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Weder Blut noch Luft können aus der Thoraxdrainage evakuiert werden

An einer Baustelle fällt ein Arbeiter durch einen Deckendurchbruch in das darunter liegende Geschoss. Er stürzt dabei auf ein unter dem Loch stehendes Gestell zur Errichtung einer Bühne, schlägt mit dem Kopf auf dem Betonboden auf und bleibt primär bewusstlos liegen. Von den Kollegen wird der Mann nicht bewegt, er atmet insuffizient, ist zyanotisch, und ein Puls ist an den Handgelenken nicht tastbar.

Der Notarzt stellt bei dem Patienten ein völlig aufgehobenes Atemgeräusch an der rechten Thoraxseite, die zudem äußerlich erheblich verletzt ist, sowie deutlich verminderte Atembewegungen auf dieser Seite fest. Die Pupillen sind seitengleich, der Blutdruck beträgt 75/40 mmHg und die Pulsfrequenz 70/min. Schutzreflexe sind nur zum Teil auslösbar, der Babinski-Reflex ist negativ. Der Patient wird zunächst narkotisiert und anschließend endotracheal intubiert. Ein exspiratorisches Giemen und ein endtidaler PCO2 von 22 mmHg deuten auf eine schlechte Ventilation und Perfusion hin.

Daraufhin entschließt sich der Notarzt zur Anlage einer Thoraxdrainage. Die Drainage soll rechts in der mittleren Axillarlinie eingebracht werden. Der Notarzt zählt von kaudal vier Rippen in Richtung kranial ab, legt ein Lochtuch über die Punktionsstelle und durchsticht mit einem scharfen Mandrin, auf dem der Drainageschlauch angebracht ist, die Haut. Als er einen Widerstandsverlust spürt, zieht er den Mandrin etwa 10 cm zurück und schiebt den Drainageschlauch weiter nach kranial vor. Die Thoraxdrainage wird mit einem Ablaufbeutel verbunden und steril verbunden. Weder Blut noch Luft werden evakuiert. Im Schockraum der aufnehmenden Klinik wird durch den Teamleiter des Schockraums der Verdacht geäußert, die Thoraxdrainage könne zu tief und damit intraabdominell gelegt worden sein. Im Abdomen-CT bestätigt sich diese Vermutung. Die Thoraxdrainage wird durch die abdominalchirurgische Abteilung folgenlos entfernt. Der Patient erhält eine neue Thoraxdrainage: höher gelegen, ebenfalls in der mittleren Axillarlinie, die Spitze jedoch nach apikal geführt. Am 15. Behandlungstag wird der Patient auf die Normalstation verlegt und am 29. Behandlungstag entlassen.

Hintergrund

Das Legen von Thoraxdrainagen gehört bei vielen Traumapatienten zu den lebensrettenden Maßnahmen eines Arztes, denn eingedrungene Luft oder Blut können insbesondere bei verletzungsbedingtem Ventilmechanismus zu lebensgefährlichen Drucksteigerungen im Thorax und damit zur Verschiebung des Mediastinums incl. wichtiger Gefäße führen. Eine Mediastinalverschiebung geht zudem häufig mit Herzrhythmusstörungen und einer Reduktion des kardialen Auswurfs einher. Die Patienten versterben in extremen Fällen innerhalb von Minuten, wenn es nicht gelingt, den Druck in der Pleurahöhle durch eine Punktion zu entlasten. In besonders bedrohlichen Fällen genügt zunächst die Punktion der betroffenen Thoraxseite durch eine dicklumige Venenverweilkanüle, um einen Überdruck ablassen zu können. Bereits eingetretene Herzrhythmusstörungen als Ausdruck der Mediastinalverschiebung verschwinden dann in der Regel innerhalb von Sekunden. Im Anschluss daran muss eine Thoraxdrainage angelegt werden, die in der Regel mittels Minithorakotomie durchgeführt werden sollte.

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Die Verwendung eines scharfen Spießes zur Penetration der Thoraxwand ist obsolet, da auf diese Weise eine große Gefahr besteht, Lungengewebe zu verletzen.

Zunächst wird bei der Minithorakotomie die Haut durchtrennt, und dann werden die intercostalen Strukturen mittels spreizender Schere und vordringendem Finger durchtrennt, bis die Pleura parietalis den Zutritt zum Pleuraraum gestattet. Am tastenden Finger entlang wird dann der Drainageschlauch vorgebracht, dabei ist es erlaubt, einen Mandrin zu belassen, wenn die Spitze des Mandrins um etwa 10 cm zurückgezogen wurde.

Im Rettungsdienst ist es oft schwierig, eine ausreichende Sterilität beim Legen der Thoraxdrainage einzuhalten. Kittel, Mundschutz, Kopfbedeckung, Handschuhe – diese komplette Bekleidung eines OPs wird an der Unfallstelle nicht vorgehalten. Vielmehr wird unter Berücksichtigung der Gefahr möglichst steril gearbeitet, doch ist es nachvollziehbar, dass in einem Rettungswagen oder auf einer Baustelle hygienische Kriterien wie in einem OP oder einer chirurgischen Ambulanz nicht einzuhalten sind. Daher sollte die Indikation zur Anlage einer Thoraxdrainage auf die Fälle beschränkt bleiben, in denen bei offensichtlich aufgehobenem Atemgeräusch zusätzlich respiratorische oder zirkulatorische Probleme auftreten, die auf einen Spannungspneumothorax hindeuten. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass gerade dann, wenn der erfahrene Arzt bewusst auf die Anlage einer Thoraxdrainage verzichtet und er annimmt, der Patient habe einen Pneumothorax oder einen Hämatothorax, eine erhöhte Aufmerksamkeit erforderlich ist, um im Fall der Veränderung des Gesamtzustandes des Patienten schnell eingreifen zu können. Dies bedeutet auch, dass Vorbereitungen zur Anlage einer Thoraxdrainage bereits getroffen sein müssen, um nicht wertvolle Zeit zu verlieren.

Die Punktionsstelle einer Thoraxdrainage befindet sich in der medialen Axillarlinie in Höhe des 4. oder 5. Intercostalraumes, von kranial her ertastet. Diese sicherlich sehr hoch gelegene Punktionsstelle führt jedoch auch dann nicht zu einer versehentlich intraabdominell gelegenen Sonde, wenn, durch welche Umstände auch immer, ein Zwerchfellhochstand vorliegen sollte.

Insgesamt ist auch festzustellen, dass die Anlage einer Thoraxdrainage durch den Notarzt durchaus einige Zeit in Anspruch nehmen kann, insbesondere dann, wenn der Notarzt oder die Notärztin sowie die Rettungsdienstkräfte unerfahren sind und die Bemühungen um die Einhaltung der Hygienerichtlinien streng verfolgt werden. Bei einem polytraumatisierten Patienten muss daher abgewogen werden, ob sich dadurch die Versorgungszeit unverhältnismäßig verlängert. Die grundsätzlich kritische Indikationsstellung für das Legen von Thoraxdrainagen darf aber nicht dazu führen, dass in den Fällen, in denen sie erforderlich ist, aus Sorge vor Komplikationen darauf verzichtet wird.

Fehler und Gefahren

 Falsche Auswahl des Punktionsortes.

 Nicht korrekte Vorbereitung des Punktionsortes.

 Falsche Vorgehensweise bei der Punktion.

 Bei der intraabdominellen Lage einer Thoraxdrainage drohen schwere intraabdominelle Verletzungen und Blutungen.

Fehlervermeidung

 Kritische Prüfung, ob eine Thoraxdrainage erforderlich ist.

 Vorbereitung auf die sofortige Anlage einer Drainage, wenn sich diese als notwendig erweisen sollte.

 Wahl des richtigen Punktionsortes durch Abzählen der Zwischenrippenräume von kranial.

 Minithorakotomie durchführen und auf diese Weise Organverletzungen vermeiden.

77 Fehler und Irrtümer in der Notfallmedizin

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