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Die Neue Mitte Oberhausen als Trendsetter im Ruhrgebietstourismus Interview mit Axel Biermann
ОглавлениеHerr Biermann, im April 1997 haben Sie die Leitung der Tourismus GmbH in Oberhausen übernommen. In diesem Jahr zählte die Fremdenverkehrsstatistik gut 71.000 Gäste mit über 122.000 Übernachtungen. Oberhausen als nationales und internationales Tourismusziel erschien den meisten Oberhausenern als Wunschtraum. 2008 waren es dann fast 151.000 Gäste mit 248.000 Übernachtungen. Wie ist es zu dieser Entwicklung gekommen?
Die Grundlage dieser Entwicklung war das klare Bekenntnis der handelnden Akteure in Politik und Verwaltung, dass das Thema Tourismus als ein Themenschwerpunkt im Bereich der Stadtentwicklung definiert wurde und dass man dann die entsprechenden Kräfte gebündelt und Institutionen geschaffen hat, wie die Tourismus GmbH. Parallel dazu ist auch sehr viel im Umfeld der Neuen Mitte entstanden und die Neue Mitte selbst als ein neues touristisches Angebot. Hierfür waren die Stadtentwicklung und die Stadtverwaltung federführend verantwortlich. Dies war direkt ausschlaggebend für diese positive Entwicklung, die sich im Übrigen nicht nur auf die Zahl der Übernachtungsgäste niedergeschlagen hat, sondern auch auf die Zahl der Tagestouristen, was sehr gern vergessen wird. Heute oder auch schon 2008 haben wir etwa fünf Millionen Tagestouristen in der Neuen Mitte Oberhausen, also Menschen, die aus einer Entfernung von mehr als 50 Kilometern anreisen. Diese Gruppe macht 70 bis 80 Prozent des touristischen Umsatzes aus. Der Rest kommt über die Übernachtungsgäste. Wir liegen in Oberhausen mittlerweile bei über 400 Millionen Euro Umsatz durch den Tourismus. Das ist durch entsprechende Schwerpunktsetzung in der Stadtentwicklung und den Aufbau professioneller Vermarktungsstrukturen gelungen sowie durch die Bündelung aller touristischen Leistungspartner wie Hotellerie, Gastronomie, Museen, Musical, Theater, Sealife Aquarium mit dem Ziel, diese an einen Tisch zu holen, um gemeinsame Werbung zu machen und damit schlagkräftiger zu werden. Ich denke, das sind die zwei Hauptmerkmale, warum diese positive Entwicklung sich so einstellen konnte. Wenn man es betriebswirtschaftlich betrachtet, gab es drittens einen erheblichen Nachholbedarf. Wir befanden uns somit am Anfang des Produkts-„Lebenszyklus“. Mir ist daher auch nicht Bange, dass sich in den nächsten Jahren die Zahlen positiv weiter entwickeln werden.
Zum Zeitpunkt Ihres Starts in Oberhausen erfolgte zugleich auch die Gründung der Tourismus GmbH. Das korrespondierte unmittelbar mit der Eröffnung des CentrO im September 1996. Schätzen Sie diese Gründung der städtischen Akteure als richtig im Zeitablauf ein und gab es dann auch eine Aufbruchstimmung in der Zusammenarbeit mit den unternehmerischen Akteuren der Freizeitwirtschaft in der Neuen Mitte?
In jedem Fall. Es war vielleicht sogar ein halbes Jahr zu spät. Aber das sind dann eben operative Probleme, die es gab. Ich kann mich noch erinnern, als der damalige Geschäftsführer des Verkehrsvereins mir erzählt hat, dass im Jahr 1996 nach Eröffnung des CentrO im alt ehrwürdigen Verkehrsverein das Fax dann durchgeglüht wäre. Vor dem Hintergrund war es dringend notwendig, entsprechende Infrastruktur zu schaffen, die dann zeitverzögert sechs Monate später an den Start ging. Erstmals haben sich professionelle Akteure mit der Förderung des Tourismus beschäftigt und dies hat sich natürlich auch auf die Motivation der touristischen Partner in der Region ausgewirkt, die das bisher noch nicht so ernst genommen hatten. Das war schon wichtig. Ich kann mich noch gut erinnern, dass bei einigen einschlägig bekannten Hoteliers in der Stadt es noch Jahre danach schwer war zu erklären, dass auch der Gasometer durchaus eine Vermarktungsberechtigung hat und nicht nur das CentrO. Die Industriekultur in der Stadt, aber auch in der Region, hat es aus meiner Sicht erst durch den Schub der Kulturhauptstadt 2010 geschafft, richtig als touristisches Massenziel wahrgenommen zu werden. Es gibt natürlich Ausnahmen. Eine schöne Ausnahme ist der Gasometer Oberhausen, der durch seine hochattraktive Bespielung auch schon viele Jahre vor der Kulturhauptstadt Besucherscharen in Millionenhöhe angezogen hat.
Viele große Reiseveranstalter bieten heute Städtetouren mit Besichtigungsprogrammen in Oberhausen an. Hat diese überörtliche Wahrnehmung der Stadt und ihrer Attraktionen auch zu einer stärkeren Identifizierung der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Stadt geführt?
Ich glaube ja. Aber das ist ein langer Prozess gewesen, der von einigen exponierten Mitbürgern sogar ein bisschen konterkariert wurde. Letztendlich glaube ich das sind Erfahrungswerte, die die Bürger haben, wenn sie selber im Urlaub waren und andere Leute kennen gelernt haben und dann erzählten, wo sie herkommen. Während sie früher gesagt haben, irgendwoher aus der Nähe von Düsseldorf komme ich, sagen sie heute mit Stolz: aus Oberhausen. Und wenn dann diejenigen, die sie im Urlaub kennen gelernt haben, sagen: „Mensch, das kenn ich doch, da war ich doch schon, da ist der Gasometer und das CentrO!“. Dies stellt sofort eine positive Rückkoppelung dar. Denn dem Oberhausener Bürger, der Bürgerin wird automatisch von außen bestätigt, dass es dort, wo sie leben, schön und attraktiv ist. Dahin kommen Besucher. Dadurch entwickelt sich auch ein Identitätsgefühl. Ich glaube schon, dass das Thema Tourismus erheblich dazu beigetragen hat, dass man sich sehr stark mit der Stadt identifiziert. Ein anderes schönes Beispiel ist, wenn man Kinder heute in der Grundschule bittet, ein Bild von Oberhausen zu malen. Dann malen die natürlich den Gasometer, der ja fast mal abgerissen worden wäre. Wenn er wirklich abgerissen worden wäre, müssten wir uns die Frage stellen, was die Kinder dann malen würden. Ich weiß nicht, ob sie dann vielleicht das Schloss malen würden.
Abb. 1: Axel Biermann
Also es würde eine Leerstelle verbleiben?
Ja. Davon bin ich überzeugt.
Ich glaube, in diesem Zusammenhang ist wichtig, dass die Errichtung der Neuen Mitte Oberhausen in den 1990er Jahren durchaus auch eine Phase abgelöst hat, in der in Oberhausen ein ausgeprägtes Krisenbewusstsein vorhanden und nach dem Abbau der Stahlindustrie noch keine neue Zukunftsperspektive entwickelt worden war. War vor diesem Hintergrund vielleicht auch die Zeit besonders günstig, um eine neue Identität auszubilden?
Klar. Also da war natürlich ein gewisses Vakuum und vielleicht auch eine gewisse Lethargie. Die konnte durch die Neue Mitte Oberhausen zu guten Teilen ausgeräumt werden.
Im Ruhrgebiet hat sich auch der Radtourismus zu einem starken Wachstumsfaktor im Fremdenverkehr entwickelt. Welche Chancen sehen Sie hier für Oberhausen?
Oberhausen liegt geographisch betrachtet sehr gut, was das Thema Radtourismus angeht, und hat infrastrukturell wirklich vorbildlich vorgearbeitet. Das muss man wirklich hervorheben: Das best ausgebaute Radwegenetz im Ruhrgebiet ist in Oberhausen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung, weil ich sehr viel mit dem Fahrrad unterwegs bin. Da gibt es kaum noch Straßen, die nicht einen Radweg haben. Im Gegensatz zu einigen Nachbarstädten. Dann liegt Oberhausen direkt am Ruhrtalradweg. Zwar nur eine kurze Sequenz, aber die Gastronomie, die es dort gibt, wird wahrscheinlich jetzt schon davon profitieren. Man muss allerdings jetzt die Trassenführung noch ein bisschen optimieren. Es ist geplant, durch die Ruhraue den neuen Radweg zu führen und die sich in der Nähe befindende Gastronomie würde wahrscheinlich sofort davon profitieren. Das ist der eine Vorteil für Oberhausen und der andere Punkt ist natürlich das ganze Radwegesystem: Emscherparkradweg, Rhein-Herne-Kanal, die Verbindung beispielsweise Grüner Pfad zum Landschaftspark Duisburg Nord, dann auch die Fertigstellung der weiteren Trassen durch den Regionalverband Ruhr. In Oberhausen befindet man sich sehr zentral in diesem Radwegeangebot und wir als RTG wollen dieses Angebot stärker touristisch vermarkten. Wir haben 700 Kilometer ausgebaute Radwege auf ehemaligen Bahntrassen in der Region. Das ist ein Angebot, das bisher eigentlich am radtouristischen Markt noch gar nicht bekannt ist. Wir wissen, dass eigentlich nur Einheimische und vielleicht mal der eine oder andere Tagestourist auf diesen Wegen unterwegs sind und wir sehen ein sehr großes Potenzial, das touristisch erfolgreich zu vermarkten ist. Es ist wirklich einzigartig, weil man die Standorte der Industriekultur ja quasi autofrei mit dem Fahrrad erreichen kann. Da ist Oberhausen perfekt angebunden mit dem Kanal, dem Radweg, dem Gasometer und der gesamten Neuen Mitte Oberhausen. Insofern bin ich auch der Meinung, dass speziell Oberhausen davon sehr stark in den nächsten Jahren profitieren wird, weil es ein sehr interessantes, spannendes Angebot in der Region gibt und Oberhausen wirklich ein bedeutender Teil dieses Angebotes ist.
Schätzen Sie das auch so ein, dass dieses attraktive regionale Angebot einen Beitrag dazu leisten kann, die Verbundenheit der Menschen über ihre Stadt hinaus mit der Region zu fördern, weil man letzten Endes mit dem Fahrrad leichter mal die Stadtgrenze überschreitet als mit einem kleineren Radius zu Fuß?
Absolut. Das kann ich nur bestätigen und wir stellen das immer wieder in unseren Befragungen fest. Nehmen wir jetzt mal den Ruhrtalradweg als Beispiel. Wir wissen, dass etwa 1,1 Millionen Tagesausflügler im Jahr den Ruhrtalradweg befahren, weil sie ganz gezielt den Ruhrtalradweg befahren wollen. Also keine Essener, die mal eine Runde am Baldeneysee drehen, sondern wirklich Leute aus der gesamten Region, die dann auch eine Strecke da unten am See fahren. Das ist für mich ein schönes Beispiel. Das Gleiche gilt zunehmend für das Trassennetz im Kernruhrgebiet. Beispielsweise die Trasse zwischen der Jahrhunderthalle Bochum und Zollverein. Da gibt es mittlerweile schon Fahrradstaus und da gibt es eine Imbissbude, die am Wochenende wirklich regelmäßig völlig überrannt wird. Sie kriegen da keinen Sitzplatz mehr. Das sind alles nicht nur Leute aus Bochum oder Essen, sondern sie kommen auch aus Duisburg oder eben aus Oberhausen. Ein anderes schönes Beispiel, an dem wir das immer stärker feststellen, ist die Ruhrtopcard, die Sie vielleicht kennen, und die von uns heraus gegeben wird. Dieses Jahr haben wir 91.000 Cards verkauft und diese haben insgesamt 700.000 Besuche induziert in Freizeiteinrichtungen in der Region. Wir können für jede Stadt eine Statistik auswerfen, mit einem positiven oder negativen Saldo. Beispielsweise in Oberhausen wissen wir, dass etwa 6.000 Leute eine Ruhrtopcard gekauft haben. Die von der Ruhrtopcard ausgelösten Besuche in Oberhausen sind über 110.000. Also fast ein Siebtel aller Besuche mit der Ruhrtopcard finden hier statt, weil hier so viele Attraktionen sind. Viele Leute verbinden den Besuch der Attraktionen in Oberhausen, die alle Ruhrtopcard-Partner sind, also Aquapark, Gasometer, Sealife, mit einem Tagesausflug. Sie sind dann hier entsprechend präsent. Dabei ist der Gasometer der erfolgreichste Teil des industriekulturellen Angebotes im Ruhrtopcardranking. Unter den ersten fünf der meist besuchten Standorte.
Wenn man die Regionalplanung des Ruhrgebietes betrachtet, dann sind neben den vier Oberzentren am Hellweg andere Städte bisher kaum mit einem klaren Profil gekennzeichnet. Aber man kann durchaus in den letzten Jahren feststellen, dass in der regionalen Wahrnehmung Oberhausen als der zentrale Ort für Freizeitangebote und für Tourismus wahrgenommen wird. Würden Sie das so einschätzen, dass Oberhausen zu Recht den Titel trägt, die Tourismushauptstadt des Ruhrgebietes zu sein?
Völlig zu Recht. Das muss man ganz klar so sagen, auch immer im Verhältnis zur Größe der Stadt und zur infrastrukturellen Substanz. Man kann natürlich Oberhausen nicht mit Essen vergleichen. Doch in dem Größenverhältnis hat Oberhausen wirklich überproportional viel zu bieten. Insofern kann man durchaus sagen, dass Oberhausen touristisch überdurchschnittlich attraktiv ist. Das ist in der Region anerkannt. Wir haben es ja damals 2007 geschafft, Oberhausen als fünften Standort eines Ruhr. Visitorcenters zu etablieren. Neben den vier genannten Hellwegstädten Duisburg, Bochum, Essen und Dortmund ist Oberhausen die fünfte Stadt, die diesen Stellenwert in der Region bekommen hat, obwohl sie eben deutlich kleiner ist als die anderen. In Bezug auf die touristische Dynamik hat Essen mit Eröffnung des Ruhrmuseums und dem Neubau des Folkwang Museums nachgezogen. Aber in Bochum ist beispielsweise wenig passiert, da gibt es noch Starlightexpress und die Jahrhunderthalle bzw. das Bergbaumuseum, aber nichts wesentlich neues. Duisburg ähnlich. Ich denke, was jetzt wieder spannend wird, ist wenn in Dortmund 2014 das nationale Fußballmuseum eröffnet wird. Da wird es dann auch noch einmal ein stärkeres Angebot geben.
Im Zeitraum von 1997 bis 2008 hat sich die Zahl der Hotelbetten in Oberhausen von 900 auf fast 1600 erhöht. Ist damit der Markt gesättigt?
Das ist ja immer ein Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage und ich verkürze das mal auf die Einstellung, dass ich sage: Das regelt der Markt. Das heißt konkret, wenn das Angebot sich weiter vergrößert, wird sich auch die Zahl der Hotelbetten vergrößern. Und diese Zahl ist kontinuierlich gewachsen. Wir wissen, dass ein Hotel in der Stadt mit Gewinn geführt werden kann, wenn eine Zimmerauslastung so etwa zwischen 50 und 55 Prozent liegt oder ein bisschen darüber. Ich glaube, dass wir hier durchaus noch etwas verkraften könnten. Dies ist natürlich dann auch immer eine Standortfrage. Es ist völlig klar, es gibt immer attraktivere Standorte als andere und je näher man sich am Zentrum des Geschehens mit seinem Hotel befindet, desto einfacher hat man es natürlich, eine hohe Auslastung zu erreichen. Das hätte theoretisch auch im Wettbewerb Auswirkungen auf weiter entfernte Häuser, die dann evtl. Einbußen erleiden und die sich dann wieder neue Angebote überlegen müssten, um den Wettbewerb erneut aufzunehmen. Letztendlich regelt das immer der Markt zu Gunsten verbesserter Angebote für die Kunden. Man kann aber immer ein positives Investitionsklima schaffen. Das ist der alte Spruch aus der Wirtschaft, die Hälfte ist Psychologie und die andere Hälfte sind die nackten Zahlen. Wir wissen beispielsweise, dass durch die Kulturhauptstadt die großen Investoren die Region im Moment recht positiv ins Visier genommen haben, was Hotelneubauten angeht. Das heißt, im Moment ist eigentlich auch die Psychologie auf unserer Seite, nicht nur die harten Zahlen. Das sollte man nutzen! Ich denke, als Stadt Oberhausen sollte man, so wie das andere Städte auch tun, das Thema Hotelansiedlung bearbeiten.
Seit August 2008 sind Sie Geschäftsführer der Ruhr Tourismus GmbH mit Sitz in Oberhausen. Welche Herausforderungen sehen Sie auf den verschiedenen Tourismusfeldern auf das Ruhrgebiet und die Stadt Oberhausen zukommen?
Wir haben uns genau aus dieser Fragestellung heraus im Kontext der Erfahrungen mit der Kulturhauptstadt entschlossen, einen sehr umfangreichen Marketingplan zu entwickeln, der empirisch fundiert jetzt veröffentlicht wird und der eine Gültigkeit für die nächsten fünf Jahre hat. Da war einfach die simple Frage, mit welchen Themen wollen wir welche Zielgruppen in welchen Quellmärkten erreichen? Wo sind unsere Stärken, wo sind unsere Schwächen? Die Herausforderung sehe ich eigentlich jetzt speziell in der finanziellen Situation der öffentlichen Haushalte. Tourismusförderung ist eine freiwillige Aufgabe, das wissen wir. Und das hängt z. B. sehr eng zusammen mit dem Thema Kulturförderabgabe, Bettensteuer. Darin sehe ich eine große Herausforderung und mein Wunsch ist, dass hier zweckgebunden agiert wird. Das heißt, dass keine Steuer in den Städten erhoben wird, sondern eine Abgabe. Die Einnahmen, die dadurch erzielt werden, sollten teilweise der Tourismusfördergesellschaft zugute kommen, damit auf der anderen Seite die Stadt ihren Zuschuss entsprechend reduzieren kann, so dass trotzdem ein Konsolidierungseffekt übrig bleibt. Das ist für mich ganz wichtig.
Wir haben eine positive Entwicklung durch die Kulturhauptstadt auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Wir haben eine entsprechende Strategie vorgelegt, konsensual abgestimmt in der gesamten Region. Für mich ist wichtig, dass jetzt alle am Ball bleiben und dass eine entsprechende Finanzausstattung der Tourismusförderung geschaffen wird. Man kann nachweisen, dass Tourismusförderung wirklich Wirtschaftsförderung ist, Geld wieder in die Kasse bringt. Die durch Tourismus erzielten Umsätze fließen zehnfach wieder zurück. Bei den harten Konsolidierungsgesprächen, die in allen Städten der Region geführt werden, sollte dies zumindest in der Diskussion Berücksichtigung finden. Unsere Hauptherausforderung ist aus meiner Sicht, dass wir nach wie vor hart an dem Thema Imagekorrektur des Ruhrgebiets arbeiten müssen. Ich nenne ein kleines Beispiel. Generell ist es so, dass alle Großstädte in Deutschland etwa in der Regel vier bis fünf Mal so viele Übernachtungen haben wie Einwohner. Das Ruhrgebiet hat etwa doppelt so viele Übernachtungen wie Einwohner. Ich nehme jetzt mal nur das Kernruhrgebiet mit den großen Städten; die Kreise lasse ich weg. Das heißt also, wir haben ein etwa doppelt so hohes Volumen in Städten wie Köln, Stuttgart oder Hannover. Da haben wir einen extremen Nachholbedarf und das hat etwas mit dem Image zu tun. Es ist ja nicht so, dass wir keine kulturtouristischen, freizeittouristischen oder städtetouristischen Angebote hätten. Wir haben nach wie vor nur dieses Imageproblem. Diese riesige Herausforderung kann man nur bestehen, indem man Kontinuität beweist in der Kommunikation und Werbung nach außen. Dass man weiterhin gerade Meinungsmacher, Opinionleader in Deutschland oder auch im Ausland davon überzeugt, dass hier die Show weiter geht und das das keine einmalige Aktion war 2010, sondern dass wir wirklich mit Fug und Recht und auch mit Selbstbewusstsein ein tolles Angebot haben. Wir müssen weiter daran arbeiten, dass dies möglichst viele mitbekommen. Auf der einen Seite brauchen wir die Erkenntnis, dass man auch öffentliches Geld sinnvoll in die Hand nehmen kann, um Tourismus zu fördern, weil das wirtschaftliche Effekte induziert, und auf der anderen Seite müssen wir kontinuierlich an der Imagekorrektur der Region arbeiten mit einer wirklich zielgerichteten und auch effizienten Kommunikations- und Werbearbeit.
Haben Sie so etwas wie ein Bild vor Augen, eine Zielvorstellung, wo Oberhausen und das Ruhrgebiet vielleicht in fünf bis zehn Jahren als Touristikstandort stehen sollten oder stehen könnten?
Wir haben quantitativ eine Vision in unserem Marketingplan zum Abschluss eingearbeitet. Und die besagt, dass wir das, was jetzt die übrigen Großstädte, die ich genannt habe, an Übernachtungsvolumen haben, im Jahr 2030 als Ziel erreicht haben müssten. Das würde bedeuten: 20 Millionen Übernachtungen im Ruhrgebiet. Heute haben wir 6,8 Millionen. Für Oberhausen umgerechnet, weil Oberhausen überdurchschnittlich touristisch attraktiv ist, würde dies eine Millionen Übernachtungen im Jahr 2030 bedeuten; 2011 sind es schon 440.000; Und auf der Angebotsseite ein entsprechendes, erweitertes Hotelinvestment.
In welchem Marktsegmenten?
Im guten Vier-Sterne-Bereich. Weil wir wissen, dass die Hauptzielgruppe des Städtetourismus in den nächsten 20 Jahren die gutsituierten, gut gebildeten, über viel Freizeit verfügenden, rüstigen „Bestager“ sind in der Altersklasse 55 bis 75. Die haben schon die ganze Welt gesehen, nur Deutschland noch nicht, und insbesondere das Ruhrgebiet nicht. Deshalb werden wir ein Hauptaugenmerk auf diese Zielgruppe legen, wie auf viele andere natürlich auch. Da muss man im Wettbewerb bestehen.
Damit diese Vision Realität wird, ist es zwingende Voraussetzung, dass die Metropole Ruhr gegenüber den genannten übrigen Regionen den Abstand quantitativ und qualitativ, was die Standortqualität und Standortstruktur angeht, beibehält, oder im optimalen Fall sogar verkürzen kann. Ein weiteres Auseinanderdriften würde sich natürlich negativ auswirken auf das Erreichen der angestrebten Ziele, die ich vorher skizziert habe.
Das verstehe ich jetzt so, dass Sie durchaus eine Chance sehen durch Kooperation zwischen Tourismusförderung und Wirtschaftsförderung für das Ruhrgebiet, durch einen engen Schulterschluss und durch eine gemeinsame Strategie.
Genau. Wir haben eine Schnittmenge, die man mit der Begrifflichkeit Standortmarketing zusammenfassen kann. Für die Wirtschaftsförderung ist es existenziell wichtig, dass sie Rahmenbedingungen für ansiedlungswillige Unternehmen schafft oder auch hier bestehende Unternehmen hält. Wir alle wissen, dass das größte Problem Fachkräfte sind, die auch Lebensqualität und Freizeitwert nachfragen. Schon heute zeigt sich das Problem, dass wenn ein Ingenieur sich eine Stelle aussuchen kann zwischen München, Berlin und MAN Turbo in Oberhausen, dass MAN Turbo auf dem dritten Platz liegt aus den genannten Imagegründen. Wenn wir durch unsere Arbeit positiv zur Imagekorrektur der Region beitragen können, kommt das auch der Wirtschaftsförderung zugute. Umgekehrt ist es aber auch wichtig, dass die Wirtschaftsförderer das Thema Tourismus ernst nehmen, als Teil der Wirtschaftsförderung begreifen, und dass man sich gegenseitig die Bälle zu spielt, was wir ja beispielsweise jetzt auf regionaler Ebene schon machen.
Ein schönes Beispiel ist: Wir wollen das Thema Tagungs- und Kongresstourismus stärker positionieren und das hat auch sehr eng mit Wirtschaftsförderung zu tun. Wir geben jetzt eine Studie in Auftrag, die eine umfassende Stärken-Schwächen- und Chancen-Risiken-Analyse enthält zum Tagungsstandort Metropole Ruhr. Ein wichtiger Aspekt ist hier die sogenannte Leitmarktthematik, heißt also, da wo die Region stark ist, hat sie natürlich auch deutlich größere Chancen, entsprechende Tagungen und Kongresse zu akquirieren. Nehmen wir mal das Thema Energie. Das Thema Energie ist ein ganz klarer Leitmarkt für die Region, auch erneuerbare Energien. Wir haben hier eine sehr starke Leitmesse, die E-World. Deshalb muss es Ziel der Tagungs- und Kongresswirtschaft sein, Kongresse und Tagungen zu diesem Thema verstärkt hier her zu holen. Dadurch wird eine Region glaubwürdig, zumal wir hier die Fachkompetenz auch im Forschungs- und Entwicklungsbereich haben. Daraus entsteht die Glaubwürdigkeit, dass ein Kongress hier richtig angesiedelt ist. Es kommen Kongressteilnehmer aus aller Welt, um hier die Best-Practice-Beispiele zu sehen. Das gilt beispielsweise auch für das Themenfeld Logistik und für andere Themen wie industrielle Dienstleistungen, ebenso für das Thema Gesundheitswirtschaft. Dabei muss man Kongressveranstalter ansprechen, die sich auf diese Themen spezialisieren. Da sehe ich ein ganz wichtiges Thema, bei dem wir ja auch schon gut mit der Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr unterwegs sind.
Ich würde gerne zum Schluss über den Tellerrand hinaus blicken. Wir hatten im letzten Jahr das Kulturhauptstadtjahr 2010 und da zum ersten Mal ein Zusammenwirken aller Kommunen im Ruhrgebiet. Die von Ihnen skizzierten Ziele für die nächsten fünf bzw. zehn oder auch fünfzehn Jahre werden mit Sicherheit ohne eine regionale Kooperation nicht leistbar sein. Wie kann man diese aus den Erfahrungen des Kulturhauptstadtjahres jetzt weiter entwickeln?
Ein ganz wichtiger Ansatz ist für uns, dass man durch Motivation und Überzeugungsarbeit alle an einen Tisch bekommt. Also nicht verordnet und erst recht nicht gesetzlich legitimiert oder institutionalisiert. Das große Geheimnis der Kulturhauptstadt, aber auch beispielsweise einiger Projekte die wir machen, ist, dass sich alle unter einem gemeinsamen Themendach versammeln, mit gemeinsamer Kraft in diesen Themenbereich investieren und dadurch hinterher davon profitieren. Die Extraschicht ist da ein tolles Beispiel. Wo alle 50 Partner in rund 45 Städten alle unter diesem Themendach mitsegeln und auch für sich als lokaler Standort davon profitieren. Indem sie das Große und Ganze mit unterstützen und ein Teil des Großen und Ganzen sind, entwickelt sich überregionale Schlagkraft.
Ein anderes Beispiel ist der Ruhrtalradweg. Genau das Gleiche: 23 Kommunen im Sauerland und im Ruhrgebiet kooperieren. Jede Kommune für sich alleine hätte nie die Kraft und die Möglichkeit, in der Kommunikation, in der Werbung so eine Schlagkraft zu entwickeln. Aber gemeinsam kommen wir auf ein ordentliches Budget, welches wir gezielt einsetzen. Dann profitieren alle am Ruhrtalradweg befindlichen Kommunen und die beteiligten Verbände davon. Bei der Kulturhauptstadt war es genauso. Wir wollen es zukünftig beim Tourismusmarketing auch so handhaben, dass wir mit den Städten zusammen und mit der touristischen Privatwirtschaft die Gelder bündeln und dann gemeinsame Marketingmaßnahmen umsetzen. Dazu dient dieser Marketingplan, der eine Planungssicherheit bietet für alle Akteure. Jedes Hotel und jeder Freizeitpark und jedes Museum kann für sich entscheiden, ob es sich mit dieser Strategie und diesem Handlungsansatz identifizieren will und sich dann auch motiviert fühlt, da mit zu machen.