Читать книгу 77 Fehler und Irrtümer in der Notfallmedizin - Группа авторов - Страница 19
ОглавлениеIntubation eines „Schwerverletzten“
Zwei PKW kollidieren nachts auf einer Autobahn. Eines der beiden Fahrzeuge prallt daraufhin gegen die Mittelleitplanke. Der Notarzt findet auf der Fahrerseite dieses Fahrzeugs einen ansprechbaren 28-jährigen Patienten vor, der genaue Angaben zum Unfallhergang machen kann. Ein unmittelbarer Zugang ist nicht möglich, weil die deformierte Fahrertür sich nicht von außen öffnen lässt. Der noch angegurtete Fahrer klagt über Schmerzen auf der linken Thoraxseite, eine sichtbare Dyspnoe besteht nicht. An dem von der Beifahrerseite erreichbaren rechten Arm wird ein periphervenöser Zugang gelegt und zügig Ringerlactat infundiert. Der Blutdruck beträgt palpatorisch 120 mmHg systolisch, die Sauerstoffsättigung 97 %.
Nach der Befreiung durch die Feuerwehr wird der Patient in den RTW verbracht, entkleidet und untersucht. Auf der linken Thoraxseite ist eine gut sichtbare Gurtprellmarke bei auskultatorisch seitengleicher Belüftung der Lungen zu erkennen. Bei der weiteren Untersuchung fallen keine Besonderheiten auf. Das EKG zeigt einen Sinusrhythmus mit einer Frequenz von 110/min, der Blutdruck liegt bei 120/70 mmHg. Die Sauerstoffsättigung beträgt bei einem O2-Flow von 6 l über eine Maske 99 %. Der Patient klagt weiterhin über erhebliche Schmerzen im Thorax, die ihm das Atmen erschweren. Es besteht eine Atemfrequenz von ca. 30 Atemzügen/min.
Wegen der großen Entfernung zur aufnehmenden Klinik fordert der Notarzt über die Leitstelle einen Intensivtransporthubschrauber (ITH) an. Gleichzeitig entschließt er sich wegen der Beschwerden des Patienten unter der Annahme eines Thoraxtraumas zur endotrachealen Intubation. Nach der Gabe von 30 mg Etomidat und 0,2 mg Fentanyl lassen sich keine optimalen Intubationsverhältnisse herstellen, sodass es primär zu einer Tubusfehllage im Ösophagus kommt. Die anschließende Maskenbeatmung mit Oxydemandventil und Guedel-Tubus gestaltet sich ebenfalls schwierig. Für die nachfolgenden Intubationsversuche bekommt der Patient weitere 30 mg Etomidat, 0,3 mg Fentanyl und zur Muskelrelaxierung 30 mg Atracurium. Unter diesen Voraussetzungen lässt sich ein Magill-Tubus (ID 7,0) endotracheal platzieren. Die primäre Auskultation ergibt eine seitengleiche Belüftung. Die Sauerstoffsättigung liegt bei 98 % und die Kapnometrie zeigt Normwerte. Beim Umlagern des Patienten in den Hubschrauber verschlechtert sich die Oxygenierung. Linksseitig ist kein Atemgeräusch mehr auskultierbar, und der Beatmungsdruck steigt an. Wegen des Verdachts auf einen Pneumothorax wird links eine Thoraxdrainage gelegt. Als diese Maßnahme keine wesentliche Besserung bringt, entschließt man sich zu einem raschen Transport.
In der Klinik wird der Patient mit stabilen Kreislaufverhältnissen und einer O2-Sättigung von 84 % übergeben. Der Tubus, der mit einem Klettband fixiert ist, liegt mit der 26 cm-Markierung an der unteren Zahnreihe. Das Abdomen ist massiv gebläht. In der Thoraxübersicht bestätigt sich eine rechtsendobronchiale Lage des Tubus, die Thoraxdrainage liegt regelrecht, Rippenfrakturen können jedoch nicht bestätigt werden. Nach Lagekorrektur des Endotrachealtubus und Legen einer Magensonde normalisiert sich die Oxygenierung, der Patient kann am gleichen Tag problemlos extubiert werden.
Hintergrund
Primär geht der Notarzt aufgrund des Unfallmechanismus zu Recht von einem Polytrauma aus. Der Entschluss zur endotrachealen Intubation erfolgt einerseits klinisch aufgrund der Schmerzen, der erhöhten Atemfrequenz und der angegebenen Dyspnoe, andererseits taktisch im Hinblick auf den Lufttransport. Der Patient ist jedoch kreislaufstabil und gut oxygeniert. Die Atemfrequenz muss retrospektiv in Zusammenhang mit der psychischen Ausnahmesituation und der schmerzhaften Atmung gesehen werden. Unter Umständen hätte in diesem Fall eine Analgesie in Kombination mit einer leichten Sedierung Besserung gebracht.
Eine geplante Narkoseeinleitung zur Intubation muss unter ungünstigen Verhältnissen genau überdacht werden, da es präklinisch häufig zu Schwierigkeiten kommen kann. Im vorliegenden Fall muss der Notarzt nach Gabe der Medikamente beatmen, da der Patient durch die zentrale Atemdepression nach Fentanyl-Gabe beatmungspflichtig geworden ist. Sehr problematisch bzw. kontraindiziert in dieser Situation (schwierige Maskenbeatmung/Intubation, ungünstige Verhältnisse im RTW) ist die Relaxierung mit einem langwirksamen Muskelrelaxans. In diesem Fall wäre das depolarisierende kurzwirksame Relaxans Suxamethoniumchlorid wegen seiner kurzen Anschlags- und Wirkzeit eher geeignet gewesen.
Ein weiterer Aspekt ist die regelrechte Lage des Endotrachealtubus. Diese muss regelmäßig auskultatorisch bestätigt werden. Die Dislozierung des Tubus ist vermutlich während der Umlagerung geschehen. Eine mögliche Ursache könnte in dem vom Speichel feucht gewordenen Fixiermaterial liegen. Vor dem Legen einer Thoraxdrainage muss die Tubuslage, wenn nötig auch unter Sicht, nochmals kontrolliert werden. Retrospektiv gesehen hat sich der erhöhte Beatmungsdruck durch die einseitige Lage des Tubus kombiniert mit einem Diaphragmahochstand in Folge der Luftinsufflation in den Magen entwickelt.
Fehler und Gefahren
Fehleinschätzung der Verletzungsschwere.
Fehlinterpretation der Beschwerden.
Endotracheale Intubation nicht indiziert.
Thoraxdrainage wegen endobronchialer Lage des Tubus unnötig.
Fehlervermeidung
Bei Beatmungsproblemen muss immer zunächst die Tubuslage überprüft werden. Wenn die Auskultation nicht zielführend ist, muss unter Zuhilfenahme eines Laryngoskops unter Sicht die Kontrolle durchgeführt werden.
Vor Legen einer Thoraxdrainage ist die richtige Lage des Endotrachealtubus zu sichern.
Ein mit Luft gefüllter Magen sollte mit einer Magensonde entlastet werden. Dadurch werden der Zwerchfellhochstand und somit die Beatmungsdrücke reduziert.
Für eine Intubation in der Notfallsituation sollte nach Möglichkeit ein depolarisierendes, kurzwirksames Muskelrelaxans verwendet werden.
Die Tubusfixierung muss in regelmäßigen Abständen überprüft werden. Sekret aus dem Mund verändert die Haftung.
Arbeitsdiagnosen sollen immer wieder überprüft werden.