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Systemische Therapie als transdisziplinäres Projekt

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Der systemische Ansatz lässt sich aus keiner einzelnen akademischen Disziplin alleine ableiten. Die allgemeine (bzw. Allgemeine) Systemtheorie und die Kybernetik haben sich als Werk von disziplinenübergreifend interessierten Pionieren von Anfang an allen einzelwissenschaftlichen Zuordnungen entziehen können. Dies ist zugleich Stärke und Schwäche des systemischen Ansatzes.

Historisch hat sich die Disziplinenstruktur der Wissenschaften erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts um spezifische Gegenstandsbereiche entwickelt (Stichweh 1979). Stichweh definiert Disziplinen als Formen sozialer Institutionalisierung, die mit der Entwicklung hinreichend homogener Kommunikationszusammenhänge von Forschern einhergehen (»scientific community«), kodifiziertes, konsensuelles und lehrbares Wissen erzeugen, spezifische Forschungsmethoden und paradigmatische Problemlösungen einsetzen und spezifische Karrierestrukturen und Sozialisationsprozesse institutionalisieren, die den Nachwuchs selektieren und »indoktrinieren« (ebd., S. 83).

Dieser Differenzierungsprozess hat sich mit fortschreitendem Wissen bis heute fortgesetzt. Die einzelnen Disziplinen haben sich in eine unüberschaubare Zahl von Unterdisziplinen aufgegliedert, was es zunehmend schwer macht, komplexe Gegenstandsbereiche (Ökologie, Gesundheit, psychosoziale Zusammenhänge etc.) aus einer disziplinären Perspektive zu untersuchen. Darüber hinaus führt die Auffächerung in Disziplinen dazu, dass komplexere Problemstellungen u. U. gar nicht erkannt werden können, weil die jeweiligen Vorgehensweisen sich nicht vom Gegenstand, sondern von den Zuständigkeitsansprüchen und methodischen Repertoires der Einzelwissenschaften herleiten. Auch eine interdisziplinäre Arbeit kommt hier schnell an ihre Grenzen, weil sie zwar Schnittstellen zwischen den einzelnen Disziplinen herstellt, diese Disziplinen aber damit ihre grundsätzliche Herangehensweise nicht aufgeben.

Der Versuch, »über die oft unbefriedigende Praxis interdisziplinärer Kooperation hinaus zu einer integrativen Form transdisziplinärer Wissensproduktion zu gelangen« (Moldaschl 2009, S. 21), orientiert sich an übergreifenden Paradigmen, die für mehr als eine Disziplin relevant sind. Systemtheorie und Kybernetik haben solche Paradigmen entwickelt (Luhmann nennt beispielhaft »feedback«, »thermodynamisch offene Systeme« und »Information als Selektion«; Luhmann 1994, S. 459), die aufgrund ihrer Unabhängigkeit von den materialen Gegenständen der Biologie, Psychologie, Philosophie, Sozialwissenschaften, Kognitionswissenschaften, Kommunikationswissenschaften, Medizin usw. strukturell auf alle Phänomenbereiche dieser Disziplinen anwendbar sind. Zudem erlaubt ein transdisziplinärer Ansatz auch, die »Außengrenzen der Wissenschaft« zu überschreiten und ein Praxisfeld zu konstituieren, »das sowohl wissenschaftliche als auch ›wissenschaftssystemfremde‹, ›nicht-wissenschaftliche‹ Praktiken abdeckt« (Schaller 2004, S. 40). Damit waren enorme Komplexitätsgewinne möglich – für Gregory Bateson, einen Pionier der Kybernetik, »der größte Bissen aus der Frucht vom Baum der Erkenntnis, den die Menschheit in den letzten 2000 Jahren zu sich genommen hat« (2006, S. 612). Der Bezug auf Paradigmen gibt den transdisziplinären Fächern

»ihre Eigenart, ihre Unverwechselbarkeit und ihre Limitationalität. Offen bleibt dabei vorerst, was mit einem solchen Fach geschieht, wenn es zu einem Paradigmawechsel kommt« (Luhmann 1994, S. 459).

Insofern liegt eine gewisse Tragik in der Tatsache, dass Systemtheorie und Kybernetik in der gegenwärtigen akademischen Welt kaum eine Rolle spielen (von ihrer Rezeption in einigen Bereichen wie der Soziologie und Psychotherapie [!] abgesehen). Der Bedeutungsverlust ab Ende der 1960er-Jahre hing nicht nur von der veränderten politischen Großwetterlage ab (vgl. Hagner 2008), sondern auch davon, dass die Kybernetiker sich wenig um die institutionalisierte Sicherung und Weitergabe ihres Wissens und die Etablierung des Nachwuchses in universitären Strukturen kümmerten. Wie Pickering in seiner brillanten Studie über die englische Kybernetik feststellt (2010, S. 9), hing ihr Schicksal in hohem Maße von der Persönlichkeit ihrer Protagonisten ab: Mehr noch als ein transdisziplinäres war sie

»ein antidisziplinäres Feld: Sie aggregierte keine disziplinären Perspektiven, sondern trat vielmehr die Grenzen zwischen ihnen mit Füßen, was auch zu ihrem Glamour beitrug« (Übers. u. Hervorh.: T. L.).

Auch wenn systemische Konzepte hierzulande besonders in der Psychotherapie reüssieren konnten, ist ihre Vertretung an den einschlägigen Fakultäten weithin Ausnahme geblieben. Etwas anders sieht es beispielsweise in der Sozialen Arbeit aus, wo sich gerade auch an den Hochschulen in den letzten Jahren ein fruchtbarer systemischer Diskurs entwickeln konnte.

Unabhängig von der schwachen akademischen Etablierung hat sich das systemische Denken jedoch in der professionellen Praxis der verschiedensten Berufsgruppen verankert, was das eigene Selbstverständnis als multiprofessionelle Praxis unterstreicht.

Systemische Therapie und Beratung – das große Lehrbuch

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