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Angesicht Gottes

Das Gesicht einer Person ist als Motiv vorrangig in der bildenden Kunst gegenwärtig. Dort wird im Genre des Porträts die individuelle Physiognomie zum Ort der Reflexion über das Wesen und die spezifische Rolle eines Menschen sowie die Art und Weise, in der er oder sie diese Rolle ausfüllt. Das Gesicht kann, zumindest in westlichen Kulturen, die Person insgesamt repräsentieren.

Die Bedeutung des Gesichtes für die Wahrnehmung von individuellen Personen hat eine entwicklungspsychologische Dimension: Kinder durchlaufen in ihrer Entwicklung eine Ausdifferenzierung in der Wahrnehmung von Gesichtern, die mit der sozialen Entwicklung des Kindes verbunden ist. Das reaktive Lächeln des Säuglings, das den Beginn der sozialen Interaktion darstellt, benötigt anfangs lediglich ein undifferenziertes Oval als Auslöser. Innerhalb weniger Monate werden die Bezugspersonen, auf die das → Kind lächelnd reagiert, immer exakter wahrgenommen. Das Kind bildet so, parallel zur Entwicklung der Wahrnehmungsfähigkeit, eine grundsätzliche Disposition zur Bindung an konkrete Personen aus.

Vor dem Hintergrund dieser psychosozialen Bedeutung des Gesichtes erhält das Motiv des Angesichts Gottes in den Texten des AT eine Bedeutungstiefe, die punktuell über die zufällige Bedeutungszuschreibung einer einzelnen Kultur hinausreicht. Wenn alttestamentliche Texte vom Angesicht Gottes sprechen, so bedienen sie sich allerdings der Bilder und Vorstellungen, die in der Kultur des antiken Israel vorhanden waren.

Der hebräische Begriff pānîm bezeichnet die „Vorderseite“ von etwas oder jemandem. Bei einer personalen Größe, sei sie Mensch oder Gott, ist dies das „Gesicht“ oder „Angesicht“. Damit ist zugleich Kontaktaufnahme konnotiert wie eine gewisse Distanz (linguistisch: Konfrontation), die sich durch das räumliche Gegenüberstehen ergibt. Von „Angesicht zu Angesicht“ wird also Nähe ebenso erfahren wie Abstand (JENNI 1992, 231). In inhaltlich abgeschwächter Form wird das Wort in Verbindung mit der einfachen Präposition lamed verwendet; li nê bedeutet „vor“ oder „bevor“ im räumlichen wie im zeitlichen Sinne. Diese präpositionalen Verwendungen sind für das Verständnis des Motivs nicht durchgängig von Belang.

1 Das Angesicht Gottes

Dort wo im AT das Substantiv auf JHWH bezogen vorkommt, dient das „Angesicht“ zum Ausdruck wichtiger theologischer Sachverhalte. In verschiedenen Kontexten evoziert der Begriff JHWHs Gegenwart, den Zugang zu ihm sowie göttliche Handlungen, die auf Menschen gerichtet sind, wie das Erweisen von Schutz und Gnade (z.B. Ps 31,21) sowie den Vollzug von Gerechtigkeit und Rettung in den Rollen des göttlichen Kriegers und des thronenden Königs (z.B. Ps 42,6.12; 43,1; 44,4; → König, Gott als König). Besonders eindrücklich wird – auch im Hinblick auf die eingangs erwähnte psychosoziale Bedeutung des Gesichtes – in Num 6,24–26 das „Angesicht Gottes“ motivisch eingesetzt, um die positive Wirkung des Göttlichen auf Menschen in Form des Segens zu thematisieren: „JHWH segne dich und behüte dich. JHWH lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. JHWH erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden“ (vgl. auch Ps 67).

Die Begegnung mit dem Göttlichen wird dabei im AT wie eine Audienz bei einem Herrscher oder einer anderen hochrangigen Person dargestellt (wie schon NÖTSCHER 1924 bemerkte). Ausdrücke wie „das Angesicht suchen“ (biqqeš pānîm, 1 Kön 10,24; Spr 29,26; Ps 24,6; 27,8; 105,4) oder „das Angesicht schauen“ (raʾāh bzw. ḥazāh pānîm, 2 Sam 3,13; 14,24.28.32; Ps 11,7; 17,15; 42,3) werden sowohl verwendet, wenn jemand in die Sphäre des Königs, als auch wenn jemand in die Sphäre JHWHs in seinem Tempel gelangt. Vergleichbare Sprachkonventionen sind auch sonst im Alten Orient bezeugt, z.B. in den akkadisch verfassten Amarnabriefen (14. Jh. v. Chr.) oder in den Korrespondenzen der neuassyrischen Könige des ersten Jahrtausends v. Chr. (NÖTSCHER 1924, 77–79; HARTENSTEIN 2008, 53–58.149–161).

2 Verwendung in kultischen Zusammenhängen

Es ist bezeichnend, dass sich die meisten Vorkommen des Motivs des Angesichts JHWHs innerhalb der Hebräischen Bibel und die größte Variationsbreite bei den Ausdrücken in den Psalmen finden. Offensichtlich ist dieses Motiv eng mit der Kultsymbolik des ersten und zweiten Tempels verbunden. Auch wenn sowohl für das akkadische pānu(m) wie für das hebräische pānîm schwer zu entscheiden ist, ob „Angesicht“ in Wendungen wie ina pān(i) oder li nê stets idiomatisch zu verstehen ist (OPPENHEIM 1941), unterstreicht doch die häufige Verwendung von li nê JHWH in der Priesterschrift des Pentateuchs die Beziehung des Motivs vom Angesicht Gottes zu kultisch orientiertem räumlichem Denken (die Verwendung findet sich im Zusammenhang des idealen Wüstenheiligtums, des ʾohæl môʿeḏ, des „Zeltes der Begegnung“, das in Ex 25–31 und 35–40 nach dem Muster der tradierten Tempelsymbolik durch die priesterlichen Verfasser neu entworfen wurde). Die bildhafte Sprache der Psalmen folgt dem Vorstellungsmuster von „Gott als König“. Das Königtum stellt ein zentrales metaphorisches Feld für das Konzept „Gott“ im AT dar (eine „Wurzelmetapher“, vgl. METTINGER 1988, 92). Ihm sind weitere Symbolisierungen zugeordnet. Ausdrücke wie das „Leuchten“ oder das „Licht des Angesichts“ JHWHs (Ps 4,7; 31,17; 44,4; 67,2; 80,4.8.20; 119,135), die ihre Wurzeln im kosmischen Symbolismus haben (Sonnenlicht, Morgenrot), werden auch auf den irdischen Herrscher bezogen verwendet (Spr 16,15). Andererseits zeigt das Paradigma des göttlichen Lichts und göttlichen Strahlens, wie göttliche und menschliche Bereiche ähnlich und zugleich – angesichts der Differenz zwischen Mensch und Gott –, doch auch unterschiedlich konzeptualisiert sind. So hat die Rede von Gottes strahlendem Angesicht einen deutlich weiteren Bedeutungsumfang als im Fall des menschlichen Königs (umfassende Zuwendung, Aufnahme des Gegenübers in die schützende göttliche Thronsphäre). Das gilt auch für die negative Seite der göttlichen Präsenz, wie sie mit dem Ausdruck „Verbergen des Angesichts“ (histîr pānîm; BALENTINE 1983) bezeichnet wird. Im AT gibt es keinen direkten terminologischen Beleg für das verborgene Angesicht eines Herrschers (aber immerhin Ex 10,28f.; 2 Sam 14). Als Topos hingegen kommt das verborgene Angesicht JHWHs häufig vor, und zwar in Klagegebeten des Einzelnen und des Volkes (z.B. Ps 27,9; 69,18; 102,3; 143,7; → Klage). Es wird auch dann verwendet, wenn in den schriftprophetischen Büchern über JHWHs Zorn und Strafe im Lauf der Geschichte gesprochen und darüber reflektiert wird (z.B. Jes 8,17; 54,8; 64,6; → Zorn Gottes).

3 Kulturelle Zusammenhänge und Symbolbedeutung

Die Symbolik des göttlichen Angesichts thematisiert die fundamentale Opposition von Leben und → Tod. Das Angesicht Gottes bezieht sich auf Leben und bringt Leben (vgl. Ps 36; 63), seine Abwesenheit signalisiert und bringt den Tod (vgl. Ps 88). Das Angesicht als die eigentliche Mitte der Lebensfülle JHWHs steht in Beziehung zu anderen Begriffen wie „Ruhm/Ehre/Herrlichkeit“ (kāḇôḏ), „Güte/Freundlichkeit“ (ṭûḇ) und „Freundlichkeit/Schönheit“ (noʿam), die alle auch visuelle Konnotationen haben können (vgl. Ps 27,4.13; Ex 33,18–23). Das Angesicht JHWHs ist ein herausragendes Beispiel für den in der Auslegungstradition nicht selten kritisch hinterfragten biblischen Anthropomorphismus. Moderne Bibelleser wundern sich oft darüber, dass das Alte Israel von seinem Gott wie andere Völker des Alten Orients oder der Antike in konkreten körperlichen Kategorien dachte und dabei Begriffe wie Gesicht, Arm, → Hand und Augen oder auch Mund und Stimme benutzte (→ Körper). Solche Anthropomorphismen waren ein integraler Bestandteil ihrer Weltsicht und sollten auf hermeneutischer Ebene als „soziomorphe“ Konzepte der Vorstellung Gottes (v.a. als König, HARTENSTEIN 2008, 10–26) verstanden werden. Wie andere Anthropomorphismen ist die Rede vom „Angesicht“ ein für die Begriffswelt der Bibel notwendiges Element in der Kommunikation zwischen Gott und der Menschheit. Weil das Konzept „Gott“ Teil der Symbolwelt ist, von der aus eine Kultur – die des Alten Israel – die Welt deutete, konnte es nicht anders als in metaphorischer Weise gedacht und zur Sprache gebracht werden. An vier Stellen im AT wird das „Angesicht“ verwendet, um die Personhaftigkeit JHWHs direkt auszudrücken (Ex 33,14; Dtn 4,37; Jes 63,9; Kgl 4,16). Nur an diesen Stellen ist das Angesicht grammatisches Subjekt göttlicher Aktionen in einem Satz – an allen anderen Stellen wird es grammatisch als Objekt göttlicher oder menschlicher Handlungen eingesetzt. Bemerkenswerterweise gibt es unter den punischen Inschriften des ersten Jahrtausends v. Chr. ein Zeugnis für ein vergleichbares Konzept, bei dem die Göttin Tannit als „das Angesicht Baals“ (pn bʿl) bezeichnet wird, womit offenbar das wohlwollende Wesen Baals, seine zugängliche Seite gemeint ist (KAI 78,2; 79,1.10f, 85,1; 86,1; 87,2; 88,1; 137,1 vgl. RENZ/RÖLLIG 1995).

Die ausführlichste theologische Reflexion zum göttlichen Angesicht im AT findet sich in Ex 32–34 (HARTENSTEIN 2008, 265–283; MARK 2011, 418–584). Ex 32 eröffnet den Reflexionszusammenhang mit der Erzählung vom goldenen Jungstierbild (→ Tier). Nachdem JHWH in Ex 32 angesichts des von ihm nicht befohlenen Bilderdienstes Israels seinem richtenden Zorn freien Lauf lassen will und von Mose gerade noch gestoppt werden kann (Ex 32,7–14), handelt Ex 33 von Moses Bemühen, die wohlwollende Anwesenheit JHWHs zurückzuerlangen. Obwohl er in V. 14 als einziger verbleibender Mittler den Zuspruch erhält „mein Angesicht wird gehen“, d.h. mit ihm/ihnen, bleibt auch ihm der anschließend erbetene unmittelbare Zugang zu JHWHs Angesicht verwehrt (Ex 33,18–34,6). Stattdessen darf er nur Gottes Rückseite sehen, weil Gott ihn vor den Auswirkungen seiner unverhüllten Gegenwart beschützen will (vgl. Elijas Reaktion in 1 Kön 19,13). Auch wenn die im Motiv des „Angesichts Gottes“ vorgestellte Zuwendung Gottes grundsätzlich als heilvoll erwartet wird, gilt für alttestamentliches Denken doch auch der Grenzsatz: Wer Gott – unverstellt – sieht, muss sterben/vergehen (Ex 33,20; vgl. Jes 6,5). In Ex 34,29–35 spiegelt umgekehrt das Gesicht des Mose, nachdem er JHWHs Wohnort verlassen hat, den göttlichen Glanz wider, ohne dass Mose es bemerkt. Aufseiten Israels ruft er damit Furcht hervor, selbst der Widerschein des Göttlichen erscheint als gefährlich. Zugleich zeigt der Glanz im Gesicht des Mose aber auch die Vermittlung der Tora an (vgl. die berühmte Aufnahme und Interpretation der Stelle durch Paulus in 2 Kor 3,4–18). Die Dialektik von Anwesenheit und Abwesenheit, symbolisiert im göttlichen Angesicht, bezeichnet darum in den Erzählungen von Israels Gründungsmythos (→ Exodus und Sinai, vgl. → Berg) den Gott JHWH als immer zugleich nahen und fernen, zugewandten und entzogenen Gott.

4 Literatur

BALENTINE, Samuel E. (1983): The Hidden God, Oxford 1983.

GRUBER, Mayer I. (1980): Aspects of Nonverbal Communication in the Ancient Near East, Rom.

HARTENSTEIN, Friedhelm (2008): Das Angesicht JHWHs, Tübingen.

MARK, Martin (2011): „Mein Angesicht geht“ (Ex 33,14), Freiburg i.Br. u.a.

NÖTSCHER, Friedrich (1924): „Das Angesicht Gottes schauen“ nach biblischer und babylonischer Auffassung, Würzburg 1924.

OPPENHEIM, Adolf Leo (1941): Idiomatic Akkadian, in: Journal of the American Oriental Society 61, 251–271.

REINDL, Joseph (1970): Das Angesicht Gottes im Sprachgebrauch des Alten Testaments, Leipzig.

RENZ, Johannes; RÖLLIG, Wolfgang (1995): Handbuch der althebräischen Epigraphik II/1, Darmstadt.

SEOW, Choon-Leong (1999): Face, in: K. van der Toorn, B. Becking, P.W. van der Horst (Hrsg.): Dictionary of Deities and Demons in the Bible, Leiden/New York/Köln, 322–325.

Friedhelm Hartenstein, Jutta Krispenz(

Arche → Kasten, bergender

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