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Junger Mann in dunklem Zimmer

Um 02:30 Uhr ruft ein Hausarzt den NAW zur Unterstützung zu einem Patienten mit einer stark blutenden Handverletzung.

Beim Eintreffen liegt ein junger Mann in einem dunklen kleinen Zimmer auf dem Bett. Der Patient ist ansprechbar, blass, kaltschweißig und offenbar unter starkem Alkoholeinfluss. Im Zimmer finden sich zahlreiche Blutspuren. Der Hausarzt berichtet, dass der Patient sich mit einer zerbrochenen Flasche versehentlich in den volaren Handgelenkbereich rechts geschnitten habe. Die Wunde wurde mit einem Druckverband versorgt. Zusätzlich erhielt der Patient einen periphervenösen Zugang, worüber eine Infusion läuft. Der Notarzt stellt einen Blutdruck von 110/80 mmHg und einen Puls von 90/min fest. Eine schnelle Untersuchung der Handbewegungen weist auf mehrere Beugesehnenverletzungen hin. Der Verband ist nicht durchgeblutet. Der stabile Patient wird mit dem NAW ohne weitere Untersuchungen in eine Klinik mit handchirurgischer Abteilung eingeliefert. Während des Transports und bei Übergabe in der Klinik ist der Patient weiterhin stabil.

In der Klinik wird der Patient auf die Operation vorbereitet und – wegen der arteriellen Gefäßverletzung – relativ schnell in den OP gebracht. Beim Abwaschen der Hand stellt der Handchirurg fest, dass der Patient auch eine Stichverletzung im rechten oberen Bauchbereich hat. In den darauf folgenden Untersuchungen stellt sich eine Dickdarmverletzung dar, die unverzüglich, noch vor der Handverletzung, operativ versorgt werden muss.

Die spätere Vervollständigung der Anamnese ergibt, dass der Patient sich nicht selbst verletzt hat, sondern bei einem Streit von einem Verwandten mit einem Messer angegriffen worden war.

Hintergrund

Jede Versorgung eines Trauma-Patienten muss nach einem standardisierten Protokoll erfolgen. Dazu zählt neben der Evaluierung und Stabilisierung der Vitalfunktion auch die Ganzkörper-Untersuchung. Um Verletzungen nicht zu übersehen, muss dazu der Patient immer möglichst vollständig entkleidet und auch so gedreht werden, dass der gesamte Rücken eingesehen werden kann. Zusätzlich sollte ein festes Schema – am besten vom Kopf bis zum Fuß – eingehalten werden. Oftmals ist eine Verletzung so imposant, dass der Helfer sich damit vordringlich beschäftigt, ohne die vollständige Untersuchung des Patienten fortzusetzen.

Das Übersehen von Verletzungen kann durch folgende Faktoren begünstigt werden:

 Der Patient hat keine weiteren Beschwerden oder will diese bewusst verbergen.

 Alkohol- oder Drogeneinfluss.

 Der stabile Zustand des Patienten entspricht den zunächst sichtbaren Verletzungen.

 Manche Einsatzorte sind für die Durchführung einer körperlichen Untersuchung schlecht geeignet (z. B. bei Dunkelheit, Enge, Kälte).

 Übernahme von durch Dritte bereits voruntersuchten und versorgten Patienten.

Fehler und Gefahren

 Keine konsequente Anwendung von standardisierten Traumaprotokollen.

 Unkritische Übernahme von vermeintlich vollständig vorbehandelten Patienten.

Fehlervermeidung

 Gründliche, vollständige und wiederholte Untersuchung aller Traumapatienten gemäß Traumaprotokoll.

 Bei Übernahme von vorbehandelten Patienten muss jeder Patient erneut vollständig untersucht und aktuell beurteilt werden.

77 Fehler und Irrtümer in der Notfallmedizin

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