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2.6 Die »Werkstätten« im Konflikt mit dem Antidiskriminierungsgrundsatz

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Es war eine lang andauernde Auseinandersetzung um die soziale Gleichberechtigung in Deutschland. Bis das Benachteiligungsverbot zur grundgesetzlichen Handlungsmaxime wurde, hatte es 45 Jahre gedauert. Doch die staatliche Pflicht, die tatsächliche Gleichberechtigung durchzusetzen und die Benachteiligung zu beseitigen, wurde im Grundgesetz nicht auf alle diskriminierten Bevölkerungsteile bezogen: Der entsprechende Verfassungstext gilt für die Frauen, nicht aber für die behinderten Menschen (Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 GG). Das ist zwar nicht der Grund für deren anhaltende Diskriminierung, besonders durch die »Werkstätten« mit ihren erniedrigenden Verhältnissen. Aber es ist einer der Gründe für das Schweigen sämtlicher Interessenverbände der »Werkstatt«-Träger: Bislang hat nämlich noch kein einziger Verband darauf hingewiesen, dass die unzureichende oder gar in wichtigen Bereichen fehlende Umsetzung des Gesetzes zum UNO-Übereinkommen über die Rechte behinderter Menschen (G-UNÜRMB) grundrechtswidrig ist. Um die Grundrechtswidrigkeit zu belegen, muss zunächst nachvollziehbar sein, was Benachteiligung bedeutet, wie und wo sie sich äußert und welche Konsequenzen ihr Verbot hat.

Obwohl das grundgesetzliche Verbot, Frauen und Menschen mit Beeinträchtigungen zu benachteiligen (Art. 3 GG), aus der Mitte des 20. Jahrhunderts stammt, ist der ansonsten moderne deutsche Staat von einer tatsächlichen Gleichberechtigung dieser Bevölkerungsteile noch weit entfernt. Ihre Ungleichbehandlung bringt nicht nur zum Ausdruck, dass doch nicht »alle Menschen vor dem Gesetz gleich« sind (Art. 3 Abs. 1 GG). Ihre Benachteiligung drängt die Frage auf, ob alle Menschen mit Beeinträchtigung tatsächlich uneingeschränkt als selbstbestimmte Menschen akzeptiert sind – mit dem gleichen Recht auf Teilhabe in allen Lebensbereichen. Gerade die Situation der Beschäftigten in der Sonderwelt der »Werkstätten« lässt daran enorme Zweifel aufkommen: Das grundgesetzliche Verbot, behinderte Menschen zu benachteiligen, beinhaltet nämlich die prinzipielle Absage an jede

• Ungleichbehandlung ohne grundrechtskonformen sachlichen Grund,

• Schlechterbehandlung bei der Inanspruchnahme von Rechten,

• Zuschreibung von vorurteilsbelasteten Eigenschaften,

• Scheinheiligkeit, maskiert als Pragmatismus oder Sachzwang.

Mit Entschiedenheit und Kompromisslosigkeit müssen Staat und Gesellschaft allen Formen der Diskriminierung entschlossen entgegentreten. Der Wissenschaftler Albert Scherr (Jg. 1958) stellte die verschiedenen und oft tiefgreifenden gesellschaftlichen Diskriminierungsformen ausführlich dar. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat sie veröffentlicht.34 Strukturen und Verfahrensweisen, die eine gleichberechtigte Behandlung behinderter Menschen verhindern, dürfen nicht länger als »normal«, als nicht veränderungsbedürftig oder veränderungsmöglich hingenommen oder gar bewusst neu gestaltet werden. Das gilt gleichermaßen für die Gesetzgebung. Das Bundesteilhabegesetz gehört in einigen Teilen dazu: Es hat den geringen sozialen Status der Beschäftigten in den »Werkstätten«, ihr benachteiligendes Rechtsverhältnis zu den Eigentümern und ihren taschengeldähnlichen Lohn beim Alten belassen.

Immer noch werden Diskriminierungsformen zu scheinbar objektiven Sachzwängen. Sie werden zementiert und im Bewusstsein der Handelnden als unvermeidlich verinnerlicht. Diese Form der Zustimmung zur gesellschaftlich verbreiteten Benachteiligung findet sich überall im Alltagsleben. Dazu gehören

• die Ressentiments gegen einzelne Bevölkerungsgruppen,

• die Ignoranz gegenüber den Zielen im Antidiskriminierungsrecht,

• die weithin fehlende Barrierefreiheit,

• die halbherzigen Reformen bei den Rechtsvorschriften im Bauwesen,

• die offen diskriminierende oder subtil demütigende Sprache im Alltag und in den Medien,

• selbst in den Dokumenten der Bundesregierung und des Bundestages finden sich überholte, heute als erniedrigend empfundene Formulierungen.

Ein hilfreiches und richtunggebendes Instrument, um offene oder verdeckte Diskriminierungen zu beenden, ist das schon mehrfach erwähnte Gesetz zum UNO-Übereinkommen über die Rechte behinderter Menschen (G-UNÜRMB). Das beschreibt für viele gesellschaftliche Bereiche konkret die notwendigen Maßnahmen, um Benachteiligungen behinderter Menschen zu beenden. Legt man die beiden zentralen deutschen Rechtsnormen gegen Diskriminierung, das Grundgesetz und das Gesetz zum UNO-Übereinkommen, an die »Werkstätten« und das »Werkstätten«-Recht an, werden zahlreiche Benachteiligungen offensichtlich.

Werkstätten für behinderte Menschen

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