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2.8 Besonderung – in den »Werkstätten« nichts Besonderes

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Die allgemeinen Menschenrechte, die Grundrechte und das Gesetz zum UNO-Übereinkommen garantieren Menschen mit Beeinträchtigungen das gleiche Recht auf Teilhabe, vor allem

• das gleiche Recht auf Arbeit,

• das gleiche Recht, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen,

• das Recht auf einen zugänglichen, offenen und inklusiven Arbeitsmarkt.

Jede Form von Besonderung muss deshalb ethisch und sachlich begründbar sein und begründet werden. Sie muss legitimiert werden.37 Besonderung birgt die Gefahr der Ausgliederung. Sie und ihr Katalog separierender Leistungen sind nur dann zulässig, wenn das Teilhabeziel nicht auf inklusive Weise erreicht werden kann. Es muss sich also um eine besondere Form von Leistungen zum Nachteilsausgleich und zur Unterstützung handeln. Besonderung ist überhaupt nur zulässig, wenn die gleichberechtigte Teilhabe nicht anders oder besser und schneller erreicht werden kann. Dieser Maßstab gilt für das übliche Bildungswesen ebenso wie für das Erwerbsleben (s. auch REHADAT, Stichwort Inklusion).38

Die Rahmenbedingungen des rechtlich so genannten Berufsbildungsbereiches sind schon für sich genommen diskriminierend. Statt Nachteilsausgleiche zu bieten und die Chancen für eine echte berufliche Bildung und einen Erwerbsarbeitsplatz zu erhöhen, werden die Teilnehmenden zusätzlich und in einem besonders schweren Maße benachteiligt. Das äußerst Perfide am sog. Berufsbildungsbereich ist die pauschale Zuschreibung der lebenslangen Berufsbildungsunfähigkeit. Damit werden nahezu alle Teilnehmenden etikettiert und infolgedessen nach einer Art zweijährigem Arbeitstraining in den Arbeitsbereich der »Werkstätten« abgeschoben. Mit dem zugeteilten »Makel der Berufsbildungsunfähigkeit« setzen sich Fachleute der Pädagogik und Psychologie seit Jahren auseinander.39 Die Fachkräfte in den »Werkstätten« haben sich bisher an solchen arbeits-, berufs- und erwachsenenpädagogischen Diskussionen nicht beteiligt.

Betrachtet man die Ergebnisse der Maßnahmen im Berufsbildungsbereich, entfällt jegliche rechtfertigende Begründung für diese Art der Aussonderung vollends: Nicht einmal das kleinste und kürzeste Ziel wird angestrebt, geschweige denn erreicht – der Zuwachs an Fähigkeiten und Fertigkeiten, um wenigstens die im Berufsbildungsgesetz beschriebene erste Berufsbildungsstufe zu erklimmen: die Berufsausbildungsvorbereitung. Sie dient dazu, »durch die Vermittlung von Grundlagen für den Erwerb beruflicher Handlungsfähigkeit an eine Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf heranzuführen« (§ 1 Abs. 2 BBiG). Auch das macht die Sonderwelt »Werkstatt« aus, dass deren System und dessen verantwortliche Personen nicht in der Lage sind, individuelle »Angebote und Anregungen […] zur Entfaltung der Fähigkeiten« zu machen, wie es im Magazin »impulse« der Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte Beschäftigung heißt.40 Für alle Bildungs- und Berufsbildungsanbieter, auch für die »Werkstätten« mit ihren Anlern- und Einübungspraktiken, gilt:

»Die Berufsbildungsunfähigkeit liegt somit nicht in der Person des Menschen mit Behinderung begründet, sondern in einem […] Umfeld, das nicht in der Lage ist bzw. sich nicht in der Lage sieht, entsprechende Bildungsangebote für diesen Personenkreis zu realisieren« (ebd.).

Fast ohne jede Ausnahme erfolgt deshalb der Übergang junger Erwachsener aus dem sog. Berufsbildungsbereich direkt in den Arbeitsbereich der »Werkstätten«. Ihre Absonderung vom üblichen Arbeitsleben wird dauerhaft zementiert. Daran ändert auch die Vermutung der Bundesregierung nichts, dass sich die Zahl der Übergänge ins Erwerbsleben seit 2018 auf 1.800 Personen erhöht haben könnte (BT-Drs. 19/11745, 2019, 39). Das ist bei großzügiger Berechnung ein Anteil von nicht einmal 1 % der »Werkstatt«-Beschäftigten. Das gleiche Recht auf Arbeit, das damit verbundene Recht auf ein Erwerbseinkommen, wie es das Gesetz zum UNO-Übereinkommen fordert, bleibt in den »Werkstätten« hunderttausenden Menschen verwehrt. Von der gleichberechtigten Teilhabe am üblichen Leben in unserer Gesellschaft sind sie weiterhin ausgeschlossen.

Mehr noch: Die Beschäftigten im sog. Arbeitsbereich der »Werkstätten« tragen ihre Benachteiligung wie ein Kainsmal immer und überall mit sich herum. Selbst auf den ausgelagerten Arbeitsplätzen, die die Erwerbswirtschaft den »Werkstätten« bereitstellt, werden sie nicht als Arbeitnehmer_innen anerkannt. Sie bleiben als ausgeliehene Angehörige der »Werkstatt« eine Art »Kleine-Leute-Ausgabe« der Arbeitnehmerschaft – arbeitnehmerähnlich. Sie bekommen keinen Arbeitslohn, sondern weiterhin den taschengeldähnlichen »Werkstatt«-Lohn und haben im Betrieb auch keinerlei Mitwirkungsrechte. Kleine Leute eben. Die Bundesregierung weist für 2018 einen Durchschnittsverdienst von 214,99 Euro im Monat aus.41 Darin ist der staatliche Subventionsbetrag von 52,00 Euro enthalten. Jedenfalls zahlen die »Werkstatt«-Träger bundesweit aus ihrem Wirtschaftsergebnis nur rd. 160 Euro als Monatslohn aus.

Die Arbeitenden im sog. Arbeitsbereich der Werkstätten, oft auch Produktionsbereich genannt, werden durch ihre rechtliche Ungleichstellung, finanzielle Benachteiligung und soziale Zurücksetzung zu Bürger_inne_n zweiter Klasse. Ihnen wird verwehrt, was das Gesetz zum UNO-Übereinkommen bereits in seiner Präambel verlangt: »[…] dass Menschenrechte und Grundfreiheiten allgemein gültig und unteilbar sind, einander bedingen und miteinander verknüpft sind und dass Menschen mit Behinderungen der volle Genuss dieser Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung garantiert werden muss« (Präambel, Buchst. c).

Es ist eigentlich unerklärlich, warum alle, die für das »Werkstätten«-System verantwortlich sind, das grundgesetzliche Benachteiligungsverbot und die Forderungen im Gesetz zum UNO-Übereinkommen so beharrlich und hartnäckig ignorieren. Dabei debattieren Bundesregierung und Bundestag inzwischen seit mehr als zehn Jahren über die Umsetzung der Rechte, die das Gesetz gewordene UNO-Übereinkommen den Menschen mit Beeinträchtigungen einräumt. Damit es Praxis wird, wurde den Abgeordneten 2011 ein ins Deutsche übersetztes Handbuch überreicht. Das hatten die zuständigen UNO-Sekretariate und die Interparlamentarische Union herausgegeben.42 Doch der in den »Werkstätten« beschäftigte Personenkreis hat bis heute auf den »vollen, wirksamen, gleichberechtigten Genuss« und die »volle Einbeziehung« verzichten müssen. Die rechtlichen Zusagen im Gesetz zum UNO-Übereinkommen werden nicht auf sie gemünzt.

Regierungshandeln, gleich auf welcher Ebene, muss der »Abhilfe« von Benachteiligungen dienen, wie es im Handbuch des Bundestages heißt (ebd. S. 67). Dabei geht es um eine »Gleichberechtigungsgarantie nach innerstaatlichem Recht« (ebd.). Die Alltagsrealität in den »Werkstätten« ist eine ganz andere: Die gesetzlich vorgegebenen »Werkstatt«-Strukturen begründen und vertiefen die Missachtung des grundgesetzlichen Benachteiligungsverbotes. Die im Arbeitsbereich der »Werkstätten« praktizierte Benachteiligung ist so gravierend, dass die davon Betroffenen faktisch keine Chance für eine noch so kleine Karriere im Erwerbsleben haben. Die schwerwiegendsten stehen sogar im Widerspruch zum geltenden »Werkstätten«-Recht. Die folgenreichsten sind:

• Es gibt in der Politik und der bisherigen Rechtsprechung keine Bereitschaft, den für Beschäftigte im Arbeitsbereich gesetzlich vorgesehenen Arbeitnehmerstatus durchzusetzen (§ 221 Abs. 1 SGB IX).

• Es gibt keine die Benachteiligungen kompensierende, ins übliche Berufsleben führende und zukunftsorientierte »angemessene berufliche Bildung«, Fort- und Weiterbildung (§ 219 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX).

• Es gibt kein der »Leistung angemessenes Arbeitsentgelt« (ebd.).

• Es gibt kein auf alle Beschäftigten ausgerichtetes fachkompetentes, personbezogenes Leistungsangebot mit dem ausdrücklichen Ziel, die »Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen« (ebd. Nr. 2).

• Es gibt keinen praxisrelevanten Leistungskatalog mit konkreten qualifizierten Maßnahmen, um in einem bildungsförderlichen Arbeitsprozess die »Persönlichkeit weiterzuentwickeln« (ebd.).

Gerade in diesem Zusammenhang muss dem unbestimmten Rechtsbegriff »angemessen« (s. o.) die zutreffende zeitgemäße und inklusionsbezogene Bedeutung zugeteilt werden:

• Angemessen ist ein den Grund- und Menschenrechten verpflichtetes, demokratisches Menschenbild.

• Angemessen ist die Umsetzung moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse.

• Angemessen sind konsequent personbezogene, angepasste und ausreichende Leistungen.

• Angemessen ist ein zielgerechtes, erfolgversprechendes Leistungsangebot i. S. der gleichberechtigten Teilhabe am üblichen Leben der Gemeinschaft.

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