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Ein Ort der Integration

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War Zürich in den frühen 1920er-Jahren nun modern oder konservativ, weltstädtisch oder eng und xenophob, rot oder reaktionär, krisenhaft oder aufblühend? Es war wohl – eben eine Grossstadt – all dies mehr oder weniger, abhängig auch von den sich überlappenden Phasen in einem «Jahrzehnt der Widersprüche» (Sigmund Widmer).94 Der geistigen und politischen Offenheit (und Verunsicherung) nach dem europäischen Zusammenbruch folgten die Zwänge der wirtschaftlichen Depression, dann war ein wirtschaftliches Wachstum mit einer gewissen Entpolitisierung verbunden.

Mitte des Jahrzehnts konnte ein Stadtführer im Nebelspalter ein ziemlich unbeschwertes Bild mit mondänen wie auch kleinstädtischen Zügen zeichnen:95 In der Bahnhofstrasse («Balkanstrasse») verkehren «Schieber, Kokotten, Exoten und Strohwitwen» sowie, erst recht, «das solide Bürgertum» – und zwei Mal pro Woche findet der Gemüsemarkt statt. «Der Zürcher» schimpft über die Fremden, das Tram, die Kabaretts, über alles, doch er macht vom Kino wie vom Autotaxi oder anderem Gebrauch und hat die Fremden längst lieben gelernt.

Das «rote Zürich» (linke Mehrheit in Stadt- und Gemeinderat, SP-Stadtpräsident) war das symbolisch wichtige Resultat einer längeren, trotz beidseitiger Kampfrhetorik stabil abgestützten Entwicklung. 1928 schrieb der neue Stadtpräsident Emil Klöti zufrieden, «wie vorteilhaft die grossen kommunalen und genossenschaftlichen Siedelungen mit ihrer gefälligen und rationellen Gruppierung der Bauten und ihrer Zusammenfassung der Grünflächen praktisch und ästhetisch von den mit Spekulationsbauten überstellten Quartieren abstechen und wie sehr sie zur Verbesserung und zur Verschönerung der ganzen Stadt beitragen».96 In der gleichen Publikation erklärte Adolf Jöhr, Generaldirektor der Kreditanstalt, die Stellung des Bankenplatzes mit einem liberalen Geist: «Es ist, wenn man will, das Untraditionelle, das leicht Amerikanische im Wesen der Stadt, welches sie vorwärts getrieben hat und vorwärts treibt, unbekümmert darum, ob überfeinfühlige Ästheten dabei mitkommen oder nicht.»97 Ordnungsliebe und Disruptionslust hatten gewissermassen die Seiten gewechselt und gingen nebeneinander her.


Irma und Alexander Schaichet als Kammermusiker in der «Oberen Kapelle» im Westflügel des Landesmuseums.

War Zürich für die wirtschaftliche und politische Krise der 1930er-Jahre gewappnet? Die mehrfache Abhängigkeit von Entwicklungen im Ausland blieb bestehen. Soziale Gräben wurden nur langsam überwunden, und der sozialstaatliche Schutz war noch sehr lückenhaft. Die Rolle der SP hätte eine Vorstufe für deren Einbezug in den Bundesrat sein können, doch wurde Klöti zwei Mal nicht gewählt. Zürich ging in manchem voran – nicht nur im positiven Sinn. Gewisse ideologische Strömungen mündeten in den Frontismus. Aber auch Netze für und von Emigranten bestanden fort. Aufs Ganze gesehen nahm das Jahrzehnt eine gute Entwicklung. Ihr Ende war nicht zwingend gegeben.

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