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2 Historische Rekonstruktionen

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Trotz der Komplexität des Entstehungsprozesses der biblischen Bücher, den vielfältigen Transformationsprozessen der unterschiedlichen Redaktionsphasen, die bis in die hellenistische Zeit reichen, lässt sich eine nicht unbeträchtliche Anzahl historisch akkurater Überlieferungsbausteine anführen, die das Verhältnis Israels und Judas zum neuassyrischen Imperium widerspiegeln. Im Besonderen betrifft dies die Zeit zwischen den assyrischen Königen Tiglatpilesar III. (744–727 v. Chr.) und Sanherib (704–681 v. Chr.), in der die assyrischen Heere bis an die Grenze Ägyptens vorstießen und ganz Syrien-Palästina unterwarfen bzw. in ihre Abhängigkeit brachten. Wie wichtig die Rolle Assyriens in diesem Zeitraum für die biblischen Autoren war, was sich vor allem in 2 Kön, Jes sowie im Dodekapropheton niederschlug, zeigt schon ein Überblick über die in der Bibel namentlich genannten assyrischen Könige (MILLARD 1976; MACHINIST 1983): Tiglatpilesar III. (2 Kön 15,29; 16,7.10; 1 Chr 5,6.26; 2 Chr 28,20 bzw. als Pul in 2 Kön 15,19 und 1 Chr 5,26), Salmanassar V. (726–722 v. Chr.) (2 Kön 17,3 und 18,9), Sargon II. (721–705 v. Chr.) (Jes 20,1), Sanherib (mehrfach in 2 Kön 18–19; 2 Chr 32 und Jes 36–37), Asarhaddon (680–669 v. Chr.) (2 Kön 19,37; Jes 37,38; Esra 4,2). Für die Zeit davor spielt Assyrien so gut wie keine Rolle (die Interpretation von Šalman in Hos 10,14 als Salmanassar III. [858–824] bleibt völlig spekulativ), was aufgrund der unter Salmanassar III. massiv einsetzenden Westexpansion zumindest bemerkenswert ist (BAGG 2011).

Eine besondere Gewichtung erfährt die Belagerung Jerusalems durch Sanherib, die breit kommentiert wird (2 Kön 18,13–19,37, 2 Chr 32,123 und Jes 36,1–37,38; dazu FRAHM 1997, 10f, 18f, 25; GRABBE 2003; BAGG 2011, 246–248; KREUCH 2001; FALES 2008; WEISSERT 2011). Im Kontext dieses Geschehens werden 2 Kön 18,17 mit Tartan, Rabsaris und Rabschake drei hohe assyrische Würdenträger genannt, die von Sanherib mit einer ersten Streitmacht gegen Jerusalem gesandt werden und unter denen in der Folge der Rabschake eine prominente Rolle einnimmt. Tatsächlich handelt es sich dabei um Amtsbezeichnungen (turtānu, rab ša rēši, rab šāqê) für drei der höchsten Magnatenämter in neuassyrischer Zeit (MATTILA 2000, 107–125, 61–76, 45–60). Auch die 30 Talente Gold, die Hiskija unter anderem an Sanherib als Tribut abzuliefern hat (2 Kön 18,14), entsprechen genau jener Summe, die der Assyrerkönig in seinen eigenen Inschriften nennt (DE ODORICO 1995, 80). Das Scheitern der anschließenden Belagerung erfährt durch das Wüten des Todesengels im assyrischen Heerlager einen dramatischen Höhepunkt, worauf Sanherib das Unternehmen abbricht (2 Kön 19,35). Wahrscheinlich war die Kampagne aber ein voller Erfolg, sodass es müßig ist, über allfällige Hintergründe dieser Episode zu spekulieren (BAGG 2011, 248).

In den Augen der biblischen Autoren war die Belagerung allerdings gescheitert. Sie setzten die Ermordung Sanheribs, die in Wirklichkeit erst 20 Jahre später stattfand, in eine unmittelbare Beziehung zu dem Ereignis und präsentierten beides als sichtbaren Beweis göttlichen Wirkens und somit als einen Triumph über assyrische Hoffart. Auch die Niederlage und der Tod Sargons II. auf dem Schlachtfeld, eine Katastrophe aus assyrischer Sicht, zumal der Leichnam des Königs nicht geborgen werden konnte, dürften einen Niederschlag in den biblischen Büchern gefunden haben (Jes 14,19f.). Es ist erstaunlich, dass nach der Ermordung Sanheribs mit der östlichen Großmacht verbundene Ereignisse von den biblischen Büchern wesentlich pauschaler und allgemeiner in den Blick genommen werden. Asarhaddon findet eigentlich nur als Nachfolger Sanheribs Erwähnung, und Assurbanipal sucht man vergebens, will man nicht den in Esra 4,10 genannten Asnappar als eine Verballhornung seines Namens verstehen, was aber äußerst unwahrscheinlich ist.

Ob die Auseinandersetzungen Asarhaddons mit seinen Brüdern (Flucht des jüngsten Bruders außer Landes sowie Triumph über die Geschwister) Pate für die Josefsgeschichte stand (FRAHM 2009, 39–42), ist aber durchaus erwägenswert. Jedenfalls erweisen sich in den biblischen Büchern die letzten Dezennien des assyrischen Imperiums als schemenhaft. Doch bleibt Assur Chiffre für eine abstoßende und ebenso böse wie bedrohliche Macht. In diesem Zusammenhang kann Assyrien auch durch eine seiner Residenzstädte verkörpert werden. Dies ist jedoch niemals Assur selbst, sondern vielmehr Ninive, das zwar in den Königsbüchern nur ein einziges Mal Erwähnung findet (2 Kön 19,36: Ermordung Sanheribs in Ninive), dafür aber etwa im Zwölfprophetenbuch immer wieder an prominenter Stelle figuriert (DIETRICH 2002). So wird in Nah 2,2–3,19 die Bosheit Ninives in bunten Bildern ausgemalt und das Ende der assyrischen Macht heraufbeschworen. Wenn in den Augen des Propheten der assyrische Löwe fällt, kann man dies durchaus auch als Hinweis auf die Jagdleidenschaft der assyrischen Könige verstehen. So ist es nicht ausgeschlossen, dass derartige Bilder assyrischen Königsinschriften entlehnt sind. Sie werden in der Regel allerdings umgepolt, indem sie nicht mehr auf die Feinde Assurs, sondern auf die Assyrer selbst Anwendung finden (Nah 3,3: das Gewimmel der Erschlagenen; 3,13: assyrische Krieger als Weiber; 3,15b–17: die Allpräsenz assyrischer Händler, Beamter und Spitzel als Heuschrecken [→ Tier]; zur Präsenz assyrischer Beamter in Vasallenstädten ROLLINGER 2011c, 270f.; zu den literarischen Bildern der Inschriften ROLLINGER 1996a; MACHINIST 1983, 722–727). Man könnte auch in diesen Fällen von einem „reversal of the semiotic code“ der assyrischen Königsideologie sprechen, womit FRAHM treffenderweise die den assyrischen Königen unterstellte Gottlosigkeit charakterisiert, die so gar nicht jenem Wertekanon entsprach, den die assyrischen Könige in ihren Inschriften entworfen hatten (FRAHM 2011, 275 mit Anm. 40).

Das von Zef 2,13–15a gegen Assur und Ninive gerichtete Bild ist dem gegenüber weniger plastisch. Ninive ist zerstört und zu einer Öde geworden, in der Vögel und wilde Tiere hausen. Bemerkenswert bleibt der Hinweis in Zef 1,8 auf die fremdländische Kleidung der judäischen Oberschicht. Analog zur Perserie Athens im 5. Jh. v. Chr. mag man hier an eine Art „Assyrierie“ in den von der Großmacht kontrollierten Gebieten denken (UEHLINGER 1996). Wie sehr die Eliten der von Assyrien abhängigen Kleinstaaten zwischen Akzeptanz und Widerstand lavierten, hat die neuere Forschung deutlich gemacht (LANFRANCHI 2009). Assyrien wird von Zef 2,13 im Norden Israels lokalisiert, was man als Indiz für eine Ausdehnung des Toponyms seit dem 7. Jh. auf die Gebiete westlich des Euphrat werten kann (ROLLINGER 1996b).

Eine besondere Rolle kommt Ninive im Buch Jona zu, das allerdings erst in hellenistischer Zeit entstanden ist. Wie Babylon bei den klassischen Autoren erscheint sie als gigantische Riesenstadt. Der Prophet braucht drei Tage für ihre Durchquerung (Jona 3,3; vgl. Aristoteles, Politik, 1276a 25–31; ROLLINGER 2008). Die 120.000 Einwohner, die dort gelebt haben sollen (Jona 4,11) repräsentieren wie die 120 Stadien, die Herodot einer Seitenlänge der als quadratisch gedachten Stadt Babylon zusprach (Historien 1,178), eine vergleichsweise schier unglaubliche Größe. Anklänge an die klassischen Autoren finden sich aber auch an anderen Orten. Wenn in Nah 2,7 die Feinde über die Flusstore in Ninive eindringen, kann man dies zwar als Hinweis auf eine gewisse Ortskenntnis des Autors verstehen (DIETRICH 2002, 122), doch soll laut Herodot, Historien 1,188–191 auch Babylon von dieser Seite durch Umleitung des Flusses und Trockenlegung des Flussbettes erobert worden sein.

Überhaupt ergeben sich durch einen Vergleich mit dem Assur-Bild in den klassischen Quellen interessante Einblicke. In der klassischen Überlieferung spielt der für die biblischen Bücher so einschneidende Zeitraum zwischen 750 und 690 v. Chr. überhaupt keine Rolle. Namentlich genannte, „historische“ assyrische Könige kommen eigentlich nicht vor. Dafür wird Assyrien als erstes Großreich der Geschichte in ein historisches Kontinuum gestellt, wobei das Augenmerk auf Anfang und Ende dieses Imperiums gelegt werden. Der Beginn wird mit einem eponymen König und einer großen Königin verknüpft (Ninos und Semiramis), das Ende in einem dramatischen Geschehen an einem verweichlichten und effeminierten König (Sardana-pal) festgemacht (ROLLINGER 2011b). Diese Potentaten spielen im AT überhaupt keine Rolle. Nur die in Nah 2,8 genannte assyrische Königin könnte man vielleicht mit dem Ende Ninives in Verbindung bringen, wie man auch die Jonageschichte als ein satirisches Spiel mit der Semiramis-Legende lesen kann (FRAHM 2011, 278f). Schließlich ist die Konzeption der Weltgeschichte als eine Abfolge von imperialen Großreichen eine Konzeption der klassischen Historiographie, die erst sekundär von Daniel aufgegriffen wird (WIESEHÖFER 2004). Trotz dieser vielfältigen Unterschiede, die vollkommen divergierende Traditionsströme und gegensätzliche Perspektiven verraten, ist eine Gemeinsamkeit unverkennbar: Auch der klassischen Überlieferung ist die Stadt Assur unbekannt. Wenn sie eine assyrische Metropole ins Auge nimmt, ist dies Ninos (Ninive). Im Kontext der biblischen Bücher hat man diesen Sachverhalt immer wieder mit dem Umstand zu erklären versucht, dass in der Zeit, die im AT besonders anschaulich dargestellt ist, Ninive die wichtigste assyrische Residenzstadt gewesen wäre (DIETRICH 2002, 115; FRAHM 2011, 271f.). Diese Erklärung vermag allerdings nicht gänzlich zu befriedigen. Schließlich kam der Stadt Assur als Kultort des für die assyrische Königsideologie so wichtigen Reichsgottes Assur gerade auch in sargonidischer Zeit eine wesentliche Rolle zu (LIVINGSTONE 1995). Assyrische Gouverneure waren verpflichtet, Opfergaben für Assur nach Assyrien zu schicken (HOLLOWAY 2002, 100–108). Auch nach dem Untergang der Stadt 614 v. Chr. gab es einen Kult des Gottes Assur in Uruk (BEAULIEU 1997), und das Gedächtnis an Assurbanipal wurde von babylonischen Schreibern bis in frühhellenistische Zeit bewahrt (GOLDSTEIN 2010). Außerdem ist in Assur selbst ein Kultbetrieb bis in parthische Zeit belegt (LIVINGSTONE 2009). Dass die Stadt trotzdem weder in biblischen noch in klassischen Quellen erscheint, ist eine Eigentümlichkeit, die somit nach wie vor einer überzeugenden Erklärung harrt, wie auch die Abwesenheit Assurbanipals in diesen beiden Überlieferungsströmen nur schwer verständlich ist (in der klassischen Überlieferung mag er sich hinter Sardanapal verbergen). Auch in jenen biblischen Büchern, die historische Traditionen bewahren, erscheint Assur in erster Linie als eine widerwärtige, gottesferne, selbstgerechte und überhebliche imperiale Macht. Der von den neuassyrischen Königen begründete imperiale Machtanspruch findet eine pointierte Charakterisierung in Zef 2,15: „Ich und sonst niemand“. Assur wird auf diese Weise zur Chiffre einer alles bedrohenden Weltherrschaft.

Unter dieser Perspektive können auch der Perserkönig (Esra 6,22) oder Nebukadnezzar als Könige von Assur (Jdt 1,1) auftreten, wobei letzterer sogar in Ninive residiert (ROLLINGER 2009). Inwieweit religiöse Konzeptionen in den biblischen Büchern auf assyrischen Einfluss zurückgehen, ist in der Forschung umstritten. Auf entsprechende Anregungen wurden sowohl die Bundestheologie als auch der auf JHWH fokussierte Monotheismus zurückgeführt (LEVINE 2003; OTTO 1999). Die Diskussion darüber ist nach wie vor im Gange (FRAHM 2011, 279–285).

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