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2.12 »Vergnügen an Veränderung«
ОглавлениеDer vollständige Satz ist kurz, einprägsam und motivierend. Er stammt nochmals von Georg Christoph Lichtenberg: »Vergnügen an Veränderung ist dem Menschen bleibend eigen.« Das ist wohl einer der couragiertesten Sätze, die Mut zu Reformen machen. Überdies stammt er von einem Menschen, der am eigenen Leib erfahren hat, was Beeinträchtigung und Behinderung bedeuten. Für alle Einrichtungen in den separierenden Sonderwelten kann das eine große Hoffnung sein: Wir stehen in unserem Jahrtausend vor einer großartigen Zeitenwende – dem Zeitalter der Inklusion. Der Wissenschaftler Hauke Behrendt beschreibt das »Ideal einer inklusiven Arbeitswelt« und stellt den tiefsinnigen Begriff »Teilhabegerechtigkeit« in den Vordergrund (Behrend 2018).66
Teilhabe an unserer allgemein üblichen erwerbsichernden Arbeitswelt schafft nicht nur die materiellen Bedingungen zur Eigenständigkeit und Existenzsicherung. Sie ist unter unseren wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen auch die Voraussetzung zur Teilhabe an weiteren wichtigen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens: »Weil Erwerbsarbeit ein notwendiges Mittel zur Verfolgung eigener Lebenspläne ist, gibt es hinreichenden Grund, Menschen mit Behinderung eine Teilhabe an der Arbeitswelt zu ermöglichen« (ebd. 290 ff.). An solchen Veränderungen mitzuarbeiten, sollte auch den Leitungen und Fachkräften in den »Werkstätten« einiges Vergnügen im Sinne Lichtenbergs bereiten.
Doch solche Reformen sind nach wie vor ein überaus schwieriges Unterfangen. Denn dieser gesellschaftlichen Entwicklung stehen enorm viele Hindernisse im Wege – in unserer Wirtschaft und Politik, in den Trägerorganisationen der »Werkstätten« und bei den »Werkstatt«-Leitungen. Inklusion beginnt nun mal im Kopf, d. h. in unseren Welt- und Menschenbildern. Dennoch sind wir seit dem 26. März 2009 ein entscheidendes Stück weiter auf dem Weg zur Inklusion vorangekommen: Das Gesetz zum UNO-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (G-UNÜRMB) ist in Kraft. Es motiviert und stimuliert uns, seine Aufgabenstellungen, besonders die im Artikel 27, engagiert anzupacken: Heute noch behinderte Menschen haben grundsätzlich das gleiche Recht auf Arbeit in einem offenen und inklusiven Arbeitsmarkt. Zu diesem Recht müssen wir ihnen und den Beschäftigten in den Sondereinrichtungen verhelfen. Dafür ist es unerlässlich, die »Werkstätten für behinderte Menschen« umzugestalten. Als zeitlich befristete Übergangseinrichtungen – ganz im Sinne von Artikel 5 Abs. 4 G-UNÜRMB – müssen auch sie dazu beitragen, Teilhabegerechtigkeit und Gleichberechtigung im Erwerbsleben herbeizuführen: mit Vergnügen an Veränderung.
1 Nach Homer Mischwesen aus nicht zusammengehörigen Körperteilen von unterschiedlichem Getier.
2 Siehe Veröffentlichungen des Berufsverbandes der Fachkräfte zur Arbeits- und Berufsförderung (BeFAB) sowie Weber, Thomas (2002): Von der Schule in die Arbeitswelt. Berufliche Qualifikation und Integration von Menschen mit geistiger Behinderung. Tectum Verlag Marburg.
3 Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit von 1992 bis 1998, startete mit seiner Presseerklärung vom 06.04.1995 (Nr. 25) eine Kampagne gegen die Werkstätten: »Behinderte in Werkstätten erhalten je nach Arbeitsleistung Arbeitsentgelt von derzeit durchschnittlich nur 200 DM im Monat, obwohl in vielen Werkstätten eine hochwertige Arbeitsleistung erbracht und hohe Überschüsse erwirtschaftet werden. Diese Überschüsse kommen jedoch in zu geringem Umfang den Behinderten zugute.«
4 Reserl Sem, bayerische Politikerin der CSU, lobte bei ihrem persönlichen Arbeitseinsatz in der Wäscherei der St. Rupert-Werkstätten, Eggenfelden: »Besonders freut mich die enge Vernetzung der Werkstätten mit der regionalen Wirtschaft. Damit bleiben Arbeit und Wertschöpfung in unserer Heimat und kommen unseren Mitmenschen zu Gute.«
5 Werbeaussage der LAG WfbM Mecklenburg-Vorpommern. Kurz-URL (29.07.19): https: //t1p.de/ewt9
6 Der Spiegel, Online-Ausgabe 19.04.2019, Kurz-URL (29.07.19): https://t1p.de/5nyr
7 Berechnung nach den Angaben der Beschäftigtenzahl im Arbeitsbereich und den Eingliederungskosten der Sozialhilfeträger; in: Kennzahlenvergleich Eingliederungshilfe der überörtlichen Träger der Sozialhilfe. Bericht 2017. S. 35, 38. Münster 2019.
8 Zitate aus: Schartmann, Dieter (1999): Persönlichkeitsfördernde Arbeitsgestaltung mit geistig behinderten Menschen. In: Schildmann, Ulrike (Hrsg.): Forum Behindertenpädagogik, Band 1, LIT-Verlag Münster, S. 22.
9 BGBl I, Nr. 26, 21.06.1957, S. 609 ff.
10 Den Zusammenhang zwischen Behinderung und Benachteiligung dokumentierte erstmals das Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages Nr. 10/25, 1983, 1711. Dabei ging es um die Benachteiligung der Eltern beeinträchtigter Kinder beim Kindergeld und nicht um die Benachteiligung der Kinder.
11 siehe PlPrt. 10/59, 15.03.1984, S. 4157; PlPrt. 10/61, 29.03.1984, S. 4338 – 4340 über die Rolle des sog. Behindertenbeauftragten der Bundesregierung.
12 PDS = Partei des Demokratischen Sozialismus, 1990 umbenannte Nachfolgerin der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), der DDR-Staatspartei. 2007 erneut umbenannt in »Die Linke«.
13 Das Abstimmungsergebnis ergab 30 Ja-Stimmen für eine Grundgesetzergänzung, 22 Nein-Stimmen und 2 Enthaltungen.
14 ebd. S. 62, Ziff. 6.22. Siehe auch § 54b SchwbG, BGBl I, Nr. 38, 29.07.1996, S. 1096
15 siehe Verhülsdonk, Roswitha (CDU), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie und Senioren (BMFuS) 1991 – 1994; in: PlPrt. 12/222, 21.04. 1994, S. 19238 C ff.
16 Diese Einschätzung stammt von Albrecht Magen (1929–2006), promovierter Jurist, ab 1993 für die CDU Mitglied des Frankfurter Magistrats. Quelle: Werkstatt:Dialog der BAG WfbM, Sonderheft 1997 zur Zweiten Paulskirchenkonferenz, S. 8
17 Quelle: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Änderungen des Grundgesetzes seit 1949, Ausgabe WD 3-380/09, 2009, S. 6
18 siehe dazu u. a. PlPrt. 8/136, 09.02.1979, S. 10780; 9/59, 22.10.1981, S. 3385; 14/76, 02.12.1999, S. 6942
19 siehe Artikel 13, Änderung der Werkstättenverordnung Schwerbehindertengesetz, § 5, BGBl. 1996, Teil I, Nr. 38, 29.07.1996, S. 1098
20 siehe dazu Bundeszentrale für politische Bildung: Die 1970er. Internetbeitrag über Jugendkulturen in Deutschland. Kurz-URL (29.07.19): https://t1p.de/heb1
21 siehe Entwurf SchwbG, § 3 Umfang der Beschäftigungspflicht, ebd. S. 24
22 Bundesagentur für Arbeit (2019): Beschäftigungsstatistik schwerbehinderter Menschen (BsbM), Auflistung nach Personengruppen (Feingliederung), S. 6
23 Quelle: BMA, lb3, 16881-2, Statistik Rentenversicherung von Behinderten in Werkstätten 1994 – 1998
24 53°Nord – Agentur und Verlag, Newsletter 15.08.2019, Kurz-URL (18.08.19): https://t1p.de/ukve
25 siehe BT-Drsn. 14/3645, 2000, 2; 14/3372, 2000, 28; 14/3295, 2000, 7; 14/3310, 2000, 3; 14/3681, 2000
26 siehe: Arbeitslosenquote von schwerbehinderten Menschen contra Ausgleichsabgabe?! In: IGM – Mittendrin statt außen vor. Ausgabe 10/2013, S. 2
27 86. Arbeits- und Sozialministerkonferenz, 25./26.11.2009: Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen. TOP 5.2: Antrag aller Bundesländer.
28 Griese, Kerstin, Parlamentarische Staatssekretärin: Antwort vom 20. April 2018 zum Projekt »›AuVschwung‹ (Aktivierung und Vermittlung schwerbehinderter Menschen und nachhaltige gesellschaftliche Inklusion)«; in: BT-Drs. 19/1763, 2018, S. 48
29 siehe u. a. BT-Drs. 17/9931, 2012, 5; PlPrt. 15/24, 2003, 1861 D ff.; 15/45, 2003, 3790 D,
30 84. Arbeits- und Sozialministerkonferenz, 15./16.11.2007, TOP 4.5 – Weiterentwicklung der Teilhabe am Arbeitsleben, S. 13 ff.
31 ASMK 2013, 27./28.11.2013, Bericht für die ASMK zu einem Bundesleistungsgesetz, S. 2
32 Ergebnisprotokoll der 90. Konferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder, 27./28.11.2013, S. 83
33 Satzung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen, Ausgabe 2017
34 vgl. dazu Scherr, Albert (2016): Diskriminierung / Antidiskriminierung – Begriffe und Grundlagen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), Beilage zur Wochenzeitung »Das Parlament«, Nr. 9/2016, 29.02.2016, S. 5 ff.
35 siehe Artikel 24 Abs. 5 und Artikel 27 Abs. 1 Buchst. d G-UNÜRMB; § 2 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AGG.
36 Quelle: Beicht, Ursula (2019): Tarifliche Ausbildungsvergütungen 2018. Anstieg und Strukturen 2018 sowie Entwicklungen seit 1976. In: Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), Internetausgabe, URL (30.07.19): https://www.bibb.de/de/89769.php
37 Dieter Gröschke (1993): »Die soziale Figur des ›Behinderten‹ ist bereits das Produkt einer sozialanthropologischen Besonderung, einer Stigmatisierung, über die […] die Träger dieser Merkmale üblicherweise aus den normalen Lebensvollzügen und sozialen Verkehrsformen aus- und abgesondert werden.« (in: Praktische Ethik der Heilpädagogik. Individual- und sozialethische Reflexionen zu Grundfragen der Behindertenhilfe, Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn, S. 34)
38 REHADAT Talentplus: Lexikon zur beruflichen Teilhabe. Stichwort Inklusion. URL (30.10.19): https://www.talentplus.de/lexikon/Lex-Inklusion/
39 siehe u. a. Sabo, Thomas / Terfloth, Karin (2011/2014): Arbeitsweltbezogene schulische Bildung. In: dies.: Lebensqualität durch tätigkeits- und arbeitsweltbezogene Angebot. S. 349 ff. Aus: Fröhlich, Andreas u. a. (Hrsg.): Schwere und mehrfache Behinderung – interdisziplinär. Athena-Verlag, Oberhausen
40 Klauß, Theo u. a. (2009): … auf dem Weg zur Inklusion? Berufliche Bildung für Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung. In: BAG UB, Impulse Nr. 50, 02/03 2009, S. 17 ff., Hamburg
41 Statistik des BMAS Rentenversicherung der Werkstattbeschäftigten 2017, Va2-58014
42 Deutscher Bundestag (2011): Ausgrenzung zu Gleichberechtigung.Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderungen. Ein Handbuch für Abgeordnete …
43 BGBl 2016, Teil I, Nr. 66, 29.12.2016, S. 3257
44 Bundesagentur für Arbeit (2019): Beschäftigte schwerbehinderte Menschen 2017 (einschließlich gleichgestellter und sonstiger anrechnungsfähiger Personen, Kurz-URL (16.08.19): https://t1p.de/lacn
45 siehe u. a. Kobinet, 04.03.2015, Kurz-URL (30.10.19): https://t1p.de/jbzh; und SWR Aktuell, 17.01.2019, Kurz-URL (30.10.19): https://t1p.de/6ahv
46 Lichtenberg, Georg Christoph (1796): Sudelbücher II. Carl Hanser Verlag, München 1971, S. 450, Aph. K 293
47 BAG WfbM (2011): Inklusionslandkarte. Wo sind die Werkstatt-Projekte? Internetartikel gegen die »virtuelle Landkarte der inklusiven Beispiele« des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe. URL (17.08.19): https://www.bagwfbm.de/article/1567
48 Tolksdorf, Markus (2014): Großeinrichtungen fühlen sich im Dilemma. In: Neue Caritas. Ausgabe 18/2014; Hrsg. Deutscher Caritasverband, Freiburg, Kurz-URL (17.08.19): https://t1p.de/gi95 Der Autor war bis 2017 Geschäftsführer des Franziskuswerkes, Schönbrunn. Er kritisiert die damalige Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Verena Bentele.
49 Berg, Martin: Jubiläum zur Werkstätten:Messe 2019: 10 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention. In: Panorama, Internetseite der BAG WfbM 20.03.2019. URL (18.08.19): https://www.bagwfbm.de/article/3882
50 Al Hares, Sarah: Berufliche Inklusion. Quelle: Kurz-URL (18.08.19): https://t1p.de/s635
51 Caritas Deutschland: Fachbegriffe von A bis Z. Inklusion. Kurz-URL (18.08.19): https://t1p.de/qadx
52 Diakonie Deutschland. Infoportal (2015): Arbeit für Menschen mit schwerer Behinderung. Kurz-URL (18.08.19): https://t1p.de/x2zv
53 Diakonie Texte. Handreichung 13/2009: Verbesserung der Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Behinderung außerhalb der WfbM, S. 6. Kurz-URL (18.08.19): https://t1p.de/t12s
54 siehe u. a. Zinke, Claudia (ohne Datum): Denkzettel. Inklusion für Menschen mit Behinderung. Ideen erhalten – Erfahrungen nutzen – Reformen starten. Kurz-URL (18.08.19): https://t1p.de/axks
55 siehe Kobinet-Nachrichtendienst, 04.12.2018; Kurz-URL (18.08.19): https://t1p.de/smlg
56 53°Nord-Agentur und Verlag (2015): Schrittweise Abschaffung der WfbM? Kurz-URL (18.08.19): https://t1p.de/rkil
57 Merkel, Angela (Bundeskanzlerin 2005–2021): Video-Podcast zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung, 03.12.1993, Kurz-URL 17.08.19): https://t1p.de/ppkf
58 Den Begriff »Behinderer« verwandte der engagierte Journalist und Buchautor Ernst Klee (1942–2013), wegen seiner aufklärenden Bücher über die Nazi-Verbrechen an behinderten Menschen und der Beteiligung der christlichen Anstaltsleitungen vielfach ausgezeichnet. Siehe seinen Artikel in DIE ZEIT Nr. 6/1981; URL (18.08.19): https://www.zeit.de/1981/06/jahr-der-behinderer
59 Aktion Sorgenkind (Hrsg.) (1997): Die Gesellschaft der Behinderer. Das Buch zur Aktion Grundgesetz. Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Hamburg
60 siehe u. a. Palleit, Leander (2016): Über die Zukunft der Werkstätten muss offen diskutiert werden. Interview. Quelle: DIMR,Kurz-URL (18.08.19): https://t1p.de/rdw2
61 Der Spiegel, Nr. 32/1982: »Sonst gibt es keine gemeinsame Zukunft.« 09.08.1982, S. 32, URL (17.08.19): https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14344412.html
62 Bericht des Amtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (2012): Thematischen Studie des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte zur Arbeit und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen, 17.12.2012. UN-Dok. A/HRC/22/25 vom 17.12.2012. Deutsche Übersetzung: Deutsches Institut für Menschenrechte, Monitoring-Stelle zur UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen.
63 UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2015): Abschließende Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands Arbeit und Beschäftigung (Artikel 27).
64 Kingston, Diane (2015): Interview mit 53°Nord, 18.11.2015, Internetquelle (05.07.17): http://www.53grad-nord.com/663.html
65 Aichele, Valentin (2016): Inklusiver Arbeitsmarkt statt Sonderstrukturen. Pressemitteilung des DIMR, 06.06.2016, Kurz-URL (18.08.2019): https://t1p.de/t7xi
66 Behrendt, Hauke (2018): Das Ideal einer inklusiven Arbeitswelt:Teilhabegerechtigkeit im Zeitalter der Digitalisierung. Campus Verlag, Frankfurt a. M.