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Molekulare Medizin – Vom Genom über die Epigenetik zur molekularen Systembiologie
ОглавлениеDie molekulare Medizin geht davon aus, dass Gene und/oder Proteine als »Generatoren« von Krankheit identifiziert und entsprechende molekulare Interventionen, vor allem durch Pharmaka, entwickelt werden können (Ganten u. Ruckpaul 2008). Insbesondere Rezeptoren und Transporter für Glukose (Diabetes), Cortisol (Depression) etc. sind im Fokus. Es ist in dieser Hinsicht von »personalisierter Medizin« die Rede, die das individuelle Genom als Basis von Gesundheit und Krankheit sieht (Collins 2010). Die Idee, dass bestimmte Gene alleine die organismischen Phänomene dirigieren, wäre allerdings zu einseitig. Die heute sehr populäre »Epigenetik« betont, dass die Gene unter der Kontrolle von Transkriptionsfaktoren stehen, die ihre direkten Aktivierungen und Deaktivierungen bewirken. Dadurch wird unter anderem die funktionelle Identität und Spezialfunktion in der Entwicklung einer Zelle festgelegt. Dieses Aktivierungsmuster wird von Umwelteinflüssen moduliert und kann bei Zellteilungen »vererbt« werden (Spork 2010; Michels 2011).
Dieses Verständnis intrazellulärer Regelkreise wird ergänzt durch die Erkenntnis, dass molekulare Kaskaden der Signaltransduktion vom Rezeptor bis zu phosphorylierenden und desphosphorylierenden Enzymen Transkriptionsfaktoren aktivieren oder deaktivieren können. Diese molekularen Signalketten zeigen ihrerseits Rückkopplungen, Vorwärtsschaltungen und Wechselwirkungen, sodass nur schwer ohne Computersimulationen verstanden werden kann, welche Folgen Rezeptoraktivierungen oder -blockaden haben. Dieses Bild der Zelle als biochemischen Netzwerks macht auch verständlich, was auf statistischer Ebene als »Komorbidität« klassifiziert wird: Komorbidität etwa von Diabetes und Depression bzw. Herzinfarkt und Depression dürfte auf gemeinsamen inter- und intrazellulären molekularen Signalbahnen von Hormonen (z. B. Cortisol) bzw. Immunfaktoren (z. B. Zytokine) beruhen.
Diese Netzwerkaspekte werden in einer neuen systemischen Arbeitsrichtung – der Systembiologie – explizit behandelt. Sie hat im Bereich der Einzeller für das Funktionsverständnis der Zellteilung, des Zelltodes, des Wachstums und der Differenzierung bereits Computermodelle erbracht (Kitano 2002).