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Kämpfe um neue Freizeitkultur

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Ein gesellschaftlicher Wandel zeigte sich nicht zuletzt in der Art, wie die – spärliche, aber wachsende – Freizeit verbracht wurde. Der Sport65 nahm nach dem Krieg einen Aufschwung. Populär waren besonders Fussball, Leichtathletik und Radfahren, 1923 fand die Rad-Weltmeisterschaft in Zürich statt. Zur direkten Subventionierung von Sportvereinen fehlten der Stadt die Mittel. Sie verpachtete indes 1923 das Letzigrund-Areal an den Fussballclub Zürich und den Utogrund an die Arbeiter-Turn- und Sportvereinigung. 1922 ging nach einem Kampf gegen moralische Widerstände das städtische Strandbad («Sonnen-, Luft- und Schwimmbad») Mythenquai in Betrieb.66 Zur Ertüchtigung (in Badeanstalten) kamen damit Erholung und Vergnügen hinzu – dass eine signifikante Holzwand zwischen Männer- und Frauenbereich auf Druck des Publikums bald entfernt wurde, erschien als besonderer Durchbruch. Der individualistische Zug des Sports, besonders des Leistungssports, im Gegensatz zur kollektiven Disziplin des Turnens, weckte sowohl auf konservativer als auch auf sozialistischer Seite einigen Argwohn. Wegen der weltanschaulichen Spannungen verlor der Schweizerische Arbeiter-Turn- und Sportverband (Satus) Ende des Jahrzehnts zahlreiche Sportorganisationen als Mitglieder.


Ein Höhepunkt des Kammerorchesters Zürich war die Aufführung der Marionetten-Kurzoper «El retablo de Maese Pedro» von Manuel de Falla mit Bühnenbild und Figuren von Otto Morach im Juni 1926 am IV. Fest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Zürich.

Traditionelle Vergnügungen wie das Tanzen67 waren in der Kriegszeit unter Druck geraten. Sie entsprachen aber gerade auch damals einem Bedürfnis und erhielten kräftige neue Impulse aus Amerika – Jazz wurde zum Beispiel im Hotel Baur au Lac gespielt.68 Reglementierungen entsprachen demgegenüber auch einer konservativen Grundhaltung. Das 1915 vom Regierungsrat verhängte Verbot des fasnächtlichen «Maskentreibens» auf öffentlichem Grund wurde erst 1920 aufgehoben. Die Brennstoffverordnung des Bundesrats, eine Massnahme zur Sicherung der Versorgung, diente dazu, Wirtschaften und Unterhaltungsbetriebe auch im Sommer einzuschränken. Der kantonale Polizeidirektor, Mitglied der Bauernpartei, reduzierte 1920 die Zahl der Tanztage, wohingegen der Stadtzürcher Polizeivorstand für eine Ausdehnung eingetreten war. Die Kritik an «Festseuche» und «Vergnügungssucht», wie es etwa die Regierung nannte, hatte eine deutliche moralische Komponente. Sie entsprach den Bestrebungen der Kirche und von Organisationen wie den Sittlichkeitsvereinen. Während namentlich die Gemeinnützige Gesellschaft im Hang zum Festen eine potenzielle Ursache sozialer Not sah, argumentierten die Kirchenbehörden religiös, aber durchaus auch mit Blick auf die Schweiz. Nicht ein materialistischer und egoistischer Geist, hiess es im Bettagsmandat von 1921, sondern der Geist der göttlichen Gesetze und ein Geist der Zucht machten ein Volk stark.

Wie auch zu anderen Zeiten waren Kasinos besonders suspekt. Eine schon vor dem Krieg lancierte eidgenössische Volksinitiative für ein generelles Geldspielverbot wurde 1920 auch im Kanton Zürich klar angenommen. Das Verbot wurde 1928 gelockert und erst Ende des 20. Jahrhunderts aufgehoben. Weniger populär war die Idee einer Vergnügungssteuer. Eine entsprechende Kompetenzerteilung an die Gemeinden scheiterte 1922 in einer kantonalen Abstimmung. Das Schwanken der SP, die sich schliesslich gegen das «Asketengesetzlein»69 wandte, scheint insofern bezeichnend, als kommerzielle Unterhaltung nicht gerade sozialistischen Idealen, wohl aber einem allgemeinen Bedürfnis entsprach.

Ähnliches gilt für das «Theater der Armen»: Die Verbreitung des Kinos stiess auf erhebliche Widerstände, zum Teil auch bei Sozialdemokraten.70 Städtische Unterhaltungskultur war an sich nichts Neues. Seit 1884 bestand das Pfauentheater als Variétébühne, 1900 wurde das Corso-Theater eröffnet, das von Artistik über Kabarett bis zu Operetten vielerlei Unbeschwertes bot. Filme (bis in die späteren 1920er-Jahre «stumm», meist von separater Musik71 begleitet) galten indes rasch als unsittlich oder verrohend. Christian Beyel, unter anderem Zentralsekretär der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft, sprach 1919 von einer «Schule für das Verbrechertum» und meinte, speziell mit den Bildern aus Amerika komme «die verpestete moderne Weltstadtluft in die Schweiz». Die Polizeidirektion des Kantons Zürich qualifizierte die «sogenannten Charlot-[Chaplin-]Filme» fast durchwegs als Schund. Die 1916 zusammen mit einem Verbot für Kinder eingeführte Überwachung der Kinos ermöglichte es nur, nachträglich einzugreifen. 1922 wurde daher die Vorzensur eingeführt. Der Erlass, den der Kantonsrat mit 121 gegen 33 Stimmen (aus SP und FP) guthiess, galt dann bis 1971. Dass sich die Zahl der – zum Teil sehr grossen – Kinos in Zürich in den 1920er-Jahren von 12 auf 24 verdoppelte, liess sich nicht verhindern. Gerade skeptische Kreise erkannten im Übrigen auch ein pädagogisches Potenzial und förderten über mehrere Organisationen Filme, die sich ihrer Meinung nach für die Schule oder zur Volksbildung eigneten.

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