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5. Die 1990er Jahre: Die Neue Mitte Oberhausen – Aufbruch zu neuen Ufern der Stadtentwicklung

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Nachdem das visionäre und in seiner Dimension die Vorstellungskraft vieler Oberhausenerinnen und Oberhausener übersteigende Shopping-Mal- und Freizeitprojekt Triple-Five (555) aus dem Jahr 1986 im Jahr 1988 am Widerstand von Nachbarn und Landesregierung gescheitert war, kennzeichneten vielfach Ratlosigkeit und eine unbestimmte Erwartung die Stimmungslage in Oberhausen zu Beginn der 1990er Jahre. Zaghaft lebte die Diskussion darum wieder auf, welche Nutzungen die zentralen ehemaligen Industrieflächen an der Essener Straße im Herzen der Stadt zukünftig bestimmen sollten. Das Scheitern der Dienstleistungspläne gab manchen Überlegungen der 1980er Jahre neuen Auftrieb: Ökologische Renaturierung als „Grüne Mitte“, oder vielleicht doch eher die Ansiedlung eines großen Industrieunternehmens? Schließlich hatten sich sowohl Volvo für ein LKW-Montagewerk als auch die Heidelberger Druckmaschinen AG, Weltmarktführer in ihrem Geschäftssegment, für die Neue Mitte Oberhausen als Standort interessiert. Doch die große Weltpolitik wirkte sich um 1990 unmittelbar auf die Perspektiven des Strukturwandels in Oberhausen aus. Mit der politischen und wirtschaftlichen Öffnung der Staaten des vormaligen Ostblocks verschoben sich die Wettbewerbsfähigkeiten in Europa. Und in Deutschland direkt zog die Aufnahme der DDR in die Bundesrepublik nach sich, dass fortan Industriestandorte im Osten mit geringeren Kosten als im Westen zugleich stark verbesserte Zugänge zu nationaler und europäischer Industrie- wie Infrastrukturförderung erhielten. S. war bereits im Jahr der deutschen Einheit 1990 klar: Eine große Industrieansiedlung wurde auf unabsehbare Zeit in Oberhausen vollkommen unwahrscheinlich, da international oder auch nur überregional agierende Mittel- wie Großunternehmen die neuen Bundesländer, Osteuropa oder Ostasien bevorzugen würden.

Zugleich war nach den großen Auseinandersetzungen um die Schließung der Großbetriebe am Stahlstandort Oberhausen während der 1980er Jahre absehbar, dass die Existenz der letzten verbliebenen Anlagen binnen weniger Jahre ebenfalls gefährdet sein würde, dass die Arbeitslosigkeit selbst nach Überschreiten des Maximums von 17,8 Prozent in 1988 dauerhaft auf einem hohen Niveau von um 14 bis 15 Prozent verbleiben dürfte und dadurch den sozialen Zusammenhalt der Stadtgesellschaft, insbesondere die Zukunftschancen der jungen Generationen tiefgreifend in Frage stellen könnte.

In die somit verständliche Ratlosigkeit in der Stadt, genährt von der Erfahrung mangelnder politischer Akzeptanz großer Shopping-Center im Land NRW sowie einer vermeintlich abnehmenden Rentabilität von Industrie überhaupt, schlug im März 1992 die Nachricht von einer erneuten Planung für ein großes Einzelhandels- und Dienstleistungsprojekt in der Oberhausener Öffentlichkeit wie eine Sensation ein. In Stadt und Politik vermischten sich Ansätze von Euphorie mit tiefgehender Skepsis, dass es wohl nicht anders kommen werde als 1988 bei „Triple Five“: Das Mittelzentrum Oberhausen würde seitens der Landesplanung keine Großinvestition mit Strahlkraft in das gesamte Ruhrgebiet genehmigt erhalten. Erst wer diese Verfassung der Oberhausener Stadtöffentlichkeit vor Augen hat, kann ermessen, wie sehr die Entwicklung, Durchsetzung und Realisierung des CentrO in nur etwas mehr als vier Jahren bis zur Eröffnung im September 1996 eine Erfolgsgeschichte darstellt, die als solche kollektiv in der Stadt erlebt wurde und Oberhausen seitdem grundlegend verändert hat.


Abb. 13: Planung für die „Grüne Mitte Oberhausen“, um 1985


Abb. 14: Wiedereinführung der Straßenbahn, festlich geschmückter Eröffnungszug

Im November 1991 hatte die britische Investorengruppe für Shopping- und Dienstleistungsimmobilien STADIUM auf ihrer Suche nach einem geeigneten Gelände für eine Shopping-Mall in Mitteleuropa mit rund 200 Einzelbetrieben höchst vertraulich Kontakt zur nordrheinwestfälischen Landesregierung aufgenommen. Die Besichtigung der noch-Industriegelände an der Essener und Osterfelder Straße ließ den Standort auf Rang eins der Standortwünsche von Investor Edwin – kurz Eddie – Healey klettern. Bereits im März 1992 wurde in enger Begleitung durch die Landesregierung ein Kaufvertrag mit der Thyssen Stahl AG und städtischen Beteiligungen als Zwischeneigentümern geschlossen. Am 25. September 1992 begannen die Abbrucharbeiten, der erste Schornstein wurde gesprengt.

Doch was hier als Neue Mitte Oberhausen errichtet und betrieben werden sollte, bedurfte der Vereinbarkeit mit dem Landesplanungsrecht, der Zustimmung durch die Landesregierung und den Bezirksplanungsrat der Bezirksregierung Düsseldorf, in dem kritische, zuweilen neidische oder doch häufiger ungläubige Nachbarn Sitz und Stimme hatten. Der Bezirksplanungsrat stimmte nach einem engagierten Appell von Oberbürgermeister Friedhelm van den Mond, Oberhausen Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen, im Oktober 1992 zu. Danach erlangte der Bebauungsplan für das CentrO als wirtschaftliches Kernstück der Neuen Mitte Oberhausen im Oktober 1993 Rechtskraft und 1994 konnte der Grundstein gelegt werden. Im gleichen Jahr begannen Planung, Grunderwerb und Bau der neuen Trasse für den öffentlichen Nahverkehr: Ein Vierteljahrhundert nach der Stilllegung der Straßenbahn kehrte das Verkehrsmittel auf einer 9,4 Kilometer langen Strecke – davon 6,0 Kilometer auf vom Straßensystem unabhängigen ehemaligen Bahntrassen – von der Mülheimer Stadtgrenze im Süden über Hauptbahnhof und Neue Mitte bis zum Sterkrader Bahnhof im Norden nach Oberhausen zurück. Erneut in Rekordzeit, nach nur zweieinhalb Jahren, gelang pünktlich vor der CentrO-Eröffnung mit dem neuen Fahrplan der STOAG im Juni 1996 der zweite Start der Straßenbahn in der Oberhausener Stadtgeschichte. Das alles beruhte auf Entscheidungsprozessen und auf einer Projektentwicklung, die sich gründlich von den Bedingungen des Scheiterns im Jahr 1988 unterschieden. Gut möglich, dass die CentrO-Ansiedlung ohne die schmerzhaften Erfahrungen mit Triple Five niemals hätte gelingen können.


Abb. 15: Das CentrO als Baustelle, 1995

Das Projekt CentrO wurde kleiner, stadt- und regionalverträglicher, vor allem aber bunter, vielseitiger und städtebaulich besser in die Stadtlandschaft zwischen dem Alt-Oberhausener Siedlungsraum auf der einen Seite, der Emscher, dem Rhein-Herne-Kanal, Osterfeld und Sterkrade auf der anderen Seite integriert als Triple Five. Sowohl die ökonomische Vernunft einer Diversifizierung der Angebote vom Shopping bis zur Freizeitwirtschaft als auch die regionale Durchsetzbarkeit kennzeichneten die Neuen Mitte Oberhausen. Dadurch wurde sie jenes komplexe Stadtentwicklungsprojekt, das mit folgenden privatwirtschaftlichen Elementen Deutschlands erstes „Urban Entertainment Center“ darstellte:

■ das Einkaufszentrum mit 200 Einzelhandelsbetrieben auf 70.000 Quadratmetern Verkaufsfläche,

■ die Gastronomie-Promenade mit über 30 Anbietern,

■ die Coca-Cola-Oase mit weiteren 25 Gastronomie-Betrieben,

■ der CentrO-Freizeitpark mit Kinder- und Familienangeboten,

■ die Großveranstaltungshalle König-Pilsener-Arena mit rund 11.500 Plätzen und seit 1997 über 200 Veranstaltungen im Jahr,

■ das Multiplex-Kino mit neun Kino-Sälen und rund 2.000 Sitzplätzen,

■ ferner ein Hotel, ein Fitness-Center, eine Tennis- und eine Hockey-Anlage.

Der Anspruch der Neuen Mitte Oberhausen lautete, ein nachhaltiges Stadtentwicklungsprojekt zu bilden, das keineswegs allein den Zielen des privaten Großinvestors entsprach, sondern zugleich den ambitionierten Plänen der Kommune für Oberhausens Zukunft als zentraler Ort der Freizeitwirtschaft und des Tourismus im Ruhrgebiet gerecht werden konnte. Diese Philosophie konsequent umsetzend, besteht die Neue Mitte Oberhausen zusätzlich aus einer Vielzahl öffentlich betriebener oder initiierter Projekte. Diese sind:

■ der Gasometer Oberhausen, 1994 vom ehemals größten Gasspeicher Europas zur größten Ausstellungshalle der Welt umgebaut,

■ die Ludwig-Galerie Schloss Oberhausen, das renommierte Kunstmuseum, 1995 umgebaut und mit einer attraktiven Kombination aus populären und hochkulturellen Ausstellungen neu ausgerichtet,

■ die Sicherung und Attraktivierung des Kaisergartens mit dem einzigen vom Eintritt befreiten größeren Tiergehege im Ruhrgebiet,

■ das 1991 gegründete, später als Fraunhofer-Institut anerkannte Institut für Umwelt-, Energie- und Sicherheitstechnik, mith 430 Mitarbeitern im Jahr 2014,

■ das Technologie-Zentrum Umweltschutz, 1994 hervorgegangen aus dem um einen Neubau erweiterten vormaligen Casino „Werksgasthaus“ der Gutehoffnungshütte,

■ das Museumsdepot des LVR-Industriemuseums im Peter-Behrens-Bau, dem ehemaligen Hauptlagerhaus der GHH an der Essener Straße,

■ Radio NRW, der zentrale Programmproduzent für alle Lokalradiosender in NRW, seit 1992 Mieter in der ehemaligen Hauptverwaltung der GHH von 1873,

■ Haus Ripshorst im Gehölzgarten Ripshorst, das 1999 als Ökologische Station Ruhr West zum Informationszentrum des RVR und der Naturschutzverbände Nabu und BUND über den Emscher Landschaftspark wird,

■ der Yachthafen Marina Oberhausen, eröffnet im Jahr 2000, und

■ das Freizeitbad Aquapark der städtischen Beteiligung OGM an der Marina Oberhausen seit 2008.

Von der privaten Großinvestition in das CentrO, rund 500 Millionen Euro schwer, konzeptionell unverzichtbar erweitert um eine Vielzahl öffentlicher Projekte zur Ausgestaltung des Stadtentwicklungs- und Dienstleistungskonzeptes Neue Mitte Oberhausen mit einem Finanzvolumen von über 200 Millionen Euro, ging die gewünschte Wirkung auf die breit gefächerte Privatwirtschaft aus. Es entstand ein völlig neuartiger Wirtschaftsstandort mit einem ebenso neuartigen, hervorragenden Image. Die Neue Mitte Oberhausen wurde zum Flagschiff, zum Synonym für den Strukturwandel im Ruhrgebiet der 1990er Jahre. Die angestrebte Sogwirkung trat ein! Weitere Freizeitprojekte siedelten sich an:

■ das Sea Life Center, im Jahr der Eröffnung 2003 Deutschlands größtes Erlebnis-Aquarium,

■ der Klettersport-Hochseilgarten Tree-to-Tree am Gasometer ab 2005,

■ die Modellbahnwelt Oberhausen (MWO) an der Marina Oberhausen 2008,

■ die Hotels Tryp 1997 und B&B 2009,

■ der Ausbau des Musical-Theaters zum Metronom-Theater der Stage-Entertainment Group 2006,

■ und weitere folgen, wie das Lego Discovery Center udn der Ocean-Park der Merlin Group ab 2013.

Doch vor allem viele, viele Unternehmen mit breitester Branchenzugehörigkeit wählten die Gewerbeparks, die in einem Radius von nur einem Kilometer Luftlinie um das CentrO geschaffen wurden, als ihren Standort. Auf etwa 4.500 Arbeitsplätze im CentrO, im Einzelhandel und in der Gastronomie, folgten binnen rund zehn Jahren weitere etwa 7.500 Arbeitsplätze in seinem Umfeld. Erst diese Magnetwirkung bringt den geplanten und erzielten Erfolg und die Vielgestaltigkeit des Stadtentwicklungsprojektes Neue Mitte Oberhausen zum Ausdruck.31

Aber was waren nun die Voraussetzungen dieser wegweisenden, erfolgreichen und für manche Nachbarstadt im Ruhrgebiet vorbildlichen Standortentwicklung? Es genügte nicht, aus den Erfahrungen des Scheiterns von Triple Five gelernt zu haben, dass ein behutsames, gemeinsames Vorgehen mit der Landesplanung gefunden und regional argumentiert werden musste. Hinzu traten ein Investor, der die Bereitschaft zur kooperativen Gestaltung eines vielseitigen Projektes gemeinsam mit der Stadt einbrachte, und eine einmalig günstige, schlagkräftige Personalkonstellation an der Spitze von Stadt und Politik in Oberhausen, die entscheidend zur Umsetzung der Neuen Mitte Oberhausen und des CentrO in ihr beitrug.

Heinz Schleußer

Geboren am 20. April 1936 in Oberhausen, gestorben am 12. Juli 2000. Heinz Schleußer arbeitete von 1954 bis 1963 als Betriebsschlosser im Hüttenwerk Oberhausen. Von 1969 bis 1987 war er Erster Bevollmächtigter und Geschäftsführer der IG Metall Oberhausen. 1957 trat Schleußer der SPD bei, 1975 wurde er in den Landtag von Nordrhein-Westfalen gewählt, wo er von 1981 bis 1988 finanzpolitischer Sprecher seiner Partei war. Im Mai 1988 berief ihn Johannes Rau als Finanzminister in sein Kabinett, dieses Amt übte er zwölf Jahre lang aus. Am 26. Januar 2000 trat er nach Vorwürfen in der Presse im Zusammenhang mit der „Düsseldorfer Flugaffäre“ von seinem Amt zurück; wenige Monate später starb er nach schwerer Krankheit.

Die sozialverträgliche Gestaltung des Strukturwandels im Ruhrgebiet und insbesondere in Oberhausen war die große Herausforderung seiner Amtszeit. Schleußer gehörte dem Aufsichtsrat der Thyssen AG und dem Verwaltungsrat der WestLB an. Die Marina am Rhein-Herne-Kanal in Oberhausen trägt seinen Namen.


Abb. 17: Heinz Schleußer


Abb. 18: Haus Ripshorst


Abb. 19: Das Freizeitbad „aqua park“


Abb. 20: Auarium „SeaLife“


Abb. 21: Metronom Theater

Oberbürgermeister Friedhelm van den Mond, zugleich Vorsitzender der Verbandsversammlung des Kommunalverbandes Ruhrgebiet, leistete Vertrauensbildung in den Nachbarstädten. NRW-Finanzminister Heinz Schleußer beförderte die Unterstützung der Landesregierung. Michael Groschek als Vorsitzender der SPD-Fraktion im Rat der Stadt warb engagiert für die Mehrheitsfähigkeit des Projektes in Einzelhandel, Wirtschaft und Bevölkerung vor Ort. Oberstadtdirektor Burkhard Drescher schließlich baute ein effektives Projektmanagement für die Durchführung von Genehmigungsverfahren und öffentlichen Investitionen auf. Ebenso gewährleistete Drescher durch sein gutes persönliches Verhältnis zu Eddie Healey die partnerschaftliche Abstimmung privater wie öffentlicher Planungen, aber auch, dass CentrO erheblich mehr wurde als sein englischer Vorläufer Meadow-Hall in Sheffield: Nämlich ein komplexes Freizeit- und Stadtentwicklungsprojekt statt eines bloßen Einkaufszentrums.

Jede Erfolgsgeschichte hat auch ihre Schattenseiten. Das liegt allein schon daran, dass im realen Leben niemals alle kühnen Pläne restlos gelingen können, die ambitionierte Entwickler aufstellen. Und ebenfalls treten die eine oder andere unerwünschte Nebenwirkung ein, die zu einer ausgewogenen Gesamtwürdigung eines so dynamischen Projektes wie der Neuen Mitte Oberhausen hinzu gehören. Es gab angestrebte Bausteine der Neuen Mitte, die nicht oder nicht vollständig erreicht wurden. Es stellten sich Wechselwirkungen der Neuen Mitte mit etablierten Stadtteilzentren, insbesondere mit der City von Alt-Oberhausen ein, deren kommunale Steuerung oder eher Beeinflussung Schwierigkeiten bereitete.

Seit der planerischen Entwicklung des Stadtentwicklungskonzeptes Neue Mitte in 1992, ausgehend vom TZU im Werksgasthaus, wurde angestrebt, den neuen Stadtteil mit einer Wohnbebauung zu ergänzen. Zu den kleinen Siedlungen Grafenbusch und Ripshorster Straße sollte vornehmlich auf dem Gelände der Marina, in geringerem Umfang ebenfalls an der Ripshorster Straße und auf dem Gelände des Stahlwerkes Oberhausen an der Osterfelder Straße eine Wohnbebauung hinzutreten. Jedoch vereitelten die eingeschränkte Lagegunst der Marina für Wohnen und das Scheitern von O.VISION die Verwirklichung der Wohnungsbauprojekte. Ferner war und wird weiterhin angestrebt, die Essener Straße als „Allee der Industriekultur“ sowie den Gewerbepark Centroallee mit Büroimmobilien für vielseitige Dienstleistungsnutzungen zu komplettieren. Spektakulär strebte Coca-Cola kurzzeitig in 1998 an, seine Deutschlandzentrale an der Kreuzung Essener-/​Osterfelder Straße zu errichten. Die Planung wurde zugunsten Berlins aufgegeben. Doch in 2011 fiel schließlich die Entscheidung von Bilfinger & Berger Power Services, dem vormaligen Energie-Anlagenbau von Babcock Borsig, eben dort den Firmensitz der Europazentrale zu errichten. Der stetige Ausbau der Essener Straße als „Allee der Industriekultur“ zum Standort für bürogestützte Dienstleistungen leistet inzwischen einen wichtigen Beitrag zur Dynamik und zur Diversifizierung der Neuen Mitte Oberhausen über ihre Bedeutung als Freizeit- und Einzelhandelsstandort hinaus. Davon gleich mehr.

Nachbarstädte, Einzelhandelsverbände und Industrie- und Handelskammern forderten wissenschaftliche Prognosen zu den Auswirkungen des CentrO auf den Einzelhandel der Stadtteilzentren im Ruhrgebiet. GFK, die Gesellschaft für Konsumforschung, und ISH/​Dr. Danneberg gaben Gutachten ab: Vorausgesehene Umsatzeinbußen bis zu eineinhalb Prozent galten als geringfügig, Verluste von bis zu drei Prozent als hinnehmbar und üblich im Rahmen allgemeiner konjunktureller Schwankungen. Angesichts solcher Bewertungen musste lediglich die City von Alt-Oberhausener empfindliche Auswirkungen befürchten. Nach günstigen Erwartungen würden sich die Folgen für die Innenstadt auf etwa drei Prozent beschränken, nach pessimistischeren Annahmen war jedoch mit Umsatzverlusten von rund zehn Prozent zu rechnen. Dessen ungeachtet stimmten Einzelhandelsverband und Kommunalpolitik dem Projekt zu. Was waren die Hintergründe?


Abb. 22: Das Entwicklungskonzept „Spirale“, Neue Mitte Oberhausen 1992

Der Strukturwandel im deutschen Einzelhandel hatte um 1970 eingesetzt. Der Versandhandel, Fachmarktzentren und die attraktiven Citys von Metropolen mit meist über einer halben Million Einwohnern vermochten ihre Position seitdem Stück für Stück zu verbessern. Unter den verschärften Wettbewerbsverhältnissen der Städtelandschaft Ruhr ging diese Entwicklung zu Lasten der kleineren Großstädte. Oberhausen wurde besonders betroffen, weil seine Raumstruktur in Folge der Städtezusammenlegung von 1929 Alt-Oberhausen zwar eine Zentral-Funktion für die Gesamtstadt zuwies, aber eben doch eine eher schwache Versorgungsfunktion für den Norden der Stadt und kaum Ausstrahlung über die Stadtgrenzen hinaus. Deshalb identifizierten Handel wie Politik in Oberhausen das CentrO als Chance und Herausforderung zugleich. Die Chance bestand in der Aussicht auf die Aufwertung als Einkaufsstadt in der Region, vielleicht gar mit so genannten „Überschwappeffekten“ neuer Kundengruppen in die City. Die Herausforderung indes erkannte man in der Gefahr eines beschleunigten Bedeutungsverlustes der Marktstraße und ihres Umfeldes, dem nur mit erhöhten Anstrengungen zur Attraktivitätssteigerung erfolgreich würde begegnet werden können. Burkhard Drescher, seit 1997 Oberbürgermeister, verband dieses Ziel mit der spektakulären Investitionsplanung in ein zwölf Meter hoch aufgeständertes, transparentes Dach von 475 Meter Länge über den Kernbereich der Marktstraße zwischen Altmarkt und Düppelstraße. Vor der Jahrtausendwende wurde darüber in der Stadt heftig und strittig diskutiert. Bau- und planungsrechtliche ebenso wie politische Bedenken ließen den Rat vom Dach Abstand nehmen. Seine möglichen Wirkungen waren höchst umstritten. Doch es blieb nicht bei einer Planung in Stahl und Glas. 1999 erfolgte die Ausweitung der Aufgaben der schon 1997 zur Tourismusförderung gegründeten TMO um das Stadtteilmarketing. Der zugleich gegründete Verein City O. Management ist seitdem bestrebt, die Interessen der Innenstadt zu bündeln und zu gemeinsamem Handeln zu organisieren. Von neuen Veranstaltungsformaten bis zu Investitionsprogrammen in Fassaden und in öffentliche Plätze reicht das Arbeitsspektrum der City-Verantwortlichen. Vieles wurde veranlasst, der schleichende Bedeutungsverlust des Einzelhandelsstandortes City jedoch nur abgebremst. Zu stark wirken die Strukturveränderungen im Einzelhandel, zu denen seit der Jahrtausendwende verstärkt der Internethandel und die Verlagerung der Publikumsgunst vom Kaufhaus zu den Shopping- wie den Fachmarkt-Zentren zählen. Und auch die übrigen Stadtteilzentren Oberhausens erlebten einen Schub an Aktivitäten sowohl der Stadt als auch der jeweils örtlichen Werbegemeinschaften, wie der STIG in Sterkrade, der Werbegemeinschaft Osterfeld und der IGS in Schmachtendorf. Verkehrsmaßnahmen, die bauliche Aufwertung von Einkaufsstraßen und vor allem die Attraktivitätssteigerung durch Festveranstaltungen bildeten für Kommune wie Öffentlichkeit ein gleichbedeutendes Maßnahmenbündel ergänzend zu den so genannten Strukturwandel-Projekten in der Neuen Mitte.

Ob es sich bei den Veränderungen der Stadtteilzentren um eine Schattenseite des CentrO handelte oder doch eher um einen unumgänglichen Bestandteil des Strukturwandels in Oberhausen im Zeitalter nach Kohle, Eisen und Stahl – das mag von Befürwortern wie Kritikern des CentrO seit 1992 kontrovers beurteilt werden: Die Schaffung der Neuen Mitte Oberhausen hatte tiefgreifende Auswirkungen auf das Zentrengefüge der Stadt Oberhausen und verlangte daher nach planerischen Antworten der Kommune. Oberhausens City verfügte im Vergleich zu anderen Großstädten ohnehin traditionell über eine eher schwache Versorgungsfunktion für die Gesamtstadt. Das lag sowohl an der nur mäßigen Kaufkraft der Arbeiterbevölkerung als auch an einem Stadtraum, der nicht um die Innenstadt, sondern um die Werke der Gutehoffnungshütte gewachsen war. Sterkrade als größtes Stadtteilzentrum profitierte zudem über ein halbes Jahrhundert nach 1955 von der so genannten Suburbanisierung, der Ausdehnung von Vororten im Norden mit Wohnvierteln vornehmlich für Mittelschicht-Familien. Während die Einwohnerschaft Alt-Oberhausens von 1963 bis 2010 von rund 128.000 auf 93.000 absank, erhöhte sich Sterkrades Bewohnerschaft von gut 77.000 auf über 85.000 in 2001, betrug aber auch 2010 noch fast 83.000. Dieser Trend minderte die Bedeutung des Stadtteils Alt-Oberhausen und darüber die Chancen der Innenstadt auf Zentralität. Somit verlangten nicht allein die Neue Mitte, sondern auch die Besonderheiten der Oberhausener Raumstrukturen nach einem neuen Zentrenkonzept, einer Neuorientierung auf die Zukunft.


Abb. 23: Animation für ein Dach auf der Marktstraße

In den 1990er Jahren jedoch waren die Eindrücke des CentrO offenbar zu frisch, um sich dieser großen Aufgabe mit aller Konsequenz zuzuwenden. Stattdessen erfolgte die Verarbeitung von Erfahrungen der Veränderung im intensiven öffentlichen Diskurs. Die Stadtgesellschaft Oberhausen bewies auch damit ihre Stärke und Lebendigkeit. Nach der Jahrtausendwende aber wurden wichtige Schritte auf dem Weg zu einem neuen Zentrengefüge getan: 2001 mit dem Masterplan für die Neue Mitte Oberhausen von Albert Speer, vor allem aber 2006 mit dem Stadtentwicklungskonzept zum Regionalen Flächennutzungsplan (RFNP). Von nun an wurde der Neuen Mitte ausdrücklich die Funktion des erstrangigen Versorgungsstandortes im Handel zugewiesen, während die City von Alt-Oberhausen der zentrale Ort für öffentliche Dienstleistungen war, jedoch auch die Stadtteilzentren von Sterkrade, Osterfeld und Schmachtendorf eine bedeutende Funktion in ihren jeweiligen Teilräumen bestätigt erhielten.


Tabelle 7: Bevölkerungsentwicklung Oberhausen gesamt und nach Stadtbezirken 1960 bis 2010

* Rückschreibung auf Grund der Volkszählung vom 6. Juni 1961

** Fortschreibung auf Grund der Volkszählung vom 27. Mai 1970

Quelle: Stadt Oberhausen, Bereich 4 - 5 Statistik und Wahlen

Durch die Veränderungen des Stadtraumes im Zuge des Strukturwandels gerieten auch kleinere Stadtteile verstärkt in das Blickfeld der städtischen Öffentlichkeit. Vorbild für viele andere Stadtviertel im Land Nordrhein-Westfalen, aber auch für Lirich, Tackenberg und die Innenstadt von Alt-Oberhausen wurde das Knappenviertel als Musterbeispiel für einen „Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf“. Von 1996 bis 2002 nahm das Knappenviertel am gleichnamigen Landesprogramm teil, erhielt über zehn Millionen Euro für rund 200 Einzelprojekte und schuf die Grundlagen für eine lebenswerte Zukunft. Die über 6.000 Bewohner des Stadtteils im Südosten der Neuen Mitte waren vom Sterben der Stahlindustrie besonders hart betroffen. Einkommen sanken, Einzelhandel und Handwerk gerieten in die Krise. Mit dem Stadtteilprojekt gelang dann die aktive Einbindung zahlreicher Bewohner in die Projekte der Wohnumfeldverbesserung, der Aufwertung von Freizeitangeboten und in die Stärkung der lokalen Ökonomie. Die Koordination der Projekte leistete ein Beirat unter dem tatkräftigen Vorsitz des späteren Oberbürgermeisters Klaus Wehling. S. steht die Initiative der Gewerbetreibenden K.In. O e. V. (Knappen-Initiative-Oberhausen) bis heute für gelungene Nachhaltigkeit und bürgerschaftliches Engagement als Ausfluss der Stadtteilarbeit. 2002 erhielt das Knappenviertel den „Preis Soziale Stadt“ des Landes NRW.32

Mit ihren Auswirkungen auf das innere Gefüge der Stadt Oberhausen stellte die Neue Mitte Oberhausen die lokale Identität vieler Oberhausenerinnen und Oberhausener in Frage. Zu sehr prägte die polyzentrale Struktur mit den drei recht eigenständigen Stadtbezirken das Bewusstsein der Menschen. Das Bedürfnis nach persönlicher Lebensorientierung griffen führende Kommunalpolitiker der 1990er Jahre, wie die Oberbürgermeister van den Mond und Drescher, die Fraktionsvorsitzenden Groschek (SPD) und Eckhold (CDU) mit ihrer Aussage auf, der Strukturwandel müsse und werde die Menschen wirtschaftlich und sozial auffangen, er müsse ihnen zugleich aber auch persönlichen Halt in ihrer Identität, in ihrem Heimatgefühl, in ihrer Lebensplanung geben. Die Oberhausener Bürgerschaft sollte im Strukturwandel „mitgenommen“ werden. Dem entsprachen die kommunalen Zielsetzungen nach einer neuen Identität der Stadt als Tourismus-Hauptstadt des Ruhrgebiets und nach einem Gleichklang städtebaulicher Aktivitäten in den vier Stadträumen Alt-Oberhausen, Sterkrade, Osterfeld und Neue Mitte.

Ende des 20. Jahrhunderts präsentierte sich die Oberhausener Wirtschaft im Vergleich zur Situation zehn Jahre zuvor deutlich verändert. Der beinahe vierzig Jahre anhaltende Schrumpfungsprozess der Beschäftigung wurde erstmals gestoppt und seit 1998 in ein langsames, jedoch seitdem stetiges Wachstum umgekehrt. Während die Anzahl der in Oberhausen wohnhaften, erwerbstätigen Personen zwischen 1987 und 1997 bei gut 80.000 stabil blieb, stieg sie danach von 1998 bis 2001 wieder auf über 83.000 an. Der Umbau der Strukturen hatte sich mit erhöhter Geschwindigkeit fortgesetzt. International agierende mittelständische Industrieunternehmen der Informationstechnologie wie Lennord & Bauer sowie B&W sind ebenso entstanden wie drei namhafte Marketing-Agenturen, die für Konzerne wie Audi oder Porsche globale Kampagnen durchführen: Bergmann, Bassier, Kindler, dann Benning, Gluth & Partner sowie Move Elevator. Diese Unternehmen repräsentieren seit der Jahrtausendwende ebenso wie Firmen in der Immobilien-Entwicklung, in der Gebäudereinigung oder wie Dienstleistungen für die Klinikwirtschaft die Leistungskraft der unternehmensnahen Dienstleistungen in Oberhausen. Der Abbau von Arbeitsplätzen in der Produktion wurde erstmals durch den Aufbau im tertiären Sektor vollständig ausgeglichen. Dies verbesserte die Eintrittschancen des Standortes in die Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Weitreichende Pläne wurden um die Jahrtausendwende dazu mit dem Projekt O.Vision Zukunftspark entwickelt. Sie leiteten eine weitere Phase in der Geschichte des Oberhausener Strukturwandels ein.33

„Überzeugungsarbeit in Oberhausen und im Ruhrgebiet für die Neue Mitte“

Interview mit Friedhelm van den Mond (Teil 4)

In den 1990er Jahren erfolgten die entscheidenden Weichenstellungen für den Oberhausener Strukturwandel von einer Montanstadt hin zu einer Einkaufs- und Dienstleistungsstadt. Die Neue Mitte Oberhausen und die Internationale Bauausstellung Emscherpark, IBA, waren die zentralen Meilensteine dieses Prozesses. Welche Unterstützung haben Sie als Oberbürgermeister in der Planungsphase durch die Nachbarstädte, den Kommunalverband Ruhrgebiet und das Land NRW erfahren?

Die Nachbarstädte waren nicht begeistert. Denn die Neue Mitte, das CentrO, hatte ja einen Vorlauf mit dem Projekt Triple Five in den Jahren 1986 bis 1989. Und als die Forderungen von Triple Five, wie z. B. Öffnungszeiten von 24 Stunden, im Werksgasthaus ein Spielcasino, bekannt wurden, da wurde ja selbst uns klar, dass die nicht zu erfüllen waren. Wir andererseits wollten, mussten ja bis zuletzt auch gegenüber der Landesregierung an Triple Five fest halten. Wir konnten doch nicht sagen, wir wollen das nicht. Wir wollten uns doch eine Option offen halten, um zu sagen, wenn das nächste gute Projekt kommt, das könnt ihr uns nicht kaputt machen. Aber die Nachbarstädte, denen ja auch bewusst war, was Triple Five gefordert hatte, die fürchteten mit CentrO würde was Ähnliches passieren.

Ohne die politische Unterstützung von Heinz Schleußer wäre das Ganze nicht über die Bühne gegangen. Die Nachbarstädte waren zumindest zurückhaltend. Der KVR war eigentlich neutral. Groß unterstützt wurden wir von Kurt Löwenthal, der bei der Einzelhandelsgruppe und auch bei der IHK dafür gesorgt hat, dass die zugestimmt haben. Ohne deren Zustimmung wäre das ja nicht möglich gewesen. Die Internationale Bauausstellung (IBA) hat uns nicht unbedingt bei der Neuen Mitte unterstützt, sie hat aber auch nicht gebremst. Karl Ganser war wirklich jemand, der sich für Oberhausen engagiert hat. Man verbindet ihn zu schnell nur mit dem Gasometer, für den der Karl gekämpft hat. Aber Karl Ganser hatte eigentlich eine andere Vorgehensweise. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Karl Ganser: Wir hatten uns im Ruhrland verabredet und als Karl Ganser kam, war er schon zwei Stunden durch die Stadt gelaufen. Er hat dann gesagt: Mit dem Gasometer, das kriegen wir ja wohl in die Reihe. Aber den Bahnhof, den müssen wir doch nach hinten mit einem Ausgang nach Nordwest zum Altenberg-Gelände öffnen. Und die IBA hat ganz stark daran mitgewirkt, dass der Bahnhof nach hinten geöffnet wurde. Nur damit war doch das jetzige Industriemuseum überhaupt erst möglich. Wenn dieser Riegel da geblieben wäre, dann hätte doch niemand im Traum daran gedacht, da so etwas aufzubauen. Also Karl Ganser muss ich sagen, hat Oberhausen in all diesen Fragen wirklich gut geholfen und das Land NRW hat uns auch unterstützt. Das ging ja aus dem Ablauf der ganzen Grundstücksverhandlungen hervor.

Wie hat sich denn die Politik in den Jahren vor 1992/​1993, vor der Ansiedlung von CentrO verhalten?

Politik in Oberhausen war eigentlich dafür. Es gab ja ein paar Vorläufer. Das Grundstück stand seit einigen Jahren zur Verfügung. Und wir haben uns immer wieder bemüht, dort zu einer Neuansiedlung zu kommen. Diese Neuansiedlung musste aber für uns mit Arbeitsplätzen verbunden sein. Und es gab dann die Absicht eines japanischen Autoherstellers zu einem Auslieferungslager für Deutschland in Oberhausen. Aber da konnten wir gut drauf verzichten. Denn diese Fläche dazu zu benutzen, Autos abzustellen und da 50 Arbeitsplätze zu schaffen, das konnte es nicht sein. Die Grünen haben damals lange dafür gekämpft, da eine grüne Oase zu schaffen. Das konnte es aber auch nicht sein, denn wir brauchten neue Arbeitsplätze. Wir waren z. B. in ernsthaften Verhandlungen mit Heidelberger-Druck. Und wir hatten mit dem Arbeitsamt auch schon gesprochen: Wie kann man denn jetzt hier die Leute qualifizieren für die Tätigkeit bei Heidelberger-Druck? Dann kam die Wiedervereinigung 1990 und Heidelberger-Druck ist in die neuen Bundesländer gegangen. Da gab es ganz andere Fördermittel. Also war wieder nichts. Wir haben jedenfalls immer versucht, wenn wir in solchen Verhandlungen waren, nichts nach draußen dringen zu lassen, weil wir uns gesagt haben, wenn so etwas bekannt wird und es geht zwei, drei Mal daneben, dann kommen andere Investoren erst gar nicht, weil die sagen: Das haben schon drei Leute versucht: Warum soll ich da hin gehen? Deswegen sind in der Öffentlichkeit unsere Versuche, hier vor 1992 was Neues zu schaffen, eigentlich nie deutlich geworden. Aber wir hatten immer daran gearbeitet. Und als dann Healey kam mit seinem Konzept, ist das in der Politik eigentlich auf große Zustimmung gestoßen. Mit Ausnahme von den Grünen.

Haben Sie selber an den Erfolg geglaubt, so wie es sich heute darstellt?

Ich sag mal, an den Erfolg des CentrOs ja. Aber an das, was da drum herum geschehen ist, beispielsweise die Arena, so was konnte ich mir nicht vorstellen. Ich wusste zwar, das gibt eine Veranstaltungshalle. Selbst wenn man Baupläne sieht, man glaubt das noch nicht. Man muss erst die Dimensionen selbst gesehen haben. Vieles was dann dazu gekommen ist im Laufe der Zeit, wie Sealife und der Jachthafen, waren ja von Anfang an eigentlich geplant. Also an den Erfolg habe ich schon geglaubt, aber nicht, dass es ein solcher Erfolg wird. Alle Zahlen haben uns ja gesagt, die Menschen kommen aus einem Umkreis von 50 Kilometern und auch die Holländer kommen nach Oberhausen. Aber dass die Busse Stoßstange an Stoßstange kommen, das selbst im Urlaub in Wilhelmshaven mir gesagt wurde, ja wissen sie was, einmal war ich ja schon im CentrO, aber wir fahren da noch einmal hin, das ist einmalig. Daran habe ich nicht geglaubt.

Welchen Beitrag hat die Neue Mitte leisten können nachdem, wie wir so schön sagen, das montanindustrielle Herz der Stadt im geographischen Mittelpunkt der Stadt nicht mehr schlug und eine Neuausrichtung auf die Zukunft erforderlich war?

Wir wollen uns nichts vormachen. Das CentrO und der Gasometer sind für die Oberhausener neue Wahrzeichen der Stadt. Früher waren es die Hochöfen und Fördertürme. Aber das ließ sich ja nach außen nicht vermitteln. Diese Wahrzeichen sind inzwischen für die Oberhausener das CentrO und der Gasometer. Und das lässt sich nach außen vermitteln.

„Das Stadtteilprojekt Knappenviertel gibt Mut zu neuen Lebensperspektiven und ist Vorbild für ganz Oberhausen“

Interview mit Klaus Wehling (Teil 2)

1996 wurde das Knappenviertel in das Landesprogramm Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf aufgenommen. Die Umsetzung erfolgte im Rahmen eines integrierten Handlungsansatzes, in den eine Vielzahl stadtteilrelevanter Akteure einbezogen wurde. Welche Voraussetzungen waren für Sie als Vorsitzender des Projektbeirates entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung des Stadtteilprojektes?

Ganz zu Beginn nenne ich die breit angelegte Bürgerbeteiligung, die wesentlicher Bestandteil des integrierten Handlungskonzeptes war. Da waren nicht nur die Hauptakteure, wie z. B. Ladenbesitzer oder Vorsitzende von Vereinen und Verbänden Ansprechpartner, sondern auch die normale Bevölkerung. Und dann natürlich im Nachhinein muss ich sagen, gab es hinsichtlich der finanziellen Möglichkeiten ja nahezu paradiesische Verhältnisse im Vergleich zum Jahr 2011/​2012. Und jetzt kann ich noch ergänzen, durch die beiden Grundvoraussetzungen für den Erfolg – Bürgerbeteiligung und finanzielle Mittel – hat sich die breite Resonanz ergeben, als man sah, es wird hier etwas umgesetzt. Und von daher wuchs die Lust zum Mitmachen ständig an.

Die Neugestaltung der Obdachlosensiedlung Stickersweg/​Uhlandstraße mit der Modernisierung von erhaltenswerten Gebäuden und dem Abriss der restlichen Gebäude an der Uhlandstraße sowie der Vermarktung dieser Grundstücke war ein nachhaltiger Eingriff in die Struktur des Stadtteils. Welche Auswirkungen hatten diese Maßnahmen auf den Stadtteil und die Sozialpolitik in Oberhausen?

Zunächst mal per Augenschein hat sich aus einem ehemaligen Schmuddelgebiet eine schicke Wohnsiedlung entwickelt. Das war für das Selbstwertgefühl der Menschen ganz, ganz wichtig. Man muss allerdings sagen, die im Knappen- und Brücktorviertel groß gewordenen Menschen sind weitestgehend im Viertel geblieben. Ähnlich wie dies auch zutrifft auf die Alstadener, die Liricher oder die Osterfelder, um nur wenige Beispiele für Oberhausener Stadtviertel mit festen Strukturen zu nennen. Viele Oberhausenerinnen und Oberhausener sind so stark in ihrem Viertel verwurzelt, dass sie aus ihrem Umfeld nicht weg ziehen. Gerade deshalb bemühen wir uns verstärkt am Angebote von Dienstleistungen, die es Senioren erleichtern, in ihren Wohnungen zu verbleiben, anstatt frühzeitig in Seniorenwohneinrichtungen zu ziehen.

Das Image des Uhlandviertels im engeren Sinne hat sich total gewandelt mit dem Abriss der ehemaligen Obdachlosenwohnungen. Den ehemaligen sozialen Brennpunkt Uhlandstraße und Strickersweg gibt es nicht mehr.

Hatte diese Maßnahme auch Auswirkungen auf die Sozialpolitik der Stadt?

Ja, ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als in den 1960er Jahren die Wohnungen umgebaut wurden zu größeren Einheiten. Damals wurde über einer Haustür ein Schild angebracht, das sinngemäß lautete: Hier baut die Stadt familiengerechte Wohnungen. Da hat sich also durchaus ein Wandel von der reinen Unterbringung ergeben hin zu Wohnungen, von der Wohnungsgröße und der Ausstattung her, die sich stetig dem normalen Wohnungsbau angeglichen haben.

Mit der Umwandlung des Bunkers Alte Heid in ein Bürgerzentrum von 1998 bis 2001 wurde eine Einrichtung geschaffen, die heute mehr ist als ein Ort der Begegnung für die Bewohnerinnen und Bewohner des Knappenviertels. S. hat das Bunkermuseum heute seinen festen Platz im Veranstaltungskalender der Stadt. Das Image und die Lebensqualität im Knappenviertel haben sich durch vielfältige Maßnahmen und Aktionen deutlich verbessert. Welche Erkenntnisse können Sie für ein integriertes Stadtentwicklungskonzept aus dem Stadtteilprojekt Knappenviertel gewinnen?

Ganz eindeutig, dass man Veränderungen nur mit den Bürgerinnen und Bürgern machen kann und nur so etwas erreichen kann. Die breite Bürgerbeteiligung ist wesentliche Voraussetzung für sinnvolle Umsetzungen. Und dann müssen natürlich auch entsprechende Ressourcen vorhanden sein, die sich nicht nur auf Finanzmittel beziehen, sondern auch auf Ideen, die nicht nur im Rathaus entstehen, sondern konkret vor Ort.

Das Bürgerzentrum im ehemaligen Bunker an der Alten Heid ist das Aushängeschild, das Highlight der Umgestaltung des Knappenviertels. Nach wie vor ein Vorzeigeprojekt für auswärtige Besucher. Jetzt war ja der Oberbürgermeister von Saporishja da, der hoch interessiert war, sich den Bunker anzusehen.

Ausgangspunkt für die Umgestaltung des Bunkers war der Schützenverein im Oberhausener Osten, der mit der Schließung der Gaststätte Töpp keine Möglichkeit mehr hatte, den Schießsport auszuüben. Die Schützen haben dem Beispiel anderer Städte folgend vorgeschlagen, den Bunker entsprechend umzubauen. Und das war der Anstoß für die diversen Nutzungen, die sich dann ergeben haben. Ein weiterer Höhepunkt ist die große Veranstaltungshalle, ist das Bistro, das sehr gute Essensangebote für die Bevölkerung anbietet, sind die auf dem Bunker befindlichen Räume des Jugend- und Sozialbereichs der Stadtverwaltung. Auch der Second-Hand-Shop „Stöber“ von Flickwerk erfreut sich sehr großer Beliebtheit. Dann kommen noch die vielen Kurse hinzu, die hier stattfinden mit sehr unterschiedlichen Angeboten, die ja abgestimmt sind auf das, was die Bürger insbesondere auch im Knappenviertel nachfragen. Da kann man nur sagen, das Bürgerzentrum Alte Heid ist eine Einrichtung, die ihresgleichen sucht. Einmal wegen der Breite des Angebotes, aber auch wegen der architektonischen Umgestaltung, die soweit ich weiß beispiellos geblieben ist.

Noch eine Zwischenfrage. Wer in der Weihnachtszeit 2011 in die Tageszeitung schaute, musste mit einiger Verwunderung feststellen, zumindestens für diejenigen vielleicht, die nicht im Knappenviertel selber wohnen, dass für das Knappenviertel unwahrscheinlich geworben wurde. Ist das auf ein neues Selbstbewusstsein zurückzuführen oder ist es tatsächlich der Wunsch, nach außen hin präsenter zu werden?

Ich würde beides anführen. Also zunächst einmal ist sehr viel Aktivität angestoßen worden und wird aktuell weiter angestoßen von „K.In. O“, der Knappeninitiative Oberhausen, die ganz zu Beginn sehr deutlich betont hat, dass sie nicht nur ein Zusammenschluss der Gewerbetreibenden sein will, sondern die insbesondere die Jugendlichen im Knappenviertel im Visier hat. „K.In. O“ bemüht sich sehr, dass die ortsansässigen Unternehmen den Jugendlichen Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Das ist eine der für meine Begriffe sehr bemerkenswerten Aufgaben, die ansonsten von Interessengemeinschaften nicht übernommen werden. Und auch sonst tragen die in „K.In. O“ zusammen geschlossenen Unternehmen sehr viel zum gesellschaftlichen Leben, zum Zusammenhalt innerhalb des Knappenviertels bei, durch die jährlich stattfindenden Stadtteilfeste, durch Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem 1. Mai, aber auch durch diverse Veranstaltungen im Bürgerbegegnungszentrum. Inzwischen ist die Zahl von 40 Mitgliedern bei „K.In. O“ weit überschritten worden und der Zulauf ist ungebremst. Das hat nicht nur mit besseren Verkaufschancen zu tun, sondern auch mit der Mitverantwortung für die Menschen im Knappenviertel.

Aus Ihren Schilderungen geht deutlich hervor, dass das Knappenviertel eine positive Entwicklung durchlaufen hat in den letzten 20 Jahren. Gab es trotz der im Verlaufe der in letzter Zeit deutlich schlechteren Förderbedingungen für ähnlich gelagerte Projekte positive Ausstrahlungen in andere Stadtviertel der Stadt Oberhausen? Sind möglicherweise Anregungen aufgegriffen worden, die sich auch für die Stadtteilentwicklung in anderen Teilen der Stadt positiv ausgewirkt haben?

Ganz zweifellos. Wir sind ja ausgezeichnet worden mit dem Projekt im Knappenviertel und haben einen bundesweiten Preis errungen. Ausstrahlung hatte dies auf den zweiten Stadtteil in Oberhausen mit besonderem Entwicklungsbedarf.

Der Stadtteil Lirich hat sehr davon profitiert. Die Erfahrungen, die wir im Knappenviertel gemacht haben, sowohl positive als auch negative, konnten intern genutzt werden. Und die Entwicklung in Lirich ist durchaus mit der Entwicklung im Knappenviertel vergleichbar. Ebenso ein ehemals, zumindest von außen betrachtet, nicht sehr beliebter Wohnstandort, der sich inzwischen beachtlich gemausert hat. Auch was die Initiative der Gewerbetreibenden, aber auch ansonsten der im Stadtteil tätigen Vereinsvorsitzenden anbelangt, findet man durchaus Parallelen sehr zum Wohl der Bevölkerung.

Über die von Ihnen benannten positiven Ausstrahlungen des Projektes Knappenviertel auf weitere Stadtteile hinaus: Hat das Projekt Impulse gegeben oder gar die praktische Arbeit beeinflusst zu einer gesamtstädtischen Planungsperspektive, wie sie in den letzten Jahren mit dem Begriff der integrierten Stadtentwicklungsplanung in der Fachdiskussion immer wichtiger geworden ist?

Das Projekt Knappenviertel ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie Erneuerungsprozesse im Stadtteil oder auch gesamtstädtisch organisiert werden können. Im Knappenviertel ist es gelungen, alle Bereiche des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens am Veränderungsprozess zu beteiligen. Hier wurde keine Politik „von Oben“ gemacht, sondern sehr konkret mit den Betroffenen vor Ort die Situation analysiert und die Interessen Aller beim Veränderungsprozess berücksichtigt. Vereine, Gewerbetreibende, Handel, soziale Organisationen – alle haben mit dem Willen und dem Ziel, die Situation für alle zu verbessern, mitgewirkt. Diese Vorgehensweise hat in der Folge die gesamtstädtische Planungsperspektive positiv beeinflusst. Der Prozess im Knappenviertel hat gezeigt, dass und wie eine integrierte Stadtentwicklungspolitik funktionieren kann. Sie verbessert die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Bürgerinnen und Bürger.

Oberhausen steht im Jahr 2012 vor der großen Herausforderun die Finanzen der Stadt für die kommenden Jahre neu zu ordnen. Sie erläuterten die Vorzüge einer integrierten Arbeitsweise in Planungsaufgaben als ein Querschnittsthema. Hat dieses Vorgehen auch Bedeutung für die Erreichung der Sparziele Oberhausens und für die weitere Steigerung von Effizienz im Verwaltungshandeln?

Eine integrierte Arbeitsweise unter Einbeziehung vieler gesellschaftlicher Akteure ist auch bei der Erreichung der Sparziele Oberhausens von großer Bedeutung. Das hat schon die Sparrunde 2008 gezeigt. 2008 haben wir alle wichtigen gesellschaftlichen Akteure und die Bürgerinnen und Bürger in einem breit angelegten Prozess beteiligt. Dies werden wir auch im Jahr 2012 wiederholen.

Fortsetzung auf S. 139

Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4

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