahöstlichen Fortsetzung, als zusammengehöriger Raum gesehen und erfahren. Aber auch das politische Europa sei es des Europarats oder der Europäischen Union ist weit von dem entfernt, was in der Antike oder im 16. Jahrhundert mit jenem Wort bezeichnet wurde. Hätte man einem Spanier des 16. Jahrhunderts erklärt, er gehöre in einer spezifischen Weise mit Finnland, mit dem seine heutigen Nachfahren in der Europäischen Union verbunden sind, und mit dem Moskowiterreich, mit dem sie im Europarat sitzen, zusammen, hätte er gewiss erstaunt den Kopf geschüttelt. Das aber heißt, wir fragen nach der Bedeutung des Christentums mit dem Blick auf dasjenige geographisch-politisch-kulturelle Ensemble, das wir heute Europa nennen. Das setzen wir im Hinterkopf voraus, auch wenn wir uns Epochen zuwenden, die dieses Europa selbst noch gar nicht kannten. Und wir tun es nicht ohne Grund, weshalb die Rede von »Europa« in den anfangs genannten unterschiedlichen Epochen doch nicht schlechterdings äquivok ist. Denn entscheidende Anstöße für die Herausbildung des heutigen Europas gingen von Gebieten aus, die zu diesem Kontinent gehören, gleichgültig, ob man sie zu jener Zeit einem »Europa« zuordnete oder nicht – für die Antike Griechenland, für die Reformationszeit das Gebiet nördlich der Alpen –, und sie haben hier besonders nachdrücklich und langfristig, wenngleich in durchaus unterschiedlichen Weisen gewirkt.

Aus dieser Perspektive eines Anachronismus sehenden Auges ergeben sich drei Differenzen zum Programm Leppins. Sie alle haben mit der entscheidenden Weichenstellung zu tun, die sein Programm bestimmt: Seine Leitfrage ist die nach der »Wirkungsgeschichte« christlicher Erbschaften aus der Antike, und diese noch einmal zugespitzt auf die Frage ihrer »Moderneaffinität«. Abgesehen davon, dass der Maßstab für ein solches Urteil keineswegs auf der Hand liegt, birgt die Frage nach der Modernenähe historischer Phänomene immer die Gefahr, sich zirkulär auf bestimmte Phänomene zu konzentrieren, die ihr besonders entgegenzukommen scheinen. Das heißt zum einen, dass wichtige religiös-kulturelle Prägungen, die das Christentum in die von ihm erfasste antike Welt einbrachte, außerhalb des Blickfeldes bleiben, weil sie unter dem Gesichtspunkt der Moderne irrelevant zu sein scheinen. M. E. muss aber auch von solchen »nichtmodernen« Errungenschaften die Rede sein, wenn es um das Christentum und die antike Welt geht.

Zum anderen legt jedenfalls für den modernen Westmitteleuropäer die Frage nach der Moderneaffinität eine geographisch-sprachliche Beschränkung nahe, nämlich die auf den Raum seiner eigenen Vorgängertradition im engeren Sinne, auf Lateineuropa. Auf Lateineuropa will sich Leppin denn auch beschränken. Dabei bildet dieses Lateineuropa nur einen Teil, zunächst den weit weniger bedeutenden Teil des antiken Euromediterraneums, und seine Nachfolgestaaten sind auch nur ein Teil des Europas von 2017. Freilich setzen sich die historischen Tatsachen bei Leppin gegen das angekündigte Programm durch, insofern er de facto den Blick keineswegs auf den lateinischen Teilbereich beschränkt, sondern Beobachtungen zusammenträgt, die ganz überwiegend für das gesamte Euromediterraneum gelten.

Statt der angekündigten geographisch-kulturellen Beschränkung nimmt er vielmehr tatsächlich eine andere vor, eine Beschränkung zeitlicher Art: Es kommt, von wenigen Nebenbemerkungen abgesehen, von der Antike nur die vorkonstantinische Teilepoche zur Sprache. Auch dies ergibt sich aus der alles leitenden Weichenstellung: Damals habe das Christentum besonders moderneaffine Erbschaften hervorgebracht. Doch scheint mir auch diese Beschränkung fragwürdig. Wenn vom Christentum im antiken Euromediterraneum die Rede ist, kann die nachkonstantinische Phase keinesfalls ausgeblendet werden, weil in ihr die christliche Imprägnierung dieses Raumes – und zumal des lateinischen Westens – erst eigentlich vor sich ging.

Genug der Vorbemerkungen. Zur Sache selbst!

Christentum und Europa

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