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2.9 Das Prinzip der Schimäre: die findige Destruktion

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Geht man von der Rechtslage aus, gibt es im »Werkstätten«-Recht durchaus etliche inklusionsbezogene Ansätze, die ins übliche Erwerbsleben führen sollen:

• die Vorschrift, die Arbeitsplätze analog zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu gestalten (§ 5 Abs. 2 WVO);

• die Pflicht zur Beachtung vermittlungsförderlicher Erfordernisse bei der Arbeitstätigkeit (ebd.);

• den Auftrag für ein Leistungsangebot mit übergangsförderlichen Maßnahmen (ebd. Abs. 4);

• »die Einrichtung einer Übergangsgruppe mit besonderen Förderangeboten« (ebd.);

• die Anweisung für übergangsorientierte Leistungen wie z. B. »Trainingsmaßnahmen, Betriebspraktika« (ebd.);

• die Pflicht zum Angebot sog. ausgelagerter Arbeitsplätze, die der »Werkstatt«-Träger durch öffentliche oder private Betriebe bereitstellen lässt (§ 219 Abs. 1 Satz 5 SGB IX, § 5 Abs. 4 WVO);

• die Pflicht der »Werkstatt«-Träger, »den Übergang geeigneter Personen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen« zu fördern (ebd. Satz 3);

• die Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit als Vermittlungsagentur schon während der Durchführung der übergangsfördernden Maßnahmen (ebd. Abs. 4 Satz 3 WVO).

Seit 2018 gibt es durch das sog. Bundesteilhabegesetz (BTHG) die Möglichkeit, den Übergang aus der »Werkstatt« ins reguläre Erwerbsleben durch die öffentliche Hand zu finanzieren: Das »Budget für Arbeit«, als Rechtsnorm im § 61 SGB IX verankert,43 soll es den Erwerbsbetrieben finanziell leichter machen, Personen, die Anspruch auf einen »Werkstatt«-Platz hätten oder die dort bereits beschäftigt werden, regulär einzustellen. Zuvor war diese Arbeitsplatzfinanzierung u. a. in Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen in größerem Ausmaß erfolgreich erprobt worden. Im Jahresdurchschnitt 2018 wurden 313 Budgets für Arbeit bewilligt (BT-Drs. 19/16470, 2020, 268). Auswertende Ergebnisse kann die Bundesregierung derzeit trotzdem nicht angeben und vertröstet die Nachfragenden auf das Jahr 2021 (BT-Drs. 19/8047, 2019, 2).

Der Inklusionsanspruch im geltenden Recht und die Wirklichkeit im real existierenden »Werkstatt«-Alltag klaffen weit auseinander. Die Bundesregierung stellt zwar fest, dass sich die »Arbeitsmarktsituation der schwerbehinderten Menschen […] in den vergangenen Jahren positiv entwickelt hat« (BT-Drs. 19/4157, 2018, 8). Doch zu Übergängen aus den »Werkstätten« ins Erwerbsleben kann sie keine Angaben machen (ebd. S. 19). Und die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit über die Personengruppen auf anrechnungsfähigen Arbeitsplätzen in der Wirtschaft sind wenig hoffnungsvoll. Sie weisen nicht einmal hundert Personen aus, die aus »Werkstätten« in den Arbeitsmarkt gewechselt sind.44 Der Unterschied zwischen den bekannt geworden Übergangszahlen ist zwar enorm, sie schwanken zwischen 71 und 1.800, aber bei über 300.000 Beschäftigten in den »Werkstätten« kann man in beiden Fällen keinesfalls von Erfolg sprechen: Es steht immer eine Null vor dem Komma.

Was macht die »Schimäre Werkstatt« da? Sie sichert sich eine erfolgreiche Existenz durch die erfolglose Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags. Wie macht die »Schimäre Werkstatt« das? »Werkstatt«-Träger und -leitungen hatten sich schon in den späten 1970er Jahren für den Typ »Produktionsstätte« entschieden. Von der ursprünglich – zumindest theoretischen – »doppelten Zielsetzung der Werkstätten« (BT-Drs. 07/3999, 1975, 3) wurde nur eine realisiert. Die politisch beschworene »Gleichrangigkeit zwischen der produktionsorientierten einerseits und der sozialen Komponente« (ebd.) oder gar erwachsenenpädagogischen andererseits, blieb ein leeres Wort. Der produktionsorientierte Konzeptionsteil wurde der bestimmende. Dessen besondere »soziale Komponente« war, dass die Beschäftigten »dem Leistungsdruck einer vollwertigen Produktionsstätte […] nicht ausgesetzt werden« sollten, wie das 1974 ein Vertreter der damals mitregierenden FDP formulierte (PlPrt. 07/77, 1974, 4897).

Alle an diesem System Beteiligten waren sich einig: »Viele geistig Behinderte bleiben ja ein Leben lang in diesen Werkstätten tätig« (PlPrt. 07/156, 1975, 10879). Mitte der 1990er Jahre beschrieb der zuständige Bundesminister diese produktionsorientierten Arbeitsstätten als typische Fabriken: »Auch haben sich die Werkstätten für Behinderte zu modernen, konkurrenzfähigen Industriebetrieben entwickelt« (BT-Drs. 13/2440, 1995, 26). Darum ist der Selbsterhaltungstrieb der »Schimäre Werkstatt« ein geradezu natürlicher Reflex. Statt ihren Lebensraum zu verkleinern, setzen die »Werkstatt«-Träger mit Hilfe der Politik alles daran, das Biotop dieser Schimäre weiter zu vergrößern, ihr immer mehr Personengruppen zuzuführen.

Die inklusionspolitisch richtige Forderung, »Werkstätten« müssen sich zu tatsächlichen Übergangsunternehmen, zu »Integrationsbetrieben« (s. Windmöller, Kap. 11) entwickeln, scheint wenig erfolgversprechend. Angesichts ihrer arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitischen Rolle ist eine Öffnung dieser Sonderwelt z. Z. wenig wahrscheinlich. Die inzwischen unvorstellbaren Milliardensummen, die seit mehr als vierzig Jahren aus öffentlichen Mitteln an die »Werkstatt«-Träger geflossen sind, können nicht einfach abgeschrieben werden: Die Landesrechnungshöfe würden scharf protestieren, wie das der Landesrechnungshof in Rheinland-Pfalz seit einigen Jahren praktiziert.45 Die enge Verflechtung der Politik mit den sozialen Verbänden und ganz besonders die gewaltige Ausdehnung des »Werkstätten«-Netzes erschweren eine tiefgreifende »Werkstätten«-Reform.

Werkstätten für behinderte Menschen

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