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6. Die Jahre 2000 bis 2011: Oberhausens Wirtschaft im frühen 21. Jahrhundert 34
ОглавлениеKonnten viele Oberhausener im Jahr 2000 noch den Eindruck gewinnen, die Bäume ihrer Stadt wüchsen sprichwörtlich in den Himmel, so ist diese Stimmung zehn Jahre später einer abgeklärten Zuversicht gewichen. Doch zugleich mögen viele WAZ-Chefredakteur Peter Szymaniak zustimmen, der am 10. September 2011 kommentierte, früher sei wohl mehr Lametta gewesen; heute indes sei eben mehr Tanne.35 Daran kann man ersehen: Oberhausen ging seinen Weg des Wandels konsequent weiter und erzielte auch manche Erfolge. Oberhausen ist 2012 ohne Frage im Prozess des Wandels weiter voran gekommen als 2000. Doch der Unterschied zu den 1990er Jahren in Bezug auf das Lebensgefühl besteht ohne Zweifel darin, dass solch spektakuläre und große Projekte, wie sie die Startphase der Neuen Mitte Oberhausen prägten, nicht noch einmal umgesetzt werden konnten.
Hinzu trat ein Schock, der Oberhausen 2002 unvermutet und hart traf, als die Deutsche Babcock AG, der letzte Konzern der Stadt mit zuletzt 22.000 Mitarbeitern, davon 3.000 in Oberhausen, im Juli Insolvenz anmeldete. Nach äußerst riskanten und letztlich unverantwortlichen Finanzierungsgeschäften innerhalb des Unternehmens zwischen der Mutter und der Kieler Werft HDW hatte der Vorstandsvorsitzende Klaus Lederer einen Schwenk der Unternehmensstrategie vollzogen und die 50-prozentige Babcock-Beteiligung an der HDW im März 2002 veräußert. Dadurch geriet jedoch die labile Finanzierungsarchitektur zwischen der ertragsstarken Tochter und ihrer schwächeren Mutter in eine schließlich verhängnisvolle Schieflage. Dem Einsatz von Insolvenzverwalter Helmut Schmitz, Übergangsvorstand Horst Piepenburg, Betriebsratsvorsitzendem Heinz Westfeld und Politikern von Michael Groschek sowie Burkhard Drescher vor Ort über NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement bis zu Bundeskanzler Gerhard Schröder war zu verdanken, dass gut die Hälfte der Oberhausener Arbeitsplätze erhalten wurde. Die meisten davon sind fortan bei den Anlagenbauern und Full-Service-Kraftwerks-Wartungsunternehmen Babcock-Borsig und Babcock Hitachi tätig.36 2007 wechselte zwar ein Teil der Babcock-Hitachi AG mit etwa 180 Mitarbeitern nach Duisburg, doch 2011 fiel die Entscheidung für die regionale Konzentration der Energie-Aktivitäten der Bilfinger & Berger Power Service, zuvor Babcock Borsig, in der neuen Europa-Zentrale mit fortan 500 Mitarbeitern am Standort Neue Mitte Oberhausen.
Oberhausen startete mit großen Zielen in das neue Jahrtausend. Stellvertretend und herausragend stehen dafür das ambitionierte städtische Wirtschafts- und Stadtentwicklungsprojekt des O.VISION Zukunftsparks, und weiter das kleinere, ebenfalls städtisch geprägte Projekt der Marina Oberhausen. Im Spannungsbogen beider Entwicklungen wird überaus deutlich, an welche Grenzen der Oberhausener Strukturwandel stieß, welche davon mit lokalen Mitteln zu überwinden waren, gegen welch andere jedoch kein Kraut gewachsen war.
Im Dezember 1997 wurde im Elektrostahlwerk der Thyssen Stahl AG an der Osterfelder Straße der letzte Stahl geschmolzen. Dadurch eröffnete sich der Stadt die Möglichkeit zur Überplanung einer 63 Hektar großen Industriebrache in hervorragender städtebaulicher Lage, unmittelbar neben dem CentrO im Osten der Neuen Mitte Oberhausen. Rat und Verwaltungsführung der Stadt ergriffen die Initiative zur Projektentwicklung. Aus Gründen des Planungsrechtes wie aus regionalpolitischer Überzeugung strebte man keine Ergänzung der Neuen Mitte durch weiteren Einzelhandel in größerem Umfang an, sondern Nutzungen in der Freizeitwirtschaft und in Zukunftstechnologien. Anders als im Fall der CentrO-Ansiedlung, so herrschte Einvernehmen, würde man für ein solches Ziel keinen zentralen privaten Partner gewinnen können. Also wurde die Stadt in neuer Dimension als Gestalter und Motor des Wandels tätig: Die PBO als Tochter von Stadt, EVO und Stadtsparkasse erwarben für zehn Millionen DM 1999 das Gelände. Die PBO führte den Abriss zahlreicher Werkshallen, sprich die Baureifmachung, und die Erschließung mit Hilfe einer Landesförderung von 1999 bis 2002 durch. Stadt und PBO bildeten zeitgleich ein Projektteam, entwickelten das Nutzungskonzept für den O.VISION Zukunftspark und beantragten dafür eine Infrastrukturförderung bei der EU und dem Land NRW. Was war der O.VISION Zukunftspark im Modell?
Bis zum Jahr 2000 wurde in enger Partnerschaft mit dem Oberhausener Fraunhofer Institut Umsicht, getragen von Institutsleiter Prof. Weinspach und Oberbürgermeister Drescher, die Idee eines Technologieparks als Schaufenster der Fraunhofer Gesellschaft verfolgt. Das wiesen jedoch das NRW-Wirtschaftsministerium und seine Gutachter zur Beurteilung der angestrebten „regionalökonomischen“ Effekte als nicht förderbar, weil zu unspeziell zurück. Das Land verfolgte ein striktes Konzept der „Clusterförderung“, so dass ein zukunftsfähiger Branchenzusammenhang mit guten Chancen am Ort gefunden werden musste. Diesen arbeiteten Stadt und PBO mit dem O.VISION Zukunftspark als Marktplatz für die Güter und Dienstleistungen der Gesundheitswirtschaft heraus. O.VISION sollte eine zentrale Adresse für das Ruhrgebiet und ganz NRW werden. Die Lage in der Neuen Mitte mit 23 Millionen Besuchen jährlich, ausgeführt von rund sechs Millionen verschiedenen Menschen, versprach die Aussicht auf eine erfolgreiche Ergänzung des CentrO durch einen dynamischen Zukunftsmarkt. Den Kern des O.VISION Zukunftsparks bildete der „Gläserne Mensch“, ein Erlebnismuseum zu Menschenwissenschaften und Medizin, das Ausstellungs- und Kongresszentrum im vormaligen Elektrostahlwerk einschließlich der für das Gelände zentralen Straßenbahnhaltestelle, und dazwischen auf über fünfhundert Meter Länge zwei attraktive Promenaden am Wasser für privatwirtschaftliche Ansiedlungen. Warum scheiterte aber der O.VISION Zukunftspark?
Geschichte der Babcock Borsig Steinmüller GmbH (ehem. Babcock Borsig) ab 1945
▶ 1898: Die Deutsche-Babcock & Wilcox-Dampfkessel-Werke AG wird gegründet und eine Fabrik in Oberhausen auf dem Gelände der vormaligen Dampfkesselfabrik Schäfer errichtet.
▶ 1948: Der Sitz der Gesellschaft mit mittlerweile über 3.000 Mitarbeitern wird von Berlin nach Oberhausen übertragen.
▶ 1950er Jahre: Der Umsatz steigt von 80 auf 236 Millionen DM, die Dividende von 7 auf 14 Prozent.
▶ 1960er und 1970er Jahre: Das Geschäftsfelder erweitert sich kontinuierlich durch Neuakquisitionen z. B. im Nuklearbereich.
▶ 1973 : 75-jähriges Firmenjubiläum. Die Gruppe umfasst die Bereiche Kesselbau, verfahrenstechnische Maschinen und Brenner, Industrie-Anlagenbau, Umwelttechnik, Trocknungstechnik, Lüftungs-und Klimatechnik, allgemeinen Maschinenbau, Rohrleitungsbau, Stahl- und Behälterbau, Hoch-und Industriebau sowie weitere Arten von Dienstleistungen und Handel.
▶ 1987: Gründung von fünf operativen Einheiten des Konzerns unter Leitung der Muttergesellschaft Deutsche Babcock AG.
▶ 1997: Vereinfachung und Neuausrichtung der Konzernstruktur. Die Konzerngesellschaften werden gemäß ihrer Befugnisse und Produktlinien in sieben operative Geschäftsfelder neu geordnet.
Abb. 24: Werksanlagen der Deutsche Babcock und Wilcox-Dampfkesselwerke AG, um 1905
Abb. 25: Ansicht (Animation) der neuen Unterneh- menszentrale
▶ 1998: Aufteilung des Konzerns in sieben Geschäftsfelder: Antriebstechnik, Kraftwerkstechnik, Maschinenbau, Gebäudetechnik, Energie- und Prozeßtechnik, Industrieservice; Kauf der L & C Steinmüller GmbH in Gummersbach.
▶ 1999: Umfirmierung in Babcock Borsig Aktiengesellschaft (2001 in AG).
▶ 2002: Insolvenz von 60 der 300 Unternehmen der Babcock-Borsig AG. Fortbestand der Geschäftsbereiche mit Bezug zur Kraftwerkstechnik: Kraftwerksneubau/Energietechnik (Übernahme durch japanischen Hitachi Konzern im Februar 2003), Umwelttechnik (Übernahme durch italienische Fisia Italimpianti).
▶ 2003: Die Deutsche Beteiligungs AG kauft die Babcock Borsig Service Gruppe aus der Insolvenzmasse der Babcock Borsig AG. Hierzu gehörten folgende Hauptgesellschaften: Babcock Borsig Service GmbH (Kraftwerksbau seit 1898), Babcock Noell Nuclear GmbH (Sonderkranbau seit 1824), Steinmüller-Instandsetzung Kraftwerke Gesellschaft für Energie- und Umwelttechnik mbH (Kraftwerksbau seit 1855), Steinmüller Engineering Service (Pty) Ltd. in Südafrika (Kraftwerksservice und -bau in Südafrika seit 1896).
▶ 2006: Umfirmierung der Deutschen Babcock GmbH (vorh. Holdinggesellschaft der Gruppe) in die Bilfinger Berger Power Services GmbH; Erwerb der Essener Hochdruck-Rohrleitung GmbH (Kraftwerksbau seit 1885) und Umbenennung in die BHR Hochdruck-Rohrleitungsbau GmbH.
▶ 2009: Erwerb von 80,5 Prozent der Anteile der Duro Dakovic Montaza d.d. mit Firmensitz in Slavonski Brod, Kroatien und einer Außenstelle in Oberhausen (Maschinenbau seit 1921). Mittlerweile sind alle Anteile an die Bilfinger Berger Power Services übergegangen.
Abb. 26: Stand der Bauarbeiten im Juni 2012
▶ 2010: Übernahme der MCE Berlin, MCE Maschinen- und Apparatebau GmbH & Co. KG und MCE Aschersleben GmbH nach Zukauf der MCE AG durch die Bilfinger Berger AG; Übernahme der Rotring Engineering AG.
▶ 2011: Babcock Borsig Service GmbH fusioniert mit der Schwestergesellschaft Steinmüller-Instandsetzung Kraftwerke zur Babcock Borsig Steinmüller GmbH mit Hauptsitz in Oberhausen; Übernahme der AE&E CZ und Umfirmierung zu Babcock Borsig Steinmüller CZ s.r.o.; Übernahme der Rosink Apparate- und Anlagenbau GmbH.
▶ 2012: Unter dem Dach der Power Services operieren zahlreiche Unternehmen im In- und Ausland. Das Kerngeschäft des Teilkonzerns ist die Kraftwerkstechnik in den Bereichen Dampferzeuger, Energie- & Umwelttechnik, Rohrleitungstechnik sowie Maschinen- & Apparatebau. Ein dichtes Niederlassungsnetz verknüpft die Aktivitäten in den wichtigsten Märkten der Gruppe: Deutschland, Europa sowie der Nahe Osten und Südafrika. Die Bilfinger Berger Power Services Gruppe beschäftigt über 7.400 Mitarbeiter und hatte im Geschäftsjahr 2011 eine Leistung von 1.157 Millionen Euro bei einer EBIT-Marge von acht Prozent. Im Jahre 2013 zieht die Bilfinger Berger Power Services in den neuen Hauptsitz am CentrO in die Europa Allee 1, wo 2012 ein entsprechender Neubau erstellt wird.
Abb. 27: Fraunhofer-Institut UMSICHT
2002 war das Konzept ausgebildet, bis 2004 wurde es stetig ergänzt und verfeinert. In enger Kommunikation mit dem Land NRW bemühten sich die Oberhausener Projektentwickler um Zustimmung zur Förderbarkeit. Das angestrebte Fördervolumen von anfangs 168 Millionen Euro, über 116 Millionen bis schließlich noch 108 Millionen Euro in 2004 erforderte einen „Großprojektantrag“ bei der EU-Kommission. Das gilt für alle Maßnahmen mit einem Finanzierungsvolumen von mehr als 50 Millionen Euro, in die Mittel aus der europäischen Strukturförderung fließen. Um mit einer solchen Antragstellung Erfolg zu erzielen, ist jedoch der Nachweis einer positiven Wirkung auf die Wirtschaft der Region nötig, und das in mehrfacher Höhe der verwandten Fördersumme. Nachgewiesen werden muss jene Wirkung über Gutachten volkswirtschaftlicher Experten. Diese aber und das NRW-Wirtschaftsministerium meldeten Zweifel an. O.VISION wurde zum Verhängnis, dass es damals europaweit kein vergleichbares Projekt eines Marktplatzes für Gesundheit gab. Statt belastbarer Vergleichsdaten lagen nur regionalökonomische Lehrmeinungen vor. Doch die Projektentwicklung wurde hartnäckig und zielstrebig betrieben, so dass die Landesregierung in 2004 schließlich die Antragstellung in Brüssel zusagte. Nach mehrmonatiger intensiver Arbeit war der Großprojektantrag Ende 2004 gestellt. In 2005 prüfte die EU-Kommission. Im Mai 2005 allerdings wechselte die NRW-Landesregierung hin zu einer Koalition aus CDU und FDP unter Leitung von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Von nun an erreichten die vom Land vorgetragenen Bedenken gegenüber O.VISION eine neue Qualität: Insbesondere die schlechte Haushaltslage der Stadt Oberhausen lasse keinen zehn- oder zwanzigprozentigen Eigenanteil zu. Ferner wurden grundsätzliche Zweifel an der Zukunftsfähigkeit eines Marktplatzes für Gesundheit formuliert. Oberhausen reagierte konsequent: In nur dreimonatiger Arbeit erfolgte eine radikale Senkung des Fördervolumens von 108 auf nur noch 49 Millionen Euro. Auf ein multifunktionales Ausstellungs- und Tagungszentrum im Kerngebäude des ehemaligen Elektrostahlwerkes sollte vollständig verzichtet werden. Es blieb die Idee vom Gläsernen Menschen als dem Anziehungspunkt für Menschen und für Firmen aus den facettenreichen Branchen der Gesundheitswirtschaft. Was passierte dann?
Die Sektion für Regionalpolitik der EU-Kommission zeigte sich beeindruckt von der durchgreifenden Verkleinerung und dem damit abgesenkten Fördermittelbedarf. Das NRW-Wirtschaftsministerium zeigte keine Reaktion, da Ministerin Christa Thoben sich noch nicht positioniert hatte. Das Innenministerium, wichtig für die Genehmigung der Kommunalaufsicht zum Eigenanteil, begrüßte auf Arbeitsebene dessen Halbierung und deutete Zustimmung an. In dieser Konstellation wurde im Dezember 2005 eine Entscheidungsvorlage für das Landeskabinett vorbereitet. Um den Jahreswechsel meldeten Gerüchte aus Düsseldorf die Ablehnung von Finanzminister Helmut Linsen. Noch am 9. Januar 2006, einen Tag vor der Kabinettssitzung, reisten Oberbürgermeister Wehling und Projektleiter Dellwig zum Sechs-Augen-Gespräch zu Herrn Linsen, um ihn zu überzeugen. Doch die Ablehnungsfront stand. Am 10. Januar lehnte die Landesregierung eine Förderung von O.VISION per Kabinettsbeschluss mit dem Argument ab, dem Projekt fehle die Überzeugungskraft für Brüssel. (Ironie der Geschichte: Am gleichen Tag sendet die EU ein Telefax, mit dem sie die Förderbarkeit des verkleinerten Projektes bejaht.) Nicht wenige in Oberhausen vermuteten, dass auch parteipolitische Interessen-Konstellationen die Haltung des Landes bei der Entscheidung geprägt hatten. Am 10. Januar 2006 herrschte in Oberhausen nicht nur der große Katzenjammer; es mussten zugleich recht schnell Entscheidungen über die Zukunft des Geländes getroffen werden, denn mit dem Wegfall der Förderperspektive drohte der PBO sehr schnell das wirtschaftliche Aus!
Die PBO hatte von 1998 bis 2005, über acht Jahre nicht förderfähige Teile der Baureifmachung und Erschließung sowie die Projektentwicklung finanziert, zudem den Grundstückspreis von gut fünf Millionen Euro entrichtet. S. entstanden Verbindlichkeiten von über 25 Millionen Euro, denen sehr wohl ein Gegenwert in Gestalt des wertvollen Grundstücks gegenüberstand, solange das Ziel O.VISION verfolgt wurde. Mit dem Ende des Projektes drohte jedoch der Absturz des Grundstückswertes der 630.000 Quadratmeter großen Fläche von etwa 250 bis 300 Euro pro Quadratmeter auf noch 70 bis 80 Euro. Das bedeutete Insolvenzgefahr wegen bilanzieller Überschuldung. Den Verbindlichkeiten der PBO standen plötzlich keine vergleichbar hohen Sachwerte mehr gegenüber. Bei Insolvenz hätten die Gesellschafter für die Schulden, die vielfältig von ihnen verbürgt waren, gehaftet. Nur aus dieser Notlage heraus ist bis heute verständlich, sogar alternativlos, sehr schnell einen Käufer für das Gelände finden zu müssen. Schon im Februar bestanden erste Kontakte zu EAI, Euro Auctions Immobilen. Die PBO gab am 20. Februar 2006 ein notarielles Kaufangebot ab, für das sich auch der Rat der Stadt am gleichen Tag ausgesprochen hatte. Im Mai tätigte EAI, international erfolgreicher Händler und Auktionator von Baumaschinen aus Nordirland, den Kauf. Der Preis, in mehreren Raten zu entrichten, betrug 37,1 Millionen Euro und deckte sämtliche Verbindlichkeiten der PBO. Dennoch waren die Verhandlungen hart und intensiv. Stadt und PBO strebten eine enge Projektentwicklung mit EAI an, um auch unter veränderten Bedingungen eine hochwertige Nutzung auf einer Fläche zu erreichen, die zu Recht als verbliebenes Filetstück in der Neuen Mitte Oberhausen für den weiteren Strukturwandel galt. Es gelang, diese Gemeinsamkeit, die Beschränkung der Nutzungen auf zwei bis drei Themen, darunter die Fortführung der Projektentwicklungen in der Gesundheitswirtschaft, in der Präambel des Kaufvertrages zu verankern. Weitere Nutzungen konnten die Bereiche Mobilität oder Wohnungseinrichtungen bilden. Musste man voraussehen, dass EAI den Ansprüchen an eine hochwertige Projektentwicklung nicht nachkommen würde?
Abb. 28: Erste Planung für O.Vision aus dem Jahr 2001 mit dem „Gläsernen Menschen“ neben dem Stahlwerk.
Abb. 29: Die endgültige Planung von „O.Vision“ aus dem Jahr 2003, Grundlage des Antrags bei der EU-Kommission und beim Land NRW.
Euro Auctions Immobilien hatte zugegeben keine Erfahrung im deutschen Immobiliengeschäft. Doch EAI zog von Beginn der Kontakte an hochkarätige Experten aus der Region und aus ganz Deutschland heran. Auch Londoner Finanzexperten begleiteten Kauf und Projektentwicklung. In 2006 wurde eine Arbeitsgruppe aus Stadt, PBO, EAI und deren Experten eingerichtet, um gemeinsam an der Zukunft des SWO-Geländes, so der neue Name für das Gelände des vormaligen Stahlwerks Oberhausen, zu arbeiten. Und bis ins Jahr 2007 hinein gaben Investorenkontakte ebenso wie die Planungen der EAI-Entwickler Grund zur Zuversicht, dass um die drei im Vertrag genannten Themen eine Vermarktung und Besiedlung der Fläche gelingen werde. Somit war weder im ersten Halbjahr 2006 noch viele Monate später Grund zu der Annahme vorhanden, EAI habe das Gelände nur erworben, um es als beliebiges Spekulationsobjekt schnell weiter zu verkaufen, oder aber um dort Auktionen für Baumaschinen abzuhalten. Erst Fehlschläge bei der Entwicklung von Gesundheitsthemen und Trends in der Automobilindustrie, die gegen eine große „Auto-Mall“ im Ruhrgebiet sprachen, mündeten 2007/08 in eine Entwicklung, in welcher über Jahre EAI als Eigentümer nicht das nötige Maß an Professionalität und Engagement zeigte, um dieser wertvollen Fläche gerecht zu werden.
Das Scheitern von O.VISION und die Schwierigkeiten zur strukturpolitisch hochwertigen Vermarktung der SWO-Fläche nahmen großen Einfluss auf die Wahrnehmung und Selbsteinschätzung der Oberhausener im Strukturwandel. Während die 1990er Jahre als Jahrzehnt der bahnbrechenden Erfolge erlebt und in der Rückschau bewertet wurden, erschien das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts als Zeitspanne, die von Misserfolgen, Rückschlagen, auf jeden Fall von Verlangsamung des Wandlungsprozesses, von einem Verlust an Optimismus und einem Ausbleiben identitätsstiftender Großvorhaben bestimmt wurde. Die einen verurteilten dies als Mangel an Professionalität in der Wirtschaftsförderung. Die anderen wiesen darauf hin, dass die Zeit öffentlich geförderter Großprojekte ebenso wie privat finanzierter Mega-Shopping-Malls eben vorbei sei. Oberhausen habe nicht zu klagen, dass die Zeit nach 2000 wieder ruhiger, stetiger verlief, sondern Oberhausen solle die Schaffung der Neuen Mitte ab 1992 als Besonderheit, als nicht wiederholbaren Glücksfall schätzen lernen.
Doch wie verlief die Stadt- und Wirtschaftsentwicklung tatsächlich, jenseits verständlicher Emotionen, Hoffnungen und Enttäuschungen? S. unbestreitbar ausgebliebene Chancen auf dem SWO-Gelände ein stadtentwicklungspolitisches Ärgernis bildeten, so positiv verliefen in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts seit 2000 andere Projekte in der Neuen Mitte Oberhausen. Sie trugen allesamt zur Arrondierung der Freizeit-Destination als erster Adresse für den Städtetourismus im Ruhrgebiet bei.
Abb. 30: Gebäude der Stadtsparkasse an der Essener Str. 51, seit 2011 „Haus der Wirtschaftsförderung“
In Kontinuität zur Entwicklung aus den 1990er Jahren erfuhr das Technologiezentrum Umweltschutz mit seinen Gebäudeteilen I (Werksgasthaus) und II (der gegenüber gelegene zweigeschossige Viertelkreis) ab 2003 mit dem TZU IV in der Verlängerung des TZU II eine Vergrößerung um über 6.000 auf rund 11.000 Quadratmeter Nutzfläche. Etwa 650 Arbeitsplätze sind seitdem im TZU angesiedelt. Die Erfolgsgeschichte des TZU setzte sich mit Vermietungsquoten von rund 95 Prozent und einem hohen Anteil dynamischer, innovativer Unternehmen fort. Im Mittelpunkt der Nutzungen stehen unternehmensnahe Dienstleistungen, vor allem Agenturen und IT-Dienstleister, aber mit der Nano Focus AG beispielsweise ebenfalls ein Technologie-Treiber in der Mikrosystemtechnologie. Das TZU wandelte sich damit gegenüber seiner Startphase vom umweltgeprägten Gründerzentrum zur Ideenschmiede für ein breites Spektrum jener unternehmensnahen Dienstleistungen, die fortan zum zentralen Wachstumsmotor des weiteren TZU-Umfeldes an der Essener Straße werden sollen und können: Seit 2000 konzentrieren sich auf einer Länge von nur einem Kilometer zwischen Fraunhofer Umsicht im Osten und dem TZU im Westen zukunftsorientierte Ansiedlungen an der Essener Straße. Diese bestanden im Service-Gebäude der Stadtsparkasse Oberhausen von 1999, im Ausbau des Standortes von ZAQ, Zentrum für Ausbildung und Qualifizierung, durch den Erwerb der vormaligen Thyssen-Forschung 2003. Immeo Wohnen, Beteiligung des Thyssen Krupp-Konzerns wählte mit ihren 300 Mitarbeitern den Standort 2006, ebenso wie die Full Service Agentur Move Elevator mit ihrem 80 Personen zählenden Team schon 2002. Und 2011 schließlich bündelte die Stadt Oberhausen ihre Angebote der Wirtschafts- und Tourismusförderung im „Quartier 51“, dem nun auch zum „Haus der Wirtschaftsförderung“ ausgebauten Service-Center der Stadtsparkasse. Gerade durch diesen Impuls erhält die Essener Straße die Chance, von Oberhausens Allee der Industriekultur zur Allee der Management-Kultur zu werden. Dazu trägt schließlich noch die stetige Expansion der Unternehmensgruppe Walter im Kreuzungsbereich von Essener Straße und Konrad-Adenauer-Allee bei. Hier sind rund 500 Menschen in 40 Service-Unternehmen mit den Schwerpunkten Kommunikation und Logistik für große Konzerne, wie die Siemens AG, tätig.
Abb. 31: Technologiezentrum Umweltschutz Oberhausen (TZU)
Abb. 32: Der 1922 bis 1925 erbaute Peter-Behrens-Bau, heute Zentralmagazin des LVR-Industriemuseums
Trotz der Grundlegung der Neuen Mitte Oberhausen in den 1990er Jahren gilt: Der steile Aufschwung Oberhausens zu der Tourismus-Stadt in der Metropole Ruhr ereignete sich im Jahrzehnt seit 2000. Das belegen zunächst die Zahlen der Übernachtungen. Was 1994 mit 50.000 begann und bis 1999 auf 120.000 anstieg, gewann daraufhin noch beeindruckendere Dynamik: 2006 wurde die Marke von 200.000 Übernachtungen überschritten. Im Jahr der Kulturhauptstadt 2010 waren es 310.000 und in 2011 wurden 440.000 Übernachtungen in Oberhausener Hotels erreicht. Folglich braucht Oberhausen zwei neue Hotels; die Tourismusförderer sind am Ball. A propos Tourismusförderung: 2009 wählte die Ruhr Tourismus GmbH, Tochter des RVR zur Förderung des Ruhrgebietstourismus, Oberhausen zu ihrem Sitz. Dies bedeutete einen konsequenten Schritt, denn hinter Oberhausens Gästezahlen steht die permanente Ausweitung des Freizeitangebotes: Auf das nur kurzzeitig erfolgreiche Musical Tabaluga und Lillie folgte 2006 der hochwertige Ausbau der Spielstätte zum Metronom-Theater der Stage Entertainment AG. Jährlich wechselnde Produktionen ziehen hunderttausende Gäste an. Der Gasometer Oberhausen etablierte sich als die bedeutendste Erlebnis-Ausstellungshalle für spektakuläre Wechselausstellungen im Ruhrgebiet. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt wurden über mehrere Jahre immer neue Besucherrekorde von jeweils mehr als 400.000 Gästen in 2010 und 2011 aufgestellt.
Eine aufmerksame Betrachtung verdient dann das Marina-Gelände, weil hier einerseits Impulse für den Freizeitstandort gegeben wurden und weil hier andererseits ein Alternativkonzept zum SWO-Gelände in Bezug auf die weitere Förderung des Strukturwandels durch die Stadt Oberhausen erfolgreich umgesetzt werden konnte. Wie das SWO-Gelände wurde das Marina-Grundstück von einer Beteiligung der Stadt, der Oberhausener Bauförderungs-Gesellschaft OBG erworben. 2007 schließlich ging die OBG in der weit größeren OGM auf. Doch statt 630.000 ist die Marina-Fläche nur 80.000 Quadratmeter groß. Deshalb fielen anders als beim SWO-Gelände auch keine millionenschweren Kosten für die Projektentwicklung an. Auch verzichtete die Stadt nach ersten erfolgreichen Bemühungen – die Anlage des Hafenbeckens für knapp fünf Millionen Euro 2002 – auf die Einwerbung von weiteren Fördermitteln für eine öffentliche Infrastruktureinrichtung. Statt dessen war es möglich, die Fläche flexibel und mit langem Atem Stück für Stück zu vermarkten und dabei das vorherrschende Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren: In fußläufiger Nähe zur CentrO-Promenade sollten vor allem Freizeiteinrichtungen entstehen, die in Ergänzung zum bestehenden Angebot die Weiterentwicklung der Neuen Mitte Oberhausen zum Zentrum des Mehrtagestourismus in der Metropole Ruhr um ein vielseitiges Erlebnisareal fördern würden. S. entstanden 2003 das Sea Life Oberhausen, Deutschlands größtes Meerwasseraquarium, 2005 die Modellbahnwelt Oberhausen MWO und 2008 der Aquapark Oberhausen, bereits in 2010 die Nummer drei unter den Erlebnis-Spaßbädern des Ruhrgebiets. Im Rahmen des Oberhausener Bäderkonzepts wurden hier zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die Reduzierung der städtischen Bäder von sieben auf drei senkte dauerhaft Betriebskosten und ermöglichte zugleich eine markante Akzentsetzung zu Gunsten von mehr Freizeit-Qualität gerade für Familien aus Oberhausen und den Nachbarstädten. An der Marina bleibt ferner Platz für einen Hotelneubau, den Oberhausen noch gut gebrauchen kann.
Abb. 33: Die „Heinz-Schleußer-Marina“, hinten links das Sea Life Aquarium
Die Besonderheiten der erfolgreichen Marina-Gestaltung zeigen zugleich die Grenzen des Machbaren für eine „arme“ Stadt im Wandel auf: Zehn Jahre zur Entwicklung des Geländes konnte sich eine städtische Tochter nur erlauben, weil angesichts einer eher kleinen Fläche überschaubare Kosten für Zwischenfinanzierung und Projekt-Studien anfielen. Die Chance zur Schaffung eines so erfolgreichen Ausrufezeichens wie des Freizeitbades Aquapark eröffnet sich zudem vielleicht nur alle zwanzig bis dreißig Jahre, wenn nämlich die gesamtstädtische Kosten-Nutzen-Abwägung nach einer Neuausrichtung der Bäderlandschaft verlangt. Folglich bildet die Marina-Entwicklung ein gelungenes, aber vielleicht notgedrungen einmaliges Beispiel für den städtisch gestalteten Strukturwandel in Oberhausen nach der Jahrtausendwende, ohne zugleich als Argument herangezogen werden zu können für vermeintliche Fehler auf der SWO-Fläche nach dem Scheitern von O.VISION in 2006.
Zwei Elemente der Neuen Mitte Oberhausen seit 2000 verdienen abschließend eine Berücksichtigung. 2010 begann das CentrO mit seiner großen Erweiterung um rund 15.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, indem in Richtung Südost am Haupteingang Centroallee ein vierter Gebäudeflügel entsteht, an dessen Endpunkt 2012 P&C eröffnen wird. Manchen Unkenrufen aus Nachbarstädten zum Trotz: Angesichts der Erweiterungen von Rhein-Ruhr-Zentrum (Mülheim) und Ruhrpark (Bochum) sowie dem Neubau des Shopping-Centers Limbecker Platz in Essen dient die CentrO-Erweiterung lediglich der Stabilisierung der Einkaufsstadt Oberhausen im Ruhrgebiet – eben nicht mehr und auch nicht weniger.
Abb. 34: Eröffnung der Rehberger-Brücke am 25. Juni 2011
2006 traten die Stadt Oberhausen und die Emschergenossenschaft in erste Planungen für das „Emscher Erlebnis Oberhausen“ auf der Emscherinsel am Stadion Niederrhein ein. Ambitionierte Pläne zur Aufwertung des Fußballstandortes wurden durch wechselnde sportliche Erfolge von RWO wiederholt in Frage gestellt. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz halten Stadt und Emschergenossenschaft beharrlich an ihrem Ziel fest, die Emscherinsel zu einem neuen Highlight der Freizeitlandschaft Neue Mitte Oberhausen zu machen. 2011 wurden dann erste bedeutende Fortschritte erzielt: Die Eröffnung der Rehberger Brücke „Slinky Springs to Fame“ schuf eine neue Publikumsattraktion und einen erlebenswerten Brückenschlag vom Kaisergarten zur Emscherinsel. Ebenfalls beschloss RWO 2011 den vollständigen Umzug von der Sportanlage Landwehr zum Stadion Niederrhein. Das bildet die Voraussetzung für weitere sportliche Akzentsetzungen auf der Emscherinsel.
Wo steht Oberhausen nun mit seiner Neuen Mitte 150 Jahre nach der Gemeindegründung? Der Erlebnis-Einkaufs- und Erlebnis-Freizeit-Standort aus einer vielseitigen Kombination öffentlicher wie privater Angebote ist als wichtigste Freizeit-Landschaft des Ruhrgebiets stetig gewachsen und etabliert. Zugleich ist mit der Neuen Mitte im Emscher Landschaftspark zwischen Haus Ripshorst im Osten und Kaisergarten im Westen eine Kulturlandschaft ganz neuer Art entstanden: Vielfach durchgrünt, kombiniert aus historischer Bau- und Landschaftskultur – Schloss Oberhausen, Kaisergarten und Siedlung Grafenbusch – mit der Raum gestaltenden Eigenart des ersten deutschen Urban Entertainment Centers aus den Jahren um den Jahrtausendwechsel ist die Neue Mitte Oberhausen zum wertvollen und vollgültigen Gegenstück der historischen Parkstadt des frühen 20. Jahrhunderts in der Oberhausener City geworden. Damit hat die Neue Mitte Oberhausen das Zeug dazu, den Oberhausenerinnen und Oberhausenern als wichtiges Stück lokaler Identität zum wesentlichen Element ihrer gewandelten Identifikation mit ihrer Heimatstadt im weiteren 21. Jahrhundert zu werden. Da die Menschen indes weiterhin in ihren Stadtvierteln leben, wird die Kommune auch fortan gut daran tun, auf das sensible Gleichgewicht aus Stadtentwicklung in den Stadtbezirken und in der Neuen Mitte größten Wert zu legen.
Abb. 35: Luftbild Neue Mitte Oberhausen 1999, Centro mit Stahlwerk SWO, Blick nach Osten
Und wie ist die gesamte Stadt Oberhausen rund 50 Jahre nach ihrem Eintritt in einen beschleunigten, umfassenden sozialen und wirtschaftlichen Strukturwandel für die Zukunft gerüstet? Da bietet sich dem Betrachter ein vielschichtiges und nicht zuletzt widersprüchliches Bild. Tiefgreifende Umbrüche, spektakuläre Erfolge und fortbestehende Herausforderungen prägen das Ganze der Stadtentwicklung. Auf der Haben-Seite steht nicht allein die Neue Mitte Oberhausen mit ihren rund 12.000 Arbeitsplätzen. Oberhausen hat seinen Menschen Lebensfähigkeit und Lebensqualität erhalten. Ohne den Wandel zu Neuem hätte die Stadt von ihren 108.600 Arbeitsplätzen des Jahres 1962 rund 58.600 verloren und wäre zu einem Ort der Hoffnungslosigkeit abgestiegen. Mit dem vollzogenen Wandel sind von 1961 bis 2010 rund 38.900 Arbeitsplätze für die Menschen in Oberhausen in Stadt und Region neu entstanden und wieder 88.900 Bewohner der Stadt erwerbstätig. Allein im Jahrzehnt seit 2000 kamen 8.000 Arbeitsplätze für Oberhausenerinnen und Oberhausener in der Stadt und in der Region hinzu. Mit 80 Prozent aller Beschäftigten in den Dienstleistungen, mit einem im Ruhrgebietsvergleich leistungsstarken Handwerk, mit einem ebenfalls überdurchschnittlich breiten Spektrum an unternehmensnahen Dienstleistungen, mit einem starken Leitmarkt Immobilien, Wohnen und Bauen sowie schließlich mit einem verbliebenen industriellen Kern aus Chemie, Anlagenbau und mit vielen starken Mittelständlern aus weiteren Branchen verfügt die Oberhausener Wirtschaft über eine robuste Substanz.
Auch die Bilanz der Wirtschaftsförderung, 2007 in der WFO – Wirtschaftsförderung Oberhausen GmbH – operativ gebündelt, kann sich sehen lassen. Vielen Unkenrufen zum Trotz weist das Werben um alte und neue Unternehmen einen bemerkenswert positiven Saldo auf: In den sechs Jahren von 2005 bis 2010 einschließlich verließen Betriebsstätten mit 660 Arbeitsplätzen die Stadt. Dem stehen jedoch gut 3.100 Arbeitsplätze gegenüber, die in der gleichen Zeit angesiedelt wurden oder aber deren akut bevorstehender Fortzug aktiv verhindert werden konnte. Und in einer dynamischen Marktwirtschaft kommt es schließlich auf die Bilanz an, während einzelne Standortaufgaben wohl Veränderung anzeigen – und Dynamik kommt nicht ohne Wandel aus – nicht aber eine Schwäche des Standortes markieren. Denn wer käme auf den Gedanken, Chinas oder Deutschlands Außenhandel ein Schwächeln zu unterstellen, nur weil beide Volkswirtschaften bei hohen Exportüberschüssen auch noch beachtliche Einfuhrvolumina aufweisen? Auch das Angebot an Wirtschaftsflächen vor Ort liegt im Verhältnis zur Stadtgröße mit rund 100 Hektar an der Spitze der Städte im westlichen Ruhrgebiet, und dies nach einem halben Jahrhundert erfolgreicher Revitalisierung von Industriebrachen, deren Umgestaltung zu Gewerbeparks nicht mit Bedauern über abnehmende Flächenreserven vermerkt werden sollte, sondern eher als Beleg für den Erfolg des Strukturwandels gelten darf.37
Allerdings stellt die Herausbildung der Wissensgesellschaft als großer Trend des 21. Jahrhunderts Oberhausen vor große Herausforderungen. Der Anteil der Akademiker an den Beschäftigten und der Anteil der Abiturienten an den Schulabgängern liegen auf den letzten Plätzen unter Deutschlands Großstädten. Zudem ist Oberhausen Deutschlands größte Stadt ohne staatliche Hochschule. Angesichts des demografischen Wandels und dem damit einher gehenden Stopp von Hochschulgründungen könnte dies auch für längere Zeit so bleiben. Diese durchaus beachtenswerten Merkmale der Stadt sind aber kein Grund zum Defätismus. Statt dessen können diese Eigenschaften Oberhausens zum Ansporn dafür werden, den Stellenwert von Bildung und Wissen im öffentlichen Handeln noch weiter zu erhöhen. Statt Anlass zum Pessimismus zu geben, können Oberhausens Rückstände bei der Gestaltung der Wissensgesellschaft Impuls dazu sein, die ganz spezifischen Stärken und Chancen der Stadt zu suchen, zu analysieren und in Handlungsprogramme umzusetzen. Dass es solche Perspektiven geben mag, sei mit nur einem Beispiel benannt: Oberhausen liegt nicht nur in der Region Rhein-Ruhr, der mit 11,5 Millionen Menschen größten Ballung Europas; Oberhausen befindet sich sogar an dem begünstigten Schnittpunkt von Ruhrgebiet und Rheinschiene. Das verschaffte der Stadt bisher schon große Vorteile: Erstens finden Oberhausener Unternehmen vor ihrer Haustüre einen fast unerschöpflichen Markt. Ohne diesen Umstand wäre Oberhausens Stärke in Freizeitwirtschaft und unternehmensnahen Dienstleistungen unvorstellbar. Zweitens finden die Menschen, die Oberhausen zu ihrem Wohnort gewählt haben, weil es sich hier gut und bezahlbar leben lässt, in Dienstleistungszentren wie Düsseldorf oder Essen oftmals Arbeit, ohne dass sie deshalb einen Wohnortwechsel vornehmen müssen und wollen. Beide Eigenschaften der Stadt können als Stärken betrachtet, erkannt und gepflegt werden. Beide Qualitäten Oberhausens können den Anstoß geben zu kommunalem Handeln, das der Stadt neue Perspektiven zutraut statt im Zeichen leerer Kassen allein Mängel zu verwalten. Über die Konsequenzen aus Oberhausens Lage in der Metropolregion Rhein-Ruhr hinaus wird es weitere wichtige Aspekte der Stadtentwicklung geben, die bei der Gestaltung der Zukunft von Nutzen sein werden. Es sind die Oberhausenerinnen und Oberhausener, die es als nach Lösungen suchende, als Herausforderungen bewältigende Stadtgesellschaft zu aller erst im Kopf und in der Hand haben, das Oberhausen des 21. Jahrhunderts kreativ zu erschaffen.
„Historischer Städtebau prägt die Stadt – das Beispiel Antonyhütte, Schacht IV“
Interview mit Klaus Wehling (Teil 3)
Das wirtschaftliche Erbe, soweit es sich in Gebäuden manifestiert hat, ist ja in Oberhausen nicht mehr allzu stark sichtbar. Die großen Industrieanlagen, Kokereien, Zechen, alles weitgehend abgerissen. Einzelne Gebäude sind aber noch stehen geblieben und werden genutzt. Hostel Veritas ist ein Beispiel, ein anderes ist Schacht 1, der jetzt als Diskothek weiterhin sein Leben führt, Druckluft gehört auch dazu. Es gibt dann aber noch einen Schacht, nämlich den Schacht 4 in Osterfeld, der einer weiteren Nutzung harrt.
Hier sind ja seit längerem Wohnprojekte in der Diskussion und ich bin nach einem erst vor kurzem geführten Gespräch sehr guten Mutes, dass sich in 2012 hier erste Baumaßnahmen realisieren werden, die sich zunächst schwergewichtig auf den Bereich des betreuten Wohnens beziehen. Und ich finde die bisherigen Entwürfe sehr interessant, in deren Mittelpunkt der Förderturm steht.
Das ist ein Turm, der von der Bauhausarchitektur geprägt ist, die in den 1920er Jahren richtungweisend war. Ich finde wichtig, dass der Turm erhalten bleibt. Inwieweit er genutzt werden kann, muss man der Phantasie bzw. den Geldbeuteln der Entwickler überlassen. Aber auch in Beziehung zur benachbarten Antony-Hütte hat er eine sehr hohe städtebauliche Bedeutung. Der ausgegrabene Hochofen der Antony-Hütte mit dem Gesamtensemble aus Museum und industriearchäologischem Park erfreut sich zunehmend großer Beliebtheit. Das wird einer der Punkte sein, der zunehmend in das Besuchsprogramm auswärtiger Besucher mit einbezogen wird. Von daher gibt es einen sehr schönen Spannungsbogen zwischen industrieller Vergangenheit und neuzeitlicher touristischer Nutzung dort am Schacht 4 und an der Antony-Hütte.