Читать книгу Christentum und Europa - Группа авторов - Страница 43
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ОглавлениеIst damit der Gemeinplatz ausgesprochen, dass Europa und das Christentum keine wurzelhaft miteinander verbundenen Größen sind, stellt sich bei näherer Betrachtung das Bild doch komplizierter dar. Denn die jüdischen Levantiner, die Christusanhänger wurden, waren in ihrer Mehrzahl selbst bereits von einer Bewegung erfasst, die europäisch verwurzelt war, vom Hellenismus – jener Durchdringung des Orients durch griechische Kultur und Amalgamierung des griechischen Erbes mit orientalischen Elementen, die im Gefolge der Eroberungszüge Alexanders des Großen vonstattenging und die antike Welt nachhaltig veränderte. Und das nicht nur im Osten, sondern über das nächste Großreich, das römische, auch bis zum westlichen Ende des Mittelmeeres – eben in der Gesamtheit jenes Euromediterraneums, von dem schon die Rede war. Solche Zugehörigkeit zum hellenistischen Einflussbereich schloss Abwehrreaktionen nicht aus, wie die Geschichte des Judentums in jenen Jahrhunderten zeigt. Doch auch diese setzten das – intensivere oder lockerere – Einbezogensein in jene Welt voraus. D. h., auch die ersten Christen, die aus dem Judentum kamen und dessen Erbe, auf Jesus Christus hin gedeutet, an die Kirche weiterreichten, waren Teil des hellenistischen Kulturkreises. Mit dieser Feststellung will ich nicht die altehrwürdige, ebenso umstrittene wie uneindeutige These von der Hellenisierung des Christentums aufwärmen. Aber die Zugehörigkeit der ersten Christen zur hellenistischen Welt ist doch nicht zu leugnen. Die meisten von ihnen, wenn nicht alle – vielleicht vor ihnen sogar Jesus selbst –, sprachen zumindest auch Griechisch. Überwiegend bedienten sie sich eines der beiden einflussreichsten Textcorpora des Hellenismus, der Septuaginta, in der das jüdisch-orientalische Erbe in griechischer Gestalt erschien. Und bald darauf entstand vornehmlich in ihren Kreisen das andere der beiden Corpora, das ebenfalls griechische Neue Testament. In diesem Rahmen ging schon in den Anfängen des Christentums das östliche Erbe eine symbiotische Verbindung mit Mustern des Denkens, Handelns und der gesellschaftlichen Ordnung ein, die eine europäische Wurzel hatten – eine griechisch-europäische; Lateineuropa und sein Christentum waren hier zunächst nur Nutznießer. Wenn ich von einer symbiotischen Verbindung spreche, meine ich allerdings nicht, das frühe Christentum sei ganz hellenisiert worden – »das ist niemals völlig geschehen«2. Die östliche Erbschaft ging nicht ununterscheidbar in der Symbiose auf. Das zeigt sich etwa an den judenchristlichen Gemeinden, die nach einiger Zeit untergingen, und an der ostsyrischen Kirche, die bis zum heutigen Tag zur ökumenischen Familie gehört. Es zeigt sich aber auch, worauf ich hier nicht eingehen kann, an den theologischen Spannungen, die im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder zwischen der orientalischen und der europäisch-griechischen Erbschaft aufbrachen.